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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


8. Februar 2014

Schuldig bei Verdacht?

 

Bei Verdachtsberichterstattung erliegen Journalisten häufig der Versuchung, sich für eine Partei zu entscheiden, wobei die Argumente nicht notwendig sachliche sind. Insbesondere in Fällen von Kindesmissbrauch will kein Autor Gefahr laufen, ein tatsächliches Opfer auch noch zum Lügner zu stempeln. Gerade in solchen Fällen aber, in denen ein möglicherweise zu Unrecht Verdächtigter seine Unschuld häufig nicht beweisen kann, wären professionelle Kommentatoren gut beraten, vorverurteilende Berichterstatung zu vermeiden. Auch der Deutsche Pessecodex verlangt das.

Derlei Handwerk scheint die taz-Autorin Christina Nord noch lernen zu müssen. Schon die Überschrift „Nichts sehen, nichts sagen“ und die Dachzeile, in der von einer „Verkommenheit Hollywoods“ die Rede ist, beziehen klar die dann doch etwas unkritische Position. Dabei gesteht die „Expertin“ selbst ein, dass Aussage gegen Aussage stehe, urteilt aber:

„Angesichts des Detailreichtums von Dylan Farrows Erinnerung scheint es wahrscheinlicher, dass er lügt.“

Ähm. Nein. Bei unbeteiligten Zeugen kann Detailreichtum tatsächlich ein Indiz für Glaubwürdigkeit sein. Zeugenaussagen bewertet man jedoch auch hinsichtlich einer sogenannten „Belastungstendenz“. Hier nämlich haben wir es nicht mit einer bloßen Zeugin zu tun, sondern mit einer angeblich Geschädigten, die ganz klar im Lager von Mia Farrow steht, die Allen seit über 20 Jahren hasst.

Bereits damals kam ein Gericht zum Schluss, dass an den Anschuldigungen wohl nichts dran sei. Allen wurde 1993 insbesondere durch die Nanny entlastet, die aussagte, an dem fraglichen Tag die Adoptivtochter keine fünf Minuten aus den Augen gelassen zu haben. Und dass Farrow sie anstiften wollte, Allen in Misskredit zu bringen. Insbesondere widersprach sie Details (!), die Farrow zu dem Zwischenfall behauptet hatte.

Jeder, der einmal gewisse Zeit in einem Gerichtssaal zugebracht hat, weiß, dass Zeugen häufig lügen. In vielen Fällen merkt man es sofort, manche Menschen allerdings können lügen wie gedruckt. Ein Indiz für solche Lügen ist übrigens Detailreichtum …

Die taz-Kommentatorin schließt:

Wenn man daraus überhaupt einen Schluss ziehen möchte, dann vielleicht den, die eigene Fähigkeit zur Empathie besser auszubilden.

Eine Alternative zur offenbar noch nicht hinreichend ausgebildeten Empathie wäre eine gründliche Recherche. Hilfreich dabei wäre etwa dieser sehr ausführliche Beitrag eines Woody Allen-Biographen.

Hier die aktuelle Darstellung von Woody Allen.

 

6. Februar 2014

Warum nicht? Aktuelles vom Pferd!

 

Die Kollegin Frau Rechtsanwältin Isabell Werth erwirkte am Landgericht Münster eine einstweilige Verfügung gegen Herrn Diplomjurist Sönke Lauterbach aus der Pferdestadt Warendorf.

