Zum Inhalt springen


Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


20. September 2023

Der vorbildliche Kriegs-Journalist Lars Wienand von T-Online.de

Während des Golf-Kriegs in den 90er Jahren empörten sich deutsche Medien über vom Militär „eingebettete“ Journalisten, die ihre Pressefreiheit preisgäben und der Regierung nach dem Mund redeten. Die Nachkriegsgeneration hatte noch Erinnerung an totalitär gesteuerte Hofberichterstattung wie das „gleichgeschaltete“ Schriftleitersystem der Nazis, Volksempfänger und die linientreue „Aktuelle Kamera“ der DDR.

Die gegenwärtige Generation der sog. Haltungsjournalisten hingegen wetteifert darum, wer am regierungskonformsten berichtet, wacht argwöhnisch über die Linientreue der Kollegen und scheut sich nicht, (vermeintliche) Abweichler durch Stigmatisierung und Hexenjagden auszugrenzen. Senator Joseph McCarthy hätte es gefallen.

Wie sehr die Branche auf den Hund gekommen ist, lässt sich am Beispiel des vorbildlichen Denunzianten Herrn Lars Wienand vom T-Online.de dokumentieren.

Das von Ströer Media betriebene Portal T-Online.de ist angeblich Deutschlands reichweitenstärkstes Newsportal. Ströer Media erfreute sich in der Corona-Zeit staatlicher Anzeigenaufträge zur Information der Bevölkerung und informiert seit dem russischen Angriffskrieg mit gleichem Eifer unabhängig und überparteilich, wo der Feind im Ukrainekrieg steht.

Chefredakteur ist der vormalige SPIEGEL-ONLINE-Autor Florian Harms (dort 2004-2016). Harms durfte im Gegensatz zu seinem Kollegen Claas Relotius (dort 2011-2018) nie für die damals renommiertere Printausgabe DER SPIEGEL schreiben. Ab 2015 fungierte Harms als Chefredakteur von SPIEGEL-ONLINE. (Die alten Relotius-Texte hatte Harms nicht redaktionell betreut, sondern treudoof Zugriff auf archivierte Relotius-Texte zugelassen.)

Leiter der Recherche-Abteilung bei T-ONLINE ist Lars Wienand, von dem mir weder eine Ausbildung noch eine bemerkenswerte Leistung bekannt ist. So gut schreiben wie Relotius kann Wienand nicht, aber für Halb- und Unwahrheiten reicht es locker.

Im Juli gehörte Wienand zu jenen Recherche-Künstlern, die auf einem Video im Berliner Süden eine Löwin sahen, ohne dass der Profi hierfür eine zweite Quelle benötigte. Bereits letztes Jahr war Wienand auf Großwildjagd im Mediendschungel gegangen und hatte einen Journalisten, den er versehentlich für einen Putin-Apologeten hielt, waidgeschossen und der Medienmeute zum Abschuss vorgeworfen. Da der Chef-Rechercheur sein Handwerk vernachlässigt hatte, musste uns T-Online uns eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben.

Zwischen Relotius und Wienand gibt es einen weiteren Unterschied. Während der ertappte Relotius in Scham und Schweigen versank, ist bei Wienand nicht der Hauch von Einsicht zu erkennen. Statt aus seinem hochnotpeinlichen Missgriff zu lernen, wiederholte er ihn dieser Tage und stolzierte wie ein arroganter Wikipedia-Admin, dem die Reichweite seines Mediums zu Kopf gestiegen ist. Nachdem gerade Sarah Wagenknecht den Fall bei Markus Lanz thematisierte, twitterte (sagt man jetzt: Xte?) Wienand triumphieren, Wagenknecht hätte sich geirrt.

Bitte urteilen Sie selbst:

Recherche-Journalist vs. Haltungsjournalist

Der Klassenunterschied zwischen dem inzwischen pensionierten NDR-Mann Patrik Baab und dem T-Online-Tastenheld könnte größer schwerlich sein. Baab berichtete aus Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan, bereiste die Welt und deckte auch Missständen im eigenen Haus NDR auf.

Während Baab etwa als Kriegsberichterstatter seit Jahrzehnten sein Leben riskiert und auf ein erfülltes Reporterleben in aller Welt zurückblicken kann, nimmt Wienand die Welt anscheinend nur am Bildschirm wahr. Wer eine Haltung hat, braucht keine Recherche. Man weiß bereits, und man weiß es sogar besser.

Baab ist insbesondere russischer Propaganda denkbar unverdächtig, im Gegenteil recherchierte er gerade in Russland ausgesprochen eifrig und nahm erhebliche Risiken inkauf. Er war erstmals 1999 als Journalist beim russischen Außenministerium akkreditiert. Dies hat ihn nicht davon abgehalten, seit mehr als 20 Jahren kritisch über Missstände in Putins Russland zu berichten. Als erster Reporter des deutschen Fernsehens hatte er 2002 und 2003 über ultranationalistische und faschistische Bewegungen in Russland berichtet. In der Reportage ist deutlich zu erkennen, dass seine Recherchen lebensgefährlich waren:

„Brauner Terror -Rechtsextremismus in Russland“

2006 hatte Baab illegale Öltransporte und Verletzung internationaler Regeln durch die Russische Föderation recherchiert. Dabei hatte er mit zwei russischen Kollegen dem Zoll ein Schnippchen geschlagen und ein geheimes schwimmendes Öllager im Finnischen Meerbusen aufgesucht sowie ein zweckentfremdetes Ölbekämpfungsschiff auf der Marinebasis Kronstadt gedreht. Damit hatte er eine Verhaftung durch die Miliz und die Verurteilung zu langen Gefängnisstrafen riskiert. Diese Dreharbeiten haben ihm eine Begegnung mit zwei Vertretern des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB beschert.

„Gefährliche Fracht auf der Ostsee“

2008 produzierte Baab für die ARD-Tagesthemen einen Bericht über den Handel mit gefälschten EU-Pässen in Russland. Ein weiterer Missstand, dessen Dimensionen damals unbekannt war. Dabei hatte er u. a. mit versteckter Kamera gedreht.

„Russische EU-Pässe“

2019 hat Baab mit einem deutschen Kamerateam zum Untergang des Atom-U-Bootes „Kursk“ in der Barents-See im Jahr 2000 recherchiert. Die Ursachen der Explosion an Bord waren damals noch geheim:

„Ostseereport – Das Russenkind“

Diese Dreharbeiten haben dazu geführt, dass der russische Inlandsgeheimdienst FSB wichtigen russischen Partnern die Zusammenarbeit mit Baab untersagt hat.

2022 hatte Baab aus Polen einen Film über Ryszard Kuklinski mitgebracht, den wohl wichtigsten Agenten im Kalten Krieg. In den Jahren 1972 – 1981 hat Oberst Kuklinski als Stabsoffizier des Warschauer Paktes unter abenteuerlichen Bedingungen etwa 40.000 streng geheime Dokumente über die Stationierung sowjetischer Einheiten in Polen, Angriffspläne des Warschauer Paktes und die Entwicklung neuer sowjetischer Waffensysteme an die CIA übermittelt. Diese Unterlagen haben US-Präsident Jimmy Carter in die Lage versetzt, den sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew von einer Invasion Polens abzuhalten. Damit hat Kuklinski entscheidend dazu beigetragen, dass die russische Armee 1981 nicht in Polen einmarschiert ist, wie es geplant war.

 „Ostseereport, Oberst Ryszard Kuklinski – der polnische Spion für die NATO“

Baab hatte außerdem bis 2022 Lehraufträge für Journalismus an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin sowie an der Universität in Kiel, dieses seit Jahrzehnten.

Bei Wienand hingegen dürfte ein sinkender Akkustand im Handy so ziemlich das Aufregendste in seiner Reporterlaufbahn gewesen sein – neben der Online-Jagd nach der entlaufenden Löwin natürlich.

„Verbotene“ Reisen

Während Wienand sein Weltbild gefiltert bezieht und Widerspruch hierzu für Ketzerei hält, macht sich Baab grundsätzlich ein eigenes Bild, hört sich beide Seiten an und spricht grundsätzlich mit jedem – in erleuchteten Kreisen von Wienand, wo Feindbilder unverrückbar als Tugend gepflegt werden, gilt ein solches offenbar als kontaminierende Kontaktschuld.

Baab hatte im Herbst 2021 auch eine Reise in die West-Ukraine unternommen, um sich für ein Buchprojekt über den Ukraine-Krieg ein eigenes, ungefiltertes Bild zu machen. Da sich Baab als Journalist alter Schule grundsätzlich nicht mit einer Seite zufriedengibt, plante er im Mai 2022 auch eine Reise in den Donbass, die er schließlich im September antrat. Die Einreise erschien ihm praktisch nur von russischer Seite aus möglich. Wie in allen anderen Kriegsgebieten auch – etwa in der Westukraine – akkreditierte sich Baab bei den jeweiligen faktischen Machthabern. Seine Reise hat er privat finanziert. Zum gefahr- und reibungslosen Grenzübertritt nutzte er spontan eine Gruppe selbsternannter bzw. sogenannter Wahlbeobachter, die denselben Weg hatten.

In seinem infamen Artikel von September 2022 hatte Recherche-Ass Wienand mal eben behauptet:

„Gar kein Thema bei ihm ist, dass das Gebiet, in dem Russland über den Anschluss abstimmen lässt, von Russland in einem Angriffskrieg besetzt worden ist.“

Hätte T-Online.de’s Leiter für Recherche seinen Job gemacht, hätte er nicht übersehen dürfen, dass Baab den Angriff stets ausdrücklich verurteilt hatte – dies übrigens auch vor Ort im Kriegsgebiet, das Wienand wohl nur von Bildschirmen her kennt.

T-Online musste uns wegen dieser Lüge eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben.

Ungeachtet dessen, dass Wienands hirnrissige Unterstellung nicht der Wahrheit entsprach, wäre die Völkerrechtswidrigkeit des Angriffs für die Reise auch ohne Relevanz gewesen. Denn Baab bereist seit Jahrzehnten Schauplätze von Kriegen, die alle als völkerrechtswidrige Angriffskriege einzustufen sind, da jeweils kein UN-Mandat bestand. Baab berichtete zwischen 1999 und 2001 aus dem Kosovo-Krieg und 2002 aus Afghanistan. Bei allen diesen Kriegen musste sich Baab – wie praktisch alle anderen Journalisten auch – bei demjenigen akkreditieren, der die Gebietshoheit beanspruchte, und war auf die Kooperation mit Kollegen angewiesen.

So wollte Baab Risiken vermeiden wie etwa einen Besuch im Minenfeld oder einen Beschuss, wie er es jeweils im Kosovo erlebte. Einen Vorwurf, Baab sei deshalb „Kfor-embedded“, hat bislang niemand erhoben. Ebenso wenig wurde Baab der Propaganda für den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai geziehen, obwohl während eines Interviews mit Karzai Gewehrläufe auf Baab gerichtet waren.

Baab wäre heute nicht mehr am Leben, wenn er nicht die Kompromisse eingegangen wäre, wie sie jeder Kriegsberichterstatter akzeptieren muss. Baab hat stets mit seinen Kollegen vor Ort kollegial kooperiert, ohne Ansehung von Nationalität oder politischer Überzeugung. Journalisten sind idealerweise möglichst neutrale Beobachter. Ein Kriegsberichterstatter sichert zunächst einmal sein Überleben durch Vermeidung militärischer Risiken, er kooperiert bei Lebensmitteln und Reisewegen, und er ist auf Kenntnisse von Sprache, lokalen Bräuchen und Kontakten angewiesen.

Baab muss sich weder die politische Meinung seiner Gastgeber noch die seiner Interviewpartner und Kollegen zurechnen lassen. Auf den Versuch einer Vereinnahmung durch andere Medien oder der jeweiligen politischen Kräfte hat ein Kriegsberichterstatter keinen Einfluss. Das Risiko politischer Vereinnahmung ist im Journalismus generell und bei Kriegsberichterstattung im Besonderen immanent.

Das Schema „Kontaktschuld“ kannte man bis vor wenigen Jahren nur von ideologischen Politaktivisten, denen man, wenn sie „Parteifreunde“ waren, besser nicht den Rücken zudrehte. Heute, wo der Haltungsjournalismus den Recherchejournalismus weitgehend verdrängt hat, scheint dieses Konzept der Stigmatisierung und Ausgrenzung der aktuelle Branchenstandard zu sein. Wie auf dem Schulhof: Wer dazugehören will, muss gegen andere hetzen, bevor gegen ihn gehetzt wird.

Was und wer Tastaturheld Wienand dazu angetrieben hatte, am 26.09.2022 in seinem dümmlichen Artikel ausgerechnet Baab als Putin-Apologeten hinzustellen, ist unklar. Wienand vermengt Baabs Recherche mit dem Wirken anderer Personen, dichtete ihm ein „Mitmischen“ an und verspottet ihn als „Wahlbeobachter“.

Unsouveräne Universität

In einer hysterischen Reaktion auf Wienands Denuntiationsartikel kündigte die Christian-Alberts-Universität in Kiel noch am selben Tag Baab das Anstellungsverhältnis. Baab, der sich damals im Kriegsgebiet bewegte und nur eingeschränkt kommunizieren konnte, musste nahezu tatenlos zusehen, wie hinter der „Heimatfront“ sein Ruf binnen Stunden von vorauseilend gehorsamen Konformisten zerstört wurde.

Der stolze Journalisten-Großwildjäger Wienand flickte diese Kündigung der Universität per Nachtrag als Trophäe in seinen Beitrag hinein.

Zahlreiche Kollegen kündigten Baab die Freundschaft – Kollegen, die ähnlich vorschnell über einen Menschen den Staab brechen, weil sie das, was sie auf Bildschirmen lesen, für die Realität halten. (Ist diese Löwin eigentlich noch in Berlin unterwegs …?)

Der WELT hingegen gelang eine seriöse Darstellung.

„NDR-Journalist Patrik Baab – Ansichten eines Grenzgängers“ vom 30.09.2022

Der NDR allerdings, in dem Baab als hausinterner Kritiker bekannt war, nutzte Wienands Waidschuss, um Baab mit einem gleichermaßen irreführenden Beitrag weiter in Misskredit zu bringen. Pikanterweise geschah dies im Magazin ZAPP, für das Baab einst selbst gearbeitet hatte. Der Beitrag von ZAPP erinnerte in seiner Ausgewogenheit an das DDR-Fernsehen – ausgerechnet in einem Medienmagazin.

Klage gegen Uni

Baab verklagte die Universität sowohl wegen der rechtswidrigen Kündigung als auch auf Unterlassung einer vorverurteilenden Mitteilung auf der Uni-Website. Die Klagen selbst waren in Schleswig-Holstein ein Medienthema, der im Verwaltungsgericht normalerweise leere Gerichtssaal war voll. Draußen wurde sogar demonstriert.

Die Richter ließen in der Verhandlung keinen Zweifel daran, dass es sehr ungewöhnlich sei, einem Journalist Recherche vorzuwerfen. Einem Journalisten könne schwerlich verwehrt werden, zur Informationsgewinnung in Krisengebiete zu reisen.

Im Urteil zur Kündigung zur rechtswidrigen Kündigung, die bei juris.de veröffentlicht ist und die wir Herrn Wienand auf Anfrage auch geschickt hätten, steht:

„Der Annahme eines wichtigen Grundes steht ein Defizit in der Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen entgegen.

Dabei kann der Kläger die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG und die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 GG bemühen, während die Beklagte vorliegend auch ihrerseits als Hoheitsträgerin das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bemühen kann.

Der Kläger kann sich als Lehrbeauftragter auf die durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Wissenschaftsfreiheit berufen. (…)

Außerdem kann sich der Kläger als Journalist und Buchautor auf die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 GG berufen. (…)

Die Beklagte greift mittelbar-faktisch (vgl. zum mittelbar-faktischen Eingriffsverständnis: BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –, juris Rn. 70) in die Wissenschafts- und die Pressefreiheit des Klägers ein. (…)

Von diesem Defizit, das dem Abwägungsvorgang anhaftet, abgesehen, stellen sich die Maßnahmen der Beklagten aber auch im Abwägungsergebnis unter dem Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit als fehlerhaft dar. Im Rahmen der Abwägung überwiegen die Interessen des Klägers die Interessen der Beklagten. Denn das mit dem Widerruf verfolgte sachliche Ziel ist im Verhältnis zu den Rechtspositionen, in die eingegriffen wird, unverhältnismäßig.“

Das Gericht gab eine Presseerklärung heraus, in der es zur parallel verhandelten Unterlassungsklage wegen der Lüge auf der Uni-Website kommentierte:

„Allerdings führe die verkürzte Darstellung auf der Homepage dazu, dass dem Kläger eine Reiseintention durch die Öffentlichkeit unterstellt würde, die so nach den Feststellungen im Verfahren nicht zugrunde gelegt werden könne. (…)“

Die Kündigungsgegenklage bzw. dann Feststellungsklage wurde also nicht etwa wegen Formfehlern gewonnen, sondern wegen verfassungswidrigen Eingriffen in die Presse- und Wissenschaftsfreiheit.

Keinen Ausschlag bei der Kündigungsklage gab eine unterbliebene Anhörung, da diese nachgeholt werden durfte. Vielmehr ging es um das Fehlen eines wichtigen Grundes für die Kündigung und Abwägungsfehler.

Bei der Urteilsverkündung wurde über den Fall bundesweit in großen Medien berichtet, etwa SPIEGEL und taz sowie in juristischen Portalen. Etliche Medien, die über die Kündigung eifrig bis schadenfroh berichtet hatten, sahen sich jedoch nicht zu einer Nachberichterstattung bemüßigt. Auch eine presseethisch angezeigte Rehabilitierung durch T-Online.de blieb aus.

Baab gab hierzu mehrere Interviews, u.a.

„Krieg in Ostukraine: Augenzeugen unerwünscht – Punkt.PRERADOVIC mit Patrik Baab“

Dieser Link war Recherche-Experte Wienand auch bekannt.

Nachkarten

Zwei Monate nach den Urteilen sandte Herr Wienand ohne jeden aktuellen journalistischen Anlass einen Verhör-Fragebogen, dem bereits der Duktus eines neuen Hetzartikels zu entnehmen war. Darauf antworteten wir ihm:

„Mein Mandant bittet um Verständnis, dass er in Ihre Arbeit kein Vertrauen hat und für Sie nicht mehr zur Verfügung steht. Angesichts Ihrer initialen Rolle bei dieser Hexenjagd sehen wir auch einen persönlichen Interessenkonflikt, der journalistische Distanz ausschließt.“

Eine Erklärung, dass sich Baab den Fragen von T-online.de durch seriöse Autoren verweigert hätte, enthält diese E-Mail offenkundig nicht. Sie bezieht sich einzig auf deren vorbelasteten Autor Wienand, von dessen Künsten Baab genug Arbeitsproben gesehen hatte.

Der gekränkte Wienand echauffierte sich hierüber zunächst pennälerhaft auf Twitter und nutzte dann erneut die Reichweite seines Mediums, um sein Mütchen zu kühlen. So schreibt er:

1. „Dann reiste er zu russischen Scheinreferenden (…)“

Wienand lügt also erneut. Tatsache ist, dass diese Reise im Mai 2022 geplant gewesen war und Baab erstmals in Russland vor Ort von diesen Befragungen erfuhr. Die konkreten Reiseziele im Donbass standen im Rahmen des Planbaren zu diesem Zeitpunkt bereits längst fest. Die Referenden waren lediglich „Abstecher“ und zweifellos journalistisch veranlasst. Dies alles war Herrn Wienand bekannt.

2. „Der frühere NDR-Journalist Patrik Baab war in den vergangenen Tagen ein gefragter Mann in Medien, die gerne unkritisch russische Positionen vertreten.“

Die Äußerung erweckt zwingend den Eindruck, als habe Baab zeitnah mit Medien kooperiert, die gerne unkritisch russische Positionen vertreten. Baab bestreitet jedoch, dass er seit seiner Donbass-Reise im September 2022 irgendeinem Medium ein Interview etc. gegeben hätte, das im Bezug auf den Ukraine-Krieg „gerne unkritisch russische Positionen vertritt“. Im Gegenteil hatte Baab seither alle Interview-Anfragen insbesondere von Russland-nahen Medien brav abgelehnt, wie es ein aufrechter Blockwart im Jahr 2023 von einem patriotisch gesinnten Journalisten erwarten darf. Baab wurde seit Mai 2023 auch nicht mehr von prorussischen Medien angefragt. Sämtliche Medien, denen Baab seit seiner Donbass-Reise zur Verfügung stand, haben den Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt und sind nicht unkritisch – wenn auch nicht alle so einseitig wie die T-Online-Wahrheitspächter.

3. „Infolge der ausgebliebenen Anhörung sei es zu „Mängeln in der Sachverhaltsaufklärung“ gekommen.“

Außerdem zitierte Herr Wienand auch die substanzlose Vermutung des Herrn Roland Freytag von der Berliner HMKW:

„Wenn das Urteil eine Kritik war, dann an dem Vorgehen und der Begründung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, wo möglicherweise Formfehler gemacht wurden.“

Unsinn. Mitnichten lag ein „Formfehler“ vor. Wie im Urteil nachzulesen, lag der Schwerpunkt der tatsächlichen Begründung nicht in irgendwelchen „Mängeln in der Sachverhaltsaufklärung“, sondern in der Verfassungswidrigkeit der Rechtsgüterabwägung.

Den tatsächlichen Kontext, den unvertretbaren Umgang mit Wissenschafts- und Pressefreiheit, hätte ein seriöser Journalist nicht unterschlagen dürfen.

Tatsächlich nämlich hat Baab ein für die Wissenschaftsfreiheit sehr wichtiges und verdienstvolles Urteil erstritten, auf das sich Dozenten künftig berufen können.

4. „Es sei sinnvoll, „dass Journalisten auch ihre Erfahrung berichten und erzählen, was sie gesehen und erlebt haben“, so Baab in einem Interview. Er machte also das, was die offiziellen Wahlbeobachter auch taten.

Wienand relotiust damit einen Journalisten (einen Kollegen) zum Kollaborateur.

Wienand behauptet allen Ernstes eine Identität der Handlungen der Pseudo-Wahlbeobachter mit der journalistischen Berichterstattung. Das Adverb „also“ macht diese Behauptung nicht zur subjektiven Schlussfolgerung, sondern führt scheinbar Baab als Zeugen gegen sich selbst für eine Tatsachenbehauptung an.

Unstreitig jedoch hat Baab nicht an den eigenen Terminen, Beratungen, Untersuchungen oder Erklärungen der sogenannten Wahlbeobachter teilgenommen, erst recht nicht an der offiziellen Anhörung der Wahlbeobachter in Moskau, sondern er berichtete selbstbestimmt und anekdotisch an die Öffentlichkeit.

Wienand wirft Baab die Teilnahme an einer Pressekonferenz vor, unterschlägt jedoch, dass Baab seinen Besuch an die Bedingung knüpfte, nicht als Wahlbeobachter dargestellt zu werden. Baab, der eigentlich nur seine Reisedokumente abholen wollte, war mit der „Pressekonferenz“ überrumpelt worden.

Anders als ein Journalist haben Wahlbeobachter eine notarähnliche Funktion oder maßen sich eine solche an. Sie machen sich zum Organ eines juristischen Vorgangs und fügen sich in eine Hierarchie ein. Baab hingegen tat im Prinzip das Gleiche wie Wienand, er berichtete und beurteilte die sogenannten Referenden – nur mit dem Unterschied, dass Wienand die Welt über Bildschirme wahrnimmt, Baab hingegen aus erster Hand. Warum der gefilterte Bericht über die Referenden im Fall Wienands Journalismus sein soll, die authentische Reportage des Kriegsberichterstatters vor Ort hingegen Propaganda, bleibt das Geheimnis des weisen Wienand.

Die Gleichsetzung Baabs mit den Pseudo-Wahlbeobachtern hätte im September 2022 noch als zulässige Verdachtsberichterstattung durchgehen können. Die Erkenntnisse etwa aus dem Gerichtsverfahren hingegen hätte ein seriöser Journalist bei sorgfältiger Recherche berücksichtigen und ausgewogen berichten müssen.

Aus der Tatsache, dass Baab während seines Aufenthalts expressis verbis nur die Durchführung des Referendums kritisierte, wollten besonders begabte Journalisten wie Wienand im Umkehrschluss eine Billigung eines evident völkerrechtswidrigen Referendums konstruieren. Die Artikulation einer evidenten völkerrechtlichen Bewertung ist jedoch nicht Aufgabe eines Berichterstatters, schon gar nicht, wenn man in einem Kriegsgebiet auf die Kooperation mit dortigen Machthabern angewiesen ist. Baab hatte die Intention, über die Vorgänge im Kriegsgebiet zu recherchieren und authentisch zu berichten, nicht aber sah er es als seine Aufgabe an, im Kriegsgebiet seinen Gastgebern altkluge Vorhaltungen zu machen und mit fehlender Diplomatie ggf. sein Leben zu riskieren.

Wenn es Wienand für eine gute Idee hält, in die Ostukraine zu reisen, um dort die Botschaften der Bundesregierung zu verkünden, wird ihn Baab nicht aufhalten. Es mag im Jahre 2023 den politischen Vorstellungen entsprechen, dass eine Bundesinnenministerin während einer WM ein islamisches Land bereist und ihre Gastgeber mit einer One-Love-Binde brüskiert, um ihren deutschen Wählern zu gefallen. Baab, der ohne diplomatische Immunität und Personenschutz in Kriegsgebieten sein Leben riskiert, ist in Fragen von Diplomatie hingegen old school.

Ebenso wenig hat es die geringste Relevanz, ob und wie die russische Staatsagentur über einen westlichen Kriegsberichterstatter berichtet. Baab übt auf diese keinen Einfluss aus. Er war beim Abholen der Akkreditierung nicht über die Präsenz von TV-Teams informiert worden und hatte praktisch keine Möglichkeit, sich der Situation zu entziehen. Richtigen Journalisten sollte bekannt sein, dass es in der Natur der Sache liegt, dass jede Partei versucht, bei Dritten die eigene Lesart erkennen zu wollen und politische Berichterstattung immer selektiv ausfällt.

5. „Der Journalist, der in den vergangenen Tagen viele Interviews gegeben hat, hat über seinen Anwalt mitteilen lassen, dass er auf die Fragen von t-online nicht antworten möchte.“

Tatsächlich betraf die Verweigerung einzig die Person des Herrn Wienand, von dem keine professionelle Arbeit mehr zu erwarten war.

Wir hatten T-Online.de zu Unterlassung und Bereithalten einer Gegendarstellung aufgefordert, die man dort aber trotzig ablehnte.

Aus der Weigerung, die erneute Desinformation zu korrigieren oder wenigstens eine Gegendarstellung zu bringen, darf man also schließen, dass T-Online.de hier vorsätzlich Desinformation verbreitet und einen Journalisten, der andere Wahrheiten als die Deutung linientreuer Haltungsjournalisten, absichtlich zum Abschuss markiert.

Damit sagt T-Online.de selbst mehr über sich aus, als es ein Kommentator könnte.

Journalisten würde ich heute raten, es genauso wie Wienand zu machen, und sein Fähnchen in den Wind zu halten. Wer langfristig im Geschäft bleiben will, muss halt mit den Wölfen heulen (oder den Löwen). Nachdem die Redaktionen ausgedünnt und zentralisiert wurden, und inzwischen KI-Systeme den Arbeitsplatz streitig machen, braucht man phantasievolle Köpfe wie Wienand, die den Relotius machen und mit kreativen Geschichten für Klickzahlen sorgen.

Statt seine Zeit in unfruchtbare Rechtsstreite zu verwenden kümmerte sich Baab lieber um die Fertigstellung seines Buchs Auf beiden Seiten der Front, das im Oktober erscheint.

Da Journalisten aber im Zeitalter von Google, Wikipedia und X (Twitter) keine Bücher mehr lesen, wird das Buch voraussichtlich an Vorbild-Journalist Wienand vorbeigehen …

Verwaltungsgericht Schleswig, Urteil vom 25.04.2023 –  Az.  9 A 167/22, rechtskräftig.

Verwaltungsgericht Schleswig, Urteil vom 25.04.2023 –  Az.: 9 A 31/23, rechtskräftig.

Richtigstellung: In einer früheren Fassung wurde Harms versehentlich vom SPIEGEL-ONLINE (Chef-)Redakteur zum SPIEGEL (Chef-)Redakteur befördert. Auch las Herr Dr. Harms den Text so, als sein Herr Relotius dessen Untergebener gewesen. Dies war nicht der Fall. Ich bitte den Print-SPIEGEL und Herrn Relotius um Entschuldigung.

Weitere Richtigstellung: In einer früheren Fassung wurde behauptet oder der Eindruck erweckt, das weitere Relotius-Stück „Unschuldig in Guantanamo – NR 440“ sei ursprünglich bei SPIEGEL online verbreitet worden. Auch, wenn dies so erschien, scheint dies ebenfalls originär und nur beim Printspiegel gelaufen zu sein. Demnach hatte dies Herr Harms nicht zu verantworten. Herr Harms war für Relotius-Texte offenbar nie verantwortlich, jedenfalls aber nicht als Chefredakteur. Sofern beide für den SPIEGEL-Konzern glänzten, so glänzten sie doch getrennt. Soweit man über SPIEGEL.de auch alte Print-Titel abrufen konnte, hatte Herr Harms insoweit keine Verantwortung für Relotius-Texte. Herrn Relotius war es gelungen, die gesamte Branche zu täuschen, inklusive der SPIEGEL-Abteilung für Fachtchecking. Ich bitte Herrn Harms für die Zuordnung des Textes um Entschuldigung.

Für die Beiräge des Herrn Wienand trägt Herr Harms allerdings die redaktionelle Verantwortung.

13. Mai 2023

Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit

»Die zehn Grundsätze der Kriegspropaganda« von Lord Arthur Ponsonby, verfasst nach dem ersten Weltkrieg; »Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit«.

  1. Wir wollen den Krieg nicht
  2. Das gegenerische Lager trägt die Verantwortung
  3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel
  4. Wir kämpfen für eine gute Sache
  5. Der Gegener kämpft mit unerlaubten Waffen
  6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich
  7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm
  8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache
  9. Unsere Mission ist »heilig«
  10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter

Als mein Mandant im Kriegsgebiet unter medialen Beschuss an der Heimatfront geriegt, sah er sich gezwungen, mit seinem Medienanwalt zu telefonieren – und damit den Nachrichtendiensten seine Position zu verraten. Ob die GPS-gesteuerte Granate, die kurz darauf in sein Hotel einschlug,

14. Oktober 2022

Türkei will Deutschland bei Medienzensur nachfolgen

Mit einiger Faszination nehme ich die Kritik deutscher Journalisten an einer Verschärfung des türkischen Mediengesetzes zur Kenntnis, mit dem sich der türkische Staat gegen angebliche Falschinformationen wehren will. Man befürchtet, Staatspräsident Erdogan könne das Internet zensieren.

Offenbar ist deutschen Journalisten unbekannt, dass ein solches Gesetz hier seit dem 8. November 2020 geltendes Recht ist. Nach §§ 109, 19 Medienstaatsvertrag können die – faktisch staatsnah und politisch besetzten – Landesmedienanstalten im Internet „journalistisch-redaktionell gestalteten Angebote“ (gemeint sind damit Blogger), denen sie „journalistische Sorgfalt“ absprechen, untersagen oder sperren.

Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings zugunsten konventioneller Medien oder solchen, die sich dem privaten Presserat e.V. angeschlossen haben. Die sind offenbar bereits ausreichend staatstragend …

Über das deutsche Gesetz hat meiner Wahrnemung nach nicht ein einziges journalistisches Medium berichtet. Zwar haben die Landesmedienanstalten von ihrer Macht bislang nahezu keinen Gebrauch gemacht, in Zeiten von Seuchen und Kriegen kann sich das aber schneller ändern, als Toni Hofreiter Militärexperte wurde.

Im April habe ich in der Zeitschrift für Mulitmediarecht einen Fachaufsatz zur bislang bekannten Behördenpraxis veröffentlicht. Mein Befund, dass es sich um ein verfassungswidriges Gesetzeswerk handelt, hat bislang keinerlei Widerspruch erfahren.

10. Oktober 2022

Zensurheberrecht bei Radio Bremen

Radio Bremen hatte eine hochnotpeinliche „Dokumentation“ ausgestrahlt, deren Steilvorlagen ein bekannter Medienkritiker schwerlich übersehen konnte. Bei seiner Doku über die Pseudodoku machte der Kritiker ausgiebig von Videozitaten gebrauch und stellte seine Kritik auch auf YouTube.

Während Radio Bremen es hinnahm, dass andere YouTuber die gesamte Sendung (!) auf YouTube hochluden, hatte Radio Bremen nichts Besseres zu tun, als den Kritiker wegen Urheberrechtsverletzung zu attackieren. Die selektive Auswahl nur dieses Kritikers verrät, dass es Radio Bremen gar nicht um Urheberrecht, sondern einzig um gezielte Gängelung und Unterdrückung von Kritik geht.

Die Tatsache, dass hier Urheberrecht nur vorgeschoben wurde, wird auch deshalb augenscheinlich, weil für Abmahnung und Prozess kein wirtschaftliches Interesse erkennbar ist, das geschützt werden müsste. Denn für das zitierte Material aus der Radio Bremen-Sendung (das die Gebührenzahler bezahlt haben) gibt es keinerlei Zweitmarkt, es eignet sich einzig für die Ausstrahlung in einem öffentlich-rechtlichen Sender und war inzwischen nicht mehr aktuell, da eine darin thematisierte Landtagswahl inzwischen Jahre zurückliegt. In einem ähnlichen Fall, den Afghanistan Papers, hatten daher Gerichte entschieden, dass mangels Verwertbarkeit Urheberrecht gar nicht anwendbar sei.

Die Abmahnung selbst war formwidrig, so dass Radio Bremen auf den Abmahnkosten sitzen blieb, die Abmahnabwehr sowie entsprechende Kosten am Amtsgericht Bremen zahlen musste. Dass es dem Sender um Schikane des Kritikers ging, folgt auch aus der Tatsache, dass mit der Abmahnung überhaupt eine externe Kanzlei beauftragt wurde, also völlig überflüssig Kosten produziert werden sollten. Denn ein Sender mit eigener Rechtsabteilung, der mit der Abfassung einer lizenzrechtlichen Abmahnung überfordert ist und dazu externen Sachverstand benötigt, sollte sein Personal austauschen.

Bzgl. der Unterlassung tendierte das Landgericht Berlin zeitweise zu unserer Rechtsauffassung, nach Änderung der personellen Besetzung der Kammer sah man aber keinen Rechtsmissbrauch mehr. Die Parteien stritten bei einzelnen Szenen noch um die Frage, ob der Umfang der Zitate vom Zitatzweck gedeckt sei. Hierzu gibt es bislang nur sehr wenig Rechtsprechung, die Gerichte urteilen sehr unterschiedlich. Landgericht und dann Kammergericht billigten dem Kritiker einige Szene zu, bei den meisten vermissten sie einen tragfähigen Grund.

Andere Gerichte hätten es vermutlich anders gesehen. Denn im Zeitalter und Medium der YouTuber und Reaction-Videos dürften andere Maßstäbe anzulegen sein als zu den Zeiten des linearen Fernsehens. Zudem müsste auch Radio Bremen eigentlich ein Interesse daran haben, dass das Material möglichst authentisch und damit im zutreffenden Zusammenhang gezeigt und zitiert wird.

Ein schaler Beigeschmack verbleibt schon deshalb, weil sich Radio Bremen überflüssige Prozesse dieser Art eigentlich gar nicht leisten können sollte, denn nahezu alles an Radio Bremen ist unterfinanziert bzw. Gebührenverschwendung. Bremen liegt im Sendegebiet des NDR, der Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein bespielt, so dass für Bremen ein Landesfunkhaus vollkommen ausreichend wäre. Stattdessen leistet man sich einen eigenen Sender, der ca. 300 hauseigene Mäuler plus das einer eigenen Intendantin stopft, sowie ca. 300 weitere der Tochtergesellschaft Bremedia. Bei ca. 680.000 Einwohnern lebt also knapp 0,1 % der Bevölkerung von Radio Bremen … Weil sich diese Gebührenverschwendung die Bremer nicht leisten könnten, wird die Sause von den anderen ARD-Anstalten quersubventioniert – obwohl gegenwärtig der Beitrag von Radio Bremen im ARD-Verbund nahezu unbedeutend ist.

Ein dünnhäutiger Sender, der nicht einmal derartige Kritik aushält, kann eigentlich weg.

18. September 2022

Vogelzeig und stromerzeugender Fernseher

Seit vor einigen Jahren das ursprünglich linke Thema Medienkritik zunehmend rechtspopulistisch besetzt ist, halte ich mich insoweit schon etwas länger zurück. Was aber diese Woche so vorbeirollte, möchte ich nicht unkommentiert lassen.

So verbreiten große Medienhäuser kritiklos die „Nachricht“, Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe die Störchin angezeigt, weil diese ihm im Bundestag den Vogel gezeigt und ihn mit dem Kommentar „Sie sind völlig irre!“ bedacht habe. Weder sollte ein solch trivialer und alberner Vorgang Nachrichtenwert haben noch sollten Journalisten ihren Mangel an Allgemeinbildung ventilieren. Denn eigentlich sollte jedes Schulkind, erst recht jeder mit Juristen ausgestattete Minister und eigentlich auch jede politische Redaktion mal etwas von parlamentatischer Immunität für Äußerungen gehört haben. Laut Artikel 46 Abs. 1 Grundgesetz sind Äußerungen bis zur Grenze verleumderischer Beleidigung polizeifest. Ein Vogelzeig ist ein Fall für einen Ordnungsruf, aber nicht für die Polizei.

Die Störchin widerum zeigte Lauterbach allen Ernstes wegen „falscher Verdächtigung“ nach § 164 StGB an, also dem Anzeigen einer rechtswidrigen Tat wider besseren Wissens. Die Störchin, immerhin gelernte Juristin, sollte eigentlich wissen, dass der von Lauterbach angezeigte Tatbestand unstreitig, sondern lediglich die Bewertung als rechtswidrig untauglich ist. Mit gleicher Logik könnte jetzt eigentlich Lauterbach die Störchin anzeigen …

Diese Kindergarten-Sache hätte eigentlich jede seriöse Redaktion ausfiltern müssen, sie passte allerdings offenbar ins Narrativ.

Etwas anders jedoch verlief es jedoch mit dem ultrapeinlichen Bock, den Tagesschau.de geschossen hatte. So hatte die Südafrika-Korrespondentin der Tagesschau von einem Erfinder aus Simbawe berichtet, der einen Fernseher ohne Strom anbot. Gegen so einen Quatsch nehmen sich selbst Nigerian Scams als seriös aus. Der Deutschlandfunk übernahm die Ente und beklagte, dem Manne würde aus rassistischen Gründen keine Chance gegeben. Während man bei Tagesschau.de schließlich einen Fehler einräumte, beließ es der Deutschlandfunk beim Löschen.

Die Posse wurde natürlich vor allem von konservativen Medien eifrig verbreitet wie etwa BILD, die bekanntlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf dem Kieker hat. Wenn selbst die vom Fernsehen nicht wissen, dass Fernsehen nun einmal nur mit Strom funktioniert, und ungeprüft solchen Schmarren übernehmen, sollte man da nicht nur in der Chefetage kündigen. Das Hamburger Nachrichtenmagazin Der SPIEGEL, das Lauterbachs „Heldentat“ einer unbrauchbaren Strafanzeige Nachrichtenwert beimaß, ließ die Kollegen der Hamburger Tagesschau übrigens ungeschoren.

13. Juli 2022

Leyla – LOL-LOL-LOL-Leyla!

Das Sommerloch-Thema 2022, an dem sich die Gemüter derzeit erregen, ist offenbar ein Song über eine gewissen Layla, die gar keine ist.

Eigentlich kann man es politisch kaum korrekter machen: Da wird ein (fiktiv so angelegter) cross-dressender Mensch mit dem Geltungsanspruch bzw. Fetisch einer Sexarbeiterin besungen. Diese Pointe, dass es sich um eine in einem männlichen Körper geborene Person handelt, wird im Video aber erst am Schluss kommuniziert. Das Werk erinnert ein wenig an die besungenen „Damen“ „Lola“ und „Leyla“:

Da also in dem Video praktisch nur Herren zu sehen sind, wird da zweifellos keine Frau herabgewürdigt. Ob die Darbietung Ansprüche an Musik und Esprit befriedigt, darf jeder selber entscheiden – so etwa die Konsumenten, die den Song derzeit an die Spitze der deutschen Single Charts platzierten.

Löst man den Song aus dem Kontext des Videos, wird jedoch für unbefangene Rezipienten die Ironie nicht mehr erkennbar. Diese müssen vielmehr annehmen, dass da mit »Ich hab ’nen Puff und meine Puffmama heißt Layla. Sie ist schöner, jünger, geiler« tatsächlich eine Prostituierte Leyla distanzlos in primitiver Weise ohne Gesellschaftskritik und korrektes Gendern besungen wird. Dies rief natürlich die Tugendwächter und – innen auf den Plan.

Aktuell hatte die Stadt Würzburg bei einem von ihr veranstalteten Volksfest die Beschicker auf einen Verzicht des Titels gedrängt. Anders, als man es in einigen Medien erscheinen lässt, hatte sie das nicht hoheitlich als Sittenpolizei getan, sondern als Veranstalterin, die vertragliche Regelungen mit ihren Marktbeschickern hat, die üblicherweise den Verzicht auf nicht jugendfreie Werke und andere Anstößigkeiten vorsehen. Ein gewisser aktueller Tit(t)el von Ramstein etwa wäre klar deplatziert.

Im Versuch einer journalistischen Einordnung bemüht der SPIEGEL als Sachverständigen einen Akademiker (Promotionen in Kirchengeschichte und Literaturwissenschaft):

»Natürlich ist das Lied sexistisch«, sagt hingegen Musikfachmann Michael Fischer von der Universität Freiburg. Dass die Protagonistin des Videoclips offensichtlich ein Mann in High Heels, schwarzem Minirock und mit blonder Perücke ist, ändere nichts am Charakter des Liedes. Dies sei jenseits von Ironie oder Transaspekten.

Doch. Ändert. Der Zielgruppe dürfte der ironische Charakter des Lieds nunmehr bekannt sein – und nunmehr auch dem Rest der Republik. Dank dir und deinen talibanen Freundinnen und Freunden, lieber Michael! Und ironisch meine ich daran nur „Freund“.

Wir haben in Deutschland mit staatlichen und religiösen Eingriffen und Bewertungen von Kunst und Kultur extrem schlechte Erfahrungen gemacht. Das letzte, was mich interessiert, ist die Meinung humorbefreiter, puritanischer Moralapostel und -innen.

Daher kann es zur Auffassung unseres in dieser Sache eigens bemühten Bundesjustizministers keine Alternative geben:

(Dies mit der Maßgabe, dass das konkrete Verbot wohl weniger behördlich als vertraglich war.)

21. April 2022

OLG München: Name des Wikipedia-Serienrufmörders Feliks durfte genannt werden

Der meinungsfreudige Wikipedia-Autor mit dem Pseudonym „Feliks“ durfte deanonymisiert werden. Nach dreieineinhalb Jahren ging auch dieser Rechtsstreit (hoffentlich) nun zu Ende. Wie bereits die Hamburg Gerichte im Verfügungsverfahren und das Landgericht München im Hauptsacheverfahren, hat nun auch das OLG München ein hinreichendes Interesse der Öffentlichkeit an Identität und Person des Wikipedia-Autors bestätigt, und die Berufung von Feliks verworfen.

Im Beschluss findet der Senat für Feliks, vertreten von Herrn Rechtsanwalt Dr. Achim Dörfer, deutliche Worte:

„Die Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom 11.03.2022, die in weiten Teilen juristische Fachkenntnisse, insbesondere auf dem Gebiet des Äußerungsrechts, vermissen lassen, geben keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung.“

„Inhaltlich falsch – und im Ton vollkommen unangemessen – ist der Vorwurf, die in vorliegender Sache tätigen Gerichte würden sich „als Experten zur Beurteilung der richtigen Berichterstattung über die Person von Prof. Dr. R. V. ‚aufspielen‘ . In der Sache bestätigt der Beklagte mit seinen Ausführungen, dass er sich bei der selektiven Wiedergabe des Lebenslaufs von Prof. Dr. V. nicht um Objektivität bemüht hat, sondern dass es ihm vor allem darauf ankam, dessen „Außenseiterposition“ herauszustellen.“

„Der Beklagte erhebt den Anspruch, es sei Sache des einzelnen Wikipedia-Autors, zu entscheiden, in welchem Umfang er frühere Aktivitäten der beschriebenen Person darstelle. In diesem Zusammenhang verkennt er grundlegend, dass der Leser von einem biographischen Beitrag erwartet, über den Werdegang der beschriebenen Person im Wesentlichen vollständig und objektiv informiert zu werden, um sich ein eigenes Urteil bilden zu können. Gerade Brüche im Lebenslauf oder die Abwendung von früher vertretenen Ansichten sind für den kritischen Leser dabei von besonderem Interesse. Die einseitige Auswahl der über Prof. Dr. V. berichteten Tatsachen lässt dagegen das Bestreben des Beklagten erkennen, alles zu verschweigen, was zu dem von ihm gezeichneten Bild eines „Außenseiters“ nicht passt. Anstatt sich mit den von ihm kritisierten Positionen inhaltlich auseinanderzusetzen, was auch im Rahmen einer Kurzbiographie zulässig ist und dem Leser wertvolle Orientierungshilfen geben kann, verschweigt der Beklagte wesentliche Aspekte des Lebenslaufs von Prof. Dr. V., um dem Leser die gewünschte negative Beurteilung von dessen Person aufzudrängen.“

„Wie das Oberlandesgericht Hamburg in seinem zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits ergangenen Urteil vom 03.03.2020 (Az: 7 U 63/19, AfP 2020, 229) – in anderem Zusammenhang – zutreffend ausgeführt hat, kommt dem Medium „Wikipedia“ sowohl eine erhebliche Breitenwirkung als auch – aufgrund der ständigen Bearbeitung der Beiträge durch die Nutzer selbst – der „Nimbus besonderer Objektivität“ zu. Die Frage, wer die Einträge erstellt und bearbeitet, kann daher insbesondere dann von öffentlichem Interesse sein, wenn es um Beiträge zu zeitgeschichtlichen oder politischen Themen geht und der konkrete Bearbeiter einer bestimmten politischen oder religiösen Richtung zuzuordnen ist (OLG Hamburg a.a.O., Rn. 40).
Entgegen der Ansicht des Beklagten erschöpft sich das Interesse der Öffentlichkeit an der Identität des Wikipedia-Autors „Feliks“ nicht darin, den Beklagten verklagen, über ihn weiteres Material herausfinden oder mit ihm in Kontakt treten zu können. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der Beklagte jedenfalls bei der Bearbeitung der Einträge über Prof. Dr. V, N. S., K. M. und E.D. diejenige Objektivität der Darstellung vermissen lassen, welche der verständige und unvoreingenommene Leser von einer Kurzbiographie auf „Wikipedia“ erwarten darf. In den vorgenannten Fällen hat der Beklagte sich ersichtlich davon leiten lassen, dass er die von den Betroffenen vertretenen Personen zum Nahostkonflikt ablehnt. Eine Unterrichtung darüber, welcher politischen und religiösen Richtung der Beklagte zuzuordnen ist, liefert dem Leser deshalb wesentliche Hintergrundinformationen, die ihm das Verständnis der vom Beklagten verfassten oder bearbeiteten Wikipedia-Einträge erleichtern.“

OLG München, Beschluss vom 12.04.2022 – 18 U 2509/21 Pre. Nichtzulassungsbeschwerde möglich.

(Hinweis zum Video: Die darin enthaltene Rechtsmeinung, Wikimedia könne man nur in den USA mit einem US-Anwalt verklagen, ist unzutreffend. Man kann die in den USA ansässige Wikimedia-Foundation problemlos in Deutschland verklagen.)

3. Februar 2022

Darf der Presserat ablehnen?

Seit November 2020 sind Online-Medien nicht mehr polizeifest. Die seit 1949 verfassungsrechtlich garantierten Medienfreiheiten können nunmehr von Landesmedienanstalten durch Untersagungsverfügungen und Ordnungsgelder nach §§ 109, 19 MStV beschnitten werden. Diese faktisch staatlichen Behörden dürfen sogar selbst darüber befinden, was „Wahrheit“ ist, ein spezifisches Verfahrensrecht oder einen Richtervorbehalt gibt es nicht.

Wer sich Meinungsfreiheit nicht von einer Meinungspolizei definieren lassen möchte, dem bietet § 19 Abs. 3 MStV den Ausweg, sich gegenüber dem Trägerverein des Deutschen Presserats auf dessen Pressekodex zu verpflichten. Anders als die Behörden kann der Presserat nichts verbieten, sondern nur psychologische „Sanktionen“ wie Rügen usw. aussprechen (was er seltenst macht). Durch eine mehr oder weniger freiwillige Selbstverpflichtung endet nicht nur automatisch die Zuständigkeit vom Eumann & Co., sondern die Anbieter werden auch datenschutzrechtlich als Journalisten anerkannt und entsprechend privilegiert.

2021 verweigerte der Presserat allerdings einigen Interessenten mit unterschiedlichen Begründungen den Zutritt. Dies ist misslich, weil es absehbar keine Alternativen zum Presserat gibt. Eine Mandantin wollte sich weder staatliche Zensur noch Ungleichbehandlung bieten lassen und verklagte den Presserat auf Annahme ihrer Selbstverpflichtung.

Die Grundrechte wie Pressefreiheit usw. gelten zwar in erster Linie gegen den Staat, sie haben aber auch Ausstrahlungswirkung ins Privatrecht. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine private Organisation ein Monopol hat, auf das alle angewiesen sind, etwa das einzige Fußballstadion am Ort oder eine marktbeherrschende Kommunikationsplattform betreibt.

Nach ca. einem halben Jahr kam der Presserat dann doch noch zur Vernunft und akzeptierte die Mandantin.

2. Februar 2022

OLG Koblenz: Wikipedia is taken over by the trolls – und das ist gut so

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Online-Enzyklopädie Wikipedia eine besondere Glaubwürdigkeit genießt, obgleich bekannt ist, dass Änderungen theoretisch für jedermann möglich sind. Der Durchschnittsleser geht durch den Selbstkontrollmechanismus von einer gewissen Objektivität aus (OLG München, WRP 2012, 1145; Spindler/Schuster/Micklitz/Namysłowska, 4. Aufl. 2019, UWG § 5a) Rn 76.) Der Leser einer Enzyklopädie Wikipedia erwartet üblicherweise Fakten und keine Verdächtigungen (LG Berlin, Urteil vom 28.8.2018 – 27 O 12/17, ZUM 2019, 65). Der Inhalt eines manipulierten Artikels suggeriert eine Scheinobjektivität, wenn die für Wikipedia typische Darstellung von Streitständen unterbleibt. Der verschleiernde Charakter wird dabei nicht durch relativierende Diskussionsbeiträge beseitigt, weil diese vom durchschnittlichen Wikipedia-Nutzer nicht zur Kenntnis genommen werden (OLG München, WRP 2012, 1145; Spindler/Schuster/Micklitz/Namysłowska, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, UWG § 5a Rn. 77).

Die Wikipedia ist insbesondere kein Meinungsforum. Da die Wikimedia-Stiftung als Betreiberin der Wikipedia-Domain ihren Sitz in Kalifornien hat, ist sie als ausländische juristische Person keine Grundrechtsträgerin der Presse- oder Rundfunkfreiheit (Dilling, Olaf: Persönlichkeitsschutz durch Selbstregulierung in der Wikipedia, ZUM 2013, 380). Für die Wikipedia-Autoren gelten die Sorgfaltsmaßstäbe nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB. Allgemeinen Grundsätzen entsprechend hat der Erklärende die Voraussetzungen des § 193 StGB darzutun und im Bestreitensfall zu beweisen (Gomille, Christian: Negatorische Haftung der Wikipedia-Betreiberin, ZUM 2019, 69). Auch der BGH unterscheidet Internetangebote mit nutzerbasierten Beiträgen dahingehend, ob der Betreiber Neutralität, objektiv nachvollziehbare Sachkunde und Repräsentativität hinsichtlich der Beurteilungen der Nutzerbeiträge für sich in Anspruch genommen hätte, oder ob er sich als ein Meinungsformum versteht und darstellt (BGH, Urteil vom 14.1.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587). Die Wikipedia beansprucht unstreitig einen neutralen Standpunkt und untersagt den Nutzern in den Artikeln eigene Meinungsbeiträge (Wikipedieregel: Keine Theoriefindung, Wikipediaregel: Neutraler Standpunkt).

Diese Auffassung hatte das OLG München letzte Woche sogar in einem Hinweisbschluss, der gegen denselben Beklagten ergangen war, bekräftigt:

Von einem biographischen „Wikipedia“-Beitrag erwartet der maßgebliche Leser aber, dass er über Werdegang und Persönlichkeit der beschriebenen Person im Wesentlichen vollständig und objektiv informiert wird. Diese Erwartung schließt eine kritische Auseinandersetzung des Verfassers mit dem Denken und Handeln der beschriebenen Person keineswegs aus. Mit seiner Bearbeitung hat der Beklagte aber die Grenzen objektiver Darstellung überschritten, weil er dem Leser die gewünschte Bewertung der Person von Prof. Dr. Verleger geradezu aufdrängt und es ihm durch Verschweigen wesentlicher Aspekte von dessen Biographie erschwert, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Insbesondere ist eine Enzyklopädie mit neutralem Geltungsanspruch kein Ort für eigene subjektive Auffassung der Bearbeiter. Die Einträge des Beklagten standen im Widerspruch zum Willen der Geschäftsherrin Wikimedia, § 678 BGB. Auch die durchaus haftende Plattformbetreiberin hat am gezielten Verstoß gegen den in den Wikipedia-Regeln geforderten neutralen Standpunkt kein Interesse, schon weil sie selbst nicht die europäischen Medienfreiheiten beanspruchen kann, sondern grenzt sich sogar ausdrücklich von einem Meinungsforum ab.

Zur Ausübung von Meinungsfreiheit stellt die Wikipedia den Nutzern zu jedem Artikel ein Diskussionsforum zur Verfügung, wo streitige Änderungen diskutiert werden sollen. Im Artikel jedoch sind subjektive Ansichten von Nutzern ausdrücklich unerwünscht. Mutwillige Regelverstöße bezeichnet man im Wikipedia-Jargon zutreffend als „Vandalismus“. Ebenso wenig, wie Sachbeschädigung oder verbotene Eigenmacht mit Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden kann, muss sich die Wikipedia eine Meinung des Beklagten als vermeintlich eigene aufdrängen und unterschieben lassen. Auch der Kläger muss den aufgedrängten Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte durch vorgetäuschte Objektivität nicht hinnehmen.

Es ist bereits verfehlt, anonymes Eintragen unwahrer oder irreführender Informationen in fremde Texte überhaupt unter Äußern von Meinung zu subsumieren, da der subjektive Charakter der Einträge verschleiert bzw. aufgegeben wird. Eine persönliche Zuordnung eines Eintrags zu einem bestimmten Nutzer ist nur unter erheblichem Aufwand recherchierbar, nämlich durch Abgleich mit der gesamten Versionsgeschichte.

Behaupten einer Tatsache setzt streng genommen eigentlich vorraus, dass man sein Haupt auch zeigt. Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab. Davon geht die h.M. aus, wenn die Äußerung den Empfänger als subjektive Meinung anspricht und ihm als solche erkennbar ist. Es kommt darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, Burkhardt (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap, Rn. 48, mwN.). Eine solche Prägung oder Erkennbarkeit ist bei subversiv in einem fremden Text platzierten Informationen, von denen Leser zumindest das Bemühen um Neutralität sowie eine kollektive Äußerung erwarten, denknotwendig ausgeschlossen. Insbesondere wäre die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB in einer Enzyklopädie ausgeschlossen, da diese gerade keine eigenen Bewertungen anstellen, sondern tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen von Dritten abbilden soll, nicht aber solche der Nutzer. Auch die Rechtsprechung differenziert zwischen Websites mit neutralem Geltungsanspruch und Meinungsportalen, BGH, Urteil vom 14.1.2020 – VI ZR 496/18.

Laut einem am 31.01.2022 verkündeten Urteil des OLG Koblenz hingegen scheinen dort andere Maßstäbe zu gelten. Das OLG Koblenz hält Wikipedia-Artikel offenbar sogar für ein Meinungsforum. Dort werden sachlich unstreitig falsche Äußerungen als „wahr“ bezeichnet, wenn man sie mit einer Quelle referenziert (und nicht etwa als subjektive Meinung darstellt). Am OLG Koblenz darf man Autoren, die man fertig machen möchte, eine aus abenteuerlichen Umkehrschlüssen konstruierte „Zusammenfassung“ in den Mund legen und sie damit als scheinbar verrückt erscheinen lassen. Man darf sich aus einem Leben anderer Leute selektiv bedienen und Autoren und sie in Verbindung mit politischen Ansichten von andere Personen bringen, die sie irgendwann einmal unerwartet getroffen haben. Man darf den Eindruck eines gescheiterten Künstlers erwecken, dessen Werke scheinbar nie aufgeführt worden seien und der konzertantes Komponieren aufgegeben habe.

Tatsächlich ist der Kläger ein hochintelligenter, gebildeter und wissenschaftlich sorgfältig arbeitender Mann. Er spricht fünf Sprachen fließend, lebte in verschiedenen Ländern (Israel, Island, Deutschland), war Informatiker schon zu Zeiten von Lochkarten, studierte dann Musik, gehörte in den 70er Jahren zu den Pionieren von Computermusik, bereiste die Welt und publizierte in juristischen Fachzeitschriften zu Menschenrechten. Wegen seiner Kompetenz zum Thema Wirtschaftssanktionen hatte ihn eine kalifornische NGO ihn ca. 1999 und 2000 zweimal als Vertreter zur jährlichen Sitzung der Menschenrechtskommission der UNO in Genf gesandt. Das ermöglichte dem Kläger, als Beobachter an verschiedenen Ausschüssen teilzunehmen und mit Delegierten der verschiedenen Staaten über die Sanktionen zu sprechen. Damals traf der Kläger in dieser Angelegenheit Graf Hans-Christoph von Sponeck, Nachfolger von Denis Halliday als UN-Koordinator für humanitäre Fragen in Irak. Im Februar 2000 reichte auch von Sponeck (nach Halliday) seinen Rücktritt aus Protest gegen die Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrates ein, die er verantwortlich für das Sterben mehrerer hunderttausender irakischer Kinder sah. Soweit bekannt, wurden dem Kläger bislang kein Recherchefehler nachgewiesen. Seine Bücher sind in diversen Sprachen erschienen. Er erhielt internationale Einladungen bis hin nach Pakistan, unter anderem wurde ihm ein Preis im House of Lords verliehen.

Der Beklagte hingegen, dessen Lebensleistung sich dagegen eher bescheiden ausnimmt, räumte in seiner Berufungsschrift sogar ein, dass er mit seiner Bearbeitung Dritte vom Lesen der Bücher des Klägers (die er selbst offenbar nicht kennt) abhalten wollte, da dem Kläger nur ein schlechter Ruf zustehe. Für mich klingt das nach Kreditgefährdung iSd § 824 BGB und vorsätzlich sittenwidriger Schädigung iSd § 826 BGB.

Kontrolle und Abschirmen eines komplett einseitigen und verzerrenden Artikels gegen sachliche Korrekturen scheint für das OLG Koblenz jedoch völlig in Ordnung zu sein. Die Tatsache, dass der Kläger wegen der völlig verzerrten Darstellung über Jahre hinweg im Internet und damit automatisch auch im richtigen Leben wegen ihm untergeschobenen politischen Thesen und Auffassungen geächtet und sozial isoliert wurde, soll nach Meinung des OLG Koblenz nicht so schlimm gewesen sein. Außerden hätte der Kläger, der jahrelang beim Bemühen um Korrekturen in seinen Beitrag gescheitert war, nach Enttarnung von Feliks keinen Anwalt bemühen müssen, man hätte ihn ja auch privat anschreiben und nett fragen können.

Dementsprechend wird das OLG Koblenz sicherlich nichts dagegen haben, dass ich dessen Urteil wie in der Überschrift zusammengefasst habe.

OLG Koblenz, Urteil vom 31.01.2022 – 9 U 195/21 (nicht rechtskräftig).

31. Januar 2022

OLG München: Wikipedia-Serienrufmörder „Feliks“ durfte mit Klarnamen genannt werden

Unter seinem Pseudonym „Feliks“ missbrauchte ein in der Linkspartei vor einem Jahrzehnt gescheiterter Politiker die Wikipedia, um dort die Biographien von über 200 Personen seinem extremen Narrativ entsprechend zu manipulieren.

Hierzu legte er seinen Medienopfern u.a. erfundene Äußerungen in den Mund und erweckte den Eindruck politisch fragwürdiger Positionen, die notwendig zu politischer Ächtung und sozialer Ausgrenzung führten. Bücher der von ihm diskreditierten Autoren hatte Feliks nicht einmal gelesen. In einem anderen Rechtsstreit räumte er sogar seinen Vorsatz sein, Leser von der Beschäftigung mit der von ihm geächteten Person abzuhalten, da dieser kein anderer als ein schlechter Ruf zustehe.

Etliche Journalisten und Politiker gingen Feliks auf den Leim und beteiligten sich an Hexenjagden. Selbst Rechtsanwälte verweigerten einem von Feliks‘ Medienopfern ihr Ohr, obwohl unvoreingenommener Kontakt gerade mit schwierigen und gestrauchelten Menschen deren professionelle Aufgabe gewesen wäre.

Die eigene Medizin, nämlich das Licht der Öffentlichkeit, schmeckte Felix offenbar nicht, und er entdeckte vor dreieinhalb Jahren plötzlich das allgemeine Persönlicheitsrecht.

Bereits das Landgericht München, das Landgericht Hamburg und das Oberlandesgericht Hamburg hatten entschieden, dass man den politisch extrem einseitigen, selektiven und fälschenden Wikipedia-Autor Feliks beim Klarnamen nennen darf. Dem hat sich jetzt auch das Oberlandesgericht München in einem ausführlich begründeten Hinweisbeschluss angeschlossen:

„Ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an derjenigen Person, die sich hinter dem Pseudonym „Feliks“ verbirgt, ist jedenfalls deshalb anzuerkennen, weil der Beklagte nach den Feststellungen des Landgerichts bei der von ihm vorgenommenen Bearbeitung der vier Beiträge diejenige Objektivität der Darstellung hat vermissen lassen, die der verständige und unvoreingenommene Leser von einer Kurzbiographie auf „Wikipedia“ erwartet und auch erwarten darf. In allen vier Fällen hat sich der Beklagte dabei ersichtlich davon leiten lassen, dass er die von den Betroffenen vertretenen Positionen zum Nahostkonflikt ablehnt. Er hat sich mit diesen Positionen aber nicht in der Sache kritisch auseinandergesetzt, sondern den Betroffenen pauschal – und zum Teil auf recht dürftiger Tatsachengrundlage – den Stempel des „Antizionismus“ aufgedrückt.“

Die Strafverfolgungsbehörden sahen übrigens keinen Anlass, um gegen die üble Nachrede und Verleumdung einzuschreiten. Damit bleibt Medienopfern nur der Zivilrechtsweg.