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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


1. Dezember 2017

Meine Kandidatur als künftiger Direktor der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz

Sehr geehrte Mitgliederinnen und Mitglieder der Versammlung der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz!

Kommenden Montag wird Ihnen die sogenannte Findungskommission einen einzigen Kandidaten präsentieren, den sie dann ganz demokratisch zum neuen Direktor der LMK wählen dürfen. Ob Herr „Dr.“ Eumann für die Gewährleistung der Staatsferne eine hinreichend moralisch integre Persönlichkeit bietet, werden Sie zu befinden haben.

Das fadenscheinige Verfahren einer „Findung“ allerdings hätte ich eher in einem afrikanischen Schwellenland erwartet. An Ihrer Stelle als Wahlversammlung käme ich mir bei nur einem einzigen Kandidaten unterfordert vor.

Als guter Demokrat möchte ich Ihnen daher konstruktiv eine Alternative anbieten. Für das Monatsgehalt von rund 10.000,- € (Besoldungsstufe B7) würde ich mir auch das Programm von sat.1 zumindest auszugsweise ansehen, allerdings sollten dann auch ein 13. Monatsgehalt und ein Dienstwagen drin sein.

Im Gegensatz zu meinem Mitbewerber verfüge ich als Volljurist über die Befähigung zum Richteramt, bin Fachanwalt für Medienrecht und habe mich vor vier Jahren unwiderruflich aus aktiver Politik zurückgezogen. Selbst nach dem entsprechenden Gesetz für NRW, an dem mein Mitbewerber federführend beteiligt war, wäre ich also überqualifiziert. Wie mein Mitbewerber, ein Geschichtswissenschaftler, pflege auch ich historische Interessen, gelte etwa als Spezialist für Able Archer 83. 2013 erschien mein auf eigenen Recherchen basierendes Buch über Geheimdienste im Kalten Krieg.

Für ein Antichambrieren dürfte die Zeit etwas knapp sein. Da ich gelernt habe, dass es in der Politik nicht auf Inhalte, sondern auf Identifikation ankommt, und damit Sie nicht erst den Verfassungsschutz für Informationen über mich bemühen müssen, offenbare ich Ihnen nunmehr individuell für Ihre jeweilige gesellschaftliche Gruppe meine Qualitäten:

An die Vertreterinnen und Vertreter der Medien:

Den Vertreter des Deutschen Journalistenverbands – Landesverband Rheinland-Pfalz, den Vertreter des Südwestdeutschen Zeitschriftenverleger-Verbands, die Vertreterin von ver.di-Landesbezirk Rheinland-Pfalz (IG Medien/Fachgruppe Journalismus) und die Vertreterin des Verbands der Zeitungsverleger in Rheinland-Pfalz und Saarland möchte ich wissen lassen, dass ich zwar häufig Fehlleistungen in dieser Branche manchmal auch hart kritisiere. Als Medienanwalt allerdings vertrete ich jedoch häufig Journalisten. Ich selbst war einst Chefredakteur der Schülerzeitung des Albert-Schweitzer-Gymnasiums Kaiserslautern und schreibe heute tagesaktuell.

An die Vertreterinnen und Vertreter der Politik:

Ich habe vor dem Beruf des Parlamentariers, der sich stets der Kritik stellt, größten Respekt und schätze alle politischen Parteien. Mein Vater ist seit 62 Jahren Mitglied der CDU Kaiserslautern, ein Bruder von mir ist irgendwas bei den vorderpfälzischen Grünen und ich selbst war sieben Jahre Mitglied bei den Piraten. Meine Peergroup ist eher links-liberal, für Ideologien bin ich allerdings unbegabt. Die SPD-Genossen werden sich sicherlich für mein Interview mit Ferdinand Lasalle interessieren. Meine Kontakte zur AfD waren nur juristischer Natur. Als Anwalt habe ich etwa im Auftrag die Vorstandswahl der AfD Schleswig-Holstein wegen Mauscheleien und Manipulation erfolgreich angefochten. Die Partei Die PARTEI, der ich heute angehöre, ist leider nicht im Landtag vertreten.

An die Vertreterinnen und Vertreter der Religionen:

In Religion hatte ich immer eine 1, meine große Schwester ist sogar promovierte Theologin. Der Vertreter der Katholischen Bistümer in Rheinland-Pfalz wird meine katholische Erziehung und meine Sakramente zu schätzen wissen; einst war ich sogar Zeuge der Bischofsweihe von Anton Schlembach im Speyrer Dom und habe in Florenz von Papst Johannes Paul II. den Segen empfangen. Den Vertreter der Evangelischen Kirchen im Lande Rheinland-Pfalz möchte ich mit einem Verweis auf meine Schwägerin gnädig stimmen, die dort als Pfarrerin seelsorgt. Falls sich bis Montag auch die Atheisten eine Vertretung bei der LMK organisiert haben sollten, verweise ich vorsorglich auf meinen längst vollzogenen Kirchenaustritt.

An die Vertreterinnen und Vertreter von Sport, Kunst und Kultur und „Stiftung Lesen“:

Als Schüler war ich Mitglied im 1. FCK und im Turn- und Fechtclub Kaiserserlautern sowie in der Tae Kwon Do-Union Rheinland-Pfalz und entwickelte eine avantgardistische Tennis-Zaubershow. Anfang der 1990er Jahren wirkte ich in professionellen Inszenierungen des Pfalztehaters von „Romeo und Julia“ bis „Zauberflöte“ mit. 2009 gestaltete ich mit „Rimini Protokoll“ als Autor und Darsteller für das Landestheater Düsseldorf eine politische Inszenierung. 2016 brachte Westend meinen ersten Spionageroman.

An die Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften und Beamten:

Den Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die Vertreterin des ver.di-Landesbezirks Rheinland-Pfalz (DAG) und den Vertreter des Deutschen Beamtenbundes Rheinland-Pfalz möchte ich meine besondere Wertschätzung für ihre gesellschaftlich wichtige Institutionen wissen lassen. Mein prominentester Mandant, mit dem ich auch enge Freundschaft pflege, wurde durch seine Schriften für die Gewerkschaften und seine Arbeiterliteratur zu Deutschlands erfolgreichstem Sachbuchautor.

An die Vertreterinnen und Vertreter des Verbraucherschutzes:

Die Vertreterin der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz und den Vertreter des Landesfachbeirats für Seniorenpolitik Rheinland-Pfalz (beim Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen) möchte ich auf meine Website finanzparasiten.de hinweisen, die einen juristischen Kleinkrieg mit der Finanzvertriebsindustrie auslöste.

An die Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft:

Den Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der Bauernverbände Rheinland-Pfalz, den Vertreter der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU), den Vertreter des Landesverbands der Freien Berufe Rheinland-Pfalz sowie die Vertreterin der Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern Rheinland-Pfalz möchte ich wissen lassen, dass ich als Hausanwalt eines bundesweiten Branchenverbandes fungiere und im Interesse des Verbraucherschutzes gegen unseriöse Anbieter nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG vorgehe. Dem Vertreter des Landesverbands Einzelhandel Rheinland-Pfalz möchte ich sagen, dass mir auch dieses Gewerbe durch das Elternhaus vertraut ist.

An die Vertreterinnen und Vertreter für Integration:

Den Vertretern der Verbände aus dem Bereich der Behinderten einschließlich der Kriegsopfer und ihrer Hinterbliebenen und Beauftragter der Landesregierung für Migration und Integration sowie der Vertreterin des Landesfrauenbeirats beim Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz fühle ich mich besonders verbunden, da auch die Familie meines Vaters im Krieg ihre Heimat verlor. Mein Vater fand jedoch in der Pfalz eine neue Heimat. Meine Mutter, eine pensionierte Lehrerin, unterrichtet ehrenamtlich Flüchtlinge in deutscher Sprache. Ich selbst bin als Pfälzer zunächst ausgerechnet in das Saarland migriert, danach vermochte ich mich in Westfalen und nun im Rheinland zu integrieren.

Der Vertreterin des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland – Landesverband Rheinland-Pfalz kann ich allerdings nicht unter die Augen treten. So hatte ich diese Woche einer Spendensammlerin des BUND ihr Anliegen abgeschlagen. Auch der Vertreterin der Landesjugendrings Rheinland-Pfalz vermag ich wenig Identifikation zu bieten, da meine Jugend wohl langsam vorbei ist.

Damit wollen wir es für heute mal gut sein lassen. Ich bin gespannt, mit welcher Lebensleistung mein Mitbewerber am Montag seine Haut zu Markte tragen wird. Hoffentlich ist seine Rede eloquenter als diese Arbeitsprobe hier:

26. Oktober 2017

JFK-Akten: Einmal werden wir noch wach…

Zu den in wenigen Stunden anstehenden Aktenfreigaben hatte ich mich auf Telepolis mehrfach geäußert, bin aber vorgestern Nacht über die unqualifizierte Berichterstattung deutscher Qualitätsmedien dann irgendwann ausgeflippt.

Auch heute liefern sich etablierte Medien um den Preis für den inkompetentesten Kommentar einen sportlichen Wettbewerb. Mein Favorit ist derzeit das ehemalige Nachrichtenmagazin. Schon irre, dass sich niemand an dem Aufwand störte, mit dem die CIA unstreitig die Aufklärung zu vertuschen versuchte, etwa Bezirksstaatsanwalt Garrison abhören ließ.

Unser System der Medienvielfalt ist offensichtlich ineffizient, wir haben vielmehr einen Rudeljournalismus. Wenn sich Journalisten ihre Hunderte an Journalistenpreisen gegenseitig verleihen, bekomme ich langsam Mitleid.

Oswald hätte man vermutlich so verteidigt.

13. Oktober 2017

Hitlers Auto, Hoehneß‘ Knast

Als Medienanwalt, der im Meinungskampf berufsbedingt zwischen die Fronten gerät, trifft man wirklich sehr skurrile Leute. Derzeit kämpft ein Oldtimer-Händler um seine Geschäftsehre, der einst einem exzentrischen bayrischen Milliardär einen Fuhrpark an Nazi-Autos vertickt hatte, unter anderem Hitlers Auto. Bei dem Deal hatte sich der Gebrauchtwagenhändler wegen Steuerdelikten nicht nur eine mehrjährige Haftstrafe eingehandelt, vielmehr kam auch heraus, dass er den Milliardär übers Schlitzohr gehauen hatte: Ein angeblicher Zwischenhändler war in Wirklichkeit ein Strohmann, um den vermeintlichen Einkaufspreis zu erhöhen.

Der ehrenwerte Gebrauchtwagenhändler wehrt sich aktuell am Landgericht Traunstein u.a. dagegen, dass man ihn in einem Internetforum als „Knasti“ bezeichnet hatte. In der mündlichen Verhandlung wurde er gestern allerdings in dem Moment etwas wortkarg, als wir ihm eine auf seiner Website vorgehaltene Veröffentlichung präsentierten, in der er sich als den „Uli Hoeneß der Automobilbranche“ bezeichnen ließ. Er habe sogar vor dem gleichen Richter gestanden.

Nun scheinen Supperreiche zwar tatsächlich Steuervergehen für Kavaliersdelikte zu halten, Richter tun das aber eher nicht. Die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist nun einmal nicht statisch. Wer seinen sozialen Geltungsanspruch sogar in der Geschäftssphäre derart definiert, dass er sich mit seiner strafrechtlichen Vergangenheit brüstet, der wird wohl mit der Bezeichnung „Knasti“ leben müssen.

10. Oktober 2017

Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (9) – Deutscher Presseunrat

Was bisher geschah:

Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (1) – Sachverhalt
Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (2) – einstweilige Verfügung
Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (3) – unlauterer Wettbewerb zwischen Privatleuten?
Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (4) – strukturell unqualifizierter Journalismus
Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (5) – Pressefreiheit und Narrenfreiheit
Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (6) – mehrdeutige Meinungen über mehrdeutige Meinungsäußerungen
Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (7) – Journalist bekennt sich vor Gericht zur Unfähigkeit
Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (8) – stern.de ist mit Tagesschau-Gucken überfordert

Die überflüssigste Einrichtung im Presserecht ist zweifellos der Deutsche Presserat. Bei diesem Verein handelt es sich um ein scheintotes Relikt aus den 50er-Jahren, als die Verlegerlobby den Bundestag erfolgreich von der Verabschiedung eines Bundespressegesetzes abhielt. Damals wollte Adenauer für die „innere Sauberkeit der Presse sorgen“ und die „Initiative zur Aussonderung der unlauteren Elemente ergreifen“. Diesen Versuch einer Einschränkung der Pressefreiheit wollten die Verleger überflüssig machen, indem die Branche durch Selbstkontrolle mit einer nichtstaatlichen Organisation ähnlich wie die Handwerkskammern selbst für Ordnung sorgt.

Zwar wurde das ohnehin verfassungswidrige Gesetz verhindert, nicht jedoch die späteren Landespressegesetz, die allerdings auch eher Ordnungscharakter haben. Hinsichtlich des bezweckten Ehrenschutzes ersetzte die Rechtsprechung das sabotierte Gesetz mit einer verfassungsrechtlichen Herleitung eines ungeschriebenen allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das im Ergebnis praktisch auf dasselbe hinausläuft. Während Opfer von Pressedelikten bei Gericht also Unterlassung und Schadensersatz durchsetzen können, vermag der Deutsche Presserat ohnehin kaum mehr auszurichten als Flüche auszusprechen, nämlich „Hinweise“, „Missbilligungen“ und „Rügen“.

Doch selbst von seinen bescheidenen Instrumenten macht der Deutsche Presserat nur geringen Gebrauch. So spottete einst Medien-Müllmann Stefan Niggemeier, der Deutsche Presserat tue niemandem weh, außer denen, die sich an ihn wenden. Diese vornehme Zurückhaltung der selbsternannten Medienwächter dürfte wohl damit zusammenhängen, dass in deren Ausschüssen keine demokratisch gewählten oder etwa wie in Rundfunkräten pluralistisch entsandten Personen sitzen, sondern honorige Gesandte großer Verlagshäuser und Journalistengewerkschaften urteilen – die naturgemäß großes Verständnis für die Interessen der eigene Branche aufbringen.

Publizistische Sorgfaltspflicht

Während sich Medienopfer eine Eingabe zum Deutschen Presserats also sparen sollten, könnte sich der Presserat theoretisch dort ein Verdienst erwerben, wo es keine klageberechtigten Opfer gibt, aber sehr wohl einen Missstand: Bei der Bekämpfung von in den Medien lancierten Propagandalügen zur Dämonisierung von Gegnern, um die politische Akzeptanz militärischer Gewalt herbei zu manipulieren. (Also eine Verantwortlichkeit für Fake News, wie sie seit dem 01.10.2017 von Facebook & Co. erwartet wird.)

Theoretisch nämlich verpflichtet der Pressekodex des Deutschen Presserats dessen Mitglieder zur Recherche und Wahrheit. So lautet
Ziffer 2 Abs. 1 des Pressekodexes :

Recherche ist unverzichtbares Instrument journalistischer Sorgfalt. Zur Veröffentlichung bestimmte Informationen in Wort, Bild und Grafik sind mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahrheitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn darf durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.

Ziffer 3 Abs. 1 des Pressekodexes lautet:

Veröffentlichte Nachrichten oder Behauptungen, insbesondere personenbezogener Art, die sich nachträglich als falsch erweisen, hat das Publikationsorgan, das sie gebracht hat, unverzüglich von sich aus in angemessener Weise richtig zu stellen.

Immer wieder fallen sorglose Laien auf diese Sonntagsreden herein, die das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurden. Denn der Deutsche Presserat hat nicht ansatzweise die Absicht, als Störung von Betriebsabläufen beim Verbreiten von Lügen und Halbwahrheiten empfunden zu werden, sondern beschränkt seine Aufmerkamkeit nahezu auf Entgleisungen bei der Berichterstattung über Personen. Damit kümmert er sich also um die Wahrung von Persönlichkeitsrechten – was Gerichte aber nun einmal ungleich effektiver können. Würde sich der Deutsche Presserat von heute auf morgen auflösen, würde vermutlich niemand irgendeinen Unterschied bemerken.

Probe aufs Exempel

Der Blogger Blauer Bote machte ein soziologisches Experiment und reichte eine Beschwerde gegen Stern.de ein, weil man dort die unsägliche Story über das Twitter-Mädchen im Syrienkrieg ungeprüft durchgereicht hatte.

Eine Dschihadistin mit journalistischer Ausbildung hatte 2016 ihre siebenjährige Tochter als scheinbar der englischen Sprache mächtige Twitterin inszeniert, die politische Botschaften verbreitete und das vom Westen gewünschte Narrativ bediente (Das „Twitter-Mädchen“ im Syrienkrieg). Wenn es gegen Assad geht, sind auch Dschihadisten unsere Freunde.

Stern.de hatte das für jeden ernst zu nehmenden Journalisten durchsichtige Propagandamärchen Anfang Dezember 2016 unkritisch bejubelt, der dortige Autor twitterte sogar gläubig, er bete für das Mädchen (welche Religion auch immer für Dschidistentöchter zuständig ist). Der Verlag und dessen betender Autor waren sich ihrer Ehre so sicher, dass sie den ungläubigen Blogger mit einer einstweiligen Unterlassungsverfügung mit dem Streitwert 100.000,- € bedachten.

Der Blogger rief nun den Presserat an und vertrat die Ansicht, dass die Propaganda-Inszenierung offensichtlich sei, stern-online diese jedoch weder sorgfältig geprüft noch richtig gestellt hätten. Anders, als man es in einem Gerichtsprozess erwarten würde, legte man die Stellungnahme der Stern-Juristen zur Beschwerdeschrift dem Beschwerdeführer nicht zur Erwiderung vor, sondern tagte hinter verschlossenen Türen. Soweit die Stern-Stellungnahme zitiert wurde, hält man bei stern.de das streitbare Online-Magazin Bellingcat für eine ernst zu nehmende Quelle und will in einem gestellten Interview einen Beleg dafür sehen, Bana verstehe zumindest englisch. Außerdem hätten andere Medien die Story ja auch gebracht.

All our fake news are good news

Der Deutsche Presserat machte sich seine Sache erstaunlich einfach und paraphrasierte in seiner Vorsitzendenentscheidung lediglich Teile der Eingabe sowie der Einlassung des Verlags. Dabei unterschlug der Deutsche Presserat mal eben die Tatsache, dass etwa die Tagesschau bereits am 1.12.2016 starke Bedenken bei der Zuverlässigkeit der Quellenlage äußerte. Zwar kam auch die Tagesschau-Autorin an der Story nicht vorbei, kommunizierte aber sehr wohl Skepsis hinsichtlich deren Authentizität. Bei stern.de hätte man bei der Recherche (?) einfach nur Tagesschau.de frequentieren müssen.

Für seine Erwägungen benötigte der Deutsche Presserat gerade einmal drei Sätze.

Er vermochte keinen Verstoß gegen das in Ziffer 2 niedergelegte Gebot zur Sorgfalt in der journalistischen Arbeit und folgte ausdrücklich „der Einschätzung der Redaktion, dass die Berichterstattung so differenziert sei, dass daraus nicht der Eindruck entstehe, Bana habe allein getwittert. Außerdem lege sie verlässliche Quellen dar, auf die sich der Autor bei der Berichterstattung gestützt habe.“

Dass dieser Eindruck nicht entstehe, ist angesichts der Überschriften Siebenjährige twittert aus Aleppo und Sorge um Bana al-Abed. Twitter-Konto von Siebenjähriger aus Aleppo gelöscht eine spannende Interpretation.

Deutsche Presseratende

Zum ebenfalls vom Blogger eingeforderten Gebot zur Richtigstellung von Falschdarstellungen verloren die Pressewächter kein Wort. Wäre ja auch irgendwie anstrengend, wenn man Ziffer 3 des eigenen Pressekodex auf einmal ernst nehmen müsste. Offenbar betrachtet der Deutsche Presserat Filterblasen und Rudeljournalismus nicht als Problem, sondern als valides Argument für unterlassenen Journalismus.

Ist das Kunst, oder kann das weg? Die Branche wäre besser beraten, ihr Geld nicht in potemkinsche Gremien, sondern in Fact Checking und anspruchsvoller ausgebildete Journalisten zu investieren. Stattdessen lamentiert man lieber über den Liebesentzug des Publikums und stellte kritische Leser sogar buchstäblich vor Gericht.

Damit ist stern.de der Mentalität von Adenauers so schrecklichen Bundespressegesetz erstaunlich nahe.

 

Stern und Marc Drewello ./. Blauer Bote (8)

8. Oktober 2017

Grundgesetz-Kabarett

Im Sommer habe ich mit einem befreundeten politischen Kabarettisten überlegt, ob und wie man das Grundgestz zeitgemäß thematisieren könnte. Das Ergebnis hatte kürzlich beim 3sat-Festival Premiere und lief am Samstag im TV.

Warum wir diese Reihenfolge für das „Telekolleg Staatsrecht“ gewählt haben, erfahren Sie am Ende. Das Warten lohnt sich … ;)

1. Oktober 2017

75 Jahre Günter Wallraff

Heute wird mein prominentester Mandant 75 Jahre. Gute Beiträge hierzu gelangen dem stern und dem Tagesspiegel. Mit der „Lex Wallraff“ schrieb der Enthüllungsjournalist am Bundesverfassungsgericht Presserechtsgeschichte.

Zu den vielen Menschen, deren Leben Wallraff verändert hatte, gehöre auch ich. Jahrelang hatte er mir geraten, nach Köln zu gehen. Als ich dann 2015 im Begriff war, ausgerechnet nach Düsseldorf zu ziehen, konnte das der Kölner nicht guten Gewissens mitansehen und vermietete mir ein gerade leer werdendes Nachbarhaus in Ehrenfeld. Das Terrain ist historisch interessant, denn nebenan hatten die deutschen Geheimdienste dreimal Wallraffs Küche abgehört, auch Salman Rushdie war einst hier untergetaucht.

Und so kam es, dass sich heute mein Büro zwischen Wallraffs Tischtennis-Schuppen und seinem Steinemuseum befindet. Für mich war der Wechsel nach Köln – genauer: Ehrenfeld – in jeder Hinsicht eine der besten Entscheidungen meines Lebens, heute möchte ich nirgendwo anders mehr wohnen. An der gemeinsam Gartenmauer trifft man sich schon mal, um über das Landgericht Hamburg zu schimpfen, mit dem er drei Jahrzehnte länger Erfahrung hat als ich.

Obwohl Wallraff viele Kämpfe durchstehen musste, hat er sich stets seinen Humor und seine Schlagfertigkeit bewahrt. Und nach wie vor bleibt er nicht nur an der Tischtennisplatte am Ball. Falls ich eines Tages im gleichen Alter nur halb so gut drauf sein sollte, habe ich alles richtig macht.

11. September 2017

Versteht Heiko Maas sein eigenes Netzwerkdurchsetzungsgesetz?

Heute habe ich an einer Diskussionsveranstaltung mit Bundesjustizminister Heiko Maas an der Technischen Hochschule teilgenommen. Obwohl die Veranstaltung an der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht stattfand, waren kaum Juristen anwesend, anscheinend war ich der einzige Anwalt im Raum.

Maas verteidigte naturgemäß sein von der Fachwelt gescholtenes Gesetz. Auch das gefürchtete Overblocking sei nicht zu erwarten, da Facebook ja im Internet mit Traffic Geld verdienen will und zukünftig also sorgfältig löschen würde.

Ich konfrontierte Maas mit den wesentlichen Kritikpunkten, die er in seiner Rede unterschlagen hatte. So hatte Maas behauptet, dass sich inhaltlich ja alles nach den bisherigen Gesetzen richte und er ja kein Wahrheitsministerium wünsche, das über den Wahrheitsgehalt von Fake News zu befinden habe. Das war allerdings selbst Fake News …

Denn gegen Fake News können bislang nur Personen zivil- oder strafrechtlich vorgehen, die selbst in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt werden (Ausnahme: Volksverhetzung). Das NetzDG jedoch weitet die Beschwerdebefugnis auf jedermann aus. Wir bekommen dann also massenweise besorgte Bürger, die sich als Volkstribunen aufspielen werden und in anderer Leute Meinungen einmischen, wenn diese ihnen nicht passt.

Außerdem merkte ich die Inkonsistenzen an wie die, dass man zur Beschwerdebefugnis selbst Mitglied im entsprechenden Sozialen Netzwerk werden und sich damit auf dessen interne Kommunikationsinfrastruktur einlassen muss.

Schließlich wies ich auch darauf hin, dass die Fachwelt das Gesetz sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene für verfassungswidrig hält.

Einzig diesen letzten Punkt griff Maas auf und merkte an, dass man das Gesetz in der EU notifiziert habe, und da hätte niemand protestiert. So kann man sich natürlich auch der Rechtsfindung nähern.

Irgendwer machte auch den „tollen“ Vorschlag, das NetzDG nicht nur auf Fake News und Hass zu beschränken, sondern auch Urheberrechtsverletzungen einzubeziehen. Maas machte nicht den Eindruck, als ob er etwas dagegen hätte.

Die Veranstaltung litt ein bisschen an dem Konzept, dass auf dem Podium ausschließlich drei Freunde des NetzDG saßen, welche die Kritik aus dem Publikum nur selektiv beantworten.

