Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts, dem ein Juraprofessor wissenschaftliches Plagiat vorwarf, wehrt sich standesgemäß mit einer Klage. Und weil man in Karlsruhe so häufig lesen muss, bei welchem Gericht man so Äußerungen besonders gerne verbietet, setzte der Mann seine berufliche Kenntnis in die Praxis um und befasste die Hamburger Pressekammer mit dem Fall.
Gerade packe ich meine sieben Sachen ein, weil es morgen wieder zum Landgericht Hamburg geht, wo ein Landrichter und seine beiden Beisitzer ihre einstweilige Verfügung verteidigen werden. Ein nicht in Hamburg wohnender Blogger hatte über eine zuvor gegen eine dritte Person ergangene einstweilige Verfügung berichtet, und angemerkt, ihm lägen schriftliche Zeugenaussagen vor, welche die verbotenen Behauptungen bestätigten. Eigene Stellungnahmen zur Sache oder zur Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen gab er nicht ab.
Darin sah das Landgericht Hamburg ein Zueigenmachen der verbotenen Äußerung und erließ gegen meinen Mandanten eine einstweilige Verfügung. Damit dürfte Gerichtsberiochterstattung nach Hamburger Spruchpraxis bei Äußerungsprozessen nur noch sehr eingeschränkt möglich sein. Dass sich die einstweilige Verfügung kaum mit der Karlsruher Rechtsprechung in Einklang bringen lässt, wo man die Meinungsfreiheit einigermaßen hoch hält, stört Hamburger Landrichter bekanntlich wenig.
Gegen den fliegenden Gerichtsstand, der die Landesgrenzen von Hamburg ungebührlich ausweitet, habe ich schon häufig gewettert. Nun hat sich endlich auch die Journalisten-Vereinigung Netzwerk Recherche dieses Themas angenommen, zu dem praktizierende Juristen eine einhellige Meinung haben (wenn sie nicht gerade sehr im Abmahnbusiness stecken). Auf einer Tagung in Dortmund wurde nun erstmals von einer namhaften Vereinigung die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands gefordert.
Der fliegende Gerichtsstand ist an sich nicht gesetzlich festgeschrieben, sondern eine richterliche Deutung des § 32 ZPO. Die Rechtsprechung hätte diese Ausuferung des Foum Shoppings längst abstellen können. Einige Judikate gehen bereits in diese Richtung. Doch die Richter von St. Pauli freuen sich anscheinend über den Zuwachs an Aufgaben. Mögliche Gründe habe ich hier dargelegt.
Schon nach 40 Jahren kam jetzt in Russland jemand auf die Idee, den Klassiker „Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn von der Zensurliste zu streichen. Solschenizyn selbst war 1945 wegen Briefen mit abfälligen Bemerkungen über Josef Stalin für neun Jahre in Straflager geraten, also Zensuropfer gewesen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das Werk bis heute nicht gelesen habe. Ich bin allerdings dankbar, die Freiheit zu haben, dies jederzeit tun zu dürfen.
Ich kenne einen Verlegersohn und Bücherfreund, der in den 80er Jahren in der DDR in den Stasi-Knast gesteckt wurde, weil er „Archipel Gulag“ und eine Handvoll anderer Bücher an Freunde verliehen hatte, die ebenfalls der östlichen Zensur unterlagen. Das Verfahren hat er 1985 dann doch noch gewonnen und wurde als möglicherweise letzter noch 1990 von der DDR selbst entschädigt und rehabilitiert, während seine Richter 2000 verurteilt wurden.
Das ist übrigens der gleiche Typ, der jeden Freitag in der Hamburger Pressekammer sitzt und staunt, was da so alles mit der Meinungs- und Pressefreiheit passiert. Inzwischen gewinnt er auch im Westen seine äußerungsrechtlichen Prozesse überwiegend. Dass allerdings die Richter, mit denen er sich heute gelegentlich fetzt, ebenfalls verurteilt würden, ist eher unwahrscheinlich.
Daniel Ellsberg war der Mann, der es nicht ertrug, wie kackendreist die US-Regierung ihr eigenes Volk über den Vietnamkrieg belog. Der Marine Commander lancierte aus moralischer Überzeugung einen für die Regierung selbst verfassten Bericht an die Presse, der später als die Pentagon Papers bekannt wurde.
Der Mann, der die USA über die Lügen der „Volksvertreter“ aufklärte, ist heute einer der größten Fans von WikiLeaks. Im FREITAG kommentiert er den jüngsten Leak über den durch und durch verlogenen Irak-Krieg.
Zu einer abweichenden Bewertung kommt ein anderer intimer Kenner der US-Politik, der ebenfalls Geheimnisse ausplauderte: Der Kommunist Rainer „Topas“ Rupp drang als wohl hochkarätigster Agent in das Herz der NATO ein und meldete in den gefährlichsten Tagen des Kalten Kriegs alle wichtigen NATO-Geheimnisse an den Warschauer Pakt. Der damalige Doppelagent, der vom Westen einst als brillanter Analyst angesehen wurde, vom Osten als die heißeste Quelle, sieht in den WikiLeaks-Dokumenten Material, das von Spindocters missbraucht werden kann, um die wirklich relevanten Sauereien zu vertuschen:
Die Wiki-Veröffentlichungen führen in der Tat nicht zu einem neuen Verständnis der verbrecherischen Rolle der USA in Irak, sondern höchsten zu einer Aufbesserung ihres Ansehens in der Welt. So machten die Medien rund um den Globus großes Tamtam um die Meldung, daß durch die willkürliche Eskalation der Gewalt an den Straßenkontrollposten im Irak von 2003 bis 2009 etwa 750 Zivilisten von den US-Besatzern erschossen wurden. Die von seriösen westlichen Organisationen auf 500000 bis eine Million geschätzten zivilen Opfer des US-Krieges und der Okkupation scheinen plötzlich vergessen.
In Julian Assange sieht er einen – wie es im Geheimdienst-Jargon heißt – „nützlichen Idioten“. Er könnte recht behalten.
Die Süddeutsche Zeitung hat den gestern verhandelten Fall der Herrschaften, die sich an Ottfried Fischer gesund stoßen wollten, exzellent zusammengefasst.
Inwieweit Fischer tatsächlich zum Interview mit der BILD-Zeitung gedrängt wurde, oder ob dies als kommunikativ schadensbegrenzende Maßnahme der Agentin von Fischer gedacht war, ist nicht einfach zu beurteilen. Bei BILD habe man nicht einmal daran gedacht, das heimlich gedrehte Video zu veröffentlichen – was angesichts eines solchen Eingriffs in Persönlichkeitsrechte auch für Axel Springer-Verhältnisse sauteuer geworden wäre, vom Imageschaden einer Verurteilung des Verlags gar nicht erst zu sprechen.
Was den Schutz der eigenen Persönlichkeitsrechte betrifft, so zeigt sich die Mitangeklagte durchaus anspruchsvoll:
Ausgerechnet die Frau, die geholfen hat, Ottfried Fischer beim Sex zu filmen, hat Probleme damit, wenn sie gefilmt oder fotografiert wird. Die Prostituierte Maria K., 32, tarnt sich im Gerichtssaal mit Perücke, Cape, Sonnenbrille; sie verbirgt ihr Gesicht zusätzlich hinter einem Kuvert. Angeblich will sie nur aus Rücksicht auf ihren kranken Vater unerkannt bleiben. Das Opfer hingegen stellt sich den zwei Dutzend TV-Kameras und Fotografen
Der portugiesische Chefermittler Gonçalo Amaral, der im Fall „Maddie“ die Eltern des vermissten Mädchens verdächtigte und darauf hin von dem Fall abgezogen wurde, darf nun doch sein Buch veröffentlichen. Dies war ihm Anfang des Jahres verboten worden.
Und wieder darf der experimentelle Rechtsforscher Schälike seiner Liste gewonnener Auseinandersetzung mit Medienanwälten einen weiteren Sieg hinzufügen – den 66.sten! Die Ironie ist, dass es diesmal um ebendiese Liste ging.
Ein Berliner Anwalt hatte eine einstweilige Verfügung gegen die Aufführung seines Namens erwirkt. Der Blogger lässt sich jedoch schon lange nicht mehr auf Gefechte im einstweiligen Rechtsschutz ein, sondern fordert prinzipiell Hauptsacheverfahren. Heute wurde bekannt, dass der Kollege den Verzicht auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung erklärt hat.
Ein großer deutscher Finanzstrukturvertrieb, der seinen Mitmenschen durch Vermögensberatung behilflich ist, hatte Mitte der 90er Jahre versucht, das Enthüllungsbuch eines abtrünnigen Drückers zu unterdrücken. Die Revision des dreisten Zensurbegehrens, das auch beim OLG Frankfurt keine Freunde fand, wollte selbst der BGH nicht einmal zur Überprüfung annehmen. Der SPIEGEL hatte am 05.02.1996 aus dem Buch zitiert.
Nunmehr schießt das an Dreistigkeit schwerlich zu überbietende Unternehmen gegen Websites und Blogs, die das Urteil veröffentlichen, etwa mittels Abmahnungen am Fließband, Schubladenverfügungen usw. Man „argumentiert“, das Urteil sei doch 15 Jahre alt, da müsse die ehrenwerte Firma nun anonymisiert werden. Resozialisierung eines Finanzvertriebs?!?
Ich habe einige ehemalige Handelsvertreter dieser Firma kennen gelernt, manche vertreten, vom kleinen Strukki unten in der Nahrungskette bis hin zu einem Herrn, der es bis sehr weit oben in dieser Organisation gebracht hatte und bei den großen Jubelveranstaltungen immer mit besonderem Handschlag vom Big Boss geadelt wurde – bis er für die Firma nichts mehr wert war und geschnitten und verklagt wurde. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich in dem Laden nennenswert etwas geändert hätte.
Hier ist das Urteil, das ich jedes Mal mit Genuss lese (am besten zu den von mir fett hervorgehobenen Stellen springen): (more…)
Der Blogger Rolf Schälike hat erneut Freiheiten zur Veröffentlichungsfreiheit von Urteilen erstritten.
Beim Landgericht Köln holte sich der Kollege Sch…, dem die Bezeichnung „Sch…“ nicht anonymisiert genug gewesen war, eine weiter Klatsche. (Die Bezeichnung „Klatsche“ für peinliche Urteil war in einem früheren Rechtsstreit ebenfalls erfolglos kritisiert worden.) Doch Sch… muss sich die Bezeichnung „Sch…“ gefallen lassen.
Auch das erstrebte Verbot einer Karikatur mit der Sprechblase „Ein Scher z zum Glück“ ging in die Wicken.
(Corpus Delicti, von dem sich der Autor mit dem Ausdruck der Entrüstung distanziert. Bild: Vermutlich Lurusa Gross via Buskeismus.de.)
Die Logik des Kollegen mutet eigenartig an:
Die Karikatur sei zu untersagen, weil – entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – durch Fotomontagen in bildlichen Darstellungen keine unwahren Tatsachen behauptet werden dürften. Wenn also über das Verfahren des Klägers nach dem Gewaltschutzgesetz unter Identifizierung des Klägers nicht berichtet werden dürfe, dann dürfe dies auch nicht unter Identifizierung des Klägers mittels einer Karikatur geschehen.
In einem weiteren Urteil, das ebenfalls am Mittwoch erging, wiesen die Kölner auch den Zensurwunsch hinsichtlich einer „Drei-Jahres-Bilanz“ zurück, in welcher der Blogger die gegen seine Berichterstattung unternommenen Zensurversuche dokumentierte. Wahrheitsgemäße Berichterstattung im Rahmen der Sozialsphäre muss jedoch ein gestandener Anwalt hinnehmen.
Schälike konnte seine gefürchtete Liste an gewonnenen Auseineindersetzungen mit Presseanwälten auf die Zahl „65“ aufstocken. ;-)