Die Kollegin Werth reitet gern, wurde aber 2009 zeitweise gesperrt, weil ihr Pferd verbotene Substanzen beinhaltete. 2012 gab es wieder Stress, weil ein Pferd namens El Santo nach internationalen Regeln verbotenes Zeugs beinhaltete, angeblich weil es das Medikament eines anderen Pferds mit dem schönen Namen „Warum nicht“ gesüffelt hatte. Erstinstanzlich unterlag die Kollegin und ist erst einmal turniermäßig gesperrt. Und zwar von der Disziplinarkommission der FN, weil sie davon ausging, dass der Fund der Substanz auf „eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung im Stall der Reiterin zurückzuführen sei.“

Herr Lauterbach ist der Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). Die erzählen etwas vom Pferd, und zwar „aktuelles“. Am 30.01.2014 sagte er in einer Presseerklärung:

„Die Gutachten beschrieben lediglich die technischen Möglichkeiten, sie trafen aber keine Aussagen zur Wahrscheinlichkeit.“

Herr Lauterbach bezog sich auf von Frau Werth beigebrachte Gutachten, die beweisen sollten, dass eine ausgefallene Pumpe schuld daran gewesen sei, dass das Pferd gedopt hatte. (Wir erinnern uns an Dieter Baumann, der seinen positiven Dopingtest mit ihm durch Zahnpasta untergeschobenen Substanzen erklärte. Das wiederum erinnert an die Pläne der CIA, Patrice Lumumba auf diese Weise zu vergiften …) In einem der Gutachten soll ein Experte die Zusammenhänge als „unvermeidbar“ bezeichnet haben. Das wäre dann ja wohl eine Wahrscheinlichkeit von 100%.

Was so ein richtiger Springreiter wie Lauterbach ist, der ist natürlich cool und ignorierte erst einmal die zugestellte einstweilige Verfügung. Warum auch nicht? Naja, Ordungsstrafen halt … Da Herr Lauterbach nur das erste juristische Staatsexamen hat, beherrscht er das Prozessrecht vermutlich nicht so gut wie die Kollegin Werth.

Der berühmteste presserechtliche Reiterfall, der sogenannte „Herrenreiter-Fall“, war ungleich lustiger. In den 1950er Jahren hatte die Herstellerin eines angeblichen Potenzmittelchen ihr Produkt mit dem Foto eines Bierbrauers beworben, der bei einem Springreiterturnier geknipst worden war. Mit dem Mittelchen käme man über jede Hürde …

2. Februar 2014

Erneut Vorwürfe gegen Woody Allen

 

Gestern Abend nutzte ich noch eine der letzten Gelegenheiten, um mir im Kino den aktuellen Woody Allen-Film „Blue Jasmine“ anzusehen. Zu Recht ist der Streifen dreifach für den Oscar nominiert. Als ich vor einem Jahrzehnt mit dem Schreiben begann, war mein erstes großes Projekt eine eine spezielle Woody Allen-Biographie, für die ich das damalige Gesamtwerk des Filmemachers recherchierte, den ich wie keinen zweiten verehre.

Heute nun wurde erneut eine Anschuldigung wegen Missbrauchs seiner Adoptivkinder öffentlich. Während es früher Allens Ex-Freundin Mia Farrow war, die in einem Rosenkrieg entsprechende Vorwürfe erhob, welche Allens Beziehung zur volljährigen Adoptivtochter seiner Ex-Freundin und heutigen Ehefrau in ein gewisses Licht rückte, melden sich nun eine damals minderjährige Adoptivtochter und sie unterstützend deren Bruder zu Wort. Das kann nicht ganz so einfach ignoriert werden.

Der späte Gang an die Öffentlichkeit wäre für Missbrauchsopfer durchaus typisch. Ich vertrete gelegentlich Missbrauchsopfer, die sich erst im Erwachsenenalter trauten, ihre Peiniger zu benennen. In Deutschland ist das öffentlich allerdings medienrechtlich hochriskant, denn es kommt häufig nicht einmal darauf an, ob die Vorwürfe beweisbar sind: Sind die Straftaten etwa verjährt, haben die einstigen Täter einen Rechtsanspruch auf Resozialisierung. Für die Betroffenen ist diese Situation denkbar ungerecht.

Letztes Jahr reagierte der Bundestag endlich auf die Initiative etwa von „Netzwerk B“ und verlängerte die Verjährungsfristen für Missbrauch von drei auf dreißig Jahre. Vor vier Jahren sprach sich jemand sogar für die totale Aufhebung der Verjährung in solchen Fällen aus – der Mann ist heute Bundesjustizminister. Die geänderten Gesetze haben auch Auswirkung auf presserechtliche Unterlassungsansprüche, die früher nur sehr schwer abzuwehren waren.

