15. Oktober 2012
Der Bundesgerichtshof hat ein Verbot der Berliner Gerichte aufgehoben, welches die Wiederholung der in der Öffentlichkeit bekannten wahren Tatsache untersagte, eine Entertainerin sei durch Krankheit aus ihrer Karriere herausgerissen worden. Verboten wurde ursprünglich:
„Unwillkürlich denkt man an einen Parallelfall – an G. K. (47). (…) Die prominente Kölner Schauspielerin wurde vor genau einem Jahr von heute auf morgen aus ihrer Tournee „Wer Sahne will, muss Kühe schütteln“ herausgerissen. Die Erklärung über ihre Erkrankung war ebenso dürftig (…). Schweigen. Schwer erkrankt, mehr war nicht zu erfahren. Zunächst hieß es, K.`s Tournee werde im Herbst 2008 fortgesetzt, doch dann wurden alle Termine abgesagt. Und fortan war von der Schauspielerin nichts mehr zu hören.
So etwas ist immer höchst beunruhigend. Bis heute weiß man nichts über ihren Gesundheitszustand. G. K. trat vor keine Kamera mehr – sie ist wie vom Erdboden verschluckt (…). Werden wir auf sie warten müssen wie auf G. K.?“
Auch eine wahre Darstellung kann das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, insbesondere wenn die Privatsphäre betroffen ist. Zur Privatsphäre – auch einer Person des öffentlichen Interesses – gehört grundsätzlich die eigene Erkrankung, wobei Ausnahmen allenfalls bei einem besonderen Personenkreis wie beispielsweise wichtigen Politikern, Wirtschaftsführern oder Staatsoberhäuptern bestehen können. Bei der Abwägung sind bei der Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem legitimen Berichtsinteresse der Öffentlichkeit kommt es insbesondere darauf an, ob der Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse, die Bekanntheit der betroffenen Person und der Gegenstand der Berichterstattung sind, sowie auf das frühere Verhalten der betroffenen Person, die Art der Erlangung von Informationen und ihr Wahrheitsgehalt sowie der Inhalt, die Form und die Auswirkungen der Veröffentlichung.
Konkret führt der BGH (VI ZR 291/10) aus:
Im Streitfall beschränkte sich die Berichterstattung der Beklagten im Verhältnis zur Klägerin auf die Wiedergabe der damals in der Öffentlichkeit längst bekannten wahren Tatsache, dass die Klägerin im Januar 2008 ihre Tournee krankheitsbedingt abbrechen musste („Schwer erkrankt, mehr war nicht zu erfahren“), sie entgegen einer Ankündigung im Herbst 2008 nicht wie – der aufgenommen hat und seither – ohne weitere Informationen an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen – „von der Bildfläche verschwunden ist“. Es wurden keinerlei konkrete Aussagen zu Art und Ursache der Erkrankung der Klägerin gemacht, vielmehr wurde sogar ausdrücklich mitgeteilt, dass man nichts über ihren Gesundheitszustand wisse. Aus den Umständen wurde lediglich die – naheliegende – Schlussfolgerung gezogen, dass die Erkrankung vermutlich schwer sein muss („So etwas ist immer höchst beunruhigend“).
(…) Die Grenze zu einer unzulässigen Presseberichterstattung wurde im Streitfall – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – auch nicht dadurch überschritten, dass die Berichterstattung über die Erkrankung der Klägerin im Zusammenhang mit einem Bericht über einen aktuellen Fall einer schweren Erkrankung einer bekannten Sportmoderatorin erfolgte und – wie das Berufungsgericht meint – sich daraus kein neues Berichterstattungsinteresse herleiten lasse. Für die Wortberichterstattung als solche gilt der durch Art. 5 GG gewährleistete Grundsatz der freien Berichterstattung, wobei dem Persönlichkeitsschutz im Rahmen der auch dort erforderlichen Abwägung nicht schon deshalb regelmäßig der Vorrang gebührt, weil eine weder unwahre noch ehrenrührige Berichterstattung bloße Belanglosigkeiten über eine prominente Person zum Gegenstand hat, ohne einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten. Abgesehen davon hatte die von der Klägerin beanstandete Berichterstattung über ihre Person nicht bloße Belanglosigkeiten zum Gegenstand, sondern diente auch der Unterrichtung der interessierten Öffentlichkeit und ihrer „Fangemeinde“ darüber, dass es ein Jahr nach ihrer Erkrankung und Tourneeabsage immer noch keinerlei Informationen über ihren Gesundheitszustand und eine mögliche Rückkehr in ihren Beruf gab. Dadurch konnte die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung über die Informationspolitik beliebter Künstler leisten, die sich nach einer plötzlichen Erkrankung völlig aus der Öffentlichkeit zurückziehen und ihr besorgtes Publikum über ihr weiteres Schicksal im Ungewissen lassen.
