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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


10. Oktober 2015

Konferenz des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig

Diese Woche habe ich an der Gründungskonferenz des Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig teilgenommen. In Deutschland sind wir in der glücklichen Situation, dass zumindest Strafrecht die Pressefreiheit nur ganz selten eine spürbar bedroht, während Journalismus in vielen Ländern sogar lebensgefährlich sein kann.

Sechs Menschen werden sich künftig professionell um die Belange vorwiegend europäischer Pressefreiheit kümmern. Als Standort wurde Leipzig nicht nur wegen des historischen Bezugs zur Meinungsfreiheit durch die Montagsdemonstrationen gewählt, sondern auch wegen seiner geographischen Entfernung etwa zum politischen Berlin. Die überwiegend von Journalisten und Medienjuristen aus dem Ausland besuchte Veranstaltung war anspruchsvoll und mit  professionellerem Aufwand als vergleichbare Tagungen durchgeführt worden. Im Rahmen der Gründungskonferenz wurde der Leipziger Medienpreis an einen in der Türkei verfolgten Publizisten sowie einen im Iran mit Haft und Filmverbot belegten Künstler vergeben.

Mit engagierten Streitern für investigativen Journalismus und Pressefreiheit wie Prof. Dirk Voorhoff (Universität Ghent) oder Henrik Kaufholz (SCOOP, Dänemark) sind gute Leute im Vorstand und ich bin gespannt, wie sich das Projekt entwickeln wird. Zu den Aktivisten gehört vor allem auch Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges.

Doch wer für Pressefreiheit streitet, wird sich daran messen lassen müssen, wie er selbst mit Kritik umgeht. Daher wage ich mal das Experiment und kritisiere:

Wer eine NGO aufzieht, muss diese einerseits solide finanzieren, sich andererseits die Unabhängigkeit bewahren und sich gegen Vereinnahmung durch Dritte als resistent erweisen. Ob das ECPMF diesen Spagat meistern wird, erscheint angesichts der bisherigen Finanziers zweifelhaft: Diese heißen Bertelsmann, Axel Springer SE, Europäische Kommission, Auswärtiges Amt (Deutschland) und Freistaat Sachsen sowie über die Leipziger Medienstiftung die Sparkasse Leipzig. Zumindest die beiden Mediengiganten haben am Export von Pressefreiheit ein wirtschaftliches Interesse und sind für politische Agenden bekannt, die Politiker werden wohl ebenfalls eine haben. Die folgenden drei Beobachtungen machten mich skeptisch:

1.

Weder der Vorsitzende des Vorstandes der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig noch der OB der Stadt Leipzig ließen auch nur Spurenelemente von Medienkompetenz erkennen. In ihren Festreden bedauerten sie inbrünstig, dass es gegenwärtig Leute gäbe, die den Medien nicht glauben würden. Das haben diese Herren allen Ernstes wirklich so gesagt.

Liebe Leute, die Nachrichten zeigen uns nur einen winzigen Ausschnitt der Realität. Die Lüge beginnt bereits mit der Auswahl, was nicht gezeigt wird, und oft genug ist auch das Berichtete irreführend bis unwahr und dient unterm Strich dem Transport von Feindbildern. Ich verweise auf drei Interviews der Nachdenkseiten mit dem renommierten WDR-Journalist Walter von Rossum, dem Schweizer Friedensforscher Dr. Daniele Ganser und dem Medienkritiker Eckart Spoo sowie einen Beitrag von Polit-PR-Spezialist Albrecht Müller. Kein Stoff für Sonntagsreden …

2.

Politische NGOs waren und sind stets anfällig für Instrumentalisierung, etwa zur Verbreitung von Botschaften als scheinbar neutrale Meinungsführer.

Historisches Beispiel ist die von Anfang an erfolgte Unterwanderung von Amnesty International durch die CIA, um Propaganda gegen die Sowjetunion zu orchestrieren und in Ländern mit Bodenschätzen die „Menschenrechte“ anzuprangern. Die Gründerin der westdeutschen Sektion von AI war die CIA-Agentin Carola Stern. Die ebenfalls grundsätzlich verdienstvolle NGO „Reporter ohne Grenzen“ wird üppig aus den USA finanziert und hat bei US-Freunden wie Saudi-Arabien oder Poroschenko erstaunlich blinde Flecken. Die angeblich „grenzenlosen“ Reporter scheinen die Journalisten von RT nicht als ihresgleichen zu akzeptieren, wenn diese etwa in Ferguson Polizeiübergriffe beobachten.

Im Vorstand des ECPFM ist die engagierte Medienanwältin Galina Arapova aus Russland, die alle Berechtigung der Welt hat, um die dortigen Verhältnisse und insbesondere die Einschüchterung von Journalisten anzuprangern. Ich will keinesfalls den Mut und die Motive der Kollegin infrage stellen oder in sonstiger Weise respektlos erscheinen, aber im Rahmen des neuen Kalten Kriegs wäre es verwunderlich, wenn man nicht die Gelegenheit wahrnehmen würde, um sie für politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Positiv anzumerken ist, dass der Vorstandsvorsitzende Henrik Kaufholz durchaus sehr deutliche Worte auch für Präsident Obama fand, der Whistleblower gnadenlos verfolgt und damit eine vitale Bedrohung für Pressefreiheit darstellt. Der Däne ging dabei weiter als alle Deutsche, die in vergleichbaren Situationen Reden halten.

3.

Zu den Gästen gehörte auch der EU-Abgeordnete und Kohl-Spezi Elmar Brok. Der Mann war lange ein Bertelsmann-Lobbyist mit parlamentarischem Mandat – andernorts würde man so etwas Korruption nennen. Als Streiter für Pressefreiheit war der Politiker bislang nicht aufgefallen, im Gegenteil baute er bei kritischer Berichterstattung Druck auf Journalisten auf und spielte eine fragwürdige Rolle in der Ukrainekrise (wo man dieser Tage ein eigenartiges Verständnis von Pressefreiheit hat). Brok wäre so ziemlich der letzte, dem man auf einer Veranstaltung zur Pressefreiheit eine Bühne geben sollte. Während der Veranstaltung mahnte ausgerechnet dieser Zeitgenosse bei EU-Beitrittskandidaten altklug Hausaufgaben bei der Pressefreiheit an.

Aus dem ECPMF kann etwas Großes werden, aber man sollte die Leute, mit denen man sich einlässt, gut im Blick behalten.

19. September 2015

„Ohne Ramstein geht es nicht!“

Gestern habe ich in Köln den Vortrag von Ray McGovern und Elizabeth Murray zur US-Kriegspolitik besucht. Beide tourten diese Woche durch die Republik und sind in Geheimdienstangelegenheiten denkbar kompetent:

McGovern arbeitete 27 Jahre für die CIA und war für das Briefing mehrerer Präsidenten zuständig. Er bezeichnet George Bush Senior sogar als persönlichen Freund. McGovern gründete mit anderen ehemaligen Geheimdienstlern 2003 eine Whistleblower-Organisation und engagiert sich in der US-Friedensbewegung. Nicht er habe sich verändert, sondern die USA.

Murray war vor und während des Golf-Kriegs für die Auswertung der irakischen Medien zuständig. Sie erhielt mehrfach den Auftrag von Falke Wolfowitz, nach einer Verbindung zwischen Al Quaida und Saddam Hussein zu suchen. Nachdem sie (natürlich) nichts fand, mussten es halt „Massenvernichtungswaffen“ sein, mit denen man den Krieg begründete. Sechs Wochen vor 9/11 hatten sowohl Condoleeza Rice als auch Colin Powell verlautbart, der Irak sei keine gefahr für die USA oder seine Nachbarn. Danach sah es etwas anders aus.