Auch, wenn es mir zu glauben sehr schwer fällt, ein brillantes wie symapthisches Genie wie Woody Allen habe eine so dunkle Seite, so ist das nicht ausgeschlossen. Jahrzehntelang kamen etwa hierzulande Tausende auch gut beleumundete Priester und Pädagogen mit ihrer Masche durch, den Opfern hingegen wurde nicht geglaubt. Ein Mainzer Juraprofessor, gegen den in den 1990er Jahren ermittelt wurde, wählte den Freitod. Umgekehrt kann man sich allerdings gegen einen unwahren Vorwurf von Missbrauch allenfalls juristisch, in der Öffentlichkeit jedoch nicht wirklich wirksam verteidigen – irgendwas wird immer hängen bleiben.

In dem Film gestern Abend ging es übrigens auch um die schwierige Frage, ob man Fehltritte von Freunden wirklich wissen will bzw. kolportieren sollte, oder ob der ggf. unsouveräne Umgang mit verletzenden Informationen die Dinge ggf. noch schlimmer macht. „Blue Jasmine“ jedenfalls hatte kein Happy End.

Update: Details zur Beziehung zu Mia Farrow wurden korrigiert. Allen war nie mit Mia Farrow verheiratet und auch nicht der Stiefvater seiner heutigen Frau. Die „neueren“ Anschuldigungen sind mit äußerster Vorsicht zu genießen.

21. Januar 2014

Liebes Verfassungsgericht!

Post vom Bundesverfassungsgericht.

Das Verfassungsblog finden die Entscheidung gut.

Das Lawblog weniger.

15. Januar 2014

Anfrage an die NSA

 

Sehr geehrte Damen und Herren Spione,

nach knapp vier Jahren wird es Zeit, dass ich meinen ächzenden Rechner in die wohlverdiente Rente schicke und durch ein neues Modell ersetzte.

Da Sie ein Interesse am optimalen Funktionieren meiner IT haben, bitte ich Sie freundlich um

  • Beratung, mit welchem aktuellen Modell wir denn in nächster Zeit gemeinsam am besten zusammenarbeiten können,
  • Unterbreiten eines Angebots finanzieller Beteiligung.

Bitte informieren Sie mich auch über Ihre neuartigen Angebote in Sachen WLAN.

Mit freundlichen Grüßen

Markus Kompa

16. Dezember 2013

Gysi-Doku

Seit fast drei Jahren berichte ich über den Rechtsstreit zwischen Gysi und NDR. Es geht um Gysis Verhältnis zum Ministerium für Staatssicherheit und den Vorwurf von Mandantenverrat. Wie manch anderer war Gysi mit einer eidesstattlichen Versicherung zur Hamburger Pressekammer getingelt, das immer wieder gerne eidssstattlichen Versicherungen ausreichen lässt, zuletzt beim Limburger Bischof.

Heute Abend nun um 23.55 Uhr zeigt die ARD eine neue Gysi-Doku, falls seine Anwälte nicht noch schnell eine einstweilige Verfügung zustellen. Bärbel Bohley, der er die Behauptung des Parteiverrats untersagen ließ, hatte sich nie an das Verbot gehalten und ihre Vorwürfe zeitlebens aufrecht erhalten. Die streitigen Vorfälle liegen inzwischen drei Jahrzehnte zurück.