6. September 2017

Das ist Netzpolitik – oder hätte es sein sollen

Im Wahlkampf 2013 spielten netzpolitische Themen keine messbare Rolle – im Gegensatz etwa zur NRW-Landtagswahl 2012. Daher konnte es sich die GroKo locker leisten, Neuland einfach weiterhin zu ignorieren. Doch selbst aus meiner pessimistischen Perspektive verliefen die letzten vier Jahre erschreckend.

Letzten Freitag zogen Markus Beckedahl und Anna Biselli auf der Konferenz „Das ist Netzpolitik“ eine bittere Bilanz.

Nicht einmal der Snowden-Skandal hat irgendetwas bewirkt.

Es sieht auch nicht danach aus, dass sich daran etwas ändert. Dann müssen halt weiterhin die Gerichte und Verfassungsgerichte den Job machen.

31. August 2017

Worte des großen Vorsitzenden

Im nunmehr 5. Sommer-Interview stand mir der Bundesvorsitzende der PARTEI, Herr Martin Sonneborn, MdE, Rede und Antwort. Medienrechtlich interessant ist die Notwendigkeit, manchen Webespot statt auf YouTube besser auf YouPorn zu hosten:

Wahlwerbespots auf YouPorn statt auf YouTube

Hier mal eine Chronik der politischen Interviews mit dem PARTEI-Chef:

Netzwerkdurchsetzungsgesetz: legislative Fake News

Im Wahljahr markierte der glücklose Bundesjustizminister Heiko Maas den dicken Max und setzte entgegen aller Kritik der Fachwelt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz durch. Bereits am seltsamen Namen kann man ersehen, dass da nur Pfusch drinstehen kann.

So ist es auch. Und das hat man ihm auch deutlich gesagt. Die Verfassungswidrigkeit steht dem Gesetz ins Gesicht geschrieben, kommt aber wohl erst nach dem Wahltag zum Tragen. Solange bleibt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eine Art legislative Fake News.

In der heute erscheinenden Neuen Juristischen Wochenschrift geht Professor Dr. Nikolas Guggenberger mit der nunmehr beschlossenen Gesetzesfassung hart ins Gericht und zieht folgendes Fazit:

(…) Das NetzDG steht nicht in Einklang mit höherrangigem Recht: Zunächst sprechen gute Gründe für eine Unvereinbarkeit des NetzDG mit den Kommunikationsgarantien auf europäischer und nationaler Ebene, Art. 11 GRCh und Art. 5 I, II GG. In der Gesamtschau bringt das Gesetz einen „Chilling Effect“ mit sich, der mit dem Schutz der persönlichen Ehre oder anderer Rechtsgüter nicht mehr zu rechtfertigen ist. Den in der Tat problematischen rechtswidrigen oder gar strafbaren Inhalten könnte grundrechtsschonender und mindestens gleich effektiv durch eine Stärkung von Strafverfolgung und Eilrechtsschutz begegnet werden.

Die Zukunft des NetzDG hängt aber vor allem am seidenen Faden der E-Commerce-RL und der dürfte aller Voraussicht nach reißen: Mit seinen Verfahrensvorgaben verstößt das NetzDG gegen die Begrenzung der Verantwortlichkeit von Hostprovidern in Art. 14 I E-Commerce-RL (s. o. unter II 3 b bb) und das Herkunftslandprinzip aus Art. 3 E-Commerce-RL.

 

(…)

Insgesamt ist das NetzDG ein verfehlter Ansatz zur Lösung eines real existenten Problems. Regelmäßig ergeben sich in der Anwendung zwei Auslegungsvarianten: Eine minimiert den regulatorischen Mehrwert, die andere ist unions- oder verfassungswidrig und teilweise sind es sogar beide. Praktisch ist das Gesetz nicht sinnvoll handhabbar. Insgesamt drei verschiedene, jeweils sehr fragwürdige neue Verfahrenstypen steigern vor allem die Komplexität des Rechts, weniger aber den Grundrechtsschutz. Grundrechtssensible Entscheidungen werden den sozialen Netzwerken überantwortet und die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung wird de facto privatisiert. Dabei könnten rechtswidrige Inhalte ohne Weiteres wirkungsvoll und grundrechtsschonend bekämpft werden: durch Investitionen in die Strafverfolgung und die Stärkung des einstweiligen Rechtsschutzes für Betroffene. (…)