Der von mir viel gerühmte VI. Senat des Bundesgerichtshofs hat die Berufung des bislang unterlegenen Kai Diekmann gegen einen Bericht, der ihn der Einflussnahme auf die Hamburg-Wahl zieh, nicht zur Entscheidung angenommen. Details erklärt Stefan Niggemeier im (heute mal wieder lesenswerten) BILDblog.
Ein seltsamer Philosoph, der esoterischen Praktiken anhängt wie der „Energiefeldtherapie“, macht einige seltsame Dinge in einer Therapiegemeinschaft für ehemalige Drogenabhängige. Ein paar Leute kritisieren seine nicht durchgehend der Schulwissenschaft entsprechenden „Therapien“ und bekommen darauf hin nicht nur Druck von Anwälten, sondern auch von einem gewissen Landgericht im norddeutschen Raum eine Salve von einstweiligen Verfügungen ab.
Die sensationellste einstweilige Verfügung betraf einen kurzen Text, der Tatsachen mitteilt, die allesamt wahr und unbestritten sind. Der Mann berichtete nämlich im Internet
zutreffend über eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg gegen eine andere Kritikerin sowie
die Tatsache, dass ihm Zeugenaussagen vorliegen, welche die verbotene Behauptung stützen.
Der Mann hat weder behauptet, die Zeugen seien besonders glaubwürdig, noch hat er behauptet, der promovierte Philosoph und das ehrwürdige Landgericht Hamburg seien besonders unglaubwürdig. Er hat das Urteil seinen Lesern überlassen, hat keine Details genannt. Trotzdem sollen allein diese Äußerungen ausreichend sein, um den „Eindruck zu erwecken“, dass die Version des Philosophen bezweifelt werde. Zu dem Fall ein andermal mehr.
Generell zum „Eindruck“ ist interessant, dass die Hamburger wahre Tatsachenmitteilungen verbieten, die zur eigenen Meinungsbildung beitragen sollen. Wie das mit der Meinungsfreiheit zu vereinbaren sein könnte, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Sie? Offenbar haben die Ohrfeigen aus Hamburg noch nicht laut genug geknallt.
Was das Erwecken eines Eindrucks betrifft, so hat auch ein hier bereits thematisierter Bayer Kummer mit den Norddeutschen wegen eines „Eindrucks“.
Zum oben genannten „wissenden Feld“, das auch Wissen der Toten konserviert, passt mein heutiger Beitrag auf Telepolis über den Streit um die schöne Geisterbeschwörerin Margery, der Mitte der 20er Jahre die Presse beschäftigte.
Der Volksmusik-Moderator der ARD, der einem Blogger die Berichterstattung über dessen Familienmitglied im Bezug auf seine Person untersagen ließ, will nun auch die (indirekte) Eigenberichterstattung des Antragsgegners über den Rechtsstreit aus dem Netz haben. Hierfür war er sich nicht für einen Ordnungsmittelantrag zu schade, den man in Hamburg martialisch als „Bestrafungsantrag“ zu bezeichnen pflegt. Der Anwalt des Bardenmoderators macht geltend, die Eigenberichterstattung verstoße gegen den Unterlassungstenor.
Inwieweit man über eigene Rechtsstreite trotz Unterlassungsverfügung berichten darf, wird unterschiedlich gesehen. Spezielle Vorschriften gibt es hierfür nicht, auch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Zusätzliche Rechtsunsicherheit löst die Kerntheorie aus, die einen Auslegungsspielraum für den Richter eröffnet, ob ein Verstoß gegen die Unterlassungsverfügungen auch bei lediglich ähnlichen Äußerungen vorliegt.
Ein bekannter Forscher in Sachen Presserecht hat in den letzten Jahren eine Versuchsreihe am Landgericht Berlin durchgeführt. Unter Assistenz von einschlägig bekannten Berliner Pressekanzleien, die dem Experimentalrechtswissenschaftler in bemerkenswerter Treue zuarbeiteten, konnte so Rechtssicherheit bei Verfahren in Berlin erzielt werden. Vorliegend haben wir es mit Hamburg zu tun. Während auch Kern-Theorie-Auslegung beim Landgericht der finger locker am Abzug liegt, kann es beim Oberlandesgericht schon wieder etwas ziviler werden.