Tragisch ist, dass Gysi derzeit der Oppositionsführer ist, und zwar einer, der dringend gebraucht wird. Der „Witz“ ist ja, dass der deutsche Staat es derzeit zulässt, dass die gesamte Telekommunikation – und damit auch Anwaltsgespräche und Mails – abgehört werden, möglicherweise selbst mithört. Zu den heutigen informationstechnischen Möglichkeiten der Geheimdienste verhält sich das Wissen des MfS nahezu homöopathisch. Zur NSA habe ich von Rot und Schwarz nicht viel gehört, während Gysi Klartext liefert:

 

15. Dezember 2013

Mail vom Piraten-Opa

https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=gjOI_U6r5T4

 

Liebe Jeanette,

ich, dein Opa, gratuliere dir hiermit zu deinem 16.Geburtstag und schenke dir einen Gutschein für eine Reise nach Maryland, wo ich dir den Besuch eines ganz bestimmten Museums ans Herz legen möchte.

Heute

Wenn du heute am 15.12.2063 diese Mail bekommst, bin ich vermutlich nicht mehr da oder nicht mehr so richtig fit, daher hatte ich die Mail vorher programmiert. Du darfst ab heute erstmals wählen gehen und mitbestimmen, wie deine nächsten 50 Jahre auf diesem Planeten wohl so aussehen werden. Während es für dich selbstverständlich ist, dass du mehrmals im Jahr unter verschiedenen Programmen und Personen wählen und Versagern das Vertrauen entziehen kannst, war das damals bei uns anders.

Bei uns hatte man praktisch nur alle vier Jahre die Wahl zwischen sogenannten „Parteien“. Das waren politische Vereinigungen, die allerdings nicht den Menschen, sondern der Lobby und der Karriere ihrer Funktionäre verpflichtet waren. Auch, wenn es schwer zu glauben ist: Damals, etwa 2013, war es in Deutschland erlaubt, Politiker zu kaufen. Man konnte ohne Sachverstand Spitzenpolitiker werden und sich nahezu jede Peinlichkeit leisten. Das damalige politische System schreckte die guten Leute ab, in die Politik zu gehen. Das koalitionsbasierte Wahlsystem führte immer dazu, dass man Regierungen bekam, die so eigentlich niemand wollte.

Damals

Damals war vieles anders. Etwa das Gebäude des Ströbele-Instituts, wo deine Mutter arbeitet, war ursprünglich für einen Geheimdienst gebaut worden. Dieser Geheimdienst war der Ansicht, dass er befreundete Länder nicht ausspionieren müsse, war gleichzeitig aber damit einverstanden, von einem befreundeten Land ausspioniert zu werden. Dieses befreundete Land, in dem sich jährlich 30.000 Menschen gegenseitig erschossen, störte sich daran, dass es in Ländern mit Bodenschätzen nicht immer friedlich zuging und tötete daher dort Millionen Menschen für den Frieden. Unser Staat selbst hielt damals alles mögliche geheim, wollte aber über uns so viel wie möglich wissen.

1980

In den 1980er Jahre hatten Menschen eine neue Partei gegründet, die alles anders machen wollte, aber als sie an der Macht waren, bombardierten sie fremde Länder und ließen sich von einem VW-Manager ein Sozialsystem namens „HartzIV“ entwickeln. Die Funktionäre waren offenbar nicht weniger korrupt oder suspekt als bei den anderen Parteien und außerdem der Esoterik aufgeschlossen. 1990 kam eine Partei dazu, die keine Regierungsaussichten hatte und daher lobbyunbeeinflusste Politik vorschlagen konnte. Aber die waren dann immer aus Prinzip gegen alles und hatten weniger Ideen als Ideologien. An der Regierung war damals oft eine Partei, die etwa religiöse Probleme mit deiner Beziehung zu Ayshe gehabt hätte, aber sich auf eine Religionsgemeinschaft berief, in der Männer massenhaft kleine Jungs missbrauchten. Und bis 2013 gab es auch eine Spaßpartei, deren Chef einst gegen die Homoehe stimmte und dann einen Mann heiratete. Es gab schlichtweg keine Partei mehr, die vernunftbegabten Wählern einen vertretbaren Kompromiss geboten hätte. Insbesondere das Internet hatte nicht eine einzige Partei auch nur ansatzweise verstanden, vielmehr versuchte man, es zu als Quelle alles Bösen zu bekämpfen.

2006, 2009, 2011

Freunde von mir aus der Computerszene, die sich selbstironisch „Piraten“ nannten, hatten 2006 selbst eine Partei gegründet, die digitale Bürgerrechte, Mitbestimmung, Transparenz und eine überfällige Anpassung des Urheberrechts einforderte, welches damals die Kommunikation behinderte. 2009 kniffen wir die Parteien da, wo es ihnen am meisten weh tat: Bei den Wählerstimmen. Die hatten so eine Riesenschiss vor uns, dass sie ihre wirren Internetzensurpläne aufgaben und sogar ein internationales Abkommen namens ACTA vorerst aufgaben. Viel früher als geplant, zog diese Partei 2011 und 2012 in vier Länderparlamente ein. Nachdem die Öffentlichkeit diese Partei zuvor ignoriert hatte, stand sie auf einen Schlag im Rampenlicht und weckte Hoffnungen auf einen neuen Politikstil, wie er heute im Jahre 2063 längst selbstverständlich ist. Vor allem faszinierte der Esprit einer schnell populär gewordenen Hoffnungsträgerin, die allerdings eine Auszeit nahm und schwer vermisst wurde.

2012

Leider war diese Partei damals nicht auf ihre Rolle vorbereitet. Die Konzepte harmonierten insbesondere nicht mit den medialen Gewohnheiten der Wähler, die Politikerpersönlichkeiten erst einmal kennenlernen wollen, bevor sie ihnen ihre wertvolle Stimme geben. Der Zeitpunkt, solche Politiker vor der Bundestagswahl von 2013 aufzubauen, wäre 2012 gewesen. In diesem Jahr hatten politische Talente die Chance, bei den Piraten eine Blitzkarriere hinzulegen. Es kam aber leider nur sehr wenig neue Leute, die mehr als Shitstorms zu bieten hatten. Weil Parteiarbeit sehr ätzend und undankbar ist, wollte auch niemand wirklich in den Bundesvorstand, so dass keine kompetente Auswahl zur Verfügung stand. Genau diese Leute aber interessierten die Medienvertreter. Hinzu kam, dass die meist in Berlin ansässigen Journalisten die Partei am Auftreten des Berliner Landesverbands maßen, der es ein bisschen schriller liebte, untereinander zerstritten war und Mitglieder außerhalb Berlins als zu bekämpfende Konkurrenz betrachtete.

Wie dünn die Personaldecke bei den Piraten war, hatte ich erst Ende 2012 so richtig begriffen. Bei einem Parteitag wollten die Hobbypolitiker lieber Wahlprogramme für den eigenen Sandkasten machen, als die offensichtlichen Personalprobleme im Vorstand zu lösen. Man erwartete totale Selbstaufgabe, lehnte Geld für Politiker ab und prügelte primitiv aufeinander ein. Über Urheberrecht und Überwachung sprach kaum noch jemand.

2013

Trotz des Defizits an politischen Talenten fanden sich dann Anfang 2013 durchaus fähige Kandidaten für den Bundestag, die allerdings nach der Wahlniederlage in Niedersachsen niemanden mehr interessierten. Wir haben praktisch ohne Geld versucht, mit dem Blatt zu spielen, das wir hatten, aber die Karten waren nun einmal 2012 gemischt worden. Es ging 2013 nur noch um Haltung und Schadensbegrenzung. Nicht einmal die Enthüllungen des späteren UNO-Präsidenten Snowden halfen uns. Nach der Wahlniederlage im Bund versuchten einige, die Partei wieder aufzubauen, kamen damit jedoch ein Jahr zu spät. Das erneute Bekenntnis zur Unprofessionalität und die Lust der Mitglieder an Selbstbeschäftigung schlossen eine positive Entwicklung leider aus.

