Zum Inhalt springen


Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


13. Januar 2010

Hamburger Bräuche: BGH stellt Gebührenschinden mit Schubladenverfügung ab!

Während man den perfiden Taschenspielertrick „Schubladenverfügung“ andernorts schon immer für eine Unsitte hielt, hat man am Landgericht Hamburg ein großes Herz für kackendreiste Abmahner. Entsprechend servile Anwälte pflegen auf diese Weise ihre Opfer reinzulegen und abzukassieren. Diese Frechheit hat BGH nun um das Gebührenschinden entschärft, worauf der Kollege Stadler hinweist.

Normalfall

Normalerweise kriegt man zuerst eine Abmahnung, die man anerkennen kann, oder nicht. Der nächste Angriffsschritt wäre nun ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung.

Abwehrstrategie: Schutzschrift

Aufgeweckte Anwälte nehmen jedoch Abmahnungen zum Anlass, bei Gerichten Schutzschriften zu hinterlegen, die vor Erlass einer einstweiligen Verfügung berücksichtigt werden müssen. Oft muss sogar vorher eine mündliche Verhandlung stattfinden.

Abwehrstrategie: Sofortiges Anerkenntnis

Hätte der Abmahner ganz auf eine Abmahnung verzichtet, könnte man bei Eintreffen einer einstweiligen Verfügung diese sofort anerkennen, mit der Folge, dass nach § 93 ZPO der Angreifer auf seinen Kosten sitzen bleibt.

Schubladen-Verfügung

Anwälte wie mein geschätzter Hamburger Kollege Dr. M. sind sich jedoch nicht zu schade, absichtlich auf die Abmahnung zu verzichten, um auf diese Weise ihre Opfer von der Hinterlegung einer Schutzschrift abzuhalten. Ohne, dass das Opfer die geringste Ahnung hat, wird hinter dessen Rücken an Hamburger Gerichten einstweilige Verfügungen ertrotzt, ggf. sogar über die Instanzen.

Schutzschrift unterlaufen

Die so erschundene einstweilige Verfügung stellt man jedoch nicht zu, sondern übersendet heuchelnd dem Opfer eine Abmahnung, in der man etliche Unterlassungsansprüche fordert, darunter auch den bereits gerichtlich festgestellte. Nicht nur, dass die Sache hierdurch absichtlich unübersichtlich wird, man beraubt das Opfer auch der Möglichkeit einer Schutzschrift, die dann nämlich ins Leere gehen würde – die eV ist ja schon in der Welt, nur weiß das das Opfer davon nichts.

Anerkenntnis unterlaufen

Anschließend wird dann die einstweilige Verfügung zugestellt. Hat nun ein Opfer die Abmahnung nicht anerkannt, etwa weil man sich etwas von der Schutzschrift erhoffte, so wurde es nunmehr auch der Möglichkeit des sofortigen Anerkenntnisses beraubt. Denn, so die Logik der lieben Hamburger Richter, wer eine nachträgliche Abmahnung nicht anerkennt, der hätte das wohl auch vorher nicht getan. Spekulativ, aber so ist das in Hamburg nun mal.

Keine Abmahnkosten mehr

So kann es passieren, dass man plötzlich auf den Kosten eines über mehrere Instanzen geführten Verfahrens sitzt, von dem man nie etwas gehört hatte. Und damit nicht genug: Der feiste Abmahner will auch noch Geld für seine „vorgerichtliche“ Abmahnung sehen.

Doch von „vorgerichtlicher“ Tätigkeit wird man bei nachgerichtlicher Abmahnung nicht sprechen können. So war schon immer meine Meinung.

Und wieder bröckelt ein Stück weit Hamburger Landrecht. Arme Kollegen … ;-)

7. Januar 2010

Krawallblogger erfährt Streisand-Effekt – verdient?