Sicher wird man einem Menschen – auch einem Prominenten – sein Recht auf Privatsphäre zubilligen wollen. Niemand wird freiwillig krank. Aber wenn man sich über wahre Tatsachen einer Prominenten, die aus unbekannten Gründen ihre Präsenz unterbricht, sich nicht mehr wie in der inkriminierten Weise unterhalten darf, dann ist unklar, wie Pressefreiheit denn nach dem Konzept der Berliner Gerichte verwirklicht werden soll. Das dachte sich auch der VI. Senat des BGH. Das sind übrigens die Leute, die regelmäßig Urteile aus Hamburg aufheben.
Im konkreten Fall hatte die Klägerin letztes Jahr – also während des Prozesses – ihre Krankheit auch selbst öffentlich gemacht.
admin •
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14. Oktober 2012
Als heute vor 50 Jahren die Raketenkrise begann, war der eigentliche Krieg bereits in vollem Gange – zwischen dem von den Kennedys bezogenen Weißen Haus und dem ultrarechten Generalstab des Pentagon. Letztere waren seit Jahren der Meinung, dass eine nukleare Konfrontation unausweichlich sei und daher ein Anlass für einen Präventivkrieg gefunden werden müsse. Personen wie Air Force General LeMay und der vormalige Generalstaabschef Lemnitzer wirken aus heutiger Sicht wie überzogene Parodien auf Militarismus, waren jedoch höchst real. Die obige Szene aus „13 Days“, einem von Robert Kennedys Buch gleichnamigen Buch inspirierten Film, hat sich tatsächlich so ereignet: Admiral Anderson brüllte seinen Verteidigungsminister McNamara an, dieser solle ihn seine Arbeit machen lassen, als er gerade beim Zündeln war. Verneigen müssen wir uns vor dem US-Diplomat Llewellyn E. Thompson, der einen kühlen Kopf bewahrte und Kennedy im richtigen Moment den richtigen Rat gab, weil er Chruschtschow zutreffend einschätzte.
In den deutschen Medien ist die Kubakrise nur ein Randthema, obwohl die Chance für einen nuklearer Schlagabtausch in der Karibik aus historischer Sicht dramatisch höher war, der wiederum Europa zum Kriegsschauplatz gemacht hätte. Damals glaubten die US-Militärs, der Fallout eines Nuklearkriegs würde nach zwei Wochen abgeregnet sein, die US-Bevölkerung könne solange in Shelters abwarten (die für einen fremden Atomangriff so wenig Nutzen hatten wie die Desinformation „Duck and Cover“). Folgen wie den Nuklearen Winter kannte man damals noch nicht. Gestern wurde übrigens durch Aktenfreigabe bekannt, dass Kennedy bereit war, Berlin für den Abzug der Raketen einzusetzen.
Ich habe den Eindruck, dass den deutschen Medien der im letzten Jahrzehnt deutlich erweiterte Forschungsstand zur Kubakrise nicht einmal bekannt ist. Die unfassbaren Details, die man etwa in Michael Dobbs Buch „One Minute to Midnight“ nachlesen kann, scheinen niemanden zu interessieren. Etwa die Tatsache, dass die CIA während der Krise zwei rivalisierende Hitzköpfe mit subversiven Aktionen betraute, von denen der eine (Harvey) tagsüber trank, während der andere mehr oder weniger wahnsinnig (Lansdale) war.
Der Showdown hätte jedenfalls spannender und gefährlicher kaum sein können – und macht mich regelmäßig wütend.
11. Oktober 2012
Als ich die Vorschau zum kommenden „Tatort“ sah, hatte ich ein Déjà-vu. Dort geht es nämlich um einen ermordeten Enthüllungsjournalist, der kurz vor der Aufklärung der Barschel-Affäre steht und von einem Schriftsteller berichtet wird^, der damals in Genf verwickelt war.
Genau das habe ich nämlich heute getan.
