14. Februar 2017
Die größte Fake News dieser Tage ist die, Falschmeldungen, Propaganda und Spindoctoring seien ewas Neues. Allerdings scheint die Dreistigkeit, mit der inzwischen gelogen wird, immer primitiver zu werden.
Nun wollen uns im Bundestagswahlkampf diverse Faktchecker vor der Unwahrheit bewahren. So will ewa künftig das ZDF mit Wahrheit anfangen …
Auch die EU hat nun ein quasi militärisches Wahrheitsministerium eingerichtet, meldet die Nachrichtenagentur fefe.
Facebook hat eine Wahrheits-Kooperation mit dem angeblich unabhängigen Recherche-Kollektiv „Correctiv“ begonnen – die allerdings seltsam finanziert und mehrfach mit erstaunlich tendenziösem „Journalismus“ aufgefallen sind (Facebook-„Wahrheitsprüfer“ Correctiv verstrickt sich in Widersprüche). Wenn David Schraven demnächst Journalisten ausbilden will, muss ich an diese eigenartige Schraven-Story erinnern.
Ich bin ja mal gespannt, wer der nächste Wahrheitsanbieter wird. Wirklich gute Infos bekommt man derzeit am ehesten bei Satire-Sendungen.
10. Februar 2017
Das Landgericht Hamburg hat heute meinen Ehrenfelder Mitbürger Herrn B. zur Unterlassung der Rezitation von Teilen des Gedichts „Schmähkritik“ verurteilt.
Die Verurteilung hinsichtlich der sexuellen beleidigenden Stellen war zu erwarten und folgt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Strauß-Karrikaturen: Machtkritik ja, aber nicht unter der Gürtellinie) sowie der Tradition der Hamburger, bei der Abwägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zur Meinungsfreiheit im Zweifel zu verbieten. Da wird auch die Berufung zum OLG Hamburg, dessen Pressesenat aus vormaligen Richtern der Pressekammer des Landgerichts Hamburg besteht, nichts ändern.
Das Gericht hat sein Urteil juristisch und nicht politisch gefällt, was im Sinne eines Rechtsstaats zu begrüßen ist. Die Hamburger Richter scherten sich nicht um die öffentliche Meinung und scheuten auch ein unpopuläres Urteil nicht. Kritik an ihrer Urteilspraxis hat die Hamburger Pressekammer meines Erachtens noch nie irritiert – im Giuten wie im Schlechten.
Eine andere Frage ist es, wie Karlsruhe mit dem Fall umgehen wird. Im Urteil ZEIT-Prozesshanseln ./. Die Anstalt (ZDF) hatte der BGH klargestellt, dass man Äußerungen von Satirikern nicht wörtlich, sondern im Kontext interpretieren und die tatsächliche Intention beurteilen muss. Mit einem ähnlichen Kunstgriff hatte sich die Generalstaatsanwaltschaft Mainz aus der Affäre gezogen, wo man keinen Beleidigungsvorsatz feststellen konnte, der im Strafrecht nun einmal erforderlich ist – anders als beim zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch.
Beim Heranziehen des Kontextes wird es allerdings eine Rolle spielen, dass das Schmähgedicht selbst türkisch untertitelt war, nicht allerdings die satirische Einkleidung. Die dementsprechend in der Türkei angekommene Message, dass in Deutschland rassistisch-sexistische Beleidigungen im TV salonfähig sind, war vermutlich auch kein Beitrag zur Völkerverständigung.
admin •
16:19 •
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24. Januar 2017
Bei einer Veranstaltung an der Uni Magdeburg, bei der auch ein Redner der AfD sprechen sollte, kam es zu Reibereien mit Kritikern. Darüber berichtete auch jemand auf Facebook und verbreitete, AfD-Mitglied John Hoewer habe Quarzhandschuhe getragen. Hoewer bestreitet diese Darstellung. Quarzhandschuhe bergen bei Rangeleien eine erhöhte Verletzungsgefahr und sind etwa Polizisten in entsprechenden Einsätzen verboten.