Bernd Höcker, Betreiber einer Querulantenseite GEZ-kritischen Website sowie Buchautor im Eigenverlag, konnte eine Unterlassungsverfügung des Landgerichts Hamburg erfolgreich in einen PR-Coup umwandeln: Nach der Piratenpartei solidarisiert sich sogar DIE ZEIT mit dem Krawallblogger und bezieht sich dabei auf eine Pressemeldung der Piratenpartei, die allerdings wesentliche Umstände unterschlägt.

Gab es überhaupt eine Straftat?

Wie bereits berichtet, hatte Höcker über eine angebliche Straftat des NDR-Justiziariats berichtet und den NDR-Mann sogar wegen Urkundenunterdrückung angezeigt. Höcker ist der Meinung, der NDR-Mann habe einen Gebührenbescheid aus Gerichts-Akten verschwinden lassen. Ich kenne den Fall nicht im Detail, aber: (more…)

17. Dezember 2009

BND und Bundeswehr außer Kontrolle

Geheimdienste und Demokratie vertragen sich nicht. Daher sind parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die wissen wollen, was ihnen die Regierenden verheimlichen wollen, für Geheimdienste ein ungleich bedeutenderer Gegner als die auszuspionierenden Länder. Im Gegenteil sind feindliche Geheimdienste sogar nützlich, da sie dem eigenen Geheimdienst eine Daseinsberechtigung liefern, während die Parlamentarier lästig und existenzbedrohend sind. In den Niederlanden etwa hatte die Politik erkannt, dass man keine Geheimdienste braucht und selbige abgeschafft.

Daher fürchten Geheimdienste nichts so sehr wie Untersuchungsausschüsse. Die Ausschüsse wurden behandelt wie Pilze: Man hielt sie im Dunkeln und fütterte sie mit Dung. Insbesondere achtete man bei der personellen Besetzung auf eine gewisse „Loyalität“, damit nicht zu lästige Fragen gestellt würden. So konnte denn auch unser Auslandsgeheimdienst BND bis in die 70er Jahre alles, danach immerhin noch nahezu alles machen, was er wollte.

Bislang hatte es vor allem zwei bemerkenswerte Menschen in den Geheimdienstuntersuchungsausschüssen gegeben, die ihren Job ernst genommen hatten, einer davon BGH-Richter Wolfgang Nešković. Dieser hatte sich für seine Tätigkeit als Geheimdienstprüfer extra freistellen lassen und übte seine Aufgabe so gewissenhaft aus, dass er seinerzeit sogar beim BND ein Praktikum machte, um die Arbeitsweise dieser seltsamen Behörde kennen zu lernen. Nešković, der anscheinend das Grundgesetz sowie strafrechtliche Verbote von Angriffskriegen ernst nimmt und als exzellenter Jurist gilt, hatte sowohl die SPD, als auch die Grünen verlassen und war trotz damaliger Parteilosigkeit 2005 von der heutigen Linkspartei in den Untersuchungsausschuss entsendet worden. Während andernorts oftmals Dinge zu Journalisten durchsickern, stand Nešković auch hier im Ruf, seine Schweigepflichten zu ehren. Nach Beitritt zur Linkspartei wurde er in den aktuellen Bundestag gewählt.

Auf seiner Website schrieb er zum Kunduz-Massaker:

„Das gezielte Töten von afghanischen Taliban gleicht einer Todesstrafe ohne Gerichtsverfahren. Es verstößt gegen unser nationales Verfassungsrecht und gegen das Völkerrecht.“, erklärt Wolfgang Nešković, rechtspolitischer Sprecher der LINKEN, zu den heute berichteten Erkenntnissen aus dem geheimen NATO-Bericht über den Luftschlag von Kundus. Nešković weiter:

„Das ISAF-Mandat lässt das Töten nur in einer Notwehr- oder Nothilfesituation zu. Das gezielte Töten von Aufständischen abseits solcher Situationen stellt damit nach dem Völkerrecht und unserem nationalem Verfassungsrecht einen ungeheuren Tabubruch dar. In Afghanistan wurde somit die Todesstrafe ohne Gerichtsverfahren verhängt. Nach unserer Verfassung ist die Todesstrafe jedoch ausdrücklich abgeschafft.