Die eigentlich relevante Frage aber muss lauten: Hat es ein bekannter Moderator wirklich nötig, einem am Boden liegenden nachzutreten und „Bestrafungsanträge“ zu stellen? Wo doch dank des von ihm ausgelösten Streisand-Effekts jeder die Erstmitteilung zur Genüge kennt?
Hamburg gilt als die „englischste Stadt“ des Kontinents. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Hamburger Rechtsprechung gegen Meinungsfreiheit Ähnlichkeiten zu jener des Vereinigten Königreichs aufweist, die international als äußerst meinungsfeindlich gilt. London ist sogar der Lieblingslandeplatz international fliegender Gerichtsstände.
Der bekannte Wissenschaftsjournalist Simon Singh hat seit letztem Jahr eine Klage wegen des Wörtchens „Bogus“ am Hals. Er hatte behauptet, ein Chiropraktikerverband propagiere Hokus Pokus-Behandlung.
„This organisation is the respectable face of the chiropractic profession and yet it happily promotes bogus treatments.“
Er dachte, er hätte seine Meinungs- bzw. Wissenschaftsfreiheit in Anspruch genommen, gewisse Verfahren gegen Asthma seien unwirksam, man könne ihm ja das Gegenteil beweisen.
Umgekehrt! Aus seinen Zweifeln folgerte man auf einen Betrugsvorwurf. Das ist zwar eine nicht ganz unlogische Konsequenz seiner Meinung, aber so hat er das nun mal nicht gesagt. Man forderte, Singh müsse diese ihm unterstellte Tatsachenbehauptung beweisen. Der Fall hat längst eine gewisse Debatte über die Rechtspraxis in diesem Bereich ausgelöst.
Sekten mit wundertätigen Verfahren klagen ja auch ganz gerne mal in Hamburg. Dazu vielleicht demnächst mal mehr.
Ich habe vor Jahren mal einen sehr ähnlichen Fall im Finanzbereich beim Landgericht Hamburg erlebt. Es wurden einem Äußerungen in den Mund gelegt, die man so nicht intendiert hatte. Andeutungen reichten, um einen unterstellten strafrechtlichen Betrugsvorwurf zu erdeuteln, der ironischerweise allerdings so weit von der Wahrheit gar nicht entfernt war. Vom Beklagten wurde dann erwartet, dass er die Schuld von Wirtschaftskriminellen beweist, die sich seit Jahren unter Strafanklage befanden, bei der lediglich über Details gestritten wurde. (Die Verfahren endeten übrigens nicht mit Freisprüchen.
Wie berichtet, fand es ein Moderator für TV-Shows mit volkstümlichen Barden nicht schön, dass sein Name im Zusammenhang mit seinem Neffen fiel, welcher der Familie gar Schande bereitet hatte.
Nunmehr haben die geschätzten Richter vom Landgericht Hamburg dem Bardenkönig Recht zugesprochen: Der Journalist Hubert Denk, Herausgeber des Passauer Magazins „Bürgerblick“, darf nicht mehr auf das Verwandtschaftverhältnis hinweisen.
Vielleicht sollte der Volksmusik-Moderator mal eine Sängerin namens Barbra Streisand einladen …
Nunmehr hat das LG Berlin seine einstweilige Verfügung gegen Radio Bremen bestätigt. Die hatten einem damaligen DKP-Mann vorgeworfen, auf Reisen in der DDR die Kunst der Sabotage erlernt zu haben, um in der hochgeheimen DKP-Eliteeinheit „Gruppe Ralf Forster“ in Westdeutschland Partisanenaufträge durchzuführen.
Den umgekehrten Fall gab es auch. So formierte sich im westlichen Nachkriegsdeutschland bzw. Berlin die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, die auf dem Gebiet der DDR terroristische Anschläge allerdings nicht nur vorbereitete, sondern auch durchführte, etwa das Anzünden von Brücken und Sprengen von Eisenbahngleisen. Ein damaliges Mitglied war der damalige JU-Vorsitzende und spätere Innenminister und Verfassungsgerichtspräsident Ernst Benda.
Seine Einladung, Buße zu tun, richtete er freilich nur gegen das sündige Blog, nicht aber gegen die ebenfalls lästernden Handelsblatter. Ist ja auch logisch: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr auch mir getan.“ Die Betonung liegt auf „geringstem“, die großen Brüder zählen nicht.
UPDATE (01.06.2010): Der Ungläubige hat mich gebeten, sein Zitat nicht mehr weiter zu verbreiten. Na gut!