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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


17. April 2012

Auch Piraten haben kein Scherbengericht – ein Scheißfall

Nach nunmehr fast drei Jahren ist ein lähmendes Parteiausschlussverfahren zu ende.

Der Fall

Ein Pirat, Gründungsmitglied eines Landesverbands, hatte sich 2008 (also zwei Jahre nach Parteigründung von 2006) zu denkbar sensiblen historischen Themen in unqualifizierter Weise geäußert und sich dabei auf einen der Fälschung überführten Geschichtsrevisionisten bezogen. Hierfür wurde vom Bundesvorstand 2008 eine Verwarnung ausgesprochen, die der Pirat akzeptierte. Diese wurde also rechtskräftig.

2009 wurde der Pirat trotz seines Fehltritts zum Ersatzrichter des Bundesschiedsgerichts der Piraten gewählt. Als daraufhin seine unqualifizierten Äußerungen Medienaufmerksamkeit erfuhren und das öffentliche Ansehen der Piraten belasteten, forderte der Bundesvorstand eine deutliche Distanzierung, welcher der Pirat auf seine Weise nach kam. Nachdem sein Landesverband den Piraten 2009 für die Landesliste zur Bundestagswahl aufstellte, nahm der Bundesvorstand eine Neubewertung vor, enthob den Piraten einstimmig seiner Funktion, erkannte ihm für ein Jahr das passive Wahlrecht ab und beantragte am Landesschiedsgericht den Parteiausschluss wegen vorsätzlich parteischädigenden und satzungswidrigen Verhaltens.

§ 6 Abs. 2 der Piratensatzung (aktuelle Fassung):

Ein Pirat kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn er vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Piratenpartei Deutschland verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.

Das Landesschiedsgericht wies den Antrag nach der bemerkenswerten Dauer von zweieinhalb Jahren in einem erbärmlich laienhaft formulierten Urteil zurück. Das vom Bundesvorstand angerufene Bundesschiedsgericht bestätigte nun die Abweisung, allerdings mit anderer Begründung. Derzeit überbieten sich die Kommentatoren mit ihrer Entrüstung, einige suchen einen Schuldigen für dieses offensichtlich unpopuläre Ergebnis. Ist dem Bundesschiedsgericht ein Vorwurf zu machen?

Verfahrenes Verfahren …

Hätten die Piraten ein Scherbengericht, bei dem demokratisch darüber abgestimmt wird, ob ein nicht genehmes Mitglied in die Wüste geschickt werden soll, wäre vermutlich längst Rechtsfrieden eingekehrt. Ein solches Scherbengericht ist in der Satzung aber nicht vorgesehen. Es würde sich auch nicht mit dem Parteiengesetz in Einklang bringen lassen:

§ 10 Abs. 4 ParteienG

Ein Mitglied kann nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.

§ 10 Abs. 5 ParteienG

Über den Ausschluss entscheidet das nach der Schiedsgerichtsordnung zuständige Schiedsgericht. Die Berufung an ein Schiedsgericht höherer Stufe ist zu gewährleisten. Die Entscheidungen sind schriftlich zu begründen.

§ 14 Abs. 4 ParteienG

Für die Tätigkeit des Schiedsgerichts ist eine Schiedsgerichtsordnung zu erlassen, die den Beteiligten rechtliches Gehör, ein gerechtes Verfahren und die Ablehnung eines Mitglieds des Schiedsgerichts wegen Befangenheit gewährleistet.

Stattdessen verlangt die Satzung also vielmehr eine politische Entscheidung des Bundesvorstands, den Ausschluss zu beantragen, sowie eine juristische Prüfung durch das Schiedsgericht, ob die Ausschlussvoraussetzungen nach § 6 Abs. 2 der Satzung vorliegen.