Jedoch ging Hoewer nicht nur gegen den Facebooker anwaltlich vor, sondern auch gegen eine Mandantin aus NRW, welche wie viele andere einen Tweet retweetete, der einen Link auf das umstrittene Facebook-Posting enthielt. Die Mandantin hatte den Tweet weder kommentiert noch geliked. Nun fordert Hoewer durch den Kölner Rechtsanwalt Matthias Brauer (KOMNING Rechtsanwälte) die Mandantin zur Abgabe einer Unterlassungserklärung wegen Behauptung und Verbreitung der im Tweet enthaltenen Äußerung auf – nebst Kostennote, versteht sich.
Wirklich überzeugend ist die Abmahnung nicht. Auch die in der Abmahnung aufgeführten Entscheidungen beeindrucken mich nicht wirklich. Wer eine ähnliche Abmahnung erhalten hat, sollte jedenfalls nicht das beigefügte Formular unterzeichnen.
10. Januar 2017
Der Bundesgerichtshof hat die Urteile des OLG Hamburg aufgehoben, mit denen die oberpeinlichen ZEIT-Journalisten Josef Joffe und Jochen Bittner dem ZDF angeblich getätigte Äußerungen in der Satire-Sendung „Die Anstalt“ verbieten ließen. Hier die Pressemitteilung des BGH:
Bundesgerichtshof zur Ermittlung des Aussagegehalts von Äußerungen in einer Satiresendung
Urteile vom 10. Januar 2017- VI ZR 561/15 und VI ZR 562/15
Der Kläger in dem Verfahren VI ZR 561/15 ist Mitherausgeber, der Kläger in dem Verfahren VI ZR 562/15 ist einer der Redakteure der Wochenzeitung „DIE ZEIT“. Die Kläger machen gegen die Beklagte, das ZDF, Ansprüche auf Unterlassung von Äußerungen geltend. Die Beklagte strahlte am 29. April 2014 das Satireformat „Die Anstalt“ aus. Gegenstand der Sendung war ein Dialog zwischen zwei Kabarettisten, in dem es um die Frage der Unabhängigkeit von Journalisten bei dem Thema Sicherheitspolitik ging. Die Kläger sind der Auffassung, im Rahmen dieses Dialogs sei die unzutreffende Tatsachenbehauptung aufgestellt worden, sie seien Mitglieder, Vorstände oder Beiräte in acht bzw. drei Organisationen, die sich mit sicherheitspolitischen Fragen befassen. Der Kläger in dem Verfahren VI ZR 562/15 ist darüber hinaus der Auffassung, es sei der Wahrheit zuwider behauptet worden, er habe an der Vorbereitung der Rede des Bundespräsidenten vor der Münchener Sicherheitskonferenz im Januar 2014, über die er später als Journalist wohlwollend berichtet hat, mitgewirkt.
Das Oberlandesgericht hat die Beklagte zur Unterlassung der angegriffenen Äußerungen verurteilt. Die vom Senat zugelassenen Revisionen haben zur Aufhebung der Berufungsurteile und zur Abweisung der Klagen geführt, weil das Berufungsgericht den angegriffenen Äußerungen einen unzutreffenden Sinngehalt entnommen hat. Bei korrekter Ermittlung des Aussagegehalts haben die Kabarettisten die oben genannten Aussagen nicht getätigt, so dass sie nicht verboten werden können. Zur Erfassung des Aussagegehalts muss eine Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Äußerungen im Rahmen eines satirischen Beitrags sind zudem zur Ermittlung ihres eigentlichen Aussagegehalts von ihrer satirischen Einkleidung, der die Verfremdung wesenseigen ist, zu entkleiden. Bei einem satirischen Fernsehbeitrag ist in den Blick zu nehmen, welche Botschaft bei einem unvoreingenommenen und verständigen Zuschauer angesichts der Vielzahl der auf einen Moment konzentrierten Eindrücke ankommt. Dies zugrunde gelegt lässt sich dem Sendebeitrag im Wesentlichen nur die Aussage entnehmen, es bestünden Verbindungen zwischen den Klägern und in der Sendung genannten Organisationen. Diese Aussage ist zutreffend.