Beide hatten am morgen AFRI COM in Stuttgart besucht. Sie lassen keinen Zweifel, dass der Drohnenkrieg ohne die Ramstein Airbase nicht möglich wäre. McGovern fragte rhetorisch, ob die Deutschen denn glaubten, Ramstein sei exterritoriales Gebiet. Tatsächlich nämlich gelten in Ramstein sehr wohl deutsche Gesetze, deren Durchsetzung zwar vom NATO-Truppenstatut etwas behindert, aber keineswegs verhindert wird. Die Staatsanwaltschaft hätte sehr wohl Ramstein auf links klappen können, wäre dies politisch gewollt gewesen.

Die großen Medien waren leider nicht da, so wenig wie schon diesen Januar in Berlin. Zu Murray bietet nicht einmal die Wikipedia einen Artikel, obwohl die Ex-CIA-Analystin beachtliches geleistet hat, etwa Gefängnis inkauf nahm.

11. August 2015

Der Mann, der die Welt rettete

Am Wochenende hat arte anlässlich des 70. Jahrestags des Atombombenabwurfs auf Hiroshima die Doku „The Man Who Saved the World“ über Stanislaw Petrow gezeigt, die aktuell noch in der Mediathek zu sehen ist. 1983 hatte er im Raketenkontrollzentrum in Serpukow die Nerven bewahrt, als die Satellitenüberwachung fünf anfliegende Nuklearrakten meldete. Die Beinahe-Katastrophe ereignete sich auf dem absoluten Tiefpunkt der Beziehung zwischen den Supermächten und wird selbst von konservativen westlichen Militärhistorikern als gefährlicher als die Kuba-Krise eingeschätzt, denn 1983 musste die Entscheidung zum – möglicherweise versehentlichen – Gegenschlag in wenigen Minuten getroffen werden.

Einige Zeit darauf hatten übrigens die Sowjets ihr Doomsday-Device fertig, das für den Fall, dass einen Erstschlag kein russischer Kommandant überleben würde, automatisch die Vergeltung gestartet hätte. Dann hätte auch ein Stanislaw Petrow den nuklearen Wahnsinn nicht aufhalten können.

Vor sechs Jahren schloss ich auf ungewöhnliche Weise persönliche Freundschaft mit Stanislaw Petrow. Ich hatte zuvor über ihn berichtet und spielte unter der Regie des Theater-Kollektiv Rimini Protokoll für das Landesschauspielhaus Düsseldorf und das Berliner Hebbel-Theater mit ihm politisches Theater. Der gelernte Ingenieur hatte übrigens großen Spaß an meinen Zaubetricks und assistierte sogar, als ich unsere isländische Kollegin schweben ließ. Die Aufzeichnung kann man noch heute ansehen. Ironischerweise begriffen viele Zuschauer in gar nicht, dass wir uns selbst spielten. :)

Ich habe ihm in jeder Vorstellung aufs neue die gläserne Weltkugel überreicht, die ihm ein Verein der Weltbürger einmal als Preis verliehen hatte. Wir fanden damals auch Zeit, ausführlich über die Vorfälle des September 1983 zu sprechen. Damals in den 1980ern hatten wir beide Schiss vor einem Dritten Weltkrieg. Was gibt es schöneres, als wenn aus Feinden Freunde werden?

2. August 2015

Katalogstraftaten nach § 100a StPO öffnen die elektronische Waffenkammer

Geheimdienste sind keine Strafverfolgungsbehörden, sondern sammeln Informationen. Der Verfassungsschutz ist allerdings in seinem Auftrag nach § 3 VerfassungsschutzG beschränkt und darf nicht nach Belieben rumspionieren. Gegen jemand, der pro forma des Landesverrats verdächtig ist, sieht das schon anders aus. Landesverrat (§ 94 StGB) gehört nämlich zu den Katalogstraftaten des § 100a StPO. Und das eröffnet (auch ohne Vorratsdatenspeicherung) etwa den kooperierenden Strafverfolgungsbehörden die elektronische Waffenkammer.

Wenn dann demnächst noch die Vorratsdatenspeicherung dazu kommt, haben wir den gläsernen Menschen. Was die SPD-Selbstlüge „VDS machen wir ja nur für schwerste Straftaten“ in der Praxis meint, dürfte nun klar sein. Gespeichert wird ohnehin verdachtsunabhängig über alle. Und wenn die Daten nun einmal da sind, werden sie auch benutzt, und sei es mit juristischen Taschenspielertricks.

31. Juli 2015

Geheimer Freundschaftsdienst

Zu den bekannten Witzen im Geheimdienstbereich gehört der Klassiker mit dem Agent, der seinem Kontaktmann mehrfach am Telefon über einen im Garten vergrabenen geheimen Gegenstand berichtet. Infolgedessen suchen diverse Geheimdienste das Objekt, allerdings erfolglos. Dem Agent ging es jedoch in Wirklichkeit darum, dass jemand den Garten umgräbt.

Ähnlich könnte sich die Geschichte von netzpolitik.org abgespielt haben. Deren Spendenmodell hat nämlich bislang nicht so richtig funktioniert. Doch mit der Hilfe der Spitzenagenten aus Köln-Chorweiler dürfte das Projekt nunmehr seine Geldsorgen los geworden sein.

-> Neulandesverrat

23. Juni 2015

Sachverständiger Zeuge für Trickdiebstahl

Amtsgericht Münster, 22.06.2015, 14.00 Uhr

„Zeuge K. bitte eintreten!“

Die beiden entgegen kommenden anderen Zeugen, zwei Kaufhausdetektive, dürfen vorzeitig gehen. Der Angeklagte hat die von ihnen bezeugten Taten gestanden.

Zeugenbelehrung über Wahrheitspflicht usw..

Amtsrichterin: „Fangen wir an mit den Angaben zur Person. Alter?“

Zeuge K.: „Noch 42.“

Amtsrichterin: „Was machen Sie beruflich?“

Zeuge K.: „Ich bin Rechtsanwalt. Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. Und politischer Journalist.“

Amtsrichterin: „Es geht um die Vorgänge am 24./25.05.2014. Erzählen Sie mal aus Ihrer Sicht!“

Zeuge K.: „Ich war gegen 0.00 Uhr von Dortmund im Nahverkehrszug nach Münster unterwegs. Ich hatte eine Veranstaltung der Martin-Sonneborn-Partei besucht, wo wir den Wahlsieg der Europawahl vorgefeiert hatten. War ein guter Abend. Ich habe mich leicht angeschickert in den überwiegend leeren Nahverkehrszug gesetzt und das Jacket mit meinem Portemonnaie in der linken Innentasche an den Haken gehängt. Normalerweise habe ich immer Körperkontakt mit meiner Brieftasche, aber in dem Fall hatte ich es riskiert. Etwas weiter hinter mir hat eine Gruppe, die offensichtlich erfolgreicher dem Alkohol zugesprochen hatte, ziemlich Lärm gemacht. Gegen Ende der Fahrt war ich wohl leicht eingenickt. Im Hauptbahnhof in Münster stellte ich fest, dass die Brieftasche weg war. Ich habe mit jemandem vom Servicepersonal den Zug durchsucht. Da, wo die Gesellschaft gesessen hatte, war inzwischen eine Kotzlache. Ich nehme an, dass jemand während meines Nickerchens von der hinter mir liegenden Sitzgruppe aus in die Tasche gelangt hat. Ich habe das eher als schlechten Scherz übermütiger, betrunkener Jugendlicher interpretiert. Nachdem ich das Delikt angezeigt hatte, durfte ich – ohne Fahrkarte, Geld oder Kreditkarte – nach Hause laufen. Dort hat mich dann der Anrufbeantworter empfangen, auf dem mir die Polizei mitteilte, dass die Brieftasche gefunden wurde. Ich war froh, dass die Brieftasche mit allen Ausweisen wieder da war, wobei das Bargeld fehlte. Das ist sie.“

Amtsrichterin: „Sind Sie sich sicher, dass die Brieftasche noch da war, als Sie sich hingesetzt haben? Könnte es sein, dass diese Ihnen bereits vorher entwendet wurde?“

