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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Dürfen Piraten Anwälte sein?

Bei einigen Piraten wird gerade lebhaft diskutiert, ob man Anwälte guten Gewissens in den Bundestag schicken kann. Bei manchen Piraten gelten wie im Heise-Forum Anwälte als Quell alles Bösen, die Berufsausübung sei unter Beibehaltung von Charakter und Anstand nicht möglich. Der Bundestag habe ohnehin schon zu viele Juristen, so dass eine künftige Piratenfraktion mit gutem Beispiel vorangehen solle …

Das Vorurteil einer Anwaltsverschwörung lässt sich leicht entkräften: Die Missstände, die wir derzeit durch die Privatisierung der Urheberrechtsdurchsetzung (Abmahnunwesen) haben, wurden nicht durch Anwälte im Bundestag verursacht, sondern durch Lobbyisten bei der EU in Brüssel, sowie durch Politiker mit schlechten Rechtskenntnissen, die den Scheiß nicht durchschaut hatten.

Demgegenüber waren es etwa fähige Juristen, welche am Bundesverfassungsgericht u.a. die Vorratsdatenspeicherung zu Fall brachten und dem Bundestag die Schaffung von Datenschutzgesetzen etc. aufgaben. Auch sind die Anwälte, die sich ja gerade bei den Piraten engagieren, wohl eher nicht des Missbrauchs ihrer Künste verdächtig. Im Gegenteil sind Anwälte Menschen, vor denen viel Elend ausgebreitet wird, und deren Job es ist, mit Ungerechtigkeit umzugehen.

Die Proteste gegen ACTA, die sich gerne die Piraten auf die Fahnen schreiben, wurden ursprünglich von Netzaktivisten außerhalb der Piraten organisiert. Leute im Umfeld von Anonymous, WikiLekas, Chaos Computer Club und vor allem netzpolitik.org hatten die Missstände aufgedeckt, transparent gemacht und Öffentlichkeit hergestellt. Mir ist bei den Piraten niemand bekannt, der den Gesetzgebern ähnlich eifrig und kompetent auf die Finger sieht, wie Markus Beckedahl. Letzterer ist übrigens kein Jurist ist, aber bei unseren Kernthemen wie Urheberrecht, Datenschutz, Überwachungswahn und Open Government weiß er immer sehr genau, über was er spricht und wo gerade welche Gesetzgebungsorgane welchen Mist bauen. Im Zusammenhang mit den ACTA-Protesten kam von Piraten hingegen häufig gepflegtes Halbwissen, was politische Gegner leicht hätten angreifen können.

Ich habe speziell im letzten Jahr den Eindruck gewonnen, dass selbst bekannten Piraten die Feinheiten des Urheberrechts und der Prozess der Gesetzgebung unbekannt sind. Man kann etwa im Bundestag Gesetze wie das UrhG nur insoweit ändern, wie dies aktuell geltende internationale Staatsverträge und Europarichtlinien etc. zulassen. (Wir müssen vor allem nach Brüssel zur EU und nach Genf zur World Intellectual Property Organisation (WIPO), zur International Telekommunication Union (ITU) usw..) Ich glaube nicht, dass viele Piraten schon einmal das TRIPS-Abkommen wirklich gelesen oder von der Existenz von Informationsquellen wie der Zeitschrift für Gesetzgebung, GRUR-Int oder dem Hastings Communications and Entertainment Law Journal auch nur gehört haben.

Ich behaupte keineswegs, dass Juristen die besseren Abgeordneten seien, im Gegenteil tendieren auch Volljuristen oft zum Vollpfosten. Aber es gibt einige Aufgaben in einer Fraktion, bei der solide Rechtskenntnisse mindestens sinnvoll sind. Im Rechtsausschuss etwa sitzen praktisch nur Volljuristen, also Leute, die sieben Jahr hart gearbeitet haben, um das 2. juristische Staatsexamen zu erhalten. Diesen Vorsprung kann ein Rechtslaie kaum ausgleichen. (Wer anderes behauptet, kann ja einmal versuchen, juristische Fachzeitschriften zu lesen und dabei Spaß zu haben …) Auch im Innenausschuss sitzen durchweg Juristen, die im Verwaltungsrecht fit sind. Das sind Leute, die stundenlang ätzende Diskussionen führen können, genau wissen, wie der Staat und seine Behörden funktionieren und Neulingen vermutlich keine Nachhilfestunden geben möchten, wenn diese Lücken im Verfassungsrecht haben.

Als Abgeordneter hat man von morgens bis abends mit Recht zu tun. Etliche parlamentarische Abläufe sind stark formalisiert. Als Abgeordneter muss man eine Menge Dinge mit juristischem Bezug organisieren, etwa als Arbeitgeber von Mitarbeitern, die natürlich dem Arbeitsrecht unterliegen. Abgeordnete ohne eigene Rechtskenntnisse machen sich abhängig von ihren Ratgebern. Für Crash-Kurse in Verwaltungs- und Verfassungsrecht haben Abgeordnete schlichtweg keine Zeit. Wenn man den Staat ändern will, so muss man ihn und seine Organisation erst einmal verstehen. Ignoranz ist insoweit keