Das ungebetene Veröffentlichen von E-Mails gehört zu den Graubereichen des IT-Persönlichkeitsrechts.
Die Kölner Landrichter hatten mal ein seltsames Judikat in die Welt gesetzt, in dem sie grundsätzlich jede Veröffentlichung einer E-Mail untersagten, sogar aufgedrängte, wobei der Hausherr sogar bekanntgegeben hatte, derartige Mails grundsätzlich zu veröffentlichen. Dieses krasse Fehlurteil ist allerdings nie rechtskräftig geworden, wird jedoch trotzdem häufig von findigen Anwälten angeführt.
Die extreme Gegenposition scheint ausgerechnet Blogger Stefan Niggemeier zu vertreten, der etwa nichts dabei findet, mit dem deutlich erkennbaren Wunsch nach Vertraulichkeit zugesandte E-Mails rauszuposaunen. Erstaunlich, hatte sich der Journalist doch einst als Tugendwächter des Persönlichkeitsrechts profiliert.
Im Mai diesen Jahres hatte sich das Landgericht Stuttgart einen Floh ins Ohr setzen lassen. Ein Kritiker der Schulmedizin hatte eine Rundmail an ca. 100 zum Teil anonyme Empfänger versandt und darin seine Ansichten zum Thema „Impfen“ kundgetan, die er allerdings ohnehin seit Jahren in der Öffentlichkeit verbreitete. Als wiederum ein Kritiker dieses Impfgegners aus dieser Rundmail zitierte, entdeckte der Impfgegner plötzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht und ließ die Verbreitung seines eigenen Wortes verbieten. Der Kläger ist übrigens kein Arzt, der etwa Patientengeheimnisse schützen müsste, sondern gelernter Molkereifachmann, der eine neue Karriere als Missionar gegen die Schulmedizin begonnen hat.
Wie es zu dem in mehrfacher Hinsicht erstaunlichen Urteil des LG Stuttgart kam, kann ich nicht so recht beurteilen, weil ich den Fall erst in der Berufung auf den Tisch bekam. Vor und während der Verhandlung folgte mir das Oberlandesgericht Stuttgart, dass der Anwendungsbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliegend nicht einmal betroffen war. Im Urteil hat man die Argumentation dann auf die Ebene der Abwägung verlagert, was an der Entscheidung allerdings nichts änderte: Wer an ihm persönlich unbekannte, sogar teilweise anonyme Leute Rundmails verschickt, diese nicht als vertraulich kennzeichnet und keine Inhalte verbreitet, die nicht aufgrund ihrer Natur etwa der Privat- oder Intimsphäre unterfallen, kann nicht den Schutz der „Privatsphäre“ beanspruchen. Betroffen ist vielmehr die Sozialsphäre, welche grundsätzlich und jedenfalls dann der öffentlichen Meinungsbildung offen steht, wenn die entsprechenden Informationen schon zuvor selbst bekannt gegeben waren. Der Kläger hatte u.a. sogar den Hinweis auf eine Powerpoint-Präsentation verbieten wollen, welche er auf seiner Homepage für jedermann zum Abruf bereithielt.
Der Autoverleiher SIXT ist schon mehrfach durch progressive Aktionen zur Förderung der Rechtsprechung zum Recht am eigenen Bild aufgefallen. So hatte man Lafontaine als „Mitarbeiter während der Probezeit“ verspottet und Angela Merkel eine Cabrio-Frisur verpasst. Die Frage, inwieweit kommerzielle Interessen das Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit schwächen, wird unterschiedlich gesehen. Verboten wird so etwas – Überraschung! – in Hamburg, da gibt es sogar eine satte Geldentschädigung. Die wird dann natürlich wieder in Karlsruhe kassiert.
Nunmehr hat sich SIXT an die Demos gegen die Castor-Transporte rangewanzt und anscheinend Demonstranten gefilmt, wobei unklar ist, ob diese um ihr Einverständnis in die Veröffentlichen der Aufnahmen gemäß § 22 KunstUrhG ersucht wurden. Die Einschätzung des TAZ-Interviewpartners Dirk Feldmann, dieser Fall sei „ganz klar“, teile ich nicht. SIXT wird den Instanzenweg ausschöpfen und sich auf die Meinungs- und Kunstfreiheit berufen. Falls die erwarteten „ganz klaren“ Urteile in Karlsruhe gekippt werden, werden einige der Gesichter, die man nicht zeigen soll, vermutlich länger …
Der Bremer Bürgerschaftabgeordnete Jürgen Pohlmann (SPD) hatte Radio Bremen per einstweiliger Verfügung des Landgerichts Berlin untersagen lassen, über den Verdacht einer Mitgliedschaft Pohlmanns in einer DDR-Sabotage-Einheit zu berichten. Das Kammergericht hat diese Verfügung nunmehr kassiert.
Doch Pohlmann klagt in der Hauptsache weiter und hat den Bremer Rechtsstreit da anhängig gemacht, wo man so etwas besonders schön kann: in Hamburg.
Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts, dem ein Juraprofessor wissenschaftliches Plagiat vorwarf, wehrt sich standesgemäß mit einer Klage. Und weil man in Karlsruhe so häufig lesen muss, bei welchem Gericht man so Äußerungen besonders gerne verbietet, setzte der Mann seine berufliche Kenntnis in die Praxis um und befasste die Hamburger Pressekammer mit dem Fall.
Gerade packe ich meine sieben Sachen ein, weil es morgen wieder zum Landgericht Hamburg geht, wo ein Landrichter und seine beiden Beisitzer ihre einstweilige Verfügung verteidigen werden. Ein nicht in Hamburg wohnender Blogger hatte über eine zuvor gegen eine dritte Person ergangene einstweilige Verfügung berichtet, und angemerkt, ihm lägen schriftliche Zeugenaussagen vor, welche die verbotenen Behauptungen bestätigten. Eigene Stellungnahmen zur Sache oder zur Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen gab er nicht ab.
Darin sah das Landgericht Hamburg ein Zueigenmachen der verbotenen Äußerung und erließ gegen meinen Mandanten eine einstweilige Verfügung. Damit dürfte Gerichtsberiochterstattung nach Hamburger Spruchpraxis bei Äußerungsprozessen nur noch sehr eingeschränkt möglich sein. Dass sich die einstweilige Verfügung kaum mit der Karlsruher Rechtsprechung in Einklang bringen lässt, wo man die Meinungsfreiheit einigermaßen hoch hält, stört Hamburger Landrichter bekanntlich wenig.
Gegen den fliegenden Gerichtsstand, der die Landesgrenzen von Hamburg ungebührlich ausweitet, habe ich schon häufig gewettert. Nun hat sich endlich auch die Journalisten-Vereinigung Netzwerk Recherche dieses Themas angenommen, zu dem praktizierende Juristen eine einhellige Meinung haben (wenn sie nicht gerade sehr im Abmahnbusiness stecken). Auf einer Tagung in Dortmund wurde nun erstmals von einer namhaften Vereinigung die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands gefordert.
Der fliegende Gerichtsstand ist an sich nicht gesetzlich festgeschrieben, sondern eine richterliche Deutung des § 32 ZPO. Die Rechtsprechung hätte diese Ausuferung des Foum Shoppings längst abstellen können. Einige Judikate gehen bereits in diese Richtung. Doch die Richter von St. Pauli freuen sich anscheinend über den Zuwachs an Aufgaben. Mögliche Gründe habe ich hier dargelegt.
Schon nach 40 Jahren kam jetzt in Russland jemand auf die Idee, den Klassiker „Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn von der Zensurliste zu streichen. Solschenizyn selbst war 1945 wegen Briefen mit abfälligen Bemerkungen über Josef Stalin für neun Jahre in Straflager geraten, also Zensuropfer gewesen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich das Werk bis heute nicht gelesen habe. Ich bin allerdings dankbar, die Freiheit zu haben, dies jederzeit tun zu dürfen.
Ich kenne einen Verlegersohn und Bücherfreund, der in den 80er Jahren in der DDR in den Stasi-Knast gesteckt wurde, weil er „Archipel Gulag“ und eine Handvoll anderer Bücher an Freunde verliehen hatte, die ebenfalls der östlichen Zensur unterlagen. Das Verfahren hat er 1985 dann doch noch gewonnen und wurde als möglicherweise letzter noch 1990 von der DDR selbst entschädigt und rehabilitiert, während seine Richter 2000 verurteilt wurden.
Das ist übrigens der gleiche Typ, der jeden Freitag in der Hamburger Pressekammer sitzt und staunt, was da so alles mit der Meinungs- und Pressefreiheit passiert. Inzwischen gewinnt er auch im Westen seine äußerungsrechtlichen Prozesse überwiegend. Dass allerdings die Richter, mit denen er sich heute gelegentlich fetzt, ebenfalls verurteilt würden, ist eher unwahrscheinlich.
Heute haben die Mitglieder des gemeinnützigen Vereins Wikimedia e.V. eine Rundmail erhalten, in welcher dafür geworben wird, für eine außerordentliche Mitgliederversammlung zu votieren, bei welcher dem gegenwärtigen Vorstand das Misstrauen ausgesprochen werden soll. Ab 10% muss eine Vollversammlung einberufen werden.
Wie berechtigt dieses Anliegen ist, kann man schon daran ersehen, mit welcher Mentalität es den kritischen Vereinsmitgliedern erschwert wurde, ihr Anliegen den Mitgliedern kundtun zu können. So schob man angebliche „Datenschutzbedenken“ vor, als ob die Mitgliedschaft bei Wikimedia ähnlich sensibel wäre, wie etwa bei den Anonymen Alkoholikern. Typisch Wikifanten: Formen usw. vorschieben, um der Sachdiskussion auszuweichen.
Ein Verein ist jedoch bei einem Minderheitenbegehren zur entsprechenden Herausgabe von Mitgliederdaten verpflichtet, vgl. OLG Hamm, MDR 1973, 929; OLG München, Urt. v. 15.11.1990, 19 U 3483/90; OLG Saarbrücken NZG 2008,677, 678; BayVGH, Beschluss vom 05.10.1998, Az. 21 ZE 98.2707, 21 CE 98.2707; Bernhard/Reichert, „Handbuch Vereins- und Verbandsrecht“, Rdzr. 2.4.1.3; Baumbach-Zöllner, GmbHG, § 50 Rn. 13. Ein Vereinsmitglied hat in Wahrnehmung seiner Interessen Anspruch auf unmittelbare Kenntnisgabe der erforderlichen Daten. Das Interesse eines Vereinsmitglieds an dem Ermöglichen eines entsprechenden Quorums geht dem Interesse an der Wahrung des Datenschutzes analog § 31 Abs. 3 GenG vor, vgl. Bernhard/Reichert, „Handbuch Vereins- und Verbandsrecht“, Rdzr. 10.9.4 BDSG.
Man hat sich dann nun in Anlehnung an ein Urteil des OLG Hamburg, Urteil vom 27.08.2009 – AZ: 6 U 38/08, auf die Abwicklung der Rundmail durch einen „Treuhänder“ geeinigt, was heute nach einem Monat Rumeiern nun endlich geschehen ist.
Daniel Ellsberg war der Mann, der es nicht ertrug, wie kackendreist die US-Regierung ihr eigenes Volk über den Vietnamkrieg belog. Der Marine Commander lancierte aus moralischer Überzeugung einen für die Regierung selbst verfassten Bericht an die Presse, der später als die Pentagon Papers bekannt wurde.
Der Mann, der die USA über die Lügen der „Volksvertreter“ aufklärte, ist heute einer der größten Fans von WikiLeaks. Im FREITAG kommentiert er den jüngsten Leak über den durch und durch verlogenen Irak-Krieg.
Zu einer abweichenden Bewertung kommt ein anderer intimer Kenner der US-Politik, der ebenfalls Geheimnisse ausplauderte: Der Kommunist Rainer „Topas“ Rupp drang als wohl hochkarätigster Agent in das Herz der NATO ein und meldete in den gefährlichsten Tagen des Kalten Kriegs alle wichtigen NATO-Geheimnisse an den Warschauer Pakt. Der damalige Doppelagent, der vom Westen einst als brillanter Analyst angesehen wurde, vom Osten als die heißeste Quelle, sieht in den WikiLeaks-Dokumenten Material, das von Spindocters missbraucht werden kann, um die wirklich relevanten Sauereien zu vertuschen:
Die Wiki-Veröffentlichungen führen in der Tat nicht zu einem neuen Verständnis der verbrecherischen Rolle der USA in Irak, sondern höchsten zu einer Aufbesserung ihres Ansehens in der Welt. So machten die Medien rund um den Globus großes Tamtam um die Meldung, daß durch die willkürliche Eskalation der Gewalt an den Straßenkontrollposten im Irak von 2003 bis 2009 etwa 750 Zivilisten von den US-Besatzern erschossen wurden. Die von seriösen westlichen Organisationen auf 500000 bis eine Million geschätzten zivilen Opfer des US-Krieges und der Okkupation scheinen plötzlich vergessen.
In Julian Assange sieht er einen – wie es im Geheimdienst-Jargon heißt – „nützlichen Idioten“. Er könnte recht behalten.
In der Blogosphäre wird derzeit Alpha-Blogger Stefan Niggemeier kritisiert, weil er seinen Verdacht über die Identität eines anonyme Blogkommentatoren, der offenbar mit einer Vielzahl an Pseudonymen kommentierte, ohne Not öffentlich gemacht hat. Dies hat den Betroffenen, der kein Unbekannter ist, offensichtlich in gewisse Probleme gebracht.
Das Recht auf Anonymität wird in IT-Kreisen sehr hoch gehängt, gerade in Zeiten von Schnüffelbegehrlichkeiten des Staates. Wer sich anonym und damit außerhalb sozialer Kontrolle wähnt, überwindet schnell die Hemmschwellen und äußert Dinge, mit denen er öffentlich nicht identifiziert werden möchte. Umso verständlicher, dass sich umgekehrt niemand einem penetranten Heckenschützen ausgesetzt sehen möchte, und sich ab einem gewissen Leidensdruck ein starkes Bedürfnis zum Outing des Trolls entwickelt.
Ich selbst muss zugeben, dass es mich auch juckt, etwa die mir inzwischen zahlreich bekannten Klarnamen gewisser Wikipedia-Autoren zu veröffentlichen. Besonderen Genuss hätte ich daran, etwa die Identitäten der Mobbing-Brüder vom Wikipedia-Stammtisch Hamburg zu posten. An dieser Stelle herzlichste Grüße an jenen Hamburger Rechtsanwalt und Politiker, der sich als scheinbar neutraler Wikipedia-Admin zugunsten seiner Stammtischbrüder positionierte.
Doch was könnte ich mir von diesem Naming Names kaufen? Nichts. Der Schaden allerdings, den Kodex der Internetgemeinde zu verletzen und mich mit dem Pack der Kolporteure auf eine Stufe zu stellen, wäre handfest. Insbesondere als Blogbetreiber hat man gewisse Gastgeberverpflichtungen, zu denen auch ein verantwortungsvoller Umgang mit Daten gehört. Niggemeiers Kommentatoren werden es sich künftig zweimal überlegen, ob sie ihm insoweit wieder ihr Vertrauen schenken möchten.
Den Fehlgriff des ansonsten von mir hochgeschätzten Stefan Niggemeier kommentierte bereits der Kollege Stadler, und nun in gewisser Härte der Spiegelfechter.