Die Gerichtsberichterstatterin des SPIEGEL, Gisela Friedrichsen, kommentiert den Fall der redseligen Staatsanwaltschaft und der seltsamen einstweiligen Verfügung gegen den Axel Springer-Verlag: Prügelt den Boten!
Zivilgerichte haben die Rechte von Personen, über die berichtet wird, in letzter Zeit erheblich gestärkt, bis hin zur Einschränkung der Pressefreiheit. Gelten für die Staatsanwaltschaften solche Einschränkungen nicht, die doch immer wieder mit schneidigen Auftritten auf ihre „Erfolge“ aufmerksam machen – zu Lasten derer, die die Unschuldsvermutung schützen soll?
Lieber scheint man stattdessen auf den Überbringer der Nachricht einzuprügeln und ihm die Verantwortung für Vorverurteilung und Verletzung von Rechten zuschieben zu wollen. Eine ganze Anwaltssparte – auch der Anwalt zählt als Organ der Rechtspflege zur Justiz – verdient nicht schlecht daran. Da geht zur Zeit offensichtlich so manches durcheinander.
Letzte Woche lief auf Telepolis mein Kommentar Advocatus Angeli.
UPDATE:
Auch der zuständige Landesjustizminister möchte kommentieren:
Der Minister wurde nach eigener Darstellung am Gründonnerstag über den Fall informiert. Eine Weisung an die Staatsanwaltschaft wegen deren Öffentlichkeitsarbeit sei für ihn nicht infrage gekommen; so etwas lehne er auch grundsätzlich ab. Die Staatsanwaltschaft sei zudem von Medienvertretern konkret auch nach der HIV-Infektion gefragt worden. Nach dem hessischen Pressegesetz habe der Staatsanwalt informieren müssen.
Die christlichen Glaubensorganisationen pflegen eine fast zweitausend Jahre währende Tradition, Ungläubigen ihren Unglauben zu verbieten. Im Hause Vatikan bediente man sich eines Indexes, der Inquisition und so praktischer Dinge wie dem „Gotteslästerparagraphen“.
Nunmehr tobt in Berlin ein (Un)glaubenskrieg, den ich besser nicht kommentieren möchte. Statt Hexenverbrennungen bemüht man zu Exorzierung in Berlin die Justiz:
Eine rothaarige Hexe hatte die Pressure Group „Pro Reli“ schnell ausgemacht. So ließen die Berliner Glaubenskrieger der Bundestagsvizepräsidentin beim im Presserecht bislang nicht durch irgendwelche Kompetenz aufgefallenen Landgericht Köln(!) durch eine einstweilige Verfügung die Äußerung verbieten, die Initiative Pro Reli wolle den Ethikunterricht abschaffen. Die Bundestagsvizepräsidentin hatte geglaubt, diese Schlussfolgerung über die Motive der Initiative sei eine von Art. 5 GG geschützte Meinung. Aber in Zeiten der Stolpe-Entscheidung bestimmen nun einmal die Richter, was eine Meinung ist.
Jetzt will Pro Reli sogar gegen den Berliner Senat zu Felde ziehen und diesem eine Anzeigenkampagne untersagen lassen. Der Senat tritt für die Beibehaltung des Pflichtfaches Ethik ein, was er künftig nicht mehr in Anzeigen artikulieren können dürfen soll.
Viel Spaß dabei!
Update: Sie haben es tatsächlich geschafft: Nachdem das Berliner Verwaltungsgericht das Zensurbegehren abgelehnt hatte, hat nun das Oberverwaltungsgericht eine entsprechende einstweilige Verfügung gegen den Berliner Senat erlassen.
Effizienter hätte man die Anzeige nicht bewerben können! Hallelujah!
… sagte sich offenbar die selbsternannte Sauberfrau Zensursula und ließ sich für ein fragwürdiges innenpolitisches Anliegen einspannen: Die Kontrolle des Internet. Peinlich, dass sie nicht weiß, wovon sie eigentlich redet.
Da Spitzelei in einer Demokratie, die bereits mit GeStaPo und StaSi hinreichend Erfahrungen gemacht hat (zuweilen auch mit den Herrschaften von Verfassungsschutz und BND), kann man derartiges nur mit Desinformation durchsetzen. Das Rezept ist uralt: Man macht den Leuten Angst vor Phantomen, um dann politisch freie Fahrt für „Notstands-“ oder „Teroristengesetze“ zu erhalten.
Diesmal halten als willkommener Vorwand die Kinderschänder hin. Was von den scheinbar so edlen Argumenten der Familienministerin zu halten ist, bringt Netzpolitik.org auf den Punkt:
Als ich vorhin das Video zum Celler Loch verlinkt hatte, war mir gar nicht bewusst gewesen, dass es von Ursula von der Leyen zu diesem Fake eine direkte Beziehung gibt: Sie ist die Tochter des damals zuständigen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht. Dann bleiben die Familiengeheimnisse der Familienministerin ja in der Familie …
Im „Kreuzigungsstreit“ hat das Landgericht München – wie nicht anders zu erwarten – den Antrag Klinsmanns gegen die TAZ auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abgelehnt. Die „vielleicht schlimmste Entgleisung, die es in den deutschen Medien jemals gegeben hat“ war dann doch nicht soooooooo schlimm. Die Vorstellung, die TAZ hätte eine reale statt einer satirischen Kreuzigung im Sinn gehabt, dürfte selbst den Glauben sehr religöser Menschen erheblich strapazieren.
Wie war das noch gleich: Jesus schritt durch das Tor, und die Jünger standen im Abseits …
Update: TAZ-Anwalt Kollege Eisenberg hat das Urteil inzwischen publiziert.
Und meinen Respekt, dass Sie es durchgezogen haben!
Mit Urteil vom 03.02.2009 hat Ihnen der Bundesgerichtshof bestätigt, dass die Pressekammer des Landgerichts Hamburg und das angeschlossene OLG Hamburg einfach ihren Job nicht machen.
Risiko Unternehmenskritik
Wer immer etwas gegen einen finanziell übermächtigen Gegner zu sagen hat, bekommt deswegen einstweilige Unterlassungsverfügungen und Kostendruck. Seit der in Hamburg exzessiv betriebenen Stolpe-Rechtsprechung können findige Anwälte praktisch jede Kritik in eine angebliche Tatsachenbehauptung umdeuten, mit der Folge, dass der Äußernde die ihm unterstellte „Verdachtsberichterstattung“ zu beweisen hat.
Daraus folgt, dass Journalisten ohne (und selten genug mit) starker Rechtsabteilung nicht mehr kritisch berichten können – erst recht keine Kleinen wie freie Publizisten, Blogger usw. Öffentliches Äußern ist heutzutage zu einem unkalkulierbaren Risiko geworden. Verdachtsberichterstattung ist praktisch seit einigen Jahren tot. Wer genug Geld hat, kann schalten und walten, wie er will.
Hamburger Humbug
Die Urteilsgründe in der aktuellen Entscheidung sind alles andere als neu, wie man an den zahlreichen Rechtsprechungszitaten leicht ersehen kann. Trotzdem war der Gang nach Karlsruhe nötig, denn die Hamburger Presserichter scheren sich schlicht und ergreifend nicht um BGH und Bundesverfassungsgericht.
Wie oft habe ich die Hamburger angefleht, bei der Abgrenzung von Tatsachenbehauptungen und von der Meinungsfreiheit besonders geschützten Werturteilen den Kontext heranzuziehen, wie es eigentlich höchstrichterlich Brauch ist? Interessiert die Hanseaten nicht. Sollen die Leute doch erst einmal zwei Jahre Rechtsstreit in kauf nehmen!
Nachhilfe des BGH zwischen den Zeilen
Der BGH hat das Verfahren nicht etwa an die Hamburger mit Hinweis zur Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsauffassung zurückverwiesen, sondern selbst die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht habe die Äußerungen nicht als Meinungsäußerungen qualifiziert, und so sei insoweit keine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht geboten gewesen.
Das war noch sehr höflich, denn diese gebotene Abwägung, macht die Hamburger Pressekammer so gut wie nie, sondern löst ihre Probleme durch schematische Qualifikation einer Äußerung als angebliche Tatsachenbehauptungen, die vom Äußernden bewiesen werden muss. Richter Buske nennt das dann „Meinungsäußerung mit Tatsachenhintergrund“. Und – Zack! – wird’s verboten!
„Unternehmenspersönlichkeitsrecht“
Da die Meinungsäußerung vom Bundesgerichtshof nicht verboten wurde, stellte sich ihm erst gar nicht die noch immer spannende Frage, ob es denn ein presserechtliches „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ überhaupt gibt. Dazu hat man in Karlsruhe bislang nie Stellung genommen, und es gibt sehr gute Gründe, diese Konstruktion für ein Hamburger Hirngespinst zu halten.
Richterliche Unabhängigkeit
Ändern wird das neue Urteil freilich nichts. Die Hamburger werden auch künftig die Rechtsprechung aus Karlsruhe einfach weiterhin ignorieren und das Wasser die Elbe herunterfließen lassen. Recht bekommen ist im Presserecht nur etwas für betuchte Leute, die den unnützen Hamburger Rechtsweg beschreiten.
Herr Prof. W., Sie sind über zweieinhalb Jahre einen weiten Weg gegangen, haben sich von Richtern mitleidig ansehen und wie einen Querulanten behandeln lassen müssen. Sie haben Ihr Grundrecht in Anspruch genommen und sind standhaft geblieben. Und nun dürfen Sie endlich Ihre Meinung („Lüge“, „Täuschung“ und „Vertuschung“) sagen. Respekt, Herr Prof. W.!
Die FAZ fragt sich (völlig zu Recht), was sich denn der Medien-Anwalt der inhaftierten Sängerin wohl dabei gedacht haben mag, als er neben seiner einstweiligen Verfügung auch einen Brandbrief an die Redaktionen großer Zeitungen herumgeschickt und sogar eine Pressemitteilung ventiliert hatte. Viel mehr journalistische Aufmerksamkeit hätte er kaum auf seine Mandantin lenken können.
Schlecht beraten war die Popsängerin auch in Vermögensangelegenheiten, siehe das verlinkte Video. Zum Thema Finanzberatung weise ich auf meine Projekte Finanzparasiten.de und Handelsvertreter-Blog hin. Dieser Rat ist übrigens umsonst – aber hoffentlich nicht vergeblich!
„Wenn schwere Straftaten Privatsphäre sind, kann die Presse über nichts mehr berichten. Dann kann man die Pressefreiheit auch gleich abschaffen.“
„Manchmal fragt man sich, wer in Berlin alles Richter werden darf.“
Das vom Sängerin-Anwalt nun garantiert noch heute beantragte Ordnungsgeld kann BILD aus der Portokasse zahlen. Außerdem kann sich Diekmann als Kämpfer für die Pressefreiheit aufspielen und mächtig PR-Gewinn aus der Sache schlagen. Und die Pop-Prinzessin, der ein strafrechtlich nicht unerheblicher Vorwurf gemacht wird, darf sich in der Opferrolle positionieren.
Angesichts der selbstbewussten Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft und des Axel Springer-Verlages, die beide standhaft bleiben, darf man gespannt sein, ob Richter Maucks einstweilige Verfügung Bestand haben wird. Ggf. könnte der Fall dazu beitragen, die Öffentlichkeit für die oft pauschale Übergewichtung der Persönlichkeitsrechte im Bezug zum Interesse der Meinungs- und Pressefreiheit zu sensibilisieren, wie sie von der Fachwelt vor allem bei den als besonders scharf geltenden Landgerichten in Hamburg und Berlin kritisiert wird. Schade, dass hierfür ein Sachverhalt des Boulevards herhalten muss, denn die eigentliche Problematik liegt eher im politischen und wirtschaftlichen Bereich, wo zensiert wird, was irgendwie zu zensieren ist.
Strafrechtlich lesenswert zum Haftgrund der „Wiederholungsgefahr“ ist der Kommentar des Kollegen Nebgen: Wenn alle Welt weiß, dass die Sängerin ansteckend ist, kann eigentlich kaum jemand aus dem Umfeld ohne Kenntnis hiervon gefährdet werden. Wenn die gute Frau also aus dem Knast will, dann hat ihr die BILD-Zeitung womöglich sogar einen Gefallen getan. Dann aber sollten der Medienrechtler zurückgepfiffen und der Strafverteidiger aktiver werden.
Der wurde inzwischen sogar so aktiv, dass die Netzzeitung von einem erfolgten Besuch „am Donnerstagnachmittag“ berichtet – und zwar heute um 12.40 Uhr – also vor dem Ereignis … Offenbar haben die Hellseher in der Redaktion …
Update:
Wie BILDblog berichtet, haben auch andere Zeitungen, die nicht zum Springer-Verlag gehören, die (inwzischen bundesweit bekannte) Meldung aus ihrem Online-Angebot genommen.
BILDblog äußert sich (naturgemäß) ausschließlich contra Berichterstattung, bringt jedoch die Argumente von Kai Diekmann – und die sind nicht ganz von der Hand zu weisen, mag man Dieckmann und die BILD mögen oder auch nicht.
Dass sich das BILDblog dem Anti-BILD-Anwalt kritiklos („Das [Die] Zeitung hat kein Recht dazu.“) anschließt, dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass der Kollege auch den BILDblogger vertritt. Im vorliegenden Fall jedenfalls machen es sich die Medienblogger mit der schwarz-weiß-Malerei wohl etwas sehr einfach.
UPDATE zum Update:
Wie mich BILDblogger Stefan Niggemeier freundlicherweise hat wissen lassen, habe ich ihn unzutreffend interpretiert. „Die Zeitung hat kein Recht dazu.“ war nicht als eigene Wertung, sondern als Hinweis auf den entgegenstehenden Richterspruch aufzufassen.
Die BILDblogger legen Wert auf die Tatsache, dass sie den Richterspruch nicht bewertet haben. Lesenswert sind insbesondere Niggemeiers Ausführungen in seinem eigenen Medien-Blog zum Ganzen.
Die BILD-Zeitung ist mal wieder sauer, weil sie beim Verwerten der Persönlichkeit und des Leides von Promis durch eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin behindert wird. Nachdem BILD über eine Erkrankung einer Sängerin sowie deren Inhaftierung wegen Verdachts auf schuldhafte Ansteckung Dritter („Köperverletzung“) berichtet hatte, hat diese einen mit BILD nicht unerfahrenen Medienanwalt in Stellung gebracht.
BILD beruft sich auf die Pressefreiheit und führt an, dass die Meldung bereits durch die Staatsanwaltschaft und die Polizei unter Nennung des Namens, der Krankheit und des Tatvorwurfs bereits verbreitet worden sei. Bei offiziellen Pressemeldungen von Behörden ist deren Verbreitung normalerweise privilegiert, d.h. Journalisten dürfen sich auf den Wahrheitsgehalt verlassen und die Meldung ungeprüft übernehmen.
Das Landgericht Berlin hat sich allerdings der Meinung des Anwalts angeschlossen, die Staatsanwaltschaft hätte die Persönlichkeitsrechte nicht hinreichend beachtet und sich daher nicht in der genannten Weise verbreiten dürfen. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass die Staatsanwaltschaft vor ihrer Meldung auf die Problematik anwaltlich hingewiesen worden war, sich also sehenden Auges zur Verbreitung entschlossen hatte. Nach gegenwärtiger Rechtsprechung im Persönlichkeitsrecht spricht vieles dafür, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich die Persönlichkeitsrechte auch von Prominenten im vorliegenden Falle hätte höher gewichten müssen als das Berichtsinteresse.
Während der Medienrechtler nicht schnell genug seinen Star vor der Öffentlichkeit zu schützen suchte, scheint es der Strafverteidiger nicht ganz so eilig zu haben. Hierzu kommentiert der Kollege Udo Vetter in seinem Lawblog.
Andere Medien wie etwa die Süddeutsche scheinen den Fall verbreiten zu dürfen. Andere Springerblätter – deren Verlag Adressat des Verbots ist – dürfen offenbar indirekt weiterberichten, nämlich über das Verbot. Derartiges hatte übrigens genau der hier aktive Medienanwalt kürzlich einem Blogger verboten.