Zwar verschwanden die Piraten langfristig wieder aus den Parlamenten, dennoch aber hatten wir die Republik ein Stück weit verändert. Mitglieder von Parteien begannen, Mitbestimmung einzufordern. Eine 150 Jahre alte Partei befragte erstmals ihre Mitglieder um die Erlaubnis, eine Koalition eingehen zu dürfen, und gab allein dafür fast so viel Geld aus wie wir für den halben Wahlkampf aufgewandt haben. Die Forderung nach Transparenz im Staat war mehr als salonfähig geworden. Wer hatten die Politik zumindest eine Zeitlang gezwungen, sich mit Netzpolitik zu befassen und die entsprechend kompetenten Leute in den anderen Parteien aufgewertet. Am Schluss waren wir sogar die erste Partei, die ohne Frauenquote einen mehrheitlich weiblichen Bundesvorstand hatte, obwohl das nicht einmal politisch intendiert war.

2014

In den folgenden Jahren konnten weder das TTPI-Abkommen noch die weiteren Kriege oder die Überwachung abgewendet werden. Das Abmahnen erlebte bei Streaming einen Boom. Ähnlich wie 1963, als zwei Politiker den Kalten Krieg beenden wollten, gab es eine Verlängerung des Kriegs gegen das Internet von drei Jahrzehnten. Besonders düster wurde es in Deutschland im Kabinett von der Leyen.

Nachdem die USA alle Personen, die man als Terroristen etikettieren konnte, vorsorglich getötet hatte, wurden nach entsprechenden Hollywoodfilmen auch in den USA die Menschen kritischer. Nach den Unruhen von 2044 gelang es der UNO, durch Blauhelmeinsätze einen Bürgerkrieg in den USA abzuwenden. Nachdem die Bürgerrechtler die NSA-Zentrale besetzten, wurde vielen US-Amerikanern bewusst, wie sehr sie ihre Freiheit verloren hatten. Das Datensilo in Utha wurde in einem Festakt gesprengt. Inzwischen sind sogar die US-Truppen aus Deutschland nach über 100 Jahren abgezogen. Aber das weißt du ja alles hoffentlich aus dem Geschichtsunterricht!

2063

Unsere Eltern hatten ihre Eltern Ende der 1960er Jahre gefragt: „Wo ward ihr damals?“ Wenn du und deine Mutter uns das fragen wollen, hätte ich mehr als Verständnis. Bitte urteile nicht zu hart über unser Versagen. Wir hatten es wenigstens versucht. Es waren halt andere Zeiten.

Wenn du also nach Maryland reist, schau dir bitte das Computermuseum an, das in dem Gebäude der einstigen NSA untergebracht ist. Es ist sehr wichtig, dass es die Menschheit nie wieder so weit kommen lässt.

Liebe Grüße

Opa Markus

14. Dezember 2013

Melanie …

 

Wenn es auf Weihnachten zugeht, werde ich immer ein bisschen melancholisch. Während meines Studiums in Saarbrbrücken war ich mit einer Hip-Hop-Tänzerin von der dort ansässigen Band La Bouche befreundet, die von Frank Farian aufgebaut wurde. Die unfassbare talentierte Sängerin Melanie Thornton hatte damals einen Song eingesungen, den Coca Cola für seine Weihenachts-Kampagne kaufte. Vermutlich hätte man von ihr noch viel gehört.

Vor ihrem Flug von Berlin nach Zürich im November 2001 sagte sie:

„Wir wissen alle nicht, ob wir morgen noch erleben. Also sollten wir unseren Traum jetzt leben.“

Die Maschine kam nie an. Zwei ihrer Tänzer starben ebenfalls, zum Glück nicht meine damalige Bekannte.

Seit ein paar Jahren befasse ich mich mit beruflich mit Flugzeugunfällen, hatte vor ein paar Jahren auch einmal das Absturzblog.de ins Leben gerufen, das ich schon länger nicht mehr bearbeitet habe. Ich bin immer wieder entsetzt, welche Zustände ausgerechnet in einem so denkbar sensiblen Bereich herrschen und wie der deutsche Staat, respektive das Bundesverkehrsministerium, offensichtliche Missstände hinnimmt. Demnächst werde ich das Blog wieder reaktivieren und ein paar für die Branche eher unwillkommene Informationen verbreiten.