Zeuge K.: „Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Ich bin nebenberuflicher Zauberkünstler und mit professionellen Bühnentaschendieben befreundet. Ich trete jeden dritten Donnerstag im Monat im Café Arte mit meinem Bühnenpartner auf, der einer der besten Armbanduhrendiebe ist, die ich kenne. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, aber für sehr unwahrscheinlich, dass man mir etwas klauen könnte, ohne dass ich das merke.“

Verteidiger: „Ist Ihre Brieftasche innen heller als außen?“

Zeuge K.: „Nein.“

Die Beteiligten nehmen mehrfach ein Video in Augenschein, das von einer Sicherheitskamera im Zug stammt. Man sieht dort, wie der Angeklagte den Zeugen passiert, während dieser sich im Gang mit der Jacke über dem Arm für den Sitzplatz entscheidet. Anschließend sieht man den Zeugen, wie diese ab-, jedoch der Kamera zugewandt offenbar konspirativ mit einer Brieftasche hantiert. Der Angeklagte lässt vortragen, es sei seine eigene Brieftasche, die er heute leider nicht mehr besitze. Zeuge K.: „Also, wenn der Angeklagte es tatsächlich geschafft hat, in dieser Aktion mit dem ‚Scherengriff‘ die Brieftasche zu stibitzen, dann hat er meinen fachlichen Respekt. Ich würde dem sogar 50,- € für die Vorstellung bezahlen!“

Der Angeklagte lächelt – möglicherweise stolz. Wahrscheinlich aber, weil er es besser weiß.

Die Beteiligten haben nämlich Zweifel, ob es sich tatsächlich um seine Brieftasche handelt, da die auf dem Video offenbar innen heller ist. Die Brieftasche des Zeugen K. wurde später in der Toilette gefunden. Es scheint so, als habe der Angeklagte bereits jemand anderes erleichtert. Der Diebstahl zum Nachteil des Zeugen K. dürfte erst später erfolgt sein. Die Auswertung des Videos scheint von der Polizei voreilig abgebrochen worden zu sein.“

Richterin, Staatsanwältin und Verteidiger erkundigen sich noch mal, wann die monatliche Vorstellung sei. Jeden dritten Dienstag im Monat, 20 Uhr, Café Arte (100 m neben dem Oberverwaltungsgericht NRW).

Zeuge K.: „Wir sehen uns dann!“

Der Angeklagte wird vermutlich nicht kommen, obwohl er dort für seine berufliche Zukunft einiges lernen könnte, denn Diebstahl und Falschspiel wird dort als Kunst gepflegt.

Auf der Zeugenentschädigungsstelle erkundigt sich die Kostenbeamtin nach meinem Verkehrsmittel.

„Fahrrad.“

„Sehr löblich!“

Tja, so ist das halt in Münster! Der frühere wie legendäre Gerichtspäsident war damals auch immer mit einem klapprigen Rad zwischen Uni und Gericht gependelt.

Auf der Gerichtskasse wird mir ein Zeugengeld ausgezahlt, das wohl in etwa der Summe des entwendeten Geldes entspricht. Damit kann ich leben. Der Angeklagte, der offenbar seinen Drogenkonsum finanziert hat, dürfte auch so genug gestraft sein. Ein Taschendieb ist mir sympathischer als Gewalttäter. Und wer nicht auf seine Geldbörse ausreichend aufpasst, der muss halt Lehrgeld zahlen.

20. Juni 2015

SPD versucht „Projekt 18“

 

Wie man sieht, haben die Sozen von der Vorratsdatenspeicherung keine Ahnung, aber davon jede Menge. Ihre eigenen Daten vollen die Bundestagediebe nicht so lange speichern.

Amtsrichter und Piraten-Landtagsabgeordneter Patrick Breyer, der bereits einmal in Karlsruhe die VDS beseitigt hatte, wird dies nun ein zweites Mal tun. Hier sein Kommentar zum heutigen Beschluss der

Beschluss (Originaltext) Kommentar
Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten im Einklang mit Datenschutz und Grundrechten Vorratsdatenspeicherung ist das Ende des Datenschutzes, denn wenn die bloß potenzielle Nützlichkeit zur Strafverfolgung das Ansammeln privatester Daten rechtfertigen soll, ist eine Totalprotokollierung unseres gesamten Lebens zu rechtfertigen.
Freiheit ist einer der Grundwerte der Sozialdemokratie. Freiheit bedeutet die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben, sich nach seinen Fähigkeiten zu entfalten und gleichberechtigt an Gesellschaft und Politik teilzuhaben. Jeder Mensch muss deshalb frei sein von entwürdigenden Abhängigkeiten und er muss frei sein von Not und Furcht. Freiheit verlangt daher auch immer schwierige Abwägungsentscheidungen – gerade dann, wenn es darum geht, die Rechte von Opfern schwerer Straftaten zu schützen und die Abwehr von Gefahren für Leib, Leben, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung in Einklang zu bringen mit den Persönlichkeitsrechten und dem Datenschutz. Die Erfahrungen mit Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung im In- und Ausland zeigt, dass damit schwere Straftaten weder häufiger verhindert noch häufiger aufgeklärt werden. Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht bestätigt, dass es keinen überzeugenden Beleg für die behaupteten “Schutzlücken” ohne Vorratsdatenspeicherung gibt. Umgekehrt gefährdet eine Vorratsdatenspeicherung Menschen in Not, weil sie nicht mehr vertraulich Hilfe suchen können. Siehe das Infoheftchen “Sicherheit geht vor Sammelwut – Vorratsdatenspeicherung gefährdet Menschenleben” als pdf.
Der SPD-Konvent spricht sich gegen eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung (VDS, auch: Mindestspeicherung) in der bisherigen Form aus. Die ursprüngliche anlasslose und alles umfassende Speicherung ohne eine angemessene Sicherung der Persönlichkeitsrechte und des Datenschutzes ist mit den verfassungs- und
europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar – und wirft Fragen mit Blick auf die Grundwerte der Sozialdemokratie auf.
Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags bestätigt, ist auch der neue Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung mit den verfassungs- undeuroparechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.
Die SPD hat auf ihrem Bundesparteitag 2011 in ihrem Beschluss „Datenschutz und Grundrechte stärken – Datenspeicherung begrenzen!“ klare und restriktive Voraussetzungen für die Mindestspeicherung formuliert. Wir sind überzeugt, dass es im digitalen Zeitalter einen strengen und rechtstaatlich einwandfreien Rahmen für den notwendigen Einsatz von Instrumenten zur digitalen Strafverfolgung von Schwerstkriminellen braucht. Der Beschluss des Parteitages im Dezember 2011 ist nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nur insoweit gegenstandslos, als dieser vor dem Hintergrund der damals gültigen EU-Richtlinie, die Deutschland zu einer Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung verpflichtete, entstanden ist. Das politische Ziel, die Rechte von Opfern schwerster Straftaten und die Abwehr von dringenden Gefahren für Leib, Leben, Gesundheit und Menschenwürde in Einklang zu bringen mit den Persönlichkeitsrechten und dem Datenschutz, bleibt aber nach wie vor aktuell. Die Erfahrungen mit Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung im In- und Ausland zeigt, dass damit schwere Straftaten weder häufiger verhindert noch häufiger aufgeklärt werden. Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht bestätigt, dass es keinen überzeugenden Beleg für die behaupteten “Schutzlücken” ohne Vorratsdatenspeicherung gibt. Umgekehrt gefährdet eine Vorratsdatenspeicherung Menschen in Not, weil sie nicht mehr vertraulich Hilfe suchen können. Siehe das Infoheftchen “Sicherheit geht vor Sammelwut – Vorratsdatenspeicherung gefährdet Menschenleben” als pdf.
Im Folgenden werden die verschiedenen Anforderungen aus dem Bundesparteitagsbeschluss und den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts sowie des Europäischen Gerichtshofs dargestellt und der Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten erläutert. In der Gesamtschau ist es gelungen, mit dem Gesetzentwurf und der darin festgeschriebenen (daten-)differenzierten Herangehensweise, den äußerst kurzen Höchstspeicherpflichten, den vorgeschriebenen Restriktionen und Verpflichtungen für Ermittlungsbehörden und Justiz und den klaren Vorgaben für verpflichtende Maßnahmen zur Gewährleistung höchster Datensicherheit bei den Telekommunikationsunternehmen, das legitime Sicherheitsinteresse der Bürgerinnen und Bürger mit den gewichtigen Anforderungen eines modernen Datenschutzes in Einklang zu bringen. Die weiterhin bestehenden Sorgen nehmen wir sehr ernst.
Wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestags bestätigt, ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Privatsphäre unvereinbar. Insbesondere trägt die anlasslose und die gesamte Bevölkerung erfassende Vorratsdatenspeicherung der Kritik des Europäischen Gerichtshofs keine Rechnung. Anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist das Ende des Datenschutzes, weil mit dem Argument der potenziellen Nützlichkeit alle Daten unbegrenzt gesammelt werden könnten.
1. Der Parteitagsbeschluss 2011
Der Parteitag hat sich am 6. Dezember 2011 für die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung unter engen rechtsstaatlichen Voraussetzungen ausgesprochen. Vorausgegangen war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in der das Gericht das alte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hatte. Falsch. Der Parteitag hatte sich lediglich für eine Umsetzung der zwingenden EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen, die der Europäische Gerichtshof aber 2014 wegen Unvereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta für nichtig erklärt hat. Zitat aus dem – nur mit knapper Mehrheit gefassten – Beschluss:

Die EU-Richtlinie 2006/24/EG verpflichtet Deutschland ein Gesetz zu erlassen, durch welches
alle Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden, die Verbindungsdaten ihrer
Kundinnen und Kunden mindestens 6, höchstens 24 Monate zu speichern. … Für die SPD ist klar, dass diese Vorgaben bei der Ausgestaltung eines Umsetzungsgesetzes strikt befolgt werden müssen. Denn, die von der EU-Richtlinie geforderte Speicherungsverpflichtung stellt einen gravierenden Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Nutzerinnen und Nutzer von Telekommunikationsdiensten dar.

Video der vorangegangenen kontroversen Debatte

Nach Beschlusslage sind bei der Einführung einer Speicherpflicht für Provider der Datenschutz und die Grundrechte zu achten, d.h.:
  • Speicherfristen von deutlich unter sechs Monaten (drei Monate in aller Regel ausreichend), zudem eine Differenzierung der Speicherfristen und Zugriffsvoraussetzungen anhand der zu speichernden Datenarten hinsichtlich der Eingriffsintensität
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten
Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das
permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt. Geregelt ist in dem Gesetzentwurf abschließend, welche Daten wie lange gespeichert werden dürfen. Hierzu zählen die Rufnummern, der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer des Anrufs, bei Mobilfunk auch die Standortdaten. Zudem wird die sogenannte IP-Adresse gespeichert, also quasi das Nummernschild, mit dem ein Internetnutzer zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Datenautobahn unterwegs ist.
  • Richterliche Entscheidung vor Abruf gespeicherten Daten (qualifizierter Richtervorbehalt)
Der Richtervorbehalt gewährleistet in der Praxis keinen ausreichenden Schutz, wie unter anderem das Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht sowie die Universität Bielefeld festgestellt haben. Im Übrigen: Am häufigsten ist die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ohne richterliche Anordnung zugelassen werden.
  • Abruf der gespeicherten Daten nur bei schwersten Straftaten gegen Leib, Leben oder sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere kein Zugriff für zivilrechtliche Zwecke (z.B. für Urheberrechts –und Copyright-Fragen)
Am häufigsten ist die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung schon zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikten wie Filesharing zugelassen werden.
  • Kein Abruf der gespeicherten Daten zur Erstellung eines Bewegungsprofils
Bewegungsprofile sind nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht ausgeschlossen. Anhand der auf Vorrat gespeicherten Standortdaten jedes Bürgers könnten unsere Bewegungen wochenlang nachvollzogen werden. Wer zur falschen Zeit ab falschen Ort war, kann zu Unrecht in Verdacht kommen.
  • Bei Abruf Protokollierung und nach Abruf Benachrichtigung des Betroffenen
Wegen zahlreicher Ausnahmen erfolgt in der Praxis fast nie eine Benachrichtigung Betroffener.
  • Absolutes Verwertungsverbot für Daten eines Berufsgeheimnisträgers
Auch Kontakte von und zu Berufsgeheimnisträgern (z.B. von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Rechtsanwältinnen und
-anwälten, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten) sowie deren Handy-Positionsdaten sollen nach dem Gesetzentwurf auf Vorrat gespeichert werden.
Das Zugriffsverbot ist weitgehend wirkungslos, weil die Polizei bei der Abfrage von Verbindungs- oder Bewegungsdaten oftmals nicht weiß, ob der Betroffene oder seine Gesprächspartner Berufsgeheimnisträger ist. Nach einer Forsa-Umfrage würden die meisten Bürger im Fall einer Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt etwa zu einem Psychotherapeuten aufzunehmen, wenn sie dessen Rat benötigten. Das Risiko von Verlust oder Missbrauch derart sensibler Daten besteht unabhängig davon, ob es zu einem staatlichen Zugriff auf die Daten kommt.
  • Einhaltung der vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Datenschutzstandards
Ungeachtet aller Vorkehrungen ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Missbrauch und Verkauf von Telekommunikationsdaten gekommen. Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Daten.
  • Strenge Sanktionen bei Verstoß gegen die Regelungen und Standards
Darüber hinaus hat sich der Parteitag dafür ausgesprochen, klare Rahmen zu setzen für Datensammlungen, die die Provider ohne gesetzliche Verpflichtungen speichern. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung begrenzt die freiwilligen Datensammlungen (nach § 100 TKG) nicht, sondern schreibt nur zusätzlich die Einrichtung einer zweiten Datenbank vor. Weil sie für die freiwilligen Datensammlungen zur “Störungserkennung” nicht gelten, laufen die Beschränkungen des Gesetzentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung leer und verbessert dieser den Datenschutz nicht – im Gegenteil droht mit einer anlasslosen, massenhaften Vorratsdatenspeicherung das Ende des Datenschutzes.
2. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs
Im März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht das damalige deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt, die Vorratsdatenspeicherung als solche unter bestimmten Voraussetzungen aber weiter für zulässig erachtet. Erforderlich seien hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes, Richtervorbehalt und Schutz der Berufsgeheimnisträger. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten seien nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. Das Bundesverfassungsgericht hat nur über die Vereinbarkeit einer Vorratsdatenspeicherung mit dem Grundgesetz entschieden, nicht über ihre Vereinbarkeit mit der EU-Grundrechtecharta.
Im April 2014 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die bis dahin geltende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen die EU-Grundrechtscharta für nichtig erklärt. Festgestellt wurden Verstöße gegen die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten. Auch der EuGH hat die Vorratsdatenspeicherung nicht generell für unzulässig erachtet, sondern rechtsstaatliche Vorgaben gefordert, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinreichend Rechnung tragen. So darf die elektronische Kommunikation nicht umfassend einer anlasslosen Speicherpflicht unterworfen werden. Wie dieses Ziel erreicht wird, bleibt dem Gesetzgeber überlassen. Auch der EuGH legt Wert auf den Schutz von Berufsgeheimnisträgern. Die Daten dürfen nur zur Verhütung, Feststellung und Verfolgung schwerer Straftaten gespeichert werden und müssen vor unberechtigter Nutzung geschützt werden. Speicherung und Abruf der Daten sind klar und präzise zu regeln. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil zur EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung kritisiert, die Maßnahme führe „zu einem Eingriff in die Grundrechte fast der gesamten europäischen Bevölkerung, … ohne irgendeine Differenzierung, Einschränkung oder Ausnahme anhand des Ziels der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen.“ Die Vorratsdatenspeicherung gelte „auch für Personen, bei denen keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, dass ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren oder entfernten Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte.“ Die Vorratsdatenspeicherung sei weder beschränkt „auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten“. Daraus schließen viele Rechtsexperten, dass der Europäische Gerichtshof eine Vorratsdatenspeicherung insgesamt für grundrechtswidrig erklärt hat.
  Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung haben sich u.a. die SPD-Europaabgeordneten und Bundesjustizminister Heiko Maas einer Wiedereinführung eine Absage erteilt. Maas schrieb vor einigen Monaten wörtlich:

#VDS lehne ich entschieden ab – verstößt gg Recht auf Privatheit u Datenschutz. Kein deutsches Gesetz u keine EU-RL!

3. Der Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten
Mit dem Gesetzentwurf zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten hat die Bundesregierung am 27. Mai 2015 einen Gesetzentwurf beschlossen, der deutlich restriktiver ist als das, was früher als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet wurde. Die strengen Maßstäbe des Parteitagsbeschlusses vom Dezember 2011 sind umgesetzt und zum Teil sogar übertroffen. Zudem sind die verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs eingehalten. Falsch. Der Gesetzentwurf sieht wie die für nichtig erklärten Regelungen wieder eine anlasslose und massenhafte Vorratsspeicherung der Kontakte und Bewegungen der gesamten Bevölkerung vor. Er setzt den (inzwischen obsoleten) SPD-Parteitagsbeschluss nicht um und widerspricht laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags den Urteilen von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof.
Der Gesetzentwurf sieht Folgendes vor:
  • Provider müssen bestimmte Verkehrsdaten speichern, insbesondere die Rufnummer der beteiligten Telefonanschlüsse, Zeitpunkt und Dauer eines Anrufs, bei Mobilfunk die Standortdaten sowie wann und wie lange eine IP-Adresse einem bestimmten Computer, Smartphone o.ä. zugeordnet war, d.h. wann von diesem Gerät das Internet benutzt wurde.
Nach dem Gesetzentwurf sollen ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation (z.B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen, Beratungsstellen usw.) von 80 Millionen Menschen in Deutschland gesammelt werden. Damit höhlt eine Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten das Berufsgeheimnis aus, bringt das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich und schreckt Bürger von vertraulicher Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze ab.
  • Nicht gespeichert werden dürfen jegliche Inhalte von Kommunikation, auch nicht der Inhalt von Telefongesprächen und welche Internetseiten aufgerufen wurden. E-Mails sind generell und komplett von der Speicherpflicht ausgenommen.
Unsere Kontakte und Bewegungen lassen mindestens so viele Schlüsse über unser Privatleben zu wie Gesprächsinhalte, sie lassen vielfach auch auf Gesprächsinhalte schließen (z.B. Anrufe bei Psychotherapeuten). Die Vorratsspeicherung aller Internet-Verbindungsdaten ermöglicht es in Verbindung mit den bei Internetunternehmen gespeicherten Daten (Weblogs), zu rekonstruieren, wer wann was gelesen, geschrieben oder geklickt hat. Auch die anonyme Kommunikation per E-Mail wird für Normalnutzer weitgehend unmöglich, weil in E-Mails normalerweise die IP-Adresse des Absenders angegeben ist, die mit der Vorratsdatenspeicherung wochenlang zu identifizieren wäre.
  • Die Speicherfrist ist differenziert und bestimmt sich nach der Eingriffsintensität der Datenart: Die Daten werden grundsätzlich zehn Wochen gespeichert; die besonders sensiblen und eingriffsintensiven Standortdaten lediglich vier Wochen. Nach Ablauf der Fristen sind die Unternehmen verpflichtet, die Daten binnen einer Woche zu löschen.
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt.
  • Die Daten werden bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert. Die Strafverfolgungsbehörden können nur dann einzelne Daten abrufen, wenn ein Richter oder eine Richterin dies für den konkreten Einzelfall nach Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen und Verhältnismäßigkeitsprüfung erlaubt. Die Datennutzung unterliegt also ausnahmslos einem umfassenden Richtervorbehalt. Eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft existiert nicht.
Der Richtervorbehalt gewährleistet in der Praxis keinen ausreichenden Schutz, wie unter anderem das Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht sowie die Universität Bielefeld festgestellt haben. Im Übrigen: Nach dem Gesetzentwurf können die Vorratsdaten über die “Bestandsdatenauskunft” (§ 113 TKG) von Strafverfolgern, Polizei und Nachrichtendiensten zur Identifizierung von Internetnutzern genutzt werden, ohne dass ein Richter zustimmen muss.
  • Abgerufen werden dürfen die Daten von der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung einzeln aufgeführter besonders schwerer Straftaten, insbesondere bei terroristischen Taten und anderen Delikten gegen Leib, Leben, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung, also etwa bei Mord, Totschlag oder schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern. Ein Abruf für zivilrechtliche Zwecke ist ausgeschlossen.
Nach dem Gesetzentwurf können die Vorratsdaten über die “Bestandsdatenauskunft” (§ 113 TKG) von Strafverfolgern, Polizei und Nachrichtendiensten zur Identifizierung von Internetnutzern genutzt werden, selbst zur Verfolgung von Bagatellstraftaten oder Ordnungswidrigkeiten. Auch sonst kann das Ergebnis strafrechtlicher Ermittlungen zivilrechtlich weiterverwertet werden, z.B. von Medienkonzernen zur Abmahnung von Filesharern.
  • Die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen soll durch die verkürzte Speicherfrist und hohe Hürden für den Abruf von Standortdaten Daten verhindert werden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schließt die Erstellung von Bewegungsprofilen nicht aus, sondern würde es umgekehrt ermöglichen, unsere Bewegungen wochenlang nachzuverfolgen.
  • Transparenz: Der Abruf der Daten ist keine verdeckte Maßnahme. Die betroffenen Personen sind grundsätzlich vor dem Abruf der Daten zu benachrichtigen, im Übrigen werden die Betroffenen nachträglich benachrichtigt. Der Abruf ist zu protokollieren.
Wegen zahlreicher Ausnahmen erfolgt in der Praxis fast nie eine Benachrichtigung Betroffener.
  • Zum Schutz der Berufsgeheimnisträger sind von der Speicherpflicht ausgenommen Daten, die etwa bei der Kontaktaufnahme zu Telefonseelsorge-Hotlines anfallen. Daten, die bei der Kommunikation mit Personen anfallen, denen die Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt (etwa Geistliche, Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Journalisten, Volksvertreter) dürfen von den Strafverfolgungsbehörden nicht abgerufen werden. Zufallsfunde unterliegen einem Verwertungsverbot, d.h. sie dürfen in keinem Fall genutzt werden.
Auch Kontakte von und zu Berufsgeheimnisträgern (z.B. von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Rechtsanwältinnen und -anwälten, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten) sowie deren Handy-Positionsdaten sollen nach dem Gesetzentwurf auf Vorrat gespeichert werden. Das Zugriffsverbot ist weitgehend wirkungslos, weil die Polizei bei der Abfrage von Verbindungs- oder Bewegungsdaten oftmals nicht weiß, ob der Betroffene oder seine Gesprächspartner Berufsgeheimnisträger ist. Nach einer Forsa-Umfrage würden die meisten Bürger im Fall einer Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt etwa zu einem Psychotherapeuten aufzunehmen, wenn sie dessen Rat benötigten. Das Risiko von Verlust oder Missbrauch derart sensibler Daten besteht unabhängig davon, ob es zu einem staatlichen Zugriff auf die Daten kommt.
