Dieses Wochenende treffen sich die NRW-Piraten mal wieder zu einem Landesparteitag. Vermutlich werden diesmal deutlich mehr Kinder als sonst kommen, denn nunmehr räumen die Rheinwasser-Piraten in ihrer Satzung Menschen zwischen 10 und 16 Jahren Stimmrecht trotz fehlender Parteizugehörigkeit ein.
UPDATE (26.10.2015): Offenbar hat das LSG diese Kinderei für nicht anwendbar erklärt. (Leider wurde das in der Satzung bislang nicht etwa durch eine Fußnote kenntlich gemacht, wie dies üblich ist. Ebenso wenig fand es jemand nötig, einen Satzungsänderungsantrag zu stellen.)
Diese originelle Satzungsänderung befürwortete ausdrücklich NRW-Pirat Daniel Düngel, der auch die Versammlungsleitung wahrnahm und den gleichen Wortschatz wie seine pubertierende Zielgruppe kultiviert:
„Düngel: Findet das bisherige System „kacke“. Daniel mag bestimmte SÄA nicht. Er möchte das System ändern. Daniel will mit den Leuten die Bock haben an einem System arbeiten und das dann nicht als Positionspapier einbringen.“
Pirat Düngel kam nicht die juristisch einfach zu beantwortende Frage in den Sinn, ob Nichtmitgliedern denn Mitgliedsrechte zustehen können. Für Parteien ist sogar eigens in § 10 Abs. 2 PartG geregelt, dass Mitglieder gleiches Stimmrecht haben, was ein solches durch Nichtmitglieder ausschließt. Düngel hätte man eigentlich eine minimale Kenntnis des Parteienrechts zutrauen dürfen, denn der Mann hatte immerhin über zwei Jahre hinweg Vizepräsident des Landtags NRW gespielt.
Als die Piraten 2012 unter reichlich Medieninteresse in den größten deutschen Landtag einritten, billigte man ihnen eines der Vizepräsidentenämter zu. Die Wahl fiel – warum auch immer – auf den Abgeordneten Daniel Düngel. Zwei Jahre später dann blamierte er seine Fraktion und den Landtag, in dem er wegen Schulden Pfändungen und dann sogar Haftbefehle kassierte. Aufforderungen der Landtagspräsidentin, der gelernte Versicherungsberater möge seine finanziellen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, hatte Desperado Düngel zuvor in den Wind geschlagen, obwohl es sich jeweils nur um dreistellige Beträge gehandelt haben soll. Bei einem Monatsgehalt von 13.000,- € ist das eher unverständlich. Erst recht, wie man sich trotz solcher Schulden ausgerechnet eine gewiss nicht billige USA-Reise leisten kann. Düngel versteckte sich hinter „Datenschutz“. Wer hätte wohl im umgekehrten Falle am lautesten „Transparenz!“ geschrien?
Damit nicht genug, hatte Salon-Pirat Düngel vollmundig „krankes System“ krakeelt. Das System aber hatte er offenbar verstanden, denn er schwänzte nicht nur Sitzungen, sondern nutzte auch etwas zu häufig die Dienstlimousine für Privatfahrten, so dass sie ihm schließlich gestrichen wurde.
Jeder Mensch mit Charakter hätte nach diesen Peinlichkeiten seine öffentliche Karriere beendet. Doch in der Politik gelten Skandale nur als Test für Stehvermögen. Und so trat der schmerzbefreite Düngel lediglich von seinem Amt als Vizepräsident zurück, behielt jedoch sein lukratives Mandat und spielt weiterhin Abgeordneter. Als die Piraten kürzlich wieder die Position eines Vizepräsidenten besetzen wollten, sprachen die anderen Parteien wegen der bis heute ausgebliebenen Aufklärung von Düngels Eskapaden den Piraten mit 176 zu 32 Stimmen das Misstrauen aus. Kaum überraschend – denn genau das hatte die Presse ein Jahr zuvor prognosdiziert. Trotzdem machte die Fraktion treudoof mit.
Düngel ist im Landesverband NRW wegen seines Engagements beliebt, etwa bei der Kandidatenaufstellung für die letzte Bundestagswahl. Damals hatten sich die Bewerber darauf verlassen, ein Vizepeäsident des Landtags und sein Team würden sich schon mit dem Papierkram auskennen und Nägel mit Köpfen machen. Wäre nicht vor dem Stichtag zur Abgabe der Wahlunterlagen jemandem aufgefallen, dass ein vorgeschriebenes Kandidaten-Formular vergessen wurde, wäre der Bundestagswahlkampf für die NRW-Landesliste vorzeitig beendet gewesen.
Etwa die Hälfte der Landtagsabgeordneten macht solide parlamentarische Arbeit – andere allerdings befassen sich lieber damit, die Partei mit Selbstbeschäftigung zu lähmen oder selbst Peinlichkeiten zu produzieren. Netzpolitisch sind die NRW-Piraten längst bedeutungslos. Obwohl die Piratenfraktion mit finanziellen Mitteln ausgestattet ist und anfangs große Presseaufmerksamkeit erfuhr, hat man von ihr wenig gehört, nichtmal Pöbeln nimmt noch irgendjemand ernst. Keiner der MdL-Piraten versprüht ausreichend Esprit, um in Talkshows eingeladen zu werden. Keiner hat wenigstens ein Blog oder einen Podcast, die auch nur ein Promille der Bedeutung generiert wie das von netzpolitik.org. Wenigstens als Versammlungsleiter konnte Düngel mit einer Sitzblockade Aufmerksamkeit erzielen – 14 Polizisten wurden dabei verletzt. So hatte Opportunist Joschka Fischer auch mal angefangen – bevor er Parlamentarier wurde.
Als ich mal beim Besuch einer Anti-TTIP-Demo in Münster mit Erschrecken feststellte, dass die Piraten dort keinen Redner hatten, bat ich spontan den anwesenden Herrn MdL Düngel, als Ranghöchster die Piraten zu vertreten. Der lehnte jedoch ab, er könnte das nicht. Eigentlich hätte man von einem Parlamentarier (parler: sprechen) erwarten dürfen, dass er drei Minuten zu einem Piratenthema reden kann. Die Tugend der Schweigsamkeit beherrscht Düngel allerdings dann nicht, wenn es darum geht, anderen Piraten proletenhaft am Zeug zu flicken.
Die hausgemachte Schwäche der Piraten hatte der Bedeutung von Netzpolitik erheblich geschadet. Als ich letzten Freitag in Berlin spontan die Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Reichstag besuchte, waren dort im Regen zwar FDP, Grüne und sogar kritische Sozis versammelt, sowie Campact, Digital Courage, die Digitale Gesellschaft und die Humanistische Union. Eine Piratenfahne oder jemanden von Düngels ausgetretenen Peergroup-Freunden aus dem AGH habe ich dort nicht gesehen. Heute wurde bekannt, dass zwei vormalige Piratenvorsitzende zur FDP gewechselt sind, um dort einen konstruktiven politischen Beitrag für ihre Kernthemen zu leisten.
Als die Grünen in den 1980er Jahren durchstarteten, fühlten sich Intellektuelle, Künstler und andere Personen des öffentlichen Lebens angezogen. Der einzige Prominente, der sich für die NRW-Piraten verwandte, war Lawblogger Udo Vetter, den 2014 Düngels Freunde von der sogenannten Peergroup rausekelten. Die Peergroup war 2012 vor allem von Berlin aus in die Piratenpartei eingesickert und hatte mit unappetitlichen Methoden versucht, den basisdemokratischen Piraten eine ultralinksideologische Agenda aufzunötigen. Nach dem Fallback von 2014 hat sich die Peergroup aus dem schrillen Berliner Landesverband inzwischen weitgehend zurückgezogen, NRW jedoch blieb ein Hort für querulante Quartalsirre, Parteiaus- und Wiedereintreter und Düngels.
Doch es geht aufwärts: Heute ist Düngels Peergroup-Kollege Daniel Schwerd aus Fraktion und Partei ausgetreten. Begründung: Man würde sich nicht sachlich streiten, sondern persönlich angreifen. Das dürfte ein klassischer Fall von Dunning-Kruger sein. Als Schwerds größtes politisches Verdienst galt bislang sein Abgang 2013 beim bis dahin turbulenten Kreisverband Köln, wo es seither nahezu reibungslos zu laufen scheint …
Ob die Wählerschaft 2012 wirklich „Kinder an die Macht“ wollte, oder nicht vielmehr eine ernst zu nehmende Vertretung vernachlässigter Themen außerhalb der eingefahrenen politischen Farbenlehre, mag jeder für sich selbst entscheiden. Um Pharisäer, Selbstoptimierer und teamunfähige Shitstormer in den Landtag zu schicken, hätte es die Piraten eigentlich nicht gebraucht. Schade eigentlich. Oder „Kacke“, wie der Abgeordnete Düngel kindgerecht sagen würde.
Machts gut, Piraten, und Danke für den Fisch! » Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
[…] den Parlamentsbetrieb des Establishments hätte trollen sollen, ist spätestens seit der gedeckten Düngel-Peinlichkeit nicht mehr viel zu erwarten. Die Chance auf Rückbesinnung auf die Kernthemen, die sich 2014 in […]
#1 Pingback vom 02. Dezember 2016 um 13:37