 

https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=jhA-IWo7dP0

13. Dezember 2013

Piraten leaken Abmahn-Geheimvereinbarung

 

Gestern Abend leakte die Piratenpartei eine offenbar zwischen einem Pornorechteinhaber und einer Anwaltskanzlei ausgehandelte Vereinbarung über ein Erfolgshonorar für Massenabmahnungen im pornografischen Filesharing-Bereich. Besonders spektakulär ist, dass an der Sache die aktuell wegen der Streaming-Abmahnlawine bekannte Kanzlei U+C beteiligt sein soll.

Die Piraten hatten die Dokumente zuvor vom mit der Abmahnindustrie besonders erfahrenen Kollegen Christian Solmecke analysieren lassen, der sich gestern auch zu einer sehr informativen Audio-Talkshow im Internet einfand, die hier zu hören ist (abmahnfrei).

OFF TOPIC:

Im Verlaufe der Talkshow kam es allerdings zu einem Moment, als das Blut gefror: So wollte sich der Kollege Solmecke von der radikalen Position der Piraten abgrenzen, die ja das Urheberrecht ablehnten …

Wenn ein relativ junger, sehr internetaffiner Rechtsanwalt, der sich hauptsächlich im absoluten Kernthema der Piraten(!) bewegt und den Bundestag beim Anti-Abmahngesetz beriet, nicht die tatsächliche Position der Piratenpartei zum Urheberrecht kennt – dann ist der Vorwurf nicht dem Kollegen zu machen, denn Parteiprogramme liest bekanntlich kein Mensch. Wenn wir nicht einmal einem solch aufgeschlossenen Rezipienten die tatsächliche Piraten-Kritik am Urheberrecht kommunizieren konnten, dann sollte es eigentlich auch dem weltfremdesten Pirat langsam einleuchten, dass mit der Öffentlichkeitsarbeit etwas gewaltig schief gelaufen ist.

Seit dem NRW-Wahlkampf habe ich von den Piraten zum Urheberrecht nichts mehr gehört, schon gar nicht im Bundestagswahlkampf, wo man uns nicht einmal Expertise zur Überwachung zubilligte. Warum die Verantwortlichen nach den Sympathieverlusten Ende 2012 und dem Wahldesaster in Niedersachsen unsere durchaus finanzierten Vorschläge, die öffentliche Kommunikation in professionelle Hände abzugeben, in den Wind schlugen und lieber Plakate mit Nichtkandidaten (Transparenz?), Kleingedrucktem (Medium verstanden?) und Themen hängen ließen, die praktisch alle anderen Parteien auch bedienten, habe ich nie verstanden. Selbst ein kontroverser Auftritt wäre wenigstens wahrgenommen worden.

Entgegen der Meinung mancher Piraten glaube ich nicht, dass es im Spektrum zwischen Grünen und Linken sinnvollen Raum für eine weitere Partei gibt, deren Alleinstellungskriterium sich insoweit auf Unerfahrenheit und Dilettanz beschränkt. Rot, Grün und Dunkelrot verfügen bei den sozialen Themen über dramatische höhere Kompetenz und vor allem Konsens, während sich die Piraten im Sandkasten lieber gegenseitig mit Fäkalien bewerfen.

Wenn die Piraten nach Europa wollen, dann können sie nur mit den Themen punkten, von denen sie etwas verstehen (sollten) und bei denen Konsens besteht, und das sind TTPI, bestehendes EU-Urheberrecht und Überwachung. Wenn die Piraten bei der Europawahl im Mai 2014 ernst genommen werden und sich nicht wieder sogar von einer schmierigen rechts-populistischen Parteineugründung überholen lassen wollen, wird es ohne Professionalität im Wahlkampf nicht gehen. Und die sollten immens wichtige Themen wie TTPI eigentlich mehr als wert sein.