Vorinstanzen:
LG Hamburg – Entscheidungen vom 21. November 2014 – 324 O 443/14 und 324 O 448/14
Hanseatisches OLG – Entscheidungen vom 8. September 2015 – 7 U 121/14 und 7 U 120/14
Karlsruhe, den 10. Januar 2017
Mit dem Einzug in die Hall of Shame des BGH schließen Joffe und Bittner zu Prozesshansel Melmut Markwort auf. Dieser galt bislang als einziger prominenter Journalist, der sich nicht dafür zu schade war, Kollegen oder Kabarettisten zu verklagen. Zwischen den Zeilen hat der BGH übrigens auch signalisiert, wie er in Sachen Böhmermann entscheiden wird.
admin •
17:43 •
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31. Dezember 2016
Heute habe ich den nunmehr 24. Schriftsatz in diesem seit zwei Jahren anhängigen Filesharingfall versandt, wie meistens recht umfangreich. In dieser Sache war bereits zweimal an einem Amtsgericht in Baden-Württemberg mündlich verhandelt worden, verbunden mit allen „Freuden“ des Anreisens mit der Bahn. Aufgrund des Streitwerts von 993,26 € kann ich nach RVG insgesamt nur 200,- € netto verdienen (zzgl. Abwesenheitspauschale, was aber auch kein Geschäft ist).
Einen realistischen Stundenlohn mag ich nicht ausrechnen, wenigstens verdient die Gegenseite auch nichts. Vergleiche gibt es bei mir in Filesharingsachen nicht, das ist Policy. Bislang wurde alles abgewehrt.
Zu diesem Prozess ist es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur gekommen, weil der Mandant sich auf die Abmahnung hin mit der Abmahnkanzlei in Verbindung gesetzt und um Kopf und Kragen geredet hatte. So hatte er sich auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Charlottenburg berufen, die Freifunkern das Privileg des § 8 TMG zuerkannte – was der EuGH so jedoch nicht mitmachte.
Diesen vermeintlich guten Rat empfahl auch der eigenartige „Abmahnbeantworter“ des CCC trotzig weiter, obwohl dessen Inkompetenz und Kontraproduktivität nicht ernsthaft zu bestreiten ist. Offenbar gab es da auf dem Chaos Communication Congress auch einen Vortrag der Gestalter des Abmahnbeantworters, und nun ein zweites Gefälligkeitsinterview auf netzpolitik.org.
Ich habe zu der Sache bereits alles gesagt:
Abmahnbeantworter des CCC – leider nicht zu empfehlen
Wie man auf Filesharingabmahnungen richtig reagiert – und wie besser nicht
Wer es trotzdem für eine gute Idee hält, sich mit Abmahnern vorgerichtlich zu unterhalten und ihnen damit eine Einladung zur ansonsten unwahrscheinlichen Klage zu schicken, soll sich nicht aufhalten lassen. Das erinnert mich ein bisschen an die Waldorfpädagogik, bei der Kinder von ihren eigenen Fehlern statt von denen der anderen lernen.
Die Position beim CCC, die überflüssige Drohung mit einer negativen Feststellungsklage könne Abmahnanwälten eine andere Reaktion als ein mitleidiges Lächeln entlocken, ist dann aber doch etwas sehr optimistisch. Der Cowboy in dem Video erklärt, warum.
29. Dezember 2016
Vor zwei Jahren freuten wir uns über den Silvesterknaller für Dirk Vorderstraße.
Ich hatte über einen (wie stets) gescheiterten Antrag auf Erlass einer einsteiligen Verfügung des Landgerichts Berlin gegen einen Mandanten berichtet, der ihn einen „Abzocker“ schalt. Dabei hatte ich nicht darauf hingewiesen, dass die Abweisung noch nicht endgültig war. Tatsächlich nämlich hatte Herr Vorderstraße inzwischen Beschwerde erhoben.
Um mir hieraus einen Strick zu drehen, beantragte er gegen meine Berichterstattung den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung, eigenartigerweise am Landgericht Frankfurt am Main. Auch dieser wurde abgelehnt, woraufhin Herr Vorderstraße dort ebenfalls Beschwerde erhob. In der Zwischenzeit aber hatte das Berliner Kammergericht den ursprünglichen Antrag endgültig abgelehnt, so dass sich das Begehren für das Frankfurter Verfahren erledigt hatte. Da Herr Vorderstraße nicht einlenkte, verlor er auch dort.
Nun kam Herr Vorderstraßens Rechtsanwalt Herr Arno Lampmann von Lampmann, Haberkamm und Rosenbaum auf die spannende Idee, mir dennoch eine Kostennote zu schicken. Denn da seiner Ansicht nach der Unterlassungsantrag gegen mich zumindest vorübergehend begründet gewesen sei, müsse ich seinem Mandanten zumindest die Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts erstatten.
Schon weil mich der Kollege nicht einmal abgemahnt hatte, sondern gleich die Gerichte bemühte, fand ich das seltsam. Die Anerkennung eines Abmahnhonorars ohne Abmahnung hätte zweifellos den Markt der Rechtsberatung belebt …
Noch am gleichen Tag schickte ich daher eine negative Feststellungsklage an das Amtsgericht Münster dahingehend, dass ein solcher Anspruch nicht bestehe. Herr Vorderstraße reichte umgekehrt eine Leistungsklage am Amtsgericht Frankfurt ein, in welcher er seinen „Anspruch“ einklagte. Dort scheiterte er auch in der zweiten Instanz sowie in Münster, so dass ihn allein dieser Spaß mit dem begehrten Anwaltshonorar insgesamt über 3.000,- € gekostet haben dürfte.
Da Herr Vorderstraße (Hamm) unbedingt den fliegenden Gerichtsstand bemühen wollte und auf dem willkürlichen Gerichtsort Frankfurt bestand, leistete ich mir – mit Ansage – eine Zugfahrt 1. Klasse. Der gegnerische Kollege hatte nichts Besseres zu tun, als mir diesen Anspruch mit großem Eifer streitig zu machen. Geholfen hat es nicht. ;)
Ach ja: Herr Vorderstraße kann natürlich noch versuchen, in irgendeiner Weise gegen den Kostenfestsetzungsbescheid vorzugehen.
18. Dezember 2016
Zm 31.12.2016 verjähren Ansprüche von Musikurhebern gegenüber der GEMA wegen eigenmächtig an die Musikverleger ausgekehrten Tantiemen (Kammergericht Berlin Bruno Kramm ./. GEMA) aus dem Jahr 2013.
Wer die GEMA nicht sofort verklagen möchte, sollte keine Zeit verlieren und am besten noch heute die GEMA zur Erklärung eines Verjährungsverzichts für 2013 auffordern. Sollte die GEMA nicht vor dem Jahreswechsel reagieren, weil sie etwa mit Verfolgen von Weihnachtsliedern und Überwachung von Silvesterparties zur sehr beschäftigt ist, müsste man bis zum 31.12.2016 verjährungsunterbrechende Maßnahmen durchführen. Ob das notwenig wird, weiß man aber erst, wenn die einen Verjährungsverzicht nicht vor dem Jahreswechsel erklärt haben, wozu man denen halt schon ein paar Tage zubilligen muss.
Also keine Zeit verlieren! Zum Schreiben des Faxes und eingeschriebenen Briefes an die GEMA hier eine schöne musikalische Untermalung:
12. Dezember 2016
Seit zwei Jahrzehnten versuchen weltfremde Politiker und Richter, das strukturell anarchistische Medium Internet wieder in das Zeitalter der Gatekeeper zurückzudrängen. Als überwundenes Konzept galt die Linkhaftung, deren Höhepunkt ein legendäres (und legendär missverstandenes) Urteil des Landgerichts Hamburg 1998 markierte. Seltsam waren auch die Filter, die etwa Content mit „sex“ wegfilterten, was etwa Medizinern, LGBTQ-Menschen und KommunikationSEXperten die Kommunikation erschwerte.
-> Von Links und rechtsfreien Räumen
Eine Renaissance erlebte die Linkhaftung durch die von einem freundlichen Hamburger Landrichter auf den Weg gebrachte Fehlentscheidung zur Haftung eines Bloggers, der einen auf YouTube gehosteten ZDF-Beitrag einbettete und für jede angebliche Verfehlung haften sollte. Später stellte sich heraus, dass das ZDF rechtmäßig gehandelt hatte, so, wie es der presserechtssachverständige Blogger auch zutreffend beurteilt hatte.
Ironischwerweise ist dem Blogger nach wie vor die Einbindung verboten, und in den vier Jahren, die er auf die Berufung wartet, ist der Kläger verstorben. Der Prozess läuft noch immer … (Wer war noch gleich der Beklagte?)
Und nun hat man in Hamburg wieder einen Hebel entdeckt, um das Internet kaputt zu machen. Ausgerechnet einer dieser Creativ Commons-Foto-Querulanten hat nichts Besseres zu tun, als seine juristisch nicht qualifiziert beratenen Mitmenschen am Landgericht Hamburg zu gängeln. Ich werde die Entscheidung juristisch kommentieren, wenn ich vorher mein Beißholz wiedergefunden habe.
admin •
12:26 •
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6. Dezember 2016
Da ich im Gegensatz zur digitalen Berliner Bohème ein hart arbeitender Mittelständler mit einem vollen Schreibtisch bin, konnte ich mir gestern zeitlich nur eines von zwei möglichen Events leisten. Ich hatte die Wahl zwischen einer politischen Live-Veranstaltung und einem satirisch-grotesken Event via Stream.
Ich entschied mich für die politische Veranstaltung und wohnte hier in Köln-Ehrenfeld der in einem Kino abgehaltenen Präsentation der neuen Somuncu-DVD sowie der Kürung von Serdar Somuncu als Kanzlerkandidat der PARTEI durch Martin Sonneborn himself bei. Somuncu demonstriert mit seinem genialen Programm auf wundervolle Weise, wie man man souverän mit Meinungsfreiheit und Hatespeech umgeht. Der Mann versteht es sogar, mit Fäkalhumor eine Katharsis auszulösen. Sowohl Sonneborn wie auch Somuncu sind erklärte Streiter für Meinungsfreiheit.
Nur indirekt auf Twitter folgte ich der Comedy, die sich in Berlin und Brüssel(?) abspielte. Da sollte im Auftrag der ZEIT-Stiftung der Spezialdemokrat und wohl Kanzlerkandidat Martin Schulz mit Internet-Kompetenz gesegnet werden. Dazu trommelte die finanziell potente ZEIT-Stiftung mehr oder weniger prominente Namensinhaber zusammen, die angeblich 14 Monate lang feierten, bis sie dann eine seltsame digitale Charta ausschieden, die Oettinger wahrscheinlich auch nicht schwächer hingekriegt hätte.
Angeblich sei um jedes Wort gerungen worden. Inzwischen hatte sich jedoch herumgesprochen, dass der Kaiser nackt ist. Ich verweise mal auf die Analyse von Dr. Malte Engeler: Unstable – Digital-Charta fehlt ihr Datenschutz-Fundament. Nachdem Politiker seit zwanzig Jahren mit den diversesten Vorwänden das Internet zensieren wollen, soll es diesmal Hatespeech sein, um eine „Verhinderung“ unerwünschter Inhalte zu liefern. Wie in der Türkei, China, Ungarn, Putin-Russland, teilweise Obama-USA. Sehr schön!
Normalerweise würden jetzt die üblichen Verdächtigen Alarm schlagen. Die hatte die reiche ZEIT-Stiftung aber geschickt nahezu alle zur Party eingeladen. Und so präsentierte man uns „27 Prominente“, die ein Grundgesetz für die digitale Welt entwickelt haben. Man habe nicht auf Expertise, sondern auf Diversität gesetzt.
Wenn ich ein neues Flugzeug entwickle, Gehirnchirugie revolutionieren will oder EU-Verfassungsrecht, denn werde ich künftig auch 27 Prominente engagieren. Am besten noch solche, die Gender-Sternchen für einen Ausweis an Urteilsvermögen halten. So wird’s gemacht! Expertentum ist überbewertet!
Die PR-Strategie scheint aufzugehen: Kritik gab es fast nur aus dem Internet. Also Trolle. Verschwörungstehoretiker. Neidischer Plebs. Die Edelfedern der Medien werden der ZEIT nicht reingrätschen. Und so astroturfte man und frau dem lieben Herrn Schulz Internetkompetenz. Alles töfte.
Nach einem Wochenende Shitstorm wurde nun die Charta der EU als „Beta-Version“ überreicht. Halb so wild: Ähnliche Vorstöße gibt es zweimal im Jahr. Hal Faber etwa rief die Online Magna Charta von 1997 in Erinnerung. Der Zensur-Quatsch würde so oder so am Bundesverfassungsgericht scheitern. Wahlkampfgeschwätz halt.
Mir egal. Ich mache nur noch für die PARTEI Wahlkampf. Mit unserem Kanzlerkandidat bin ich zufrieden. Ihr könnt ruhig dem Schulz die Schuhe blank putzen. Wird sowieso Merkel.
2. Dezember 2016
Diese Woche hat eine neu formierte Pressure Group eine Digitale Charta postuliert und dabei um staatliche Zensur gebeten. Das deutsche Internet soll also ein Orwellraum werden. Als Hebel gilt diesmal „Hatespeech“. Obwohl Internetsperren und -Filter das zentralste Kernthema der Piraten sind, serviert auch noch von der ZEIT (Urheberrechtsdebatte …), schweigen die Piratenkapitäne in Schönheit.
OK. Kenntnis genommen. Mit Auslaufen meines nunmehr siebten Jahres in der Piratenpartei mustere ich nun ab.
Zumindest meine politischen Primärziele wie die Verhinderung von Netzsperren, ACTA und TTIP sowie Schrumpfung der GEMA sind fürs erste erreicht. Das Internet ist mit einiger Verspätung im Bundestag angekommen. Dafür und für manch anderes hat es sich gelohnt, ich werde große Momente und tolle Menschen in Erinnerung behalten.
Der 2009 durchgestartete Hack des politischen Systems ist jedoch schon lange vorbei. Die nicht mehr für wichtige Wahlen gesetzten Piraten bieten keinen politischen Hebel mehr für Themen wie Überwachung und Urheberrecht. Für andere Piratenthemen wie Transparenzbigotterie, messianische BGE-Romantik und weltfremde Basisdemokratie fehlt mir ohnehin die ideologische Begabung. Auch die 5%-Hürde zur Vermeidung von Extremisten jeglicher Couleur im Parlament habe ich entgegen der Parteilinie stets für sinnvoll gehalten.
Es war für mich stets eine Frage der Loyalität, die Piratenfahne, die seit 2012 nicht mehr so recht flattert, auch in schlechten Zeiten hochzuhalten. Ein Selbstzweck sollte eine Partei jedoch nicht sein. Viele Chancen wurden verspielt. Von der Piratenfraktion im NRW-Landtag, die den Parlamentsbetrieb des Establishments hätte trollen sollen, ist spätestens seit der gedeckten Düngel-Peinlichkeit nicht mehr viel zu erwarten. Die Chance auf Rückbesinnung auf die Kernthemen, die sich 2014 in Halle auftat, wurde vertan. Mangels eigenem Profil ließen sich die Piraten bei der Berlinwahl sogar von Satireparteien überholen.
Die befremdliche Rangelei um die Listenplätze für die aussichtslosen Wahlen in 2017 und die von mir im Parteischiedsgericht bezeugte anhaltende Selbstbeschäftigung mit hausgemachten Machtspielchen nehme ich schulterzuckend zur Kenntnis. Unerträglich ist es für mich allerdings, wie der damalige NRW-Landesvorsitzende und nun Bundesvorsitzende letztes Jahr das fundamentale Kernthema Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit missachtete und sich von den „Antideutschen“ zur Hexenjagd einspannen ließ, so dass sogar die Junge Union grundrechtliche Nachhilfe zur Freiheit der Wissenschaft erteilen musste.
Während die Piratenparteimedien praktisch gar keine Reichweite mehr haben, ist es Privatleuten mit vergleichsweise geringem Aufwand gelungen, im Internet alternative Medienkanäle zu etablieren. Diese erreichen politisch interessierte Menschen, von denen viele früher den Piraten zugeneigt waren, ohne den Umweg konventioneller Medien – denen die Piraten in unrealistischer Hoffnung auf alte Zeiten hinterherhecheln. Die Serie an verpassten Chancen und Unprofessionalität ließe sich beliebig fortsetzen. Aber „Piraten“, die nicht gegen Zensur kämpfen, kann ich beim besten Willen nicht mehr unterstützen. Nichts für ungut.
Die parlamentarische Konkurrenz war 2009 und 2012 unser Weg, um den internetfernen Parteien unsere Inhalte zu induzieren. Das haben wir zum Teil erreicht. Wer in der Politik etwas bewegen will, möge den Ball nun dort weiterspielen. Der politische Hack ist vorbei.
Piraten! Es war mir eine Ehre, mit euch für Bürgerrechte zu kämpfen!