In Polen gibt es gerade eine gewisse Empörung wegen Anklagen gegen Journalisten, die aus Interne laufender Strafverfahren berichtet haben. Jetzt soll daher ein Gesetz kommen, dass solcherlei nur noch dann unter Strafe stellt, wenn es denn auf das Verfahren „negative Einwirkungen“ zeitigt.
Hierzulande gibt es ein ähnliches Problem, nämlich den – weitgehend unbekannten – § 353d Nr. 3 StGB. Ist eigentlich kein großes Ding, weil die nur inhaltliche, nicht wörtliche Wiedergabe zulässig ist.
Außerdem wollen die Polen Knast für Üble Nachrede sogar abschaffen. Strafrecht ist hierzulande für Journalisten seit der SPIEGEL-Affäre eigentlich kein großes Thema mehr. Die praktischen Probleme liegen im Zivilrecht.
Der Volksmusik-Moderator der ARD, der einem Blogger die Berichterstattung über dessen Familienmitglied im Bezug auf seine Person untersagen ließ, will nun auch die (indirekte) Eigenberichterstattung des Antragsgegners über den Rechtsstreit aus dem Netz haben. Hierfür war er sich nicht für einen Ordnungsmittelantrag zu schade, den man in Hamburg martialisch als „Bestrafungsantrag“ zu bezeichnen pflegt. Der Anwalt des Bardenmoderators macht geltend, die Eigenberichterstattung verstoße gegen den Unterlassungstenor.
Inwieweit man über eigene Rechtsstreite trotz Unterlassungsverfügung berichten darf, wird unterschiedlich gesehen. Spezielle Vorschriften gibt es hierfür nicht, auch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Zusätzliche Rechtsunsicherheit löst die Kerntheorie aus, die einen Auslegungsspielraum für den Richter eröffnet, ob ein Verstoß gegen die Unterlassungsverfügungen auch bei lediglich ähnlichen Äußerungen vorliegt.
Ein bekannter Forscher in Sachen Presserecht hat in den letzten Jahren eine Versuchsreihe am Landgericht Berlin durchgeführt. Unter Assistenz von einschlägig bekannten Berliner Pressekanzleien, die dem Experimentalrechtswissenschaftler in bemerkenswerter Treue zuarbeiteten, konnte so Rechtssicherheit bei Verfahren in Berlin erzielt werden. Vorliegend haben wir es mit Hamburg zu tun. Während auch Kern-Theorie-Auslegung beim Landgericht der finger locker am Abzug liegt, kann es beim Oberlandesgericht schon wieder etwas ziviler werden.
Die eigentlich relevante Frage aber muss lauten: Hat es ein bekannter Moderator wirklich nötig, einem am Boden liegenden nachzutreten und „Bestrafungsanträge“ zu stellen? Wo doch dank des von ihm ausgelösten Streisand-Effekts jeder die Erstmitteilung zur Genüge kennt?
Die ARD kündigt einen Spielfilm über die bekanntermaßen klagefreudige Scientology Church an, der unter absoluter Geheimhaltung produziert wurde. SPIEGEL online schreibt:
Bislang galt der Stoff schon aus rechtlichen Gründen als schier unverfilmbar. Unter Filmleuten war man sich nahezu gewiss, dass Scientology Ausstrahlungen gerichtlich untersagen lassen würde. So übte sich die Öffentlichkeit in Debatten um die Verfassungsmäßigkeit des Imperiums, oder man erzählte sich Schauergeschichten über Gehirnwäschen der obskuren Glaubensgemeinschaft. Dazwischen gab es nichts.
SWR-Mann Bergengruen hat nun die Lücke geschlossen. Den Anstoß dazu gab ausgerechnet der Schauspieler und Star-Scientologe Tom Cruise. Im November 2007 wurde ihm mit allerlei Ehrenbezeugungen der Medienpreis Bambi des Burda-Verlags überreicht. Da reichte es Bergengruen.
Als die ARD vor einiger Zeit einen Spielfilm über NS-Zwangsarbeiter in einer Batterienfirma gemacht hat, an deren Erträgen sich noch heute Superreiche erfreuen, hat man sicherheitshalber die Ausstrahlung nicht im Programmheft angekündigt, sondern „tagesaktuell“ ins Programm genommen. Nach der Erstausstrahlung haben die Superreichen dann eingesehen, dass man im Internet-Zeitalter, in dem die Gatekeeper nur noch einen begrenzten Einfluss auf die öffentliche Meinung haben, andere Kommunikationsstrategien fahren muss.
Mal gespannt, ob wir diesen Scientology-Film zu sehen kriegen. Im Moment habe ich es gerade mit ähnlich skurrilen Leuten zu tun, die an ein „wissendes Feld“ glauben und kritische Berichterstattung nicht zu schätzen wissen. Übrigens auch vor dem Landgericht Hamburg, wo auch Scientology gerne gag orders verteilen lässt.
Fünf Jahre hatte die BILD-Zeitung das BILD-Blog eisern ignoriert. Unter den Spitzen-Managern in Deutschland gilt mediale Zurückhaltung als eine Tugend. Man rümpft in diesen Kreisen die Nase über Wirtschaftskapitäne, die Öffentlichkeit in Talkshows suchen, wahrt bewusst die Distanz.
Nachdem inzwischen die mediale Durchsetzungskraft des Internets der Gutenberg-Galaxis immer mehr Terrain abgerungen hat, betrat BILD-Chef Kai Diekmann für erklärte 100 Tage die Blogosphäre, wohl um in Stefan Niggemeiers angestammten Revier zu wildern und ihm die Deutungshoheit für seine Person streitig zu machen.
Über seine Motive zur inszenierten Selbstentblößung wird noch immer spekuliert. Nachdem er früher die deutsche Eiche gegeben hatte, der es egal ist, ob sich die W(B)ildsau an ihr reibt, verwandelte er sich nun selber in einen selbstironischen Medienkommentator, an dessen Fell Kritik abperlt wie Wasser an einer W(B)ildsau:
Nehmerqualitäten hat er sportlich bewiesen. Er hatte es zugelassen, dass ich ihm einen Link auf die unzensierte Version des Wallraff-Buchs in die Kommentare gelegt hatte, ertrug mannhaft selbst meinen bisweilen deftigen Senf zur Dödel-Affäre, für mein Spottgedicht gab es statt Schelte sogar eine großzügige Einladung.
Niggemeier tat ihm (und uns) nicht den Gefallen, sich auf eine Presse- bzw. Blogger-Fehde einzulassen. Erst heute zum Diekmann-Aschermittwoch kommentiert der Alpha-Blogger. Die nun mal existierende Spannung zwischen beiden Parteien klammert er vornehm aus. Hat der „Spaß-Buhmann“ Diekmann nun Boden in der Blogosphäre gut gemacht, oder war es nur ein selbstverliebter Ego-Tripp eines Selbstdarstellers?
Inwieweit der Ego-Trip Diekmanns Salonfähigkeit in den konservativeren Stockwerken des Axel Springer-Universums geschadet haben könnte, ist schwer zu sagen, zumal sich auch dort Generationswechsel vollziehen. Umgekehrt haben Leute wie Udo Lindenberg, Alice Schwarzer und etliche andere längst die Fronten gewechselt.
Diejenigen, die ihn früher hassten, werden es auch weiterhin tun. Es ist auch ebenso unwahrscheinlich, dass er mit der zielgruppenfernen Aktion die Auflage seiner Holzmedien steigert. Als ich vor zwei Wochen „meine“ BILD kaufte, kostete es mich große Disziplin, die mich nun mal nicht interessierenden Boulevard-Inhalte und Nachrichtenhülsen zu lesen. Was Diekmann vermutlich aber sehr wohl geändert hat, ist die Wahrnehmung seiner Person innerhalb des Raumschiffs Berlin, speziell in seinen Journalistenkreisen.
Finanziell profitiert hat vor allem der Presserechts-Kollege Rechtsanwalt E., der an den über 30.000,- Euro Rechtskosten, die mehr oder weniger das Blog verursachte, den Großteil eingesteckt hat. Respekt!
UPDATE:
Die FAZ, die ich für heuchlerischer als BILD halte, hat einen lesenswerten Kommentar. Ist Stefan Niggemeiers Autorität beschädigt, hat ihn der boulevardesque Diekmann PR-technisch in die Ecke des Moralisten verwiesen?
UPDATE:
Auch der Blogwart der TAZ kommentiert treffend:
(…) Verglichen mit derlei Scheußlichkeiten läßt sich ein gewisser zivilgesellschaftlicher Fortschritt der Springer-Humoristen also nicht abstreiten – und den in 100 Tagen Blog einmal aufgezeigt zu haben kann Diekmann und seinem Team als Verdienst angerechnet werden. An dem unerträglich unterirdischen Niveau der vom Genossen Kai verantworteten “Bild” freilich hat der Ausflug in die Höhen der Blogoshäre nichts geändert. “Krebs-Patientin Julia (23) – Ihre Brust bekommt Schweinehaut” heißt es z.B. heute in einem großzügig bebilderten Artikel. Schweineblatt bleibt eben Schweineblatt…
Ein Trittbrettfahrer von den Grünen hat sich von FDPlern ein paar Strafanzeigen wegen des Verdachts übler Nachrede eingefangen. Auch der glaubt an die Erlaubnis des „Presserechts“. Ob er auch so einen langen Atem wie seinerzeit Greenpeace hat?
Derweil will der Chef auch die Sauna günstiger haben.
Bei der CDU entdecken einige ansatzweise eine Schamgrenze.
Hamburg gilt als die „englischste Stadt“ des Kontinents. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Hamburger Rechtsprechung gegen Meinungsfreiheit Ähnlichkeiten zu jener des Vereinigten Königreichs aufweist, die international als äußerst meinungsfeindlich gilt. London ist sogar der Lieblingslandeplatz international fliegender Gerichtsstände.
Der bekannte Wissenschaftsjournalist Simon Singh hat seit letztem Jahr eine Klage wegen des Wörtchens „Bogus“ am Hals. Er hatte behauptet, ein Chiropraktikerverband propagiere Hokus Pokus-Behandlung.
„This organisation is the respectable face of the chiropractic profession and yet it happily promotes bogus treatments.“
Er dachte, er hätte seine Meinungs- bzw. Wissenschaftsfreiheit in Anspruch genommen, gewisse Verfahren gegen Asthma seien unwirksam, man könne ihm ja das Gegenteil beweisen.
Umgekehrt! Aus seinen Zweifeln folgerte man auf einen Betrugsvorwurf. Das ist zwar eine nicht ganz unlogische Konsequenz seiner Meinung, aber so hat er das nun mal nicht gesagt. Man forderte, Singh müsse diese ihm unterstellte Tatsachenbehauptung beweisen. Der Fall hat längst eine gewisse Debatte über die Rechtspraxis in diesem Bereich ausgelöst.
Sekten mit wundertätigen Verfahren klagen ja auch ganz gerne mal in Hamburg. Dazu vielleicht demnächst mal mehr.
Ich habe vor Jahren mal einen sehr ähnlichen Fall im Finanzbereich beim Landgericht Hamburg erlebt. Es wurden einem Äußerungen in den Mund gelegt, die man so nicht intendiert hatte. Andeutungen reichten, um einen unterstellten strafrechtlichen Betrugsvorwurf zu erdeuteln, der ironischerweise allerdings so weit von der Wahrheit gar nicht entfernt war. Vom Beklagten wurde dann erwartet, dass er die Schuld von Wirtschaftskriminellen beweist, die sich seit Jahren unter Strafanklage befanden, bei der lediglich über Details gestritten wurde. (Die Verfahren endeten übrigens nicht mit Freisprüchen.