10. Oktober 2012
„Ich habe jedes Verständnis für kritische Nachfragen.“
sagt Sebastian Knauer, jener STERN-Reporter, der vor 25 Jahren am 11.10. im Genfer Hotel Beau Rivage in ein fremdes Hotelzimmer eindrang. Warum Knauer überhaupt die Tür öffnete, obwohl ein „Bitte nicht stören“-Schild an der Klinke hing und auf sein Klopfen niemand herein bat, ist schon irgendwie seltsam. „Hausfriedensbruch“ ist auch in der Schweiz eine Straftat.
Drinnen fand er Aufzeichnungen des Herrn Barschel, die er mal eben ausspionierte und abfotografierte. Wie weit professionelle Journalisten gehen, ist bemerkenswert. Warum er auf die Idee kam und sich die Freiheit nahm, dann auch die Badezimmertüre zu öffnen und damit einen weiteren Privatbereich zu verletzen, ist seltsam, denn was hat ein politischer Journalist in einem fremden Badezimmer zu suchen?
Dass Knauer dann seinen sensationellen Fund fotografierte und der STERN dieses würdelose Foto abdruckte, hat man dann später beim Presserat kontrovers diskutiert. Definitiv allerdings war ab dem Fund der Leiche Interesse der Öffentlichkeit vorhanden, auch der Presserat sah dies so.
Für mich rätselhaft ist die Tatsache, dass die Notizen Barschels über Robert Roloff wie auf dem Präsentierteller im Hotelzimmer lagen und durch den STERN-Reporter sofort zum Bestandteil der Story wurden. Die Polizei hätte die Notizen vermutlich aus ermittlungstaktischen Gründen zurückgehalten. Selbst die Anhänger der schwer vorstellbaren Suizid-These gehen inzwischen davon aus, dass Barschel mindestens einen Sterbehelfer gehabt haben muss. Warum dieser zwar Spuren beseitigte, etwa das Whiskey-Fläschchen ausspülte oder eine Weinflasche verschwinden ließ, aber die „Visitenkarte“ von Roloff hinterließ, ist unverständlich.
Nunmehr kam insofern „Bewegung“ in den Fall, als dass ein Haar gefunden wurde, welches auf die DNA-Struktur des letzten Barschel-Gastes schließen ließe – wäre es nicht aus unerklärlichen Umständen dieses Jahr(!) aus dem Besitz der Staatsanwaltschaft Lübeck verschwunden. „Schlamperei“ erscheint bei einem so spektakulären Fall, bei dem es 1987 bereits genug Ermittlungspannen gegeben hatte, als nur schwer vorstellbar. Es darf bezweifelt werden, dass der nicht mehr existierende südafrikanische Geheimdienst oder die damals lebenden Iraner um Achmed Khomeini heute einen derart weit reichenden Arm in deutsche Behörden hätten. Damit kommen eigentlich nur noch Hintermänner in Deutschland oder dessen Partnerdienste in Betracht. Irgendwie unangenehm …
admin •
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9. Oktober 2012
In den letzten Jahren habe ich mich mehrfach mit dem Barschel-Fall befasst. U. a. traf ich diesen Sommer in Lübeck den leitenden Oberstaatsanwalt a. D. Heinrich Wille, der in den 1990er Jahren die spektakulären wie umstrittenen Ermittlungen durchsetzte und mir für einen auf seinem Buch basierenden Beitrag viele Fragen beantwortete.
Von den vielen Puzzle-Stücken dieses Rätsels hatte ich eines unkritisch verworfen und mich auf das einhellige Urteil der Journalisten verlassen: Den angeblich vom MfS gefälschten Brief, den Barschel scheinbar am Tag nach seinem Rücktritt an den „Parteifreund“ Stoltenberg schrieb und für sein Angebot einer Übernahme der alleinigen Schuld eine Existenzsicherung forderte. Hierzu stellte er ein kurzfristiges Ultimatum, das mit seiner Aussage vor dem Untersuchungsausschuss hätte enden sollen. Einen Tag des Ablaufs wurde er unter denkbar mysteriösen Umständen aufgefunden.
