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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Die Piratenpartei und die politische Netzneutralität

Vor allem in den letzten Tagen vollzogen Würdenträger der Piratenpartei in Berlin deren Pubertät, was den Umgang mit Rechtsauslegern im Spannungsverhältnis zum Bekenntnis zur Netzneutralität betrifft. Anders als bei herkömmlichen Parteien mochten sich viele Piraten zu den Rechtsauslegern nicht in der reflexhaften Weise äußern, welche die Medien von Politikern gewohnt sind. Für Irritationen sorgte jüngst Hartmut Semken, dessen Äußerungen nicht durchweg glücklich gerieten, der sich inzwischen aber deutlicher artikuliert hat.

Diese bisherige Zurückhaltung hat ihre Ursache allerdings keineswegs in einer Präferenz für rechtes Gedankenschlecht, der politische Piratenkompass gibt definitiv keinen Anlass zu Beunruhigung. Die Ursache liegt vielmehr in dem Bekenntnis zur Netzneutralität, die zu den traditionellen Kernforderungen der Partei gehört; dieses in besonderem Maße, als die Piraten von 2006 bis ca. 2009 keine 1.000 Mitglieder aufwiesen. Dem untauglichen Versuch der Urheberrechtsindustrie und Sicherheitshysteriker, unter verschiedensten Vorwänden wie Kinderpornographie, Bomenbauanleitungen und Hassprediger das Netz zu zensieren, setzte man entschieden ein politisches Zeichen entgegen und demonstrierte Haltung, die bisweilen fundamentalen Charakter hatte.

Doch aus der einstigen – nennen wir sie einmal provokant – „Ein-Themen-Partei“ oder der „besseren Bürgerrechtsvereinigung“ ist inzwischen eine breit aufgestellte Bewegung geworden, die ganz allgemein die Parteienkultur und Lobbykratie auf den Prüfstand stellt und sich nicht mit Farbänderungen in rot-gelb-grün-dunkelrot abspeisen lässt. Mit inzwischen über 27.000 Mitgliedern, die ganz überwiegend in den letzten drei Jahren hinzukamen, hat sie fast halb so viele Parteigänger wie jeweils die in Jahrzehnten gewachsenen Mitbewerber FDP, Grüne oder Linkspartei. Waren die Mitglieder der ersten Generation vor allem im IT-Bereich beheimatet, so sind die Piraten inzwischen deutlich breiter in der Gesellschaft verankert und haben die Identität der jungen Partei geändert und ihre Ausrichtung dramatisch erweitert. -> www.kein-programm.de

Zu den Pfeilern der von den Piraten hochgehaltenen Netzneutralität gehörte auch in gewisser Weise das nordamerikanische Verständnis von Meinungsfreiheit, das insbesondere politisch in den USA sehr weit geht. Dies führte etwa in den USA zu der Kuriosität, dass sich in der Bürgerrechtsbewegung American Civil Liberties Union (ACLU) ausgerechnet jüdische Anwälte dafür einsetzen, dass Nazis ihre Meinung sagen dürfen. Grund ist die fundamentale Wertentscheidung der ACLU für konsequente Meinungsfreiheit, die nur dann verwirklicht sei, wenn der Markt der Meinungen nicht durch irgendwelche Zensur verfälscht wird. Hierfür ist die eher links stehende ACLU bereit, gewisse Schmerzen zu ertragen. Das kann man als Bürgerrechtsbewegung und NGO machen.

Als politische Partei kann man das aber nicht, insbesondere nicht in Deutschland, wo wir nun einmal mit einem historischen Erbe umzugehen haben. So wenig es auch den eigentlich liberalen Piraten behagt, einander vorzuschreiben, was der andere zu glauben oder zu beschweigen hat, oder gar irgendwelche Gesinnungstests durchzuführen, so scheint sich langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Netzneutralität nicht 1:1 mit einer politischen Partei zu vereinbaren ist. Eine politische Partei muss das Spektrum ihrer Strömungen definieren, denn „Partei“ bedeutet, dass man sich auf einem gemeinsamen Nenner bewegt. Diese Definition ist meines Erachtens nunmehr faktisch geschehen. Wer Interesse am extremen Ausleben von Meinungsfreiheit hat, der mag dies tun, aber dann eben ohne Parteibuch der Piraten.

Soweit mir zu Ohren gekommen ist, kann man die Personen, die sich aktuell für rechtes Gedankenschlecht innerhalb der Piratenpartei Deutschland begeistern, an zwei Händen abzählen, was bei mehr als 27.000 Mitgliedern nicht so repräsentativ sein dürfte, wie es gerade verzweifelte Wahlkämpfer der Linkspartei in Lübeck zu suggerieren versuchen. Zu den irrwitzigen Entgleisungen des grünen Parteistrategen Volker Beck möchte ich lieber gar nichts mehr sagen. Befremdlich finde ich auch die schulmeisterliche Polemik der grünen Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, die schamlos suggeriert, das Bundesschiedsgericht der Piraten hätte eine wertende Entscheidung getroffen, obwohl das PAV an einem Verfahrensfehler litt, den auch das grüne Schiedsgericht nicht hätte ignorieren können.

Nachdem die Medien anfangs das ihnen von den politischen Mitbewerbern schadenfroh servierte Thema dankbar aufgesogen haben, scheint das Strohfeuer mangels Substanz nicht mehr lange zu brennen. Jeglicher Versuch, insbesondere den Wahlkampf in NRW mit braunem Dreck zu kontaminieren, dürfte übrigens nach hinten losgehen. Nach meiner Kenntnis liegt die Anzahl brauner Piraten in NRW nämlich exakt bei Null.

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