  • Für die Speicherung gelten die hohen Datenschutzstandards des Bundesverfassungsgerichts.
Ungeachtet aller Vorkehrungen ist es in der Vergangenheit immer wieder zu Missbrauch und Verkauf von Telekommunikationsdaten gekommen. Nur nicht gespeicherte Daten sind sichere Daten.
  • Strenge Sanktionen: Bei Verstößen drohen den Unternehmen Geldbußen von 100.000 bis 500.000 Euro
Keine Strafe kann den Schaden wieder gutmachen, der durch Verlust oder Verkauf von Informationen über unsere sozialen Beziehungen, unsere Bewegungen und unsere Internetnutzung entstehen kann.
Dieser Gesetzentwurf ist deutlich restriktiver als das, was früher als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet wurde, denn: Der Gesetzentwurf sieht genau das vor, was als Vorratsdatenspeicherung bezeichnet wird, nämlich eine anlasslose und massenhafte Protokollierung der Telefon-, Handy- und Internetverbindungen der gesamten Bevölkerung mitsamt des Aufenthaltsorts.
  • Es wird sehr viel kürzer gespeichert; die alte EU-Richtlinie sah eine Speicherung bis zu zwei Jahren vor, das verfassungswidrige deutsche Gesetz eine Speicherung von sechs Monaten. Der Gesetzentwurf liegt mit zehn bzw. vier Wochen sogar deutlich unter der im Beschluss des Parteitags angestrebten Speicherfrist („deutlich unter sechs Monaten“)
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt.
  • Es werden weniger Daten gespeichert als zuvor; so sind etwa E-Mail-Daten jetzt komplett ausgenommen.
E-Mails sind nicht ausgenommen: E-Mails enthalten normalerweise die IP-Adresse des Absenders. Mit Vorratsdatenspeicherung wird es dem Normalnutzer nicht mehr möglich sein, anonyme E-Mails zu versenden. Da viele Informationen nur im Schutz der Anonymität preisgegeben werden (z.B. Whistleblowing), drohen der Gesellschaft Nachteile.
  • Die Voraussetzungen für den Abruf auf die Daten sind strenger; der Kreis der Taten, für deren Aufklärung die Daten genutzt werden dürfen, ist enger.
Am häufigsten ist die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll ohne richterliche Anordnung und selbst zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikten wie Filesharing sowie für sonstige Zwecke von Polizeibehörden und der Nachrichtendienste zugelassen werden (§ 113 TKG).
  • Der Abruf von Standortdaten wurde generell verschärft. Zu geschäftlichen Zwecken gespeicherte Standortdaten dürfen nicht mehr abgerufen werden. Abgerufen werden dürfen nur noch die verpflichtend gespeicherten Standortdaten unter den oben genannten strengen Voraussetzungen.
Nur für Strafverfolgungsbehörden soll der Abruf von Standortdaten beschränkt werden, der präventive Abruf betrieblich gespeicherter Standortdaten zur Gefahrenabwehr und der Abruf solcher Standortdaten durch Nachrichtendienste bleibt uneingeschränkt möglich.
  • Die Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen soll durch die verkürzte Speicherfrist und hohe Hürden für den Abruf von Standortdaten verhindert werden.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung schließt die Erstellung von Bewegungsprofilen nicht aus, sondern würde es umgekehrt ermöglichen, unsere Bewegungen wochenlang nachzuverfolgen.
  • Erstmals gibt es ein klares Verwertungsverbot von Daten von Berufsgeheimnisträgern. Eine „Whitelist“ mit von allen Berufsgeheimnisträgern in Deutschland, mit all ihren Telefonnummern, IP-Adresse etc., die für ein Erhebungsverbot erforderlich wären, ist bei genauer Betrachtung kein Gewinn an Datenschutz, sondern angesichts der Brisanz einer solchen umfassenden Liste das Gegenteil.
Auch Kontakte von und zu Berufsgeheimnisträgern (z.B. von Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Rechtsanwältinnen und -anwälten, Ärztinnen und Ärzten, Apothekerinnen und Apothekern, Abgeordneten, Journalistinnen und Journalisten) sowie deren Handy-Positionsdaten sollen nach dem Gesetzentwurf auf Vorrat gespeichert werden. Das Zugriffsverbot ist weitgehend wirkungslos, weil die Polizei bei der Abfrage von Verbindungs- oder Bewegungsdaten oftmals nicht weiß, ob der Betroffene oder seine Gesprächspartner Berufsgeheimnisträger ist. Nach einer Forsa-Umfrage würden die meisten Bürger im Fall einer Vorratsdatenspeicherung davon absehen, per Telefon, E-Mail oder Handy Kontakt etwa zu einem Psychotherapeuten aufzunehmen, wenn sie dessen Rat benötigten. Das Risiko von Verlust oder Missbrauch derart sensibler Daten besteht unabhängig davon, ob es zu einem staatlichen Zugriff auf die Daten kommt.Die Argumente gegen eine Ausnahme von Vertrauensberufen verfangen nicht: Eine Liste aller Berufsgeheimnisträger wäre nicht nötig. Es würde genügen, Berufsgeheimnisträgern das Recht zu geben, ihre Telekommunikationskennungen freiwillig auf eine No-Retention-Liste setzen zu lassen. Bei Rufnummern von Beratungsstellen gibt es dieses Verfahren schon heute. Wenn sich der Staat nicht einmal zum Schutz einer Liste geschützter Telefonnummern in der Lage sieht, wie will er dann die Vertraulichkeit von Informationen über die Verbindungen und Bewegungen der gesamten Bevölkerung gewährleisten?
Eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft gibt es nicht. Nur ein Gericht darf den Zugriff der Ermittlungsbehörden auf die Kundendaten bei den Unternehmen erlauben – ausdrücklich ohne die sonst vielfach übliche Eilkompetenz des Staatsanwalts, die letztendlich dem Richter nur noch nachträglich die Entscheidung überlässt, ob er eine bereits erfolgte Abfrage genehmigt oder andernfalls für rechtswidrig erklärt. Der Richtervorbehalt gewährleistet in der Praxis keinen ausreichenden Schutz, wie unter anderem das Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht sowie die Universität Bielefeld festgestellt haben. Am häufigsten ist im Übrigen die Verwendung von Vorratsdaten zur Identifizierung von Internetnutzern („Bestandsdatenauskunft“). Diese soll ohne richterliche Anordnung und selbst zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten und Bagatelldelikten wie Filesharing sowie für sonstige Zwecke von Polizeibehörden und der Nachrichtendienste zugelassen werden (§ 113 TKG).
Erstmals werden enorm hohe Datenschutzstandards bei den Providern gesetzlich verpflichtend vorgeschrieben. Bisher gibt es hier keine einheitlichen Schutzstandards. Das Gesetz wird zum ersten Mal bestimmen, welche Anonymisierungs-, Kryptorisierungs-Standards, etc. von den Telekommunikationsunternehmen verpflichtend eingehalten werden müssen – mit massiven Geldbußandrohungen, falls ein Unternehmen dem nicht nachkommt. Falsch. Die Datenschutzanforderungen sollen nur für die neuen Vorratsdatenbanken gelten. Die bisher schon zu betrieblichen Zwecken gespeicherten Verbindungs- und Standortdaten bleiben so unsicher wie bisher.
Der Gesetzentwurf sieht zugleich vor, den neuen Straftatbestand der „Datenhehlerei“ zu schaffen. Damit wird sichergestellt, dass Daten nicht nur vor Ausspähung geschützt sind, sondern auch der Handel mit ausgespähten Daten unter Strafe steht. Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar dazu:

Die vorgeschlagene neue Strafvorschrift § 202d StGB (Datenhehlerei) steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit den sonstigen durch das Gesetzesvorhaben verfolgten Zweck. Sie würde einerseits zur Kriminalisierung von Whistleblower-Plattformen, Bloggern oder Medien führen, die dem Ziel dienen, Informationen über rechtswidriges Verhalten von Amtsträgern oder Organisationen zu sammeln oder aufzudecken. Im Ergebnis wäre sogar eine Schwächung des journalistischen Quellenschutzes zu befürchten und mithin eine Beeinträchtigung von Art. 5 Abs. 1 GG. Würde es den im Entwurf formulierten Straftatbestand schon heute geben, würde eine Vielzahl der in diesen Tagen erfolgenden Berichte und Blogs über illegale Aktivitäten von Geheimdiensten strafrechtlich erfolgt. Zudem würde die vorgesehene generelle Privilegierung von Amtsträgern oder deren Beauftragten, mit denen Daten „der Verwertung in einem Besteuerungsverfahren, einem Strafverfahren oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zugeführt werden sollen“ den durch § 44 BDSG gewährleisteten Schutz personenbezogener Daten aushöhlen und andere gesetzliche Verwertungsverbote unterlaufen.

4. Zusammenfassung
Der vorgelegte Gesetzentwurf erfüllt die Vorgaben aus den Urteilen des BVerfG und des EuGH. Der Gesetzentwurf ignoriert den Kern der Kritik an einer anlasslosen und massenhaften Vorratsdatenspeicherung, nämlich dass das Ziel der Strafverfolgung außer Verhältnis steht zu der Methode einer unterschiedslosen Sammlung höchstsensibler Informationen über das Privatleben vollkommen unbescholtener Bürger, die in keinerlei Zusammenhang mit einer Straftat stehen. Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags bestätigt, ist der Gesetzentwurf der Bundesregierung mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Privatsphäre unvereinbar.
Vor allem hat er aber noch einmal die Anforderungen in erheblichem Maße verschärft, die wir auf dem Parteitag 2011 an ein solches Ermittlungsinstrument geknüpft haben: Der Parteitagsbeschluss aus dem Jahr 2011 betraf die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und ist obsolet.
  • Speicherfrist unter 3 Monaten mit 4 Wochen bzw. 10 Wochen.
Die schädliche Wirkung einer verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung besteht unabhängig von der Speicherdauer (zumal die meisten Datenabrufe in den ersten Tagen erfolgen). Entscheidend ist, dass jede Vorratsdatenspeicherung Berufsgeheimnisse aushöhlt, das permanente Risiko von Datenverlusten und Datenmissbrauch mit sich bringt und Bürger von freier Kommunikation über elektronische Kommunikationsnetze abschreckt.
  • Für die sensiblen Daten wird eine Löschverpflichtung eingeführt.
Falsch. Die Löschungsfrist soll nur für die zusätzliche Vorratsdatensammlung gelten. Die vom Bundesparteitag 2011 geforderte Eindämmung der betrieblichen Datensammlung zur “Störungserkennung” (§ 100 TKG) erfolgt durch den Gesetzentwurf nicht.
  • Eine Datenart (Email) wird komplett ausgenommen.
Falsch, E-Mails sind nicht ausgenommen: E-Mails enthalten normalerweise die IP-Adresse des Absenders. Mit Vorratsdatenspeicherung wird es dem Normalnutzer nicht mehr möglich sein, anonyme E-Mails zu versenden. Da viele Informationen nur im Schutz der Anonymität preisgegeben werden (z.B. Whistleblowing), drohen der Gesellschaft Nachteile.
  • Der Abruf der besonders sensiblen Standortdaten wurde nochmals verschärft: Abgerufen werden dürfen nur noch die verpflichtend gespeicherten Standortdaten innerhalb von vier Wochen und nur bei Verdacht auf eine Straftat aus dem eng umrissenen Straftatenkatalog. Dies ist auch eine klare Verbesserung zum Status Quo.
Nur für Strafverfolgungsbehörden soll der Abruf von Standortdaten beschränkt werden, der präventive Abruf betrieblich gespeicherter Standortdaten zur Gefahrenabwehr und der Abruf solcher Standortdaten durch Nachrichtendienste bleibt uneingeschränkt möglich.Eine Vorratsdatenspeicherung wäre keine “Verbesserung zum Status Quo”, sondern ein Abschied vom Recht auf vertrauliche Kommunikation.
In dem Gesetzgebungsverfahren soll eine Evaluierung der Gesetzespraxis festgelegt werden. Die EU-Kommission hat bereits eine Evaluierung vorgenommen. Danach sollte die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung fortgeführt werden. Der Europäische Gerichtshof hat sie jedoch als unverhältnismäßig verworfen.
5. Speicherung, Verknüpfung und Auswertung von Daten durch private Anbieter
Der Staat erreicht mit seinem Gesetz ein Datenschutzniveau, das ansonsten bei privaten Anbietern bei Weitem nicht erreicht wird. Laut Bundesverfassungsgericht ist eine Vorratsdatenspeicherung eine Datensammlung in einem Ausmaß, wie es unserem Rechtsstaat bisher fremd ist. Vorratsdatenspeicherung schafft das ständige Risiko, dass privateste Informationen über unsere Kontakte und Bewegungen missbraucht, verkauft oder verloren werden könnten. Das schreckt von freier Kommunikation ab. Die Sicherheitsvorkehrungen sollen außerdem nur für die neu einzurichtenden Vorratsdatenbanken gelten, nicht für die von Telekommunikationsunternehmen zu betrieblichen Zwecken weiterhin gespeicherten Verkehrsdaten.
Unabhängig von dem staatlichen Zugriff auf Verkehrsdaten, speichern private Anbieter in umfangreichster Weise Daten von Kunden und Nutzern. Die ausufernde Datensammlung von Telekommunikationsanbietern zur “Störungserkennung” (§ 100 TKG) wurde unter Mitwirkung der SPD-Bundestagsfraktion immer wieder ausgeweitet, zuletzt durch das IT-Sicherheitsgesetz. Eine Verfassungsbeschwerde ist anhängig. Bei grundrechts- und europafreundlicher Auslegung ist die “freiwillige Vorratsdatenspeicherung” nach § 100 TKG schon heute rechtswidrig.
Die technologische Entwicklung erlaubt heute erstmals eine umfassende Verknüpfung von Informationen aus verschiedenen Quellen sowie deren detaillierte Auswertung (Big Data). In der Verarbeitung, Aggregierung und Verknüpfung unterschiedlichster Datenarten und Datenmengen in Echtzeit liegt großes gesellschaftliches und wirtschaftliches Potenzial. So können z.B. mittelständige Unternehmen durch individualisierte Kundenlösungen Wettbewerbsvorteile erlangen. In diesen Entwicklungen liegt aber auch ein erhebliches Risiko für die informationelle Selbstbestimmung.
Der SPD-Parteikonvent fordert, dass für die Speicherung, Weitergabe und Verkauf sowie für einen Zugriff durch Dritte auf die von privaten Anbietern gespeicherten Daten ein klarer gesetzlicher Rahmen gesetzt wird. Da unterschiedliche Datenarten verschiedene Gefährdungspotentiale aufweisen, ist dabei nach Datenarten zu differenzieren. Der gesetzliche Rahmen verbietet Telekommunikationsanbietern bei grundrechts- und europarechtskonformer Auslegung bereits heute eine anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten zur “Störungserkennung” – richtigerweise ohne nach Datenarten zu unterscheiden. Mit Verbindungsende ist zu löschen.
Unternehmen, die eine marktbeherrschende Position innehaben, können sich dem Wunsch der Nutzer nach mehr Datenschutz durch ihre Monopolstellung entziehen. Je mehr Mitglieder sich in sozialen Netzwerken vernetzen, desto attraktiver wird die Plattform für neue Mitglieder. Denn die meisten Nutzer werden dorthin gehen, wo die größte Anzahl von Freunden angemeldet ist. Auch Suchmaschinen werden immer besser, je mehr Nutzer ihre Suchanfragen stellen. Insofern ist ein Abmelden der Nutzer von diesen Anbietern nur mit hohen Kosten, wie eine schlechtere Vernetzung mit Gleichgesinnten, ein Vorbehalten von Informationen oder ungenaueren Suchergebnissen verbunden. Im Alltag nehmen Menschen aufgrund der gefühlten Alternativlosigkeit zur angebotenen Dienstleistung mit den gegebenen Geschäftsbedingungen daher häufig Einschränkungen ihres Datenschutzes notgedrungen in Kauf. Deswegen unterstützen wir die Bemühungen zum Abschluss einer Datenschutzgrundverordnung in der EU. Mit einer Datenschutzgrundverordnung würden erstmals klare und einheitliche Regelungen in der EU gelten. Dadurch kann auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit des Staates, Datenschutz gegenüber privaten Anbietern durchzusetzen, verbessert werden. Mit der EU-Datenschutzverordnung droht der Datenschutz in verschiedener Hinsicht weiter aufgeweicht und verwässert zu werden. Um das im Einzelnen auseinanderzusetzen, fehlt hier der Raum.
Staat, Wirtschaft und Wissenschaft sind zur Beachtung des Datenschutzes und der Datensicherheit nicht allein rechtlich passiv verpflichtet. Vielmehr fordern wir, dass diese Vorgaben bei der Planung von betrieblichen und organisatorischen Prozessen und Geschäftsmodellen aktiv beachtet, proaktiv implementiert und auf Organisationsebene weiter entwickelt werden. Datenschutz und Datensicherheit müssen von vornherein in die Prozesse und Abläufe integriert sein (privacy by design und privacy by default). Wir fordern die Bundestagsfraktion auf, entsprechende Vorschläge zu erarbeiten und sich für ein hohes Datenschutzniveau, Datenportabilität, offene Standards und gegen proprietäre System einzusetzen.
Wohlklingende Forderungen legitimieren die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation nicht.

 

27. Mai 2015

Geheimdienst-Anstalt

 

Bei der aktuellen Ausgabe der Anstalt hatte ich mal wieder ein Dé-jà Vue. Zu den Themen passen meine folgenden Telepolis-Beiträge, die in aktualisierter Form in Cold War Leaks zu finden sind:

 

22. Mai 2015

Bombenstimmung am Karnevalssonntag

 

Erinnern Sie sich noch an den Karnevalssonntag, als in Braunschweig der Umzug abgesagt werden sollte – wegen einer Terrorwarnung? Nach drei Monaten ist nunmehr amtlich, dass die Polizei auf Klönschnack hereingefallen war.

Ich war damals nicht irgendwo, sondern in der terrorgefährlichsten Zone Deutschlands überhaupt: Ich begab mich in den Kölner Karneval und war auf dem Weg in dessen Epizentrum. Beim Nutzen von Massenverkehrsmitteln inmitten von vermummten Gestalten verfolgte ich am Smartphone, ob es denn in Braunschweig nun knallen oder in Köln eine Massenpanik ausbrechen würde. Denn es stand unmittelbar die Kölner Schull un Veedelszöch bevor. Ich entschied mich für „Freiheit statt Angst“ – und der Rest der Stadt auch.

Ich wohnte dem Umzug nicht von irgendwo bei, sondern auf der Ehrentribüne des Oberbürgermeisters, erste Reihe. Ich wäre also garantiert draufgegangen! (Wie es ein westfälischer Karnevalsmuffel geschafft hat, ausgerechnet den Kölschen Klüngel zu unterwandern, obwohl er nicht einmal so genau weiß, was genau die „Ehrengarde“ ist, soll vorläufig ein Geheimnis bleiben. :) )

In Köln interessierte sich allerdings genau niemand für die Terrorwarnungen. Ein Evakuieren hätte vermutlich zu Opfern oder zu Straßenschlachten zwischen radikalen Karnevalisten und der Polizei geführt. Stattdessen blieben die Narren gelassen. In den Thermoskannen befanden sich keine Bomben, sondern Kaffee. Statt Molotowcocktails gab es Sekt. Terrorwarnungen des Verfassungsschutzes weiß man in Köln einzuordnen, denn der Verfassungsschutz sitzt in Köln-Chorweiler und ist manchmal jeck.

Um das Sicherheitsgefühl meiner Umwelt zu erhöhen, hatte ich mich übrigens als Schlapphut verkleidet.

20. Mai 2015

Fotografen in Bonn brauchen gute Motive

Wie mir nunmehr bekannt wurde, hat das Landgericht Bonn das Urteil des Amtsgerichts Bonn gegen den fotofreudigen Hilfssheriff bestätigt. In Bonn sieht man es als unrechtmäßig an, Personen ohne deren Einwilligung zu fotografieren, selbst wenn dieses unverfänglich oder nicht belästigend (weil heimlich) geschieht.

Über das Ergebnis kann man sich streiten. Rechtstechnisch ist die Begründung nicht überzeugend. Das Landgericht subsummiert den Fall unter das „Recht am eigenen Bild“ aus §§ 22 KunstUrhG. Dieses Gesetz regelt aber nicht das Anfertigen von Fotos, sondern nur das Verbreiten und zur Schau stellen von solchen.

Das historische KunstUrhG stammt aus einer Zeit, als man zum Anfertigen eines Fotos einen großen Aufwand wie einen Magnesiumblitz hatte und auch das Ausstellen und Verbreiten nicht ohne weiteres möglich war. Heute allerdings kann jeder Handybesitzer seine Bilder sofort weltweit twittern. Dazu braucht man andere Gesetze als die aus dem Postkutschenzeitalter.

Seit Entdeckung des allgemeinen Perönlichkeitsrechts durch das Bundesverfassungsgericht wissen wir, dass § 22 JunstUrhG und andere Gesetze nur die Ausprägung eines „allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ sind. Eingriffe in gesetzlich ungeregelte Sachverhalte sind daher hieran und nicht am KunstUrhG zu messen, das insoweit auch kein lex specialis ist.

Hier stellt sich die Frage, ob tatsächlich eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzgebers vorliegt. Das ist aus meiner Sicht nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat sich gerade erst kürzlich mit dem Recht der Fotofreiheit befasst, wenn auch im strafrechtlichen Zusammenhang. So wurde § 201a StGB verschärft, der das Anfertigen von Fotos in den in Abs.1, Nr. 1 und 2 und Abs. 3 Nr. 1  genannten Fällen untersagt.  Bei dieser Gelegenheit hätte der Gesetzgeber auch ein ggf. weitergehendes zivilrechtliches Verbot für solches Fotografieren formulieren können, das zwar nicht bestraft werden muss, jedoch zivilrechtlich zu unterlassen ist. (Die Neufassung von § 201a StGB trat erst zwei Wochen nach diesem Urteil in Kraft.)

Das ist nicht geschehen. Auch die Abs. 2 erfassten Fotos mit der Eignung, „dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“, betreffen nur das Zugänglich-Machen, nicht aber die Anfertigung. Sofern der Bonner Fotograf nicht auf Privatgelände oder in einem FKK-Bereich knipst oder auf nackte Minderjährige oder gar auf militärische Sicherheitsbereiche draufhält, dürfte seine Fotofreude von der allgemeinen Handungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sein.

Die Bonner Gerichtevertreten allerdings vertreten die Rechtsauffassung, dass man zusätzlich zur allgemeinen Handlungsfreiheit auch ein „schützenswertes Eigeninteresse“ benötigt. Dem liegt wohl auf der Wertungsebene das Unbehagen darüber zugrunde, dass sich der Fotograf gewissermaßen als Hilfssheriffs aufführt und verdeckte Überwachung durchführt. Man assoziiert quasi Amtsanmaßung, die bei entsprechend ernsthaftem Auftreten sogar strafbar wäre (was vorliegend nicht der Fall ist). Denn dem Fotograf ging es um den Nachweis von Ordnungswidrigkeiten.

Nun gibt es durchaus Entscheidungen, in denen wahrnehmbare Kameras aus Gründen des Datenschutzes, wegen Schikane und Belästing usw. abgebaut werden mussten. Aber dass man Fotografen vorschreibt, aus welchen Motiven sie ihre Motive bannen, ist einigermaßen neu. Auch für heimliches Fotografieren hat der Gesetzgeber bislang keine anderen Regeln aufgestellt als für konventionelles.

Die Entscheidung sollte Privatdetektiven und investigativen Journalisten zu denken geben, die sich ggf. aus § 201a Abs. 4 StGB analog rechtfertigen müssen.

Landgericht Bonn, Urteil v. 07.01.2015 – Az.: 5 S 47/14.