Den Tiefpunkt beim diesjährigen Wahlkampf markierte für mich der unsägliche Wahlspot der Piraten, der ähnlich verstörte wie Batman&Robin (1998).

 

3. Dezember 2013

WDR beauftragt Geschäftspartner von Mercedes Benz mit „kritischer“ Mercedes Benz-Doku …

Gaby Weber (eigentlich Dr. Gabriele Weber) gehört zu den handverlesenen Journalisten, welche das Ansehen dieses Berufsstandes deutlich heben. Sie ermittelte unter Lebensgefahr undercover etwa in der Colonia Dignidad und hatte nie Angst vor großen Hunden. So verklagt sie seit Jahren den BND, durchforstet freigegebene CIA-Akten und tritt vor allem dem Mercedes-Konzern auf die Reifen.

Seit etlichen Jahren recherchiert und berichtet sie über Terroraktionen gegen Gewerkschaftsmitglieder in den 1970er Jahren, die Mercedes Benz Argentinia unbequem wurden. Gewerkschafter wurden entführt und gefoltert, 15 verschwanden für immer. Da Stuttgart nicht in Argentinien liegt, lassen sich die Verbrechen auch nicht mit dem Hinweis relativieren, dass in der damaligen rechtsgerichteten Ära Argentiniens insgesamt 30.000 Menschen verschwunden sind.

Doch die Geschichte, die der Konzern nun im vierten Jahrzehnt u.a. durch seine Anwälte dreist zu vertuschen versucht, scheint noch sehr viel unappetitlicher zu sein:

Etwa 500 Babies wurden während der argentinischen Militärdiktatur in den Folterzentren geboren und betuchten Personen übergeben, schätzen die „Großmütter vom Maiplatz“. Gefunden wurden bisher weniger als 90.
Es gab damals „Wartelisten“, in die sich Adoptionswillige eintragen konnten, im in den Besitz eines in Campo de Mayo zur Welt gekommenen Babies zu gelangen. Und wo es eine Nachfrage gibt, muß das Angebot sicher gestellt sein.
Die Armee richtete in der Kaserne Campo de Mayo eine geheime Wöchnerinnen-Station ein, die Brutkästen lieferte Mercedes Benz Argentina (MBA), so der ehemalige Justiziar des Unternehmens, unter Eid. Eine Spende oder eine Investitition?
Tatsache ist, dass der Sicherheitschef von Mercedes Benz sich die Tochter einer Verschwundenen angeeignet und als seine eigene aufgezogen hat. In der Familie des Ex-Produktionschefs Juan Ronaldo Tasselkraut sind drei Kinder, inzwischen erwachsene Männer, die wahrscheinlich aus den Folterzentren stammen. Die Justiz ermittelt zu einem fünften Fall…

Gaby Webers Recherche haben zu einer noch andauernden juristischen Aufarbeitung geführt, gegen die sich der Konzern wehrt. Und es hat den hässlichen Anschein, dass der Arm des Stuttgarter Konzerns bis in den WDR reicht – andernfalls müsste man dem WDR Unfähigkeit unterstellen.

In der gestern Nacht in der ARD ausgestrahlten (nennen wir es mal) „Dokumentation“ war von diesem himmelschreienden Skandal jedoch keine Rede. Auch andere wesentliche Teile der Geschichte fehlen oder sind irreführend. Man lässt den Apologeten Prof. Tomuschat die Komplizenschaft der Firma mit dem Folterer Lavallen als „eine ganz unglückliche Entscheidung“ verharmlosen.

Bei der WDR-Doku handelte es sich um eine erstaunlich schwache Nacherzählung der Recherche von Gaby Weber, deren eigener Film zuvor abgelehnt wurde. Der eigentliche Skandal aber ist, dass der WDR mit der Doku die Firma TV Schönfilm beauftragte, die einen „kleinen“ Interessenkonflikt hat: Die Schönfilmer arbeiteten auch für Mercedes Benz

Der Beitrag, den der WDR den deutschen Zuschauern ersparen wollte, wollte sich jedoch nicht zensieren lassen: