Im Dezember luden etliche ARD-Sender regionale Spitzenkandidaten der Parteien für die Wahlarenen in den Dritten Programmen am 12. Febuar ein. Die Wahlarena ist ein sogenanntes Townhall Meeting-Format, bei dem Kandidaten den Wählern Rede und Antwort stehen und Grazie im Kreufreuer beweisen können. Einzig der SWR kam auf die Idee, die damals demoskopisch stabil fünftstärkste Kraft BSW zu übergehen, gleichzeitig aber die weit abgeschlagene FDP einzuladen.
Eine derart willkürliche Einladungspraxis im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verletzt jedoch das verfassungsmäßige Recht der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die Sender dürfen bei ihrer Berichterstattung durchaus Parteien gewichten und Abstufungen vornehmen, das muss aber mit zunehmender Nähe zum Wahltermin nachvollziehbar begründet und die Sender müssen insgesamt ihrem Auftrag zur Darstellung der Meinungsvielfalt gerecht werden.
Im Fall des SWR gaben uns das Verwaltungsgericht Stuttgart und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim recht. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren daher am Dienstag die BSW-Kandidaten zu Gast:
Auch die ARD überging bei der für Montag geplanten Wahlarena im Ersten das BSW, hielt aber sein angebliches redaktionelles „Konzept“ geheim. Der für die Sendung juristisch zuständige WDR behauptete vorgerichtlich, man wolle nur Kanzlerkandidaten der Parteien einladen, die eine realistische Chance hätten, die künftige Bundesregierung anzuführen und den neuen Bundeskanzler stellen.
Weshalb der WDR dann den Kanzlerkandidaten der Grünen einlud, haben wir nicht verstanden. Die Grünen hatten für 14,8 % (2021) über 41 Jahre benötigt und wahren bei der letzten bundesweiten Wahl auf 11,8 % gefallen. Die Union hat dreimal so viel Zustimmung und liegt damit uneinholbar vorne. Auch die SPD könnte in ihrer realistischen Größenordnung allenfalls in einem dritten Wahlgang nach Art. 63 GG eine Viererkoalition anführen. Die Fixierung auf den Wahlsieger ist in Zeiten eines fragmentierten politischen Spektrums ohnehin anachronistisch, denn möglicherweise kommt es auf den Koalitionswillen der kleinen Parteien an.
Vor dem Verwaltungsgericht Köln behauptete der WDR in letzter Sekunde, er hätte danach eingeladen, wer konstant und deutlich über 10 % gelegen habe. Ein solches Konzept war allerdings nie formuliert oder verindliche Stichtage fixiert worden, die Grünen waren im Herbst zweimal unter 10 % gesehen worden und hatten bei den drei Landtagswahlen im Herbst zwischen 3,2 und 5,1 % abgeschnitten. Was die 10 %-Grenze überhaupt soll, ist seltsam, denn noch nie hat eine Partei mit weniger als 25,7 % den Bundeskanzler gestellt. Hätte man die Grenze bei 15 % gezogen, wären die Grünen herausgefallen.
Bereits 2021 hatte die ARD Wahlarena für die Grünen Wahlkampfhilfe gemacht und die grüne Kanzlerkandidatin gleichberechtigt mit SPD und Union eingeladen, obwohl sie absehbar viel schlechter abschnitt und ihr Ergebnis deutlich näher bei dem von FDP und AfD lag, die man ausgelassen hatte. Diesmal nun erweiterte die ARD den Kreis erneut zugunsten der Grünen, schloss aber die einzige weitere Partei aus, die im Zeitpunkt der entsprechenden Planungskonferenz am 11.12.2024 solide über 5 % lag und damit Mandatsrelevanz hatte. Zufall?
Während das Oberverwaltungsgericht NRW uns bei der Europawahl noch gefolgt war, als die ARD die neue Partei BSW mit aberwitzigen Ausreden nicht bei der ARD Wahlarena Europa berücksichtigen wollte (BSW fuhr 6,2 % ein), bewertete es diesmal die Auswahlentscheidung als nachvollziehbar. Insbesondere werde dem BSW im weiteren Programm ausreichend Raum eingeräumt. Tatsächlich aber hatten die freihändig eingeladen, ohne verbindliches Konzept.
Das Spektakel der ARD-Wahlarena, das fünf Tage vor dem Wahlabend noch Einfluss auf unentschlossene Brief- und Urnenwähler nehmen könnte, suggeriert unterschwellig, dass nur diese Parteien aussichtsreich seien. Die fehlende Präsenz kann auch nicht durch andere Wahlsendungen kompensiert werden, denn die meisten davon liefen schon und berücksichtigten natürlich nicht die jüngsten Ereignisse wie das Telefonat zwischen Trump und Putin und die Reaktionen auf die ungewöhnliche Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance zur gefährdeten Meinungsfreiheit in Deutschland – beides Kernthemen des BSW.
In Wirklichkeit allerdings geht es wohl nicht um den Bundeskanzler, denn der wird uneinholbar Merz werden, sondern nur um gewöhnliche (beitragsfinanzierte) Wahlwerbung und ggf. den Koalitionspartner. Es geht offensichtlich darum, eine lästige fünfte Fraktion aus dem Bundestag rauszuhalten.
Aufgrund hohen Krankenstands bei den NRW-Verwaltungsgerichten kam die OVG-Entscheidung erst am Freitag um 10.37 Uhr. Die Verfassungsbeschwerde ging um 12.00 Uhr raus, als man in Karlsruhe eigentlich schon ins Wochenende wollte. Das Bundesverfassungsgericht nahm sich für uns extra am Samstag Zeit, nicht jedoch die Beschwerde zur Entscheidung an. Eine Verletzung der Grundrechte sei nicht schlüssig dargetan. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass nur 1,69 Prozent aller Verfassungsbeschwerden erfolgreich sind. Versuch macht kluch.
Zum Ruf der öffentlich-rechtlichen Sender kommentierte jüngst Verfassungsrichter a. D. Huber in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Archiv für Presserecht als Vorsitzender des sog. Zukunftsrats, das Angebot werde nicht nur von Randgruppen als einseitig, „linkslastig“ und auf Minderheiten fokussiert wahrgenommen. ARD, ZDF und Deutschlandradio dürften sich nicht in erster Linie als Aktivisten verstehen. Sie müssten sich – stärker als bisher – als Anwälte des demokratischen Diskurses begreifen und eine faktenbasierte, erkenntnisorientierte Selbstverständigung der Gesellschaft fördern. Dies könne nur durch eine unvoreingenommene, sachliche, kompetente, gewissenhafte und faire Berichterstattung gelingen, in der alle Strömungen und Perspektiven zum Ausdruck kommen. Die Öffentlich-Rechtlichen müssten sich deutlich mehr als bisher um eine pluralistische Berichterstattung bemühen, die jedem Eindruck der Einseitigkeit entgegenwirkt. Hierzu bedürfe es besonderer Sensibilität und einer klaren Orientierung an den Standards journalistischen Arbeitens, an der es nicht selten fehle.
Einer repräsentativen Umfage zurolge vertraut nur noch jeder Dritte der unter 30-jährigen den öffentlich-rechtlichen Sendern. Welche Bedeutung die TV-Sender bei der kommenden Bundestagswahl in wohl vier Jahren haben werden, bleibt abzuwarten. Wenn zutrifft, was derzeit über Manipulationen in der Wahlarena-ähnlichen ZDF-Sendung „Klartext“ zu hören ist, werden Politiker künftig keine Energien mehr darin investieren, sich in solche Sendung einklagen – und die Kommunikation lieber direkt im Internet suchen.
Im Dezember 2016 war für den „stern“ die Welt noch in Ordnung: Die Auflage betrug knapp 700.000 Exemplare und man hatte keine größeren Sorgen, als einen kritischen Blogger mit einer absurden Abmahnung mit sechsstelligem Gegenstandswert zu überziehen. Der Blogger hatte dem stern eine „offenkundige Lügengeschichte“ attestiert – weil es sich um eine solche handelte.
Der stern – das Magazin mit den Hitler-Tagebüchern – fürchtete um seine Autorität und beantragte am Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Nach damaliger – inzwischen vom Bundesverfassungsgericht abgestellter – Unsitte konnte man gegen einen Antragsgegner einseitig im Geheimen verhandeln und einen Unterlassungstitel erwirken.
Die damalige Kammervorsitzende Frau Dr. Käfer hatte die Unterlassungen abgelehnt, weil sie die Äußerung vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt sah. Doch der Senatsvorsitzende Richter Andreas Buske im OLG Hamburg bewertete den Großteil der Kritik als Tatsachenbehauptung. Dem Blogger, dem in Abwesenheit der Prozess gemacht worden war, präsentierte man die Rechnung von zwei Instanzen.
Dem Blogger wurde verboten,
a. den Antragsteller zu 1) als „Nachrichtenfälscher“ zu bezeichnen; und/oder b. der Antragsteller zu 1) produziere „Falschmeldungen zu Propagandazwecken“ und/oder c. den Antragsteller zu 1) als „Fake-News-Produzent“ zu bezeichnen und/oder d. der Antragsteller zu 1) verbreite eine „offenkundige Lügengeschichte“: und/oder
im Verhältnis zu beiden Antragstellern, die Äußerung, die Antragsteller verbreiteten ,,Lügen“, zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen;
Dabei blieb man im Widerspruchsverfahren sowie dann in der Hauptsacheklage, der sich der Blogger in zwei Instanzen stellte.
Auch der vom Blogger angerufene Presserat – das überflüssigste Gremium, das man sich denken kann – war keine Hilfe.
Acht Jahre nach Beginn dieses absurden Medienprozesses nun hob der Bundesgerichtshof diese Posse auf ganzer Linie auf und erkannte auf Meinungsfreiheit.
Damit wurde vermutlich das letzte Fehlurteil von Andreas Buske neutralisiert. Hierzu beizutragen war mir Freude und Ehre zugleich.
Wer sich in den auf allen Ebenen absurden und politisch spannenden Fall einlesen möchte:
Acht Jahre später nun war für den stern der gesamte Prozessmarathon für die Katz. Wenn die Urteilsbegründung vorliegt, werde ich diese hier besprechen.
Die Auflage hat sich inzwischen mehr als halbiert und gehört inzwischen RTL. Richter Buske ist im Ruhestand. Diese Woche hatte des sterns einstiger Starreporter Gerd Heidemann das Zeitliche gesegnet. Ob Heidemann wirklich der allein Schuldige war, oder ob er nur das Bauernopfer gegeben hat, wird man wohl nie erfahren.
Journalist Herr Marc Drewello, der seine Leser zu verklagen pflegt, schreibt noch immer beim stern. Ein Scoop scheint ihm bislang nicht gelungen zu sein. Von Twitter/X, über das er einst sein Gebet für Bana verbreitete, hat er sich im November verabschiedet. Jetzt muss er sich seine Geschichten wohl selbst ausdenken.
Am Landgericht Hamburg arbeitet inzwischen eine neue Generation an Richtern, die durchweg zu sehr vernünftigen Urteilen finden. Diese Woche etwa war ich sehr zufrieden … ;-)
Der WDR in Vertretung der ARD hatte sich geweigert, die neue Partei BSW in die ARD Wahlarena einzuladen. Dort wolle man nur Parteien sehen, die 2019 den Sprung ins Europaparlament geschafft und eine gewisse aktuelle Bedeutung hätten – darunter die nur in Bayern wählbare CSU sowie FDP und Linkspartei.
Die Freiheit des Rundfunks hat Verfassungsrang – Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Ebenso jedoch der Anspruch auf Chancengleicheit politischer Parteien aus Art. 3 , 21 Abs. 1 GG. Hieraus folgt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Pflicht zur Berücksichtigung in der Wahlberichterstattung nach dem Prinzip der abgestuften Chancengleichheit. Den „Yogischen Fliegern“ muss nicht in gleichem Maße Sendezeit eingeräumt werden wie etwa traditionell erfolgreichen Volksparteien.
Der WDR hatte für die Wahlarena ein Sendekonzept behauptet, das Fragen zur parlamentarischen Arbeit in der abgelaufenen Legislaturperiode vorsah, denen BSW naturgemäß nicht hätte antworten können. Tatsächlich aber wurde keine einzige Frage zur Vergangenheit gestellt. Die Fragen kamen außerdem nicht von der Redaktion, sondern von Zuschauern, und die konnten sich die jeweiligen Politiker frei aussuchen.
Der WDR hatte behauptet, eine weitere Partei würde die Sendung zerfasern. Warum das bei acht statt sieben Gästen der Fall sein sollte, blieb unklar, vielmehr hätte man bei asymmetrischer Anzahl von Gästen sogar ein Problem beim Separieren der beiden Gruppen gehabt. Die Befragungen wurden auch nicht paritätisch durchgeführt, sondern willkürlich.
Der WDR zog für die Beurteilung der aktuellen Bedeutung von BSW die Belastbarkeit von Demoskopie in Zweifel. Tatsächlich aber war das höhere Rangverhältnis von BSW im Bezug auf FDP und Linkspartei seit März 2024 in allen Meinungsumfragen stabil.
Das Verwaltungsgericht Köln maß Faktoren wie Resonanz in Social Media wenig Aussagekraft bei. Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht aber ließ sich nicht einreden, der hohe Zulauf von BSW bei Kundgebungen sei mit dem Wetter zu erklären, in Köln kamen die Leute sogar bei Regen. Die Kundgebungen der politischen Mitbewerber waren durchweg gefloppt.
Wie erwartet, wurde BSW auf Anbieb bundesweit fünftstärkste Kraft. Im Osten schnitt BSW sogar an dritter Stelle ab, auch im Westen nähert man sich immerhin der 5 %-Marke. Bei den Landtagswahlen im Herbst wird BSW wegen Koalitionsausschlüssen bereits in drei Landesregierungen gesehen.
Es wäre für den WDR peinlich gewesen, wenn er dieser Partei weniger Aufmerksamkeit als CSU, FDP und Linkspartei zugebilligt hätte.
Der WDR ist nach §§ 4 und 5 WDR-Gesetz wie folgt verpflichtet:
Der WDR hat in seinen Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben.(…) Für die Angebote des WDR gilt die verfassungsmäßige Ordnung. (…) Der WDR trägt darüber hinaus in besonderem Maße der Einhaltung journalistischer Standards Rechnung. (…) Der WDR soll die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit achten und in seinen Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen. Der WDR stellt sicher, daß1. die Vielfalt der bestehenden Meinungen und der religiösen, weltanschaulichen, politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Richtungen im Gesamtprogramm der Anstalt in möglichster Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet,2. die bedeutsamen gesellschaftlichen Kräfte im Sendegebiet im Gesamtprogramm der Anstalt zu Wort kommen,3. das Gesamtprogramm nicht einseitig einer Partei oder Gruppe, einer Interessengemeinschaft, einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung dient. (…) Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness zu entsprechen. Ziel der Berichterstattung ist es, umfassend zu informieren.
Wie das gehen soll, wenn man eine deratige politische Kraft ausspart, bleibt rätselhaft.
Gleich zu Beginn ihrer Abschlusskundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz feierte die Parteichefin die einzig richtige Entscheidung.
2009 hatte ich meinen Artikel Hamburg hört in Karlsruhe auf über die damals fragwürdige Rechtsprechung der Hamburger Pressekammer geschrieben. So war Karlsruhe denn auch der geeignete Ort, einmal die Entwicklung der Pressefreiheit nachzuzeichnen. Das habe ich im Rahmen der Gulaschprogrammiernacht in den Räumen der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe gemacht.
Anlass war die Änderung des Medienrechts, demzufolge Blogpostings seit November 2020 nicht mehr polizeifest sind.
2013 war ich Veranstalter einer Demonstration in Münster gegen die damals dann doch beschlossene Bestandsdatenauskunft. Als über die Bestandsdatenauskunft abgestimmt wurde, stellte sich heraus, dass Spitzenpolitiker gar nicht wussten, was das ist. Für die Medien war das auch kein Thema.
Nunmehr haben u.a. die damalige Münsteraner Piratin Katharina Nocun und der Pirat Parick Breyer die Bestandsdatenauskunft vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht. Die Entscheidung war vorhersehbar. Unser politisches Personal ist entweder inkompetent oder ignorant.
Heute wird mein prominentester Mandant 75 Jahre. Gute Beiträge hierzu gelangen dem stern und dem Tagesspiegel. Mit der „Lex Wallraff“ schrieb der Enthüllungsjournalist am Bundesverfassungsgericht Presserechtsgeschichte.
