21. November 2016
Dem Berliner Polizeipräsident, den die Piraten seit geraumer Zeit verklagen, ist inzwischen aufgegangen, dass Bruno Kramm das sogenannte „Böhmermann-Gedicht“ rezitieren darf. Ursprünglich hatten die Preußen angenommen, dies sei eine Straftat, weshalb die Demonstration vor der Türkischen Botschaft zunächst mit Zensur beauflagt und dann wegen Verstoßes hiergegen abgebrochen wurde.
Nachdem inzwischen die Staatsanwaltschaft in Mainz einen Beleidigungsvorsatz des Satirikers Böhmermann endgültig verneinte, hatte nun auch der von den Piraten verklagte Berliner Polizeipräsident ein spätes Einsehen. Allerdings will er die Verfahrenskosten nicht tragen, da er seinen Fehler vor der Einstellung des Mainzer Ermittlungsverfahrens nicht habe erkennen können. Angesichts der Tatsache, dass sich Herr Kramm sogar ausdrücklich und glaubhaft von den ernsthaft problematischen Stellen distanziert hatte, ist das ein eher schwacher Standpunkt.
Außerdem hält der Polizeipräsident die Atemalkoholkontrolle für rechtmäßig, die demonstrativ am Versammlungsleiter Herrn Kramm durchgeführt wurde, was wir als einen willkürlichen Einschüchterungsversuch ansehen. Der Fall bleibt also weiterhin spannend.
14. Oktober 2016
Erwartungsgemäß hat die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Mainz gegen den Satiriker Jan Böhmermann bestätigt. Damit hat sich die strafrechtliche Seite erledigt.
Die Einstellung hat auch Bedeutung für das von mir betreute verwaltungsrechtliche Verfahren zwischen der Piratenpartei Berlin und dem Land Berlin wegen des gefährlichen Eingriffs in die Demonstrationsfreiheit. Bislang zeigt sich der Berliner Polizeipräsident noch uneinsichtig, doch wer zuletzt lacht, lacht als Satiriker! ;)
Anders sieht es für das zvilirechtliche Verfahren am Landgericht Hamburg aus. Die Staatsanwaltschaft ließ es am nicht nachweisbaren Vorsatz scheitern, der für eine sttrafrechtliche Verurteilung erforderlich ist. Verschulden aber spielt aber beim Unterlassungsanspruch nicht so die Rolle.
18. Juni 2016
Inzwischen liegt die Begründung zur einstweiligen Unterlassungsverfügung des Landgerichts Hamburg in Sachen Erdogan ./. Jan Böhmermann vor.
Der Besprechung des Kollegen Dr. Kahl ist praktisch nichts hinzuzufügen.
In alter Tradition berücksichtigt die Pressekammer im Ergebnis nicht den Kontext und ignoriert damit standhaft – um nicht zu sagen: trotzig – die Rechtsauffassung der Karlsruher Gerichte.
Dass es außerdem der „Schweinepfurz“ ist, der für das Gericht mit Ausschlag gebend ist, überrascht, da der religiöse Aspekt bislang in der Diskussion keine nennenswerte Rolle spielte. Eine religionsschmähende Intention Böhmermanns dürfte fernliegend sein, für die Einordnung als beleidigend kommt es auch nicht auf subjektive Befindlichkeiten des Betroffenen an, sondern auf ein verobjektiviertes Verständnis einer Äußerung.
Die Hamburger meinen zudem:
Da das Gedicht nicht als unauflösliche Einheit zu betrachten ist, ist wie auch ansonsten bei anderen Kunstwerken wie beispielsweise Büchern oder Filmen nicht die Verbreitung des gesamten Gedichts zu untersagen, sondern nur die aus dem Tenor ersichtlichen, vom Antragsgegner rechtswidrig verbreiteten Passagen.
Das kann man auch anders sehen. Insbesondere darf man nicht das eigentliche Schmähgedicht und Passagen daraus aus dem Kontext reißen, da etwa die ironisch bzw. sarkastisch gemeinten Passagen wie die rassistischen und sexistischen Anspielungen nun einmal isoliert einen anderen Sinn ergeben.
Jedenfalls aber steht die Auffassung des Landgerichts Hamburg, das einzelne Passagen für zulässig erachtet, im Widerspruch zur Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichts Berlin, das jegliches „Rezitieren oder Zeigen“ des Böhmermann-Gedichts für zensierenswert hält. Hiergegen haben die Berliner Piraten Hauptsacheklage eingereicht.
Wer immer in den letzten Wochen meinte, das Problem des fliegenden Gerichtsstands sei überschätzt, mag sich die unterschiedlichen Urteile von Köln, Berlin und Hamburg zu Gemüte führen.
LG Hamburg, Beschluss v. 17.05.2016, Az. 324 O 255/16
3. Juni 2016
Nachdem der Polizeipräsident in Berlin das „Zeigen und Rezitieren“ des Böhmemanngedichts auch in Teilen bei einer Demonstration untersagt hatte und auch das Verwaltungsgericht Berlin sich weigerte, einen Katalog des gerade noch erlaubten anzubieten, wollten es die Piraten etwas genauer wissen. So meldeten die Piraten eine weitere Demonstration vor der türkischen Botschaft an und reichten dem Polizeipräsident zur gefälligen Zensur ein detailliertes Programm ein.
Darin wollten die Piraten eine Aufnahme der Rede des CDU-Abgeordneten Herrn Seif abspielen, sowie Erdogans Anwalt Herrn Prof. Dr. Höcker zitieren, der diese Form des Zitats korrekt fand. Doch der Polizeipräsident meint, dass das Abspielen einer Aufzeichnung die Rede aus dem parlamentarischen Kontext reißen würde.
Mit keinem Wort beanstandete der Polizeipräsident den Programmpunkt mit dem nicht ganz zufällig gewählten Titel „anachronistische Zugvögel“: Darin wollten die Piraten pantomimisch und mit Symbolen das Gedicht „Schmähkritik“ nachspielen. Etwa das Zitieren des Wortes „Schweinepfurz“ durch Darmwinde wurde nicht beanstandet, auf vorherigen Augen- bzw. Nasenschein wurde verzichtet. Schilder mit Textanteilen aus dem Gedicht dürfen allerdings nur den Titel „Schmähkritik“ enthalten.
In keiner Weise verboten wurde der angemeldete Programmpunkt Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief. Den deftigen Text, der gewiss nicht zur Pflege der Völkerverständigung erdacht wurde, sollte man einmal gelesen haben …