Der 1988 mit einer Echtheitsprüfung beauftragte forensische Sprachwissenschaftler Raimund Drommel glaubt auch heute nicht an eine Fälschung. Eine sprachpsychologisch überzeugende Inszenierung eines vierseitigen Briefes ohne Textproben aus privater Korrespondenz hält er für nahezu ausgeschlossen. Interessant ist, dass das nur als Fotokopie erhaltene Dokument kein Eingangsstempel ziert – einen solchen hätte ein Geheimdienst insbesondere auf einer Fotokopie ungleich leichter fälschen können, als die geschriebene Sprache einer anderen Person überzeugend zu simulieren. Drommels von der Politik unerwünschten Ergebnisse wurden in der kriminalistischen Fachpresse nicht infrage gestellt. Letztes Jahr verteidigte er seine Analyse in seinem Buch „Der Code des Bösen“.
Drommels Ausführungen inspirierten mich zu einer Recherche zum angeblich gefälschten Barschel-Brief.
PS: Anlässlich des 25. Todestages liest Drommel aus seinem Buch am 11.Oktober, 19.30 Uhr in der Buchhandlung Schiller, Festungstraße 21A 97631 Bad Königshofen.
24. September 2012
Diverse Organisationen maßen sich an, für Juristen zu sprechen. Etwa die Anwaltskammern, die knapp 160.000 Anwälte vertreten. Oder der Deutsche Anwaltverein, der sich 68.000 Mitglieder rühmt und seine Tagungen allen Ernstes mit einem christlichen Gebet zu beginnen pflegt. Die Richter und Staatsanwälte sind im Deutschen Richterbund (15.000 konservative Mitglieder) und in der Neuen Richtervereinigung (550 aufgeweckte Mitglieder) organisiert. Außerdem existieren noch Special Interest-Vereine wie der EDV-Gerichtstag e.V. oder der „Rechtsstandort Hamburg e.V.“ (ja, den gibt es wirklich!).
Diese Verbände machen sich zum Teil wertvolle Gedanken, sie verstehen sich aber auch als Lobby-Organisationen für Juristen – aber fungieren gelegentlich auch selbst als Lobby-Assets.
Da gibt es z.B. die traditionsreiche, aber mit 7.000 eher winzige Vereinigung „Deutscher Juristentag e.V.“, die es gerade einmal alle zwei Jahre schafft, eine Tagung durchzuziehen und offenbar der Lobby-Arbeit interessierter Kreise aufgesessen ist, die sie fleißig weiter trägt. Beim jüngsten „Deutschen Juristentag“ in München hat eine Arbeitsgruppe von ca. 30 angeblichen IT-Juristen die folgenden Vorschläge erarbeitet, die ganz überwiegend angenommen wurden (Hervorhebungen durch mich): (more…)
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19. September 2012
Der Deutsche Presserat hat gestern auf seiner Jahrespressekonferenz zur Zurückhaltung bei der Recherche in sozialen Netzwerken gemahnt. Diese seien kein Selbstbedienungsladen, Facebookprofile seien nicht mit Medienöffentlichkeit gleichzusetzen. Diese Frage lässt sich vermutlich nur über Fingerspitzengefühl, nicht aber juristisch praktikabel regulieren.
Vor einiger Zeit hatte ich einen lustigen Fall, bei dem ein unfähiger Journalist irrtümlich einen Forennamen einer anderen Person zuordnete und seinen Fehler nicht wahrhaben wollte. In dem er einer in der Öffentlichkeit stehenden Person Postings einer anderen unbekannten Person andichtete, und deren Content rechtswidrig veröffentlichte, griff der der Schreiberling in das Persönlichkeitsrecht zweier Menschen ein. Nachdem gutes Zureden nichts half, habe ich mir von beiden das Mandat erteilen lassen. Stunden später war der Spuk vorbei. :-)
16. September 2012
Der bislang von mir hoch geschätzte Herausgeber der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hat entdeckt, dass das Internet ein böser Ort ist. In einem aktuellen Beitrag macht er das Internet für die Verbreitung der offenbar von Wulffs Parteifreunden 2006 lancierten Gerüchte über das angebliche Vorleben der gegenwärtig mediensuchenden Bettina Wulff verantwortlich und äußert auch sonst interessante Ansichten.
Hier die schönsten Zitate:
- „Simitis akzeptiert es nicht, wenn die neue Informationstechnologie mit der Meinungsfreiheit einfach gleichgesetzt wird – wie dies die Grünen und die Piraten tun.“
- „Es ist mit dem Internet ähnlich wie mit dem Auto: Man kann sich damit das Leben wunderbar erleichtern, man kann damit aber auch Leute totfahren.“
- „Für das Internet gibt es noch kaum Regeln.“
- „Wer vergisst? Wie vergisst er? Das geht im Internet nicht so leicht.“
- „Die Hetzer im Internet sind und bleiben meist anonym.“
- „Warum? Weil Konzerne wie Google riesige Maschinerien gegen das Recht auf Vergessen geworden sind.“
- „Das bisherige Internetrecht verdient nicht einmal das Wort Recht.“
Als Rechtsanwalt, der häufig Blogger mit seriösen Anliegen vor Gericht vertritt, sehe ich mich außerstande, auf diesen wirren Amoklauf sachlich zu reagieren. Ich verweise stattdessen auf meine Internetrechtsgeschichte „Von Links und rechtsfreien Räumen“.
Nachtrag: Prantl hat aufs falsche Pferd gesetzt.
admin •
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10. September 2012
Gegenwärtig wehrt sich die vormalige 1st Lady gegen Google, weil sie sich durch die Funktion beeinträchtigt sieht, die automatisch weitere Suchwörter anbietet. Diese Vorschläge stammen von anderen Nutzern, die zuvor nach einer solchen Kombination gegoogelt haben (was dezent daran erinnern sollte, dass Google uns beobachtet). Soweit bekannt, gab es bislang fünf erfolglose Versuche anderer Kläger, diese Autovervollständigungsfunktion untersagen zu lassen. Die aktuelle Klage liegt allerdings etwas anders, so dass ich mich mit Prognosen lieber zurückhalte. In Sachen Haftung pflegt das Landgericht Hamburg bekanntlich sehr eigenwillige Ansichten. Am Landgericht Frankfurt war bereits ein Versuch erfolgreich.
Die Information, dass die anderen Nutzer diese Kombination gesucht haben, ist für sich genommen (vermutlich) nicht unwahr. Persönlichkeitsrechtlich gesehen ist vorliegend allerdings problematisch, dass auf diese Weise Sachverhalte unterhalb der Gürtellinie ventiliert werden, was nach deutschem Presserecht grundsätzlich unzulässig ist. Das in den prüden USA beheimatete Google filtert übrigens ohnehin gewisse Inhalte auch aus dieser Funktion aus.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass nun einmal auch Google anfällig für Manipulation ist. Aufgeweckte Hacker könnten Google mit inszenierten Suchanfragen bombardieren und auf diese Weise Menschen und Firmen in Misskredit bringen.
Es stellt sich daher für Google die politische Frage, ob, wo und ab welcher Schwelle in die Suchalgorithmen eingegriffen werden darf, kann oder soll. Auch, wenn es im Einzelfall weh tun mag: Rechtspolitisch kann die Antwort nur lauten: Netzneutralität. Alles andere führt uns in illusionäre orwellsche Welten. Ein „Informationsministerium“ wäre das Letzte, was die Menschheit weiterbringt.
admin •
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8. September 2012
Über zweieinhalb Jahre hatten sich die Herrschaften der BILD-Zeitung auf die Zunge gebissen, bis sie mit einem Gerücht mit einer Fallhöhe, die kein Boulevardjournalist toppen könnte, endlich ihr Papier verkaufsfördernd bedrucken konnten. Bereits im Sommer 2010 hatte BILD einen Testballon gestartet und das Tattoo von Bettina Wulff skandalisiert – was absolut lächerlich war, denn damals habe ich bei meinen Berlin-Besuchen so gut wie keine Frau unter 40 gesehen, die kein Tattoo trug. Da mir das Getuschel damals bereits bekannt war, war für mich offensichtlich, dass es sich bei der albernen und daher journalistisch nicht veranlassten „Tattoo-Story“ um Säbelrasseln gehandelt haben dürfte. Presserechtlich spielen zwei Aspekte eine Rolle:
Das Thematisieren von Sachverhalten unterhalb der Gürtellinie – unabhängig ob wahr oder nicht – ist grundsätzlich kein zulässiger Berichtsgegenstand. Ausnahmen gibt es nur, wenn eine Angelegenheit politische Dimensionen erreicht. So hätte über Clintons Affäre mit einer Praktikantin originär in Deutschland eher nicht berichtet werden dürfen, der sich entwickelnde Skandal darüber war jedoch zulässiger Berichtsgegenstand und ließ auch Informationen über Details der präsidialen Organpflege zu, die im Starr-Report nachzulesen sind. Unabhängig von der juristischen Dimension praktizieren alle großen Verlage den Ehrenkodex, dass über sehr privaten Angelegenheiten von Politikern und deren Angehörigen nicht berichtet wird. In der Bonner Republik wussten die Redaktionen von etlichen Seitensprüngen, in der Presse erschien damals nie etwas darüber. Allenfalls über Willy Brandt konnte man zwischen den Zeilen lesen. Auch bei Seehofer usw. waren es nicht die Journalisten, sondern die Büchsenspanner in der eigenen Partei. BILD selbst hatte sich in Sachen Wulff streng an diesen Ehrenkodex gehalten, allerdings machten jedoch Erzählungen die Runde, BILD habe da etwas aus dem Vorleben der Präsidentengattin, was Wulff wohl als „Partyvergangenheit“ abtat.
Der zweite juristische Aspekt betrifft die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung. Man darf nicht einfach Gerüchte ins Blaue hinein kolportieren, auch bloße Andeutungen müssen sich Betroffene nicht bieten lassen. Um einen Verdacht presserechtlich zulässig äußern zu können, muss man ein Mindestmaß an Anhaltstatsachen aufbieten. Gegenwärtig (also in Hamburg) sind die Anforderung an Verdachtsberichterstattung so hoch, dass man rechtssicher praktisch fast nur noch über rechtskräftig verurteilte Straftäter schreiben könnte (und das auch nur innerhalb eines halben Jahres nach Rechtskraft). Wenn also ein Medium nicht mindestens verlässliche Zeugen aufbieten kann, die einen entsprechenden Verdacht substantiieren, sind solche Storys tabu. Hinzu kommt, dass bei Sachverhalten unterhalb der Gürtellinie nicht nur Verbote ausgesprochen werden, sondern für Betroffene auch fette Entschädigung in Geld angesagt ist. Solche hat es zugunsten von Frau Wulff offenbar gegeben.
Nun sind die Dämme anscheinend gebrochen, denn etliche Zeitungen halten es offensichtlich für einen zulässigen Berichtsgegenstand, über den juristischen Kampf von Frau Wulff gegen Medienhäuser und Blogger zu berichten, welche die Gerüchte aufgegriffen haben. Wer in derartigen Angelegenheiten klagt, stellt faktisch eine gewisse Öffentlichkeit her. Dies ist aber nicht ganz zu vergleichen mit der freiwilligen Selbstöffnung privater Angelegenheiten wie Homestorys und öffentlichen Lebensbeichten. Die Gerichtsberichterstattung wurde insbesondere durch Hamburger Judikate in den letzten Jahren sehr erschwert.
Medienrechtlich darf man sich auf die Schlacht des Jahres zwischen Frau Wulff und Herrn Jauch freuen. Jauch ist nämlich selbst als einer der aggressivsten Kläger in Sachen Presserecht überhaupt bekannt. Wer juristischen Stress nicht zu schätzen weiß, ist gut beraten, „Frau Jauch“ oder deren Kinder als nicht existent zu betrachten und über Jauch nur das zu berichten, was dieser dem Bildschirm anbietet. Dass nun ausgerechnet gegen Jauch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerichtet wird, ist daher besonders delikat. Ähnlich unverschämt wie Jauch agierte eigentlich nur noch Dieter Bohlen, der mit seinem Buch etlichen Menschen an die Wäsche ging, selbst aber zutreffende Berichte über die Schwangerschaft seiner Freundin verbieten ließ. (In einem von mir betreuten Fall hatte ich Bohlen das letztes Jahr abgewöhnt.)
Ich erlaube mir noch zwei persönliche Bemerkungen:
Ich vertrete einige Mandantinnen, die ihre Attraktivität selbstbestimmt und ohne Notlage beruflich einsetzen und dafür anständig honoriert werden. Es gibt keinen Anlass, diese Frauen geringer zu schätzen als andere Menschen. Und sie haben auch einen legitimen Anspruch darauf, die typischerweise zeitlich begrenzte Episode ihres Lebens privat zu halten.
Zum andern möchte ich festhalten, dass mir Frau Wulff in dem Moment, als ihr Gatte zurückgetreten ist, mit ihrer Haltung unheimlich imponiert hat. Andere Politiker-Frauen hätten diesen Termin mit Sicherheit nicht wahrgenommen – insbesondere „Frau Jauch“ traue ich eine solche Charakterleistung nicht zu. Herr Wulff mag als eine tragische Gestalt in die Geschichte eingehen, um seine Gattin allerdings ist er zu beneiden.
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