Zu den vielen Menschen, deren Leben Wallraff verändert hatte, gehöre auch ich. Jahrelang hatte er mir geraten, nach Köln zu gehen. Als ich dann 2015 im Begriff war, ausgerechnet nach Düsseldorf zu ziehen, konnte das der Kölner nicht guten Gewissens mitansehen und vermietete mir ein gerade leer werdendes Nachbarhaus in Ehrenfeld. Das Terrain ist historisch interessant, denn nebenan hatten die deutschen Geheimdienste dreimal Wallraffs Küche abgehört, auch Salman Rushdie war einst hier untergetaucht.
Und so kam es, dass sich heute mein Büro zwischen Wallraffs Tischtennis-Schuppen und seinem Steinemuseum befindet. Für mich war der Wechsel nach Köln – genauer: Ehrenfeld – in jeder Hinsicht eine der besten Entscheidungen meines Lebens, heute möchte ich nirgendwo anders mehr wohnen. An der gemeinsam Gartenmauer trifft man sich schon mal, um über das Landgericht Hamburg zu schimpfen, mit dem er drei Jahrzehnte länger Erfahrung hat als ich.
Obwohl Wallraff viele Kämpfe durchstehen musste, hat er sich stets seinen Humor und seine Schlagfertigkeit bewahrt. Und nach wie vor bleibt er nicht nur an der Tischtennisplatte am Ball. Falls ich eines Tages im gleichen Alter nur halb so gut drauf sein sollte, habe ich alles richtig macht.
Autor Marc Drewello und die stern.de GmbH mahnten den Blogger Blauer Bote wegen seinen Äußerungen über die vom stern unkritisch berichtete Bana-Propaganda kostenpflichtig auf Unterlassung ab. Da sich der Blogger jedoch nicht fügte, machten die Sterndeuter einen auf Erdoğan und beantragten am 21.12.2016 beim Landgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit den Anträgen:
Der Antragsgegner hat es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,
wörtlich oder sinngemäß sinngemäß die folgenden Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:
Bezeichnung des Antragsstellers zu 1. als „Nachrichtenfälscher“, (+)
Behauptung, der Antragsteller zu 1. produziere Falschmeldungen zu Propagandazwecken, (+)
Bezeichnung des Antragsstellers zu 1. als „Fake News-Produzent“, (+)
Behauptung, der Antragsteller zu 1. verbreite eine „offenkundige Lügengeschichte“, (+)
Behauptung, die Antragsteller seien „privatisierte Propagandadienstleister“, (-)
Behauptung, die Antragsteller verbreiten Lügen und Propaganda, (-)
Behauptung, die Antragsteller handelten „wie bei den Nazis oder in der DDR, nur eben outgesourct“, (-)
[Im Verhältnis zu beiden Antragstellern] die Äußerung, die Antragsteller verbreiteten „Lügen“, zu verbreiten und(oder verbreiten zu lassen. (+)
Außerdem verlangten beide Antragsteller, dass der Antragsgegner im Impressum seine aktuelle Adresse veröffentlichen müsse, gestützt auf einen vermeintlichen Anspruch aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).
Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg ist dafür bekannt, dass sie bei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung den Gegner nicht anhört. (Die Markenkammer des Landgerichts Hamburg hingegen achtet den Anspruch auf rechtliches Gehör und führt bei Verfügungsanträgen vor Erlass eine mündliche Verhandlung durch.) So erfuhr auch vorliegend der Blaue Bote nicht davon, was nun hanseatische Pressejuristen über ihn verhandelten.
Das Landgericht Hamburg lehnte sämtliche Unterlassungsanträge ab, da es sich nach Rechtsauffassung der Pressekammer um zulässige Meinungsäußerungen handelte. Allerdings erließ die Kammer eine Verfügung wegen des Impressumsverstoßes. Den Streitwert bewertete das Landgericht insgesamt mit 56.000,- €.
Solche Eilverfügungen werden nicht vom Gericht zugestellt, vielmehr haben es die Antragsteller in der Hand, diese dem Gegner zur Kenntnis zu geben und zustellen zu lassen – oder heimlich Beschwerde einzulegen.
Die Antragsteller legten Beschwerde beim Hanseatischen Oberlandesgericht ein. Etliche Mitglieder des dortigen Pressesenats hatten vor ihrer Beförderung in der Pressekammer des benachbarten Landgerichts gewirkt und deren Interpretation von Meinungs- und Pressefreiheit geprägt. Das hanseatische Verständnis von Meinungs- und Pressefreiheit erfährt beim Bundesgerichtshof sowie beim Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten deutliche Kritik.
Das Oberlandesgericht gab einigen der Unterlassungsanträgen statt, die ich oben mit einem (+) markiert habe. Diese seien Tatsachenbehauptungen, die der Blaue Bote letztlich nicht beweisen könne. Der Blogger bringe zum Ausdruck, dass er den Antragstellern vorsätzliche Lügen unterstellt, was er strukturell nicht beweisen könne. Die Last für Darlegung, Glaubhaftmachung und Beweis liegt bei Tatsachenbehauptung beim Äußernden, und der Blogger könne schließlich nicht in den Kopf von Herrn Drewello sehen.
Wenigstens erkannte jemand beim Oberlandesgericht die triviale Tatsache, dass dem stern-Autor keine Ansprüche aus dem UWG zustehen können, da sich dieser nicht in einem wirtschaftlichen Wettbewerbsverhältnis befindet, das könne nur stern.de. Allerdings war auch das Oberlandesgericht mit der Erkenntnis überfordert,
dass der Blaue Bote ebenfalls Privatmann und damit UWG unanwendbar ist,
dass selbst bei Anwendbarkeit eine wirtschaftliche Spürbarkeit eines solchen Impressumsverstoßes fehlt,
keine Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung besteht, zumal der Impressumsverstoß nicht einmal abgemahnt worden war.
Da es aber auch das Oberlandesgericht nicht für geboten hielt, mal den Blauen Boten nach seiner Meinung zu fragen, erließ es am 17.01.2017 seinen schon wegen der Anwendung von UWG evident inkompetenten Beschluss. Außerdem korrigierte das Oberlandesgericht den Streitwert auf stolze 100.000,- € rauf.
Die Hamburger Pressekammer pflegt – übrigens unverhohlen – die fragwürdige Tradition, dass sie eine einmal getroffene Verfügungsentscheidung aus Prinzip nach Möglichkeit hält, ofenbar um ihre Autorität zu wahren. Das ist schon deshalb unbefriedigend, weil regelmäßig der Antragsgegner erst nach Erlass der Verfügung von Anträgen erfährt und sich erst ab diesem Zeitpunkt rechtliches Gehör verschaffen kann – wie es die Prozessgrundrechte vorsehen.
Der Blaue Bote ließ sich nicht einschüchtern und erhob Widerspruch. In der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2017 sah sich der stern zur Rücknahme des unqualifizierten UWG-Antrags veranlasst. Die Vorsitzende Richterin ließ allerdings hinsichtlich der Unterlassungsverfügungen keinen Zweifel daran, dass sie dem Oberlandesgericht folgen wird – obwohl sie zuvor umgekehrter Ansicht war. Die für den 17.07.2017 angekündigte Verkündung ist daher nur Formsache.
Der BGH hat heute zwei urheberrechtliche Rechtsstreite zum Europäischen Gerichtshof geschickt:
So lösten die BGH-Richter Moses Pelham ein Ticket im Trans-Europa Express, um zu erfahren, ob man Tonfetzen tatsächlich ohne Einwilligung samplen darf, wie das Bundesverfassungsgericht meint.
Auch die Frage, ob die Enthüllung der Afghanistan Papers im Wege des Leakens presserechtlich zulässig war, oder ob stattdessen das Urheberrecht der uniformierten Urheber überwiegt, wie die deutschen Gerichten es bislang meinen, wird nun europarechtlich geklärt.
Nachdem der Polizeipräsident in Berlin das „Zeigen und Rezitieren“ des Böhmemanngedichts auch in Teilen bei einer Demonstration untersagt hatte und auch das Verwaltungsgericht Berlin sich weigerte, einen Katalog des gerade noch erlaubten anzubieten, wollten es die Piraten etwas genauer wissen. So meldeten die Piraten eine weitere Demonstration vor der türkischen Botschaft an und reichten dem Polizeipräsident zur gefälligen Zensur ein detailliertes Programm ein.
Darin wollten die Piraten eine Aufnahme der Rede des CDU-Abgeordneten Herrn Seif abspielen, sowie Erdogans Anwalt Herrn Prof. Dr. Höcker zitieren, der diese Form des Zitats korrekt fand. Doch der Polizeipräsident meint, dass das Abspielen einer Aufzeichnung die Rede aus dem parlamentarischen Kontext reißen würde.
Mit keinem Wort beanstandete der Polizeipräsident den Programmpunkt mit dem nicht ganz zufällig gewählten Titel „anachronistische Zugvögel“: Darin wollten die Piraten pantomimisch und mit Symbolen das Gedicht „Schmähkritik“ nachspielen. Etwa das Zitieren des Wortes „Schweinepfurz“ durch Darmwinde wurde nicht beanstandet, auf vorherigen Augen- bzw. Nasenschein wurde verzichtet. Schilder mit Textanteilen aus dem Gedicht dürfen allerdings nur den Titel „Schmähkritik“ enthalten.
1977 klapperte das Düsseldorfer Musikgenie Ralf Hütter sämtliche Schrottplätze Düsseldorfs ab, um auf das richtige Blech zu hauen. Dann nahm der „Roboter“ im Tonstudio alle Kraft zusammen, um ein neues Kraftwerk zu intonieren: Metall auf Metall. Die puristischen Tonkünstler vom Rhein waren mit diesem Meilenstein elektronischer Musik ihrer Zeit um über ein Jahrzehnt voraus.
Zwei Jahrzehnte später wurde der Magier der Avantgardemusik ausgerechnet von einem Crétin der Tonkunst geschändet. Der gewalttätige Musikproduzent Moses Pelham, der als Rapper der niedersten Form der Musik frönt, benutzte 1997 den kraftwerkschen Metallsound und setzte ihn in Dauerschleife, um das fehlende Können der peinlichen Sängerin Sabrina „Schwester S“ Setlur zu kaschieren. Deren Titel nur mir ist einfach nur erbärmlich.
Diese Anmaßung erboste den prozessfreudigen Herrn Hütter, der zweimal vor den Bundesgerichtshof zog und Pelham/Setlur diesen Frevel verbieten ließ. So etwa machen Profis natürlich am Landgericht Hamburg. Der BGH tat sich mit dem Anliegen durchaus schwer. Für einen Urheberrechtsschutz war das kurze Gekloppe nämlich nicht schöpferisch genug, in Betracht kam nur Leistungsschutz nach § 85 UrhG. Andererseits wollte der BGH auch nicht den Fortschritt der Kunst, etwa des Samplings behindern. Und so sinnierte man über eine erlaubte freie Benutzung nach § 24 UrhG. Doch das zog nicht, denn der Originalsound schien durch.
Daher entschied der BGH salomonisch, dass grundsätzlich auch kurze Tonfetzen übernommen werden dürfen, wenn diese so einzigartig seien, dass ein Sampler auf diese angewiesen sei. Vorliegend aber hätte Herr Pelham selber auf Metall rumkloppen und einen gleichwertigen Sound erzielen können, statt wie eine Elster zu stehlen. Also war er nicht auf das Raubmordkopieren angewiesen und damit gut.
Herr Pelham nun erhob Verfassungsbeschwerde, da er sich in seiner künstlerischen Freiheit beinträchtigt sieht. Und so kam es, dass das ehrwürdige Bundesverfassungsgericht in seiner 65-jährigen Geschichte erstmals mit Urheberrecht befasste. Geistiges „Eigentum“ vs. „Kunst“.
Es tut einigermaßen weh, den Scheiß von Pelham unter Kunst zu subsumieren. Dennoch sprechen die besseren Argumente dafür, der Kunstfreiheit Vorrang vor den Eitelkeiten missgünstiger Avantgardisten einzuräumen. Heute wird das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung bekannt geben.
Anyhow: Kraftwerk gibt noch immer ausverkaufte Konzerte. Nach Pelham und Setlur kräht heute kein Hahn mehr.