Oberst Klein hat sich an der Logik des Krieges orientiert und nicht an der Logik unserer Verfassung. Der Bundesregierung ist dies offensichtlich bewusst. So erklären sich ihre anhaltenden Versuche, die Aufklärung der Vorgänge zu verzögern und zu vertuschen.“

Sowas darf man natürlich nicht sagen, wenn man irgendwas werden oder wenigstens bleiben will. Erst recht darf man nicht „Aufklärung verlangen“. Heute hat der neue Schwarz-Gelb-dominierte Bundestag dem fachlich unbestrittenen Experten den Platz im parlamentarischen Kontrollgermium verwehrt.

15. Dezember 2009

BGH: Mörder haben keine Macht über Archive

Die Serie an BGH-Entscheidungen, die den Hamburger Humbug des dortigen Landgerichts neutralisieren, reißt nicht ab:

Heute wurde die Meinung der berühmt-berüchtigten 24. Zivilkammer, Presse- und Rundfunkunternehmen müssten die Namen von Mördern nachträglich in ihren Archiven anonymisieren, als Quatsch enttarnt:

Im Streitfall hat das Schutzinteresse der Kläger hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten.

Wer tötet, muss damit leben – zumindest in den Archiven. Der Fall hat eine Besonderheit:

Sie war nur auf den für Altmeldungen vorgesehenen Seiten des Internetauftritts der Beklagten zugänglich, ausdrücklich als Altmeldung gekennzeichnet und nur durch gezielte Suche auffindbar.

Der BGH setzt definitiv ein Signal Richtung Hamburg:

Zu berücksichtigen war darüber hinaus, dass ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an der Information über das aktuelle Zeitgeschehen, sondern auch an der Möglichkeit besteht, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu recherchieren. Das von den Klägern begehrte Verbot hätte einen abschreckenden Effekt auf den Gebrauch der Meinungs- und Medienfreiheit, der den freien Informations- und Kommunikationsprozess einschnüren würde.

Da der BGH Medienkompetenz hat, bietet er ab sofort einen RSS-Feeder. In Hamburg muss man erst warten, bis Herr Schälike die interessanten Sachen in seinem Blog hat.

Bild: StromBer

11. Dezember 2009

Tierschützer wollen nicht dubios sein

Das Landgericht Hamburg hat sein Problem, Meinungsäußerungen als Tatsachenbehauptungen zu bewerten, trotz jüngster Hilfestellung vom BGH noch immer nicht überwunden.

Die „Aktion Tier“ rennt mit einer einstweiligen Verfügung gegen SPIEGEL ONLINE durchs Dorf und berühmt sich ausdrücklich, man sei nicht gegen Meinungsäußerungen, sondern gegen Tatsachenbehauptungen vorgegangen. Ersteres geht per Definitionem normalerweise nicht, ob letzteres vorliegt, darf unterschiedlich gesehen werden.

So schreiben die Tierschützer:

So dürfen die beiden Antragsgegner z.B. nicht mehr behaupten, der Verein verwende lediglich 20% seiner Einnahmen für den aktiven Tierschutz. Auch dürfen unsere Kooperationspartner, d.h. die von uns geförderten Tierschutzvereine, nicht mehr als „dubios“ bezeichnet und die absurde Behauptung aufgestellt werden, es gebe Hinweise auf „Verschleierungsabsichten“ innerhalb dieser Vereine.

Das wird SPON vermutlich kaum auf sich sitzen lassen. Bei einer einstweiligen Verfügung wird der Gegner normalerweise nicht gehört, so dass die Pressekammer gar nicht wissen kann, ob es vielleicht doch solche Hinweise gibt. Klärungsbedürftig erscheint denn auch, was unter „aktivem Tierschutz“ genau verstanden werden darf.