Ob die Voraussetzungen eines parteischädigenden Verhaltens erfüllt sind, lassen wir mal dahin gestellt, denn vorliegend scheitert der Ausschluss bereits an einem verfahrensrechtlichen Hindernis. Die Anwendung von Vereins- bzw. Parteienstrafen ist nämlich ihrer Natur nach Strafrecht, sodass gewisse rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze zu beachten sind („gerechtes Verfahren“). Einer dieser Verfahrensgrundsätze, die rechtsstaatliche Verfahren von polizeistaatlicher Willkür unterscheiden, heißt unter Adligen „ne bis in idem“: Wenn über einen Sachverhalt geurteilt wurde und die Entscheidung rechtskräftig ist, ist das Verfahren nun einmal abgeschlossen. Andernfalls nämlich könnte man sich nie auf den Bestand von Entscheidungen verlassen. (Es hat also schon seinen Grund, warum an entsprechende Verfahren von vorne herein hohe Sorgfaltsanforderungen gestellt werden. Das Landesschiedsgericht hatte übrigens nicht einmal dieses Problem gesehen …)

Vorliegend wurde das Verhalten des Piraten 2008 durch die Verwarnung des Bundesvorstands sanktioniert. Der damalige Bundesvorstand hatte von einem Ausschlussverfahren abgesehen und sich mit einer Verwarnung begnügt. Der Umstand, dass der Vorstand diese Bewertung später änderte, weil er das Ausmaß des (damals potentiellen) Schadens falsch eingeschätzt hatte, beeinflusst nicht den Bestand der Entscheidung.

Das spätere Verhalten des Piraten, nämlich die Kandidatur für Parteiämter und Landesliste, obwohl sein Ruf lädiert war, mag zwar wegen der hierdurch verursachten Presseaufmerksamkeit faktisch die Partei in Verruf gebracht und ihr dadurch geschadet haben. Die Kandidatur als solche ist jedoch ein demokratisch verbrieftes Recht eines Parteimitglieds und daher schwerlich als Satzungsverstoß vorwerfbar. Zwar gab es später noch weitere Vorwürfe wegen anderen fragwürdigen Äußerungen des Hobby-Historikers, diese reichten jedoch nicht an die Entgleisungen von 2008 heran.

Eine Partei, die für den Rechtsstaat eintritt, wird daran gemessen werden, ob sie die geforderten Standards für ein faires Verfahren auch an sich selbst anlegt. Hätte das Bundesschiedsgericht den fundamentalen Verfahrensgrundsatz des „ne bis in idem“ missachtet und nach Gutsherrenart geurteilt, hätte es sich nicht nur fachlich berechtigter Kritik der Willkür ausgesetzt, vielmehr hätte der betroffene Pirat auch vor einem konventionellen Gericht Klage erheben können, was in der Praxis durchaus vorkommt. Dann hätte das Verfahren noch eine Ehrenrunde gedreht.

Gewinner:

  • Der (aktuelle) Bundesvorstand: Auch, wenn das Parteiausschlussverfahren von Anfang an wegen der bereits rechtskräftigen Verwarnung eine Totgeburt war, konnte der Bundesvorstand durch Betreiben des Verfahrens Haltung zeigen und signalisieren, dass die Partei sich künftig solches Verhalten nicht bieten lassen wird.
  • Das Bundesschiedsgericht: Es hat demonstriert, dass es die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze achtet und diese nicht einer möglicherweise populäreren Entscheidung opfert. (Die Mitglieder des Schiedsgerichts müssen nun ggf. einen Shistorm aushalten.)
  • Die Piratenpartei: Sie hat eine Kinderkrankheit aus ihrer Frühzeit nun endlich hinter sich gebracht, wird sich künftig Bewerber für Parteiämter wohl genauer ansehen und eine Parteikultur etablieren, in der sich gewisse Personen nicht wohlfühlen.

Verlierer:

  • Das betreffende Landesschiedsgericht: Wie auch immer sich das Verfahren gestaltet haben mag, aber wenn man zweieinhalb Jahre lang nicht zu Potte kommt, dann ist das Ergebnis für alle Beteiligten ein klarer fail. Rechtsstaatlichkeit bedeutet auch, dass Verfahren effizient betrieben werden müssen. Die unbrauchbar laienhafte Fassung des „Urteils“ lässt vermuten, dass die Beteiligten mit ihrer Aufgabe überfordert waren. Die Schlagzeilen, mit denen wir jetzt leben müssen, hätten der Partei 2010 weniger geschadet, zumal ein Parteiausschlussverfahren als Dauerbrenner einfach nicht sonderlich prickelnd ist. UPDATE: Das LSG hatte im Laufe des Verfahrens das untätige Personal ausgewechselt.
  • Die Piratenpartei: U.a. dem GRÜNEN-Taktierer Volker Beck (selbst eigentlich Jurist, Rechtsexperte seiner Partei, der es besser wissen müsste) ist es gelungen, aus dem gescheiterten Parteiausschlussverfahren populistisch Kapital zu schlagen.
  • Der betroffene Pirat. Er weiß es vielleicht noch nicht.

Die politische Geschäftsführerin ließ ihrem Temperament freien Lauf:

„Ich kotze im Strahl!“

15. April 2012

Journalistischer Interessenkonflikt

Im Dezember hatte mich TELEPOLIS gebeten, über den Bundesparteitag der Piraten in Offenbach zu berichten, da ich ohnehin vor Ort war. Dies hatte ich zunächst unter Hinweis auf mein Partei-E-Book abgelehnt, da insoweit die journalistische Distanz fehlte. Allerdings fand es TELEPOLIS reizvoll, auch Meinung zu bringen, die wir natürlich als nicht neutral kennzeichneten. Aufgrund des Leserzuspruchs wiederholten wir die Aktion mit dem „embedded journalist/pirate“ auch beim ad-hoc-Landesparteitag in Münster, was insofern in Ordnung war, weil ich in erster Linie vom Hochsitz aus beobachtete, wie sich die „Partei in progress“ entwickelte.

Inzwischen sind die Piraten aber nicht nur eine bessere Bürgerrechtsbewegung unterhalb der 5%-Hürde, in der man Haltung zeigen kann, sondern fährt als Partei in Umfragen nunmehr zweistellige Werte ein, sitzt nun sogar in zwei Landesparlamenten und steuert zwei weitere selbstbewusst an. Zudem berichten die konventionellen Medien häufiger und kompetenter von unseren Parteitagen. Außerdem berate ich die Partei beim Presserecht und kandidiere für das Bundesschiedsgericht. Meine Doppelrolle als Journalist und Parteigänger hatte zudem den kuriosen Effekt, dass ich ausgerechnet die Person nach Möglichkeit ausklammerte, an der die Medien das größte Interesse hatten, nämlich die politische Geschäftsführerin jener Partei, die laut Umfragen nunmehr die drittstärkste politische Kraft im Bund sein soll. Da ich jedoch mit Marina Weisband nun einmal gut befreundet bin, wie man neulich – leider etwas peinlich – in der Heute-Show sehen konnte, sind es dann doch ein bisschen viel Interessenkonflikte.

Daher werde ich bei TELEPOLIS, wo ich selbst häufig Medienkritik äußere und Propaganda kritisiere, nicht mehr von Parteiveranstaltungen der Piraten berichten, sondern vorzugsweise hier im Blog oder auf Twitter. ;)

14. April 2012

Programmparteitag der Piraten in Dortmund

Anfang 2010 trafen sich die NRW-Piraten, um ein Programm für die Landtagswahl 2010 auszuknobeln. Ein Sympathisant hatte kostenfrei einen Raum im „Wuppertaler Dart-Center“ zur Verfügung gestellt. Mir fiel damals die Aufgabe zu, die zum Teil enthusiastischen Vorschläge rechtlich ein bisschen in Form zu bringen. Während damals die Anzahl der Teilnehmer überschaubar war, hat sich die Piratenpartei seither „ein bisschen“ vergrößert, so dass auch der an diesem Wochenende stattfindende Programmparteitag eine Nummer größer ausfällt.

Etliche der Programmanträge wurden durch Arbeitskreise vorbereitet; in einer basisdemokratischen Partei – also ohne Delegiertensystem – kann natürlich jeder seine Anträge einbringen oder sich Gehör verschaffen. Am meisten Stimmung gibt es naturgemäß bei „trolligen“ Anträgen. Bisweilen schaukeln auch die Emotionen hoch, etwa bei polizeirechtlichen Themen, bei denen mich der Verdacht beschleicht, dass viele vom Polizeirecht der Gegenwart nur eine überschaubare Vorstellung haben. Basisdemokratie fehlt nun einmal konstruktionsbedingt die Expertise und ist strukturell anfällig für Demagogen – die heute allerdings noch nicht gesehen wurden, wenn man vereinzelte Hitzköpfe nicht dazu zählen möchte. Einige der Personen, die sich beim Aufstellungsparteitag für die Spitzenkandidatur empfahlen und offensichtlich chancenlos waren, glänzen durch Abwesenheit.

Bislang scheint der Versuch zu gelingen, auch in einer aus vielen Individualisten bestehenden Basisdemokratie vernünftige Beschlüsse zu fassen. Der Parteitag läuft erstaunlich routiniert und unaufgeregt ab. Die NRW-Piraten bereiten sich auf ihre Rolle als ernst zu nehmende Parlamentarier vor.

Hier sind alle vorgestellten Anträge.

Hier ist die ständig aktualisierte Übersicht über die beschlossenen bzw. abgelehnten Anträge.

Politische Plakate in NRW

Das Plakatieren in NRW ist im Straßen- und WegeG NRW sowie in den örtlichen Satzungen geregelt. Während des Wahlkampfes dürfen etliche Masten von Laternen und Nicht-Verkehrsschildern oberhalb einer Mindesthöhe von 2,50 m, jedoch nicht im Bereich von Kreuzungen usw. benutzt werden. Die Piraten haben das Plakatieren mit einer App EDVisiert: Bei jedem Aufhängen wurde es per GPS getagt, so dass die unterschiedlichen Teams sehen konnten, wo schon „gepflastert“ wurde. Dies erleichtert später auch wieder das Auffinden zwecks Abbau. Außerdem kann ein Plakat, das als beschädigt oder verschwunden erkannt wird, sofort auf der App markiert werden.

Die sechs Plakat-Motive der Piraten darf man wohl als gelungen ansehen. Plakativer Text, pfiffig, optisch angenehm. Ob das Portrait von Lindner, das NRW flächendeckend ziert, in vier Wochen noch jemand sehen möchte, wage ich zu bezweifeln. Für die Plakate „Keine neuen Schulden“ hatte die FDP extra einen Kredit aufgenommen … ;)

6. April 2012

BVerfG soll Tanz-Flahsmobs in Hessen erlauben

Die hessischen Piraten haben gestern das Bundesverfassungsgericht gegen das Verbot von Tanz-Flashmobs am Karfreitag angerufen. Hier im beschaulichen Münster geht derweil das Ordnungsamt auf Patroullie, um die talibanen Verhältnisse sicherzustellen.

Die Macht der Kirche hat in Münster eine gewisse Tradition. Am Turm der Lambertikirche etwa hängen drei Käfige, in welche 1536 die Leichen dreier hingerichteter Wiedertäufer zur Schau gestellt wurden, damit jedermann beim öffentlichen Verwesen Reality-TV-mäßig zusehen konnte. Die letzten Knochen sollen noch im 19. Jahrhundert herunter gefallen sein. Zwischendurch haben die Religiösen übrigens den 30jährigen Krieg veranstaltet.

Ich habe heute beschlossen, wieder mit Tanzen anzufangen. Suche nette Tanzpartnerin im Raum Münster für Salsa oder Tango!

 

 

Bild: Rüdiger Wölk, Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert)

29. März 2012

Kachelmann darf die Chemtrailer „verrückt“ nennen

Dem Hamburger Abendblatt zufolge hat das Landgericht Berlin Herrn Kachelmann die einstweilige Verfügung eines „Chemtrailers“ aufgehoben, der sich und seine Mit-Chemtrailer nicht als „Neonazis und Verrückte“ diffamiert sehen wollte.

Via Steigerlegal.

Lieber Rüdiger Sagel,

Lieber Rüdiger Sagel,

du hattest letzten Samstag vor dem Parteitag der NRW-Piraten demonstriert. Es ist dir gelungen, mit deiner (doch etwas naiven) Parole unter den ca. 500 Teilnehmern einen Hitzkopf zu provozieren. Nun behauptest du in der Öffentlichkeit, „die Piraten“ hätten dich am Demonstrieren hindern wollen und seien daher schlimmer als die CDU usw., die dich an gleicher Stelle in Ruhe gelassen (ignoriert?) hätten.

Dein Verhalten würde man in unserem Jargon „Trollen“ nennen, also das sich Aufdrängen in einer Diskussion, wobei nicht das eigentliche Thema verfolgt wird, sondern die Beteiligten in Auseinandersetzung um ihrer selbst Willen verwickelt werden. Trollerei ist destruktiv und genau das, was unsere Wähler nicht schätzen.

Lieber Rüdiger, wenn du 0,2% der Teilnehmer als „die Piraten“ hinstellst, dann sei bitte auch so fair und erwähne auch die Piraten, die dein Plakat repariert und euch Kaffee gebracht haben. Von einer von dir kolportierten „Forderung“ der Piraten, diese wollten über 40% Steuern, ist mir nichts bekannt. Auch die Falschmeldung, die Piraten seien für Diätenerhöhung, ist längst dementiert. Statt uns kostenlose PR zu liefern hättest du dir in der Halle ansehen können, dass wir niemanden an der Ausübung seiner Meinungsfreiheit hindern, sondern im Gegenteil jedem seine drei Minuten auf der Bühne geben.

Bei den Bewerbern waren übrigens ein Mitgründerin der WASG und andere Leute von deiner Partei am Start, die es bei euch offensichtlich nicht ausgehalten haben.  Bewerber mit deiner archaischen Kampfrhetorik schnitten schwach ab. Bewerber, die sich lediglich am politischen Gegner zu profilieren versuchten, fielen ausnahmslos durch. Derjenige, der dies am konsequentesten tat, landete nach dem vierten Wahlgang auf dem letzten Platz.

Lieber Rüdiger, wenn du am 12.Mai unbedingt die 5%-Hürde unterbieten und deine Wähler den Piraten zutreiben möchtest, mach bitte so weiter.

28. März 2012

„Die Akte Gysi“ wurde verhandelt

Bereits mehrfach hatte ich auf den Rechtsstreit um die NDR-Doku „Die Akte Gysi“ über einen DDR-Rechtsanwalt hingewiesen, dem der Spagat zwischen Interessen seiner Mandanten und denen seines Staates gewisse Herausforderungen bereitet. Obwohl der Beitrag im Hinblick auf den bekanntermaßen prozessfreudigen Herrn Gysi sehr anspruchsvoll geprüft und im Vorfeld auch angegangen wurde, zog Gysi wieder vor den Kadi. Und der steht für Querulanten nun einmal in Hamburg.

Die Pressekammer möchte dem NDR Äußerungen von Gysi-Gegnern zurechnen, die interviewed werden. Angesichts vielfacher Indizien werde der Eindruck einer Stasi-Kooperation erweckt. Diese jedoch könne der NDR nicht beweisen. Der NDR hätte Gysi mit seinen konkreten Vorwürfen vorher konfrontieren müssen usw. Allerdings hatte sich Gysi Interviewanfragen abgelehnt.

Das kleine Problem dabei ist, dass man nach der Logik der Hamburger Landrichter den Verdacht, Gysi habe für die Stasi gearbeitet, vielleicht gerade noch erwähnen darf, aber wenn man recherchiert, wird man dafür bestraft.

Im Endeffekt bestimmen nach Hamburger Sicht die Betroffenen, ob und wie über sie gedacht werden darf. Bei aller Liebe für legitime Persönlichkeitsrechte, aber mit Pressefreiheit hat das nichts mehr zu tun. Ein Politiker muss sich seiner Vergangenheit und den von ihm selbst nicht unwesentlich verschuldeten Eindrücken stellen.

Übrigens ist auch die Berichterstattung über solche Verfahren riskant. Hatte ich letztes Jahr noch Youtube-Mitschnitte von „Der Akte Gysi“ verlinkt, werde ich das erst einmal lassen. Denn das Landgericht Hamburg hat mir das in einem anderen Fall einstweilen verboten und scheint, das ernst zu meinen. Dazu demnächst mehr.

26. März 2012

Politik wikistyle

Mit Spannung und eigenem digitalen Redefluss (Twitter und Telepolis) hatte ich am Wochenende die Bewerbungen beim Aufstellungsparteitag der NRW-Piraten in Münster verfolgt.

Einige Faktoren der erfolgreichen Kandidaten erinnerten ein bisschen an die Wikipedia-Comunity: Lange Projektzugehörigkeit, Offline-Bekanntschaften und gegenseitiges Unterstützen von Kandidaten. Letzteres wurde im Piraten-Wiki für jedermann transparent gemacht, so dass man nicht wirklich von „Klüngeln“ sprechen kann. Schädlich konnte eine lange Projektzugehörigkeit dann werden, wenn man sich 2010 hatte aufstellen lassen, dann aber in den vergangenen Jahren sich nicht mehr an der Basis blicken ließ. Ohne Socialising nix Partei.

Interessant ist übrigens, dass einige über Twitter geäußerte Wahlempfehlungen bekannterer bzw. mitteilungsfreudigerer Piraten wenig bis gar nichts brachten, vielleicht sogar Misstrauen säten. Piraten lassen sich nun einmal ungern reinreden. Schließlich will man ja gerade nicht, dass eine Elite Inzest betreibt und Vorstände die Listen schon servierfertig ausgearbeitet haben. That’s Basisdemokratie, stupid!

Das realistische Bewerberfeld engte sich bereits durch die Eigenvorstellung im Piratenwiki und dem dortigen Kandidatengrillen ein. Während der Kandidatenvorstellung mag es Laien im Saal als ruhig erscheinen, akustische Zwischenrufe sind selten. Tatsächlich aber tobt unsichtbar paralell zur Rede des Bewerbers auf Twitter mitunter sogar ein ganzer Shitstorm. Dank Live-Streaming kann jedermann zusehen und sich in die Debatte twittern, die der Redner witzigerweise als einziger nicht verfolgen kann.

Wie man in die Gunst der Piraten kommt, ist schwierig zu sagen. Die Wikipedia-Regel „Sei kein Idiot“ scheint hilfreich zu sein. Die wichtigsten anderen „Nogos“ kann ich vielleicht aufzählen:

Einige Bewerber demonstrierten, dass sie den Codes der Piraten noch sehr fern standen. Das Tragen einer Krawatte erweckt in dieser Partei reflexartig Misstrauen, das nur schwer wieder zu korrigieren ist. Sich anbiedern durch Verkleiden mit einem Piraten-Kostüm führt bestenfalls zu Mitleid. Überhaupt dürften textile Argumente eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Auch Gender-„Argumente“ führte eher zu Augenrollen. Instinktlos ist insbesondere das Spammen mit Papier-Flyern, den Praten kommunizieren vorzugsweise digital und interaktiv.

Während Piraten Persönlichkeiten schätzen, so möchten sie sich offenbar nicht in Privatkriege verstricken lassen. Wer mit eigenen Themen ankam, hatte es schwer, in drei Minuten hiervon zu überzeugen. Politische Erfahrung etwa aus früherer Parteizugehörigkeit wird grundsätzlich geschätzt, wobei offenbar alle im demokratischen Spektrum vertretene Parteien akzeptiert werden. Aber überbewerten sollte man dieses Argument nicht. Insbesondere mögen Piraten keine Trittbrettfahrer; das Kapern ist Sache der Piraten, nicht umgekehrt.

Demagogisch angehauchte Reden, die an gewisse Berufspolitiker erinnerten, rissen niemanden vom Hocker. Eine Bewerberin fiel unangenehm durch Populismus auf, den man ihr vorhielt. Beim nächsten Wahlgang sprach sie die Kritik auch noch an und wollte die Kritiker kritisieren, was einem Harakiri gleichkam, denn Kritik ist den Piraten nun einmal heilig. Wenn etwa Bewerber nach ihrer Vorstellung qua GO-Antrag vom Saal aus befragt wurden, ist es keine gute Idee, die Kritiker zu beschimpfen. Selbst, wenn man das bessere Argument hätte, so verliert man wohl Sympathiepunkte. Die Basis erwartet wohl eine gewisse Demut … ;)

Als kandidaturschädlich erwiesen sich anscheinend bewusst gelassene Lücken im Lebenslauf. Ein unglücklicher Bewerber hatte das Verschweigen seiner vorherigen (offenbar im Unfrieden beendeten) Zugehörigkeit zur Linkspartei damit gerechtfertigt, man könne ihn ja Googeln. Selbstverständlich aber hatten die Piraten genau das getan …

Das wichtigste Argument erfolgreicher Bewerber aber war neben dem Minimum an „Stallgeruch“ die nachhaltige inhaltliche Auseinandersetzung mit Piratenthemen, die etwa dem einzig als solchem gewählten Spitzenkandidat den Zutritt auf das Piratenschiff ermöglichte.

Was die Piraten von der Wikipedia unterscheidet, ist der Verzicht auf mächtige, selbstherrliche Admins. Die Versammlungsleiter bekommen ihre Kompetenzen jeweils von den Piraten geliehen und sind einer definierten Geschäftsordnung verpflichtet. Gesperrt, gelöscht und zensiert wird auf Parteitagen nicht. Vertrollen lassen sich Piraten trotzdem nicht. Bei der Wikipedia hingegen hat man bekanntlich sogar die Trolle zu Admins gemacht … :P

Die TAZ manipuliert auch ganz gerne mal

Heute lesen wir in der TAZ, dass die Piraten es nicht lustig gefunden hätten, dass die LINKE sie auf einem Plakat als Sozialräuber bezeichnet hätte. Doch, wir fanden das lustig, die Mitbewerber sogar ganz nett und haben denen sogar ihr albernes Plakat repariert. Übrigens bewarb sich eine Mitgründerin der WASG um ein Piratenmandat.

Die TAZ interessierte sich für den skurrilen Bewerber Herbers, ein evangelischer Pfarrer, der der in früheren Zeiten AO/KPD-affin war und die GRÜNEN mitgegründet haben will. Der leicht anstrengende Pfaffe scheiterte auch im vierten Wahlgang, wo er den letzten Platz belegte.

Was auch immer die Zeitungen schreiben, wir haben nun 42 Kandidaten, denen jeweils 50% der anwesenden Partei das Vertrauen aussprach. Meines Wissens ist unsere Liste trollfrei. Keine Kreationisten, keine Eosterik-Schwärmer, keine Fundamental-Revolutionäre usw. Und auch dieser offensichtlich hilfsbedürftige Mensch im Piratenkostüm musste über die Planke springen. Keiner unserer Kandidaten muss uns peinlich sein.

Da den TAZ-nahen GRÜNEN allerdings spätestens nach der Saarlandwahl der Arsch auf Grundeis gegangen ist, werden wir uns wohl auf einen schmutzigen Wahlkampf einrichten müssen. Die FDP hat ja schon einen gewissen Vorgeschmack geboten, dem jedoch aus Gründen von Pietät keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt werden soll. Da die Piratenpartei Pressefreiheit in besonderem Maße akzeptiert, mag die TAZ schreiben, was sie will. Aber ich werde mir die Freiheit nehmen, sie mit der Schnauze in ihre eigene Hinterlassenschaft zu drücken.

Es ist nicht alles schlecht an der TAZ, denn entgegen ihren Gründungsideen verwenden die auch Agentur-Material. Und das von dpa war brauchbar.