„Dubios“ scheint mir dann doch eine stark meinungsgeprägte Wertung zu sein. Zwar ist dieses Prädikat nicht schmeichelhaft, aber m.E. doch eher etwas für die öffentliche Auseinandersetzung als für eine einstweilige Verfügung. In Hamburg jedoch fordert man für solche Wertungen so genannte „Anlasstatsachen“. Man darf also nur nach bestimmten Regeln meinen. Steht zwar so nicht in Art. 5 GG, aber in Hamburg laufen die Dinge nun einmal anders. Ich hingegen meine, Anlass zu haben, das Landgericht Hamburg für dubios zu halten. Ich kann mich aber auch irren.

26. November 2009

Verbreiterhaftung: Deutschlandfunk darf (höchstwahrscheinlich) Grässlin-Interview über Piech wieder senden

Interviews mit dem Konzernkritiker Grässlin sind immer eine riskante Sache, denn die von ihm thematisierten Manager sind sehr empfindlich und bemühen offensiv einschlägig bekannte Kanzleien.

So hatte Piech etwa Teile dieses Interviews per einstweiliger Verfügung vom – Überraschung! – Landgericht Hamburg untersagen lassen. Das Hanseatische Oberlandesgericht musste sich jedoch in der mündlichen Verhandlung mit den jüngsten Entscheidungen des BGH auseinandersetzen, der Grässlin in der Sache mit Schrempp eine zulässige Ausübung der Meinungsfreiheit attestierte und auch beim Willemsen über Markwort-Interview die Meinungsfreiheit weiter fasste, als die Leute vom Sievekingplatz. Die Hanseaten sind mit dem Kurs des BGH offensichtlich alles andere als glücklich, scheinen ihn aber erstaunlicherweise zu respektieren.

Wie der ehrenamtliche Stenograph der Hamburger Pressegerichte berichtet, wird/wurde die einstweilige Verfügung „höchstwahrscheinlich“ (größtenteils?) aufgehoben. Gut so.

Angesichts der Protagonisten in Sachen Interviewfreiheit Willemsen und Grässlin war es nur konsequent, dass Willemsen auch mal Grässlin interviewte. ;-)

25. November 2009

Süddeutsche lobpreist den fliegenden Gerichtsstand

Ausgerechnet eine renommierte Zeitung wie die Süddeutsche redet dem fliegenden Gerichtsstand das Wort. Klasse!

Aufgrund der gegenwärtigen Auslegung des § 32 ZPO kann man sich bei überregionaler Verbreitung angeblicher Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht den Gerichtsstand aussuchen und wählt daher zweckmäßig unter den 18 Landgerichten dasjenige aus, das für die schärfsten Urteile bekannt ist – meistens spricht es hanseatisch. Das nennt sich fliegender Gerichtsstand.

Die Süddeutsche bemüht krasse Fälle wie Robert Enke, der sich angeblich wegen Angst vor schlechter Presse nicht stationär behandeln lassen wollte.

Warum Prominente keine Angst haben müssen, mit ihren Krankheiten in die Öffentlichkeit gezerrt zu werden.

EINSPRUCH, Herr Kollege.

Professionelle Redaktionen WISSEN, dass Berichte über den Gesundheitszustand, der nicht öffentlich sichtbar ist oder freiwillig bekannt gemacht wurde, nicht ohne weiteres zulässig sind. Entweder, die Redaktionen respektieren das, oder sie übertreten sehenden Auges das Verbot und kassieren eine einstweilige Verfügung – die sie dann aus der Portokasse zahlen.

DAFÜR brauchen wir keinen fliegenden Gerichtsstand, solche Evidenzfälle kriegen auch die anderen Landgerichte hin.

IM GEGENTEIL: Dadurch, dass eine einstweilige Verfügung erst Wirksamkeit entfaltet, wenn sie zugegangen ist, macht es in Eiligstfällen wenig Sinn, diese am Landgericht Hamburg zu beantragen, wenn sie in Köln zugestellt werden muss.

Unter dem fliegenden Gerichtsstand leiden insbesondere kleine Blogger, die alle nach Hamburg bemüht werden können, wenn jemand eine einstweilige Verfügung erschleicht. Vor allem aber widerspricht das Konzept des Forumshoppings dem Prinzip des gesetzlichen Richters, nach dem sich niemand seinen Richter aussuchen können soll. Aufgrund des fliegenden Gerichtsstandes bekommen Hamburger Richter, die unverblümt in offenem Widerspruch zu den Vorgaben von BGH und BVerfG urteilen, eine unverhältnismäßige Macht. Davon aber steht im Artikel der Süddeutschen nichts.

Besonders weh tut es aber, wenn der Autor Rechtsanwalt Gernot Lehr von „erfahrenen Pressekammern“ schwärmt und dazu ausdrücklich die des Landgerichts Köln zählt. Erfahrungen habe ich in Köln vor Jahren gesammelt, allerdings definitiv keine guten …

24. November 2009

ESRA kriegt kein Geld

Der Autor Maxim Biller hatte es Woody Allen gleichgetan und private Beziehungen literarisch verwertet. Doof halt nur, dass er gegen jeglichen Anstand verstieß und auch mit Intimitäten hausieren ging. In einer in Sachen Kunstfreiheit problematischen, aber überzeugenden Entscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht dem peinlichen FAZ-Schreiberling den Respekt vor dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gelehrt: Der Kavalier genießt und schweigt gefälligst.

Nun hat die Geschmähte gedacht, sie könne sich den Ärger versilbern lassen. Das Landgericht München hatte es mitgemacht, das Oberlandesgericht schon nicht mehr, und nun haben die Leute vom 6.Senat des BGH mal wieder Vernunft walten lassen und den Geldhahn „Persönlichketsrecht“ abgedreht.

Der für den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die besondere Bedeutung der Kunstfreiheit betont. Deren hoher Rang und schrankenlose Gewährleistung gebieten bei der Zuerkennung einer Geldentschädigung wegen Verletzung von Persönlichkeits-rechten durch Kunstwerke besondere Zurückhaltung. Obwohl die Veröffentlichung die Klägerin in ihren Persönlichkeitsrechten schwerwiegend betraf, bestand im Streitfall kein Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung einer Geldentschädigung. Dabei waren im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung insbesondere die äußerst schwierige Bestimmung der Grenzen der Kunstfreiheit und die Tatsache zu berücksichtigen, dass das von der Klägerin erwirkte Verbot des Romans bereits erheblich in die Kunstfreiheit eingreift.

Pressemitteilung des BGH.

19. November 2009

Strategisch unkluge Verfassungsbeschwerde gegen Verbot von Nennung des geänderten Namens

Das Landgericht Hamburg hatte der Frankfurter Rundschau verboten, über die geplante Namensänderung einer wegen Terrorismus verurteilten Person zu berichten. Bereits der Plan ohne Nennung des Namens ist der Hamburger Pressekammer zu viel der Pressefreiheit.

Die FR wendet sich nun mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das gerichtliche Verbot. Und wie nicht anders zu erwarten springt ihr der Chefreaktionär der Springerpresse pflichtschuldig bei.

Mag das Verbot, über den Plan zur Namensänderung auch mal wieder überzogen sein, so stimme ich den Hamburger insoweit zu, als dass es keinen journalistisch seriösen Grund gibt, den neuen Namen rauszuposaunen. Zudem wäre das strategisch sehr ungeschickt: Zur Zeit klagen alle möglichen Knackis – meistens vertreten von einer ganz bestimmten Kanzlei – gegen Nennung ihres Namens, unter dem sie verurteilt wurden. Man will ja bei der Resozialisierung keinen schlechten Ruf durch die Tagespresse bekommen. Wenn diese in Hamburg erfolgreiche Rechtsprechung in den Instanzen hält, bedeutet dies, dass die ganzen Archive nachträglich anonymisiert werden müssten.

Nun könnte man aber Terroristen, Mördern und inhaftierten Rechtsanwälten, die Wert auf Diskretion legen, nahelegen, dann gefälligst ihren Namen zu ändern, anstatt den Chronisten das Leben schwer zu machen. Diese Leute sind es ja ohnehin häufig gewohnt, unter Tarnnamen zu leben. Eine obligatorische Namensänderung ist schon deshalb vernünftig, weil man im Zeitalter des internationalen Phänomens Internet keinen einmal bekannt gegebenen Namen wieder wirksam aus der Welt schaffen kann. Eine Umbenennung kann aber nur funktionieren, wenn die Presse usw. dann die Anonymität des neuen Namens respektiert.

Ich sehe auch kein ernsthaftes Bedürfnis, den Namen von entlassenen Straftätern preis zu geben. Die haben laut Gericht ihre Strafe abgesessen, sie stellen laut Sozialprognose keine Gefahr mehr dar und es ist nicht Aufgabe der Presse, solche Leute nach Jahrzehnten an den Pranger zu stellen. Strafe ist Sache des Staates. Man kann über diese Leute unter dem alten Namen berichten, das reicht für soliden Journalismus völlig aus.

Was der BILD-Kolumnist Nicolaus Fest jedoch schwadroniert, entbehrt jeden Kommentars und wäre ihm ein guter Anlass, sich selber einen neuen Namen zuzulegen.

18. November 2009

BGH weist absurde Hamburger Zurechnung von Interviewäußerungen zurück

Auf den sechsten Senat des Bundesgerichtshofs ist Verlass:

Der vom hanseatischen Oberlandesgericht bestätigten Rechtsauffassung der Pressekammer des Landgerichts Hamburg, die einer Zeitung Recherchepflichten für von Interviewpartnern teilweise irrtümlich gemachten Behauptungen aufstellt, wurde eine klare Absage erteilt.

Die Verbreitung der Äußerungen war zulässig. Es handelt sich um eine nicht gegen den Kläger persönlich gerichtete Meinungsäußerung mit einem wahren Tatsachenkern. Die Aussage „Heute wird offen gelogen“ richtet sich gegen die Berichterstattung im Magazin „Focus“, für die der Kläger als Chefredakteur verantwortlich war. Sie gibt die dem Beweis nicht zugängliche Meinung des Interviewten über die mangelnde Wahrheitsliebe in den Medien wieder. Durch das von ihm angeführte Beispiel des Interviews Markworts mit Ernst Jünger, das Markwort jedenfalls nicht selbst geführt hat, wird der Kläger zwar in seinem Persönlichkeitsrecht tangiert, doch überwiegt das von Roger Willemsen verfolgte Interesse der Öffentlichkeit an der Wahrheit und Seriosität der Medienarbeit. Der Persönlichkeitsschutz des Klägers hat mithin hinter dem Recht der Beklagten auf Presse- und Meinungsfreiheit zurückzutreten.

Diese Ansage dürfte auch ein wichtiges Signal zur Zurechnung von Äußerungen in User Generated Content darstellen (Forenhaftung, Wikihaftung).

Hier mein Glosse zur damaligen kolossalen Hamburger Fehlentscheidung. Die scheint mir Richter Buske übrigens zuzurechnen. Er zieht es vor, nicht mehr mit mir zu sprechen. Das muss er aber auch gar nicht, wenn ich ihn interviewen will … ;-)

Update: Hier mein ausführlicherer Kommentar auf Telepolis.

Update: BILDblog mit einem Beispiel für die Angst vor der Interviewhaftung. (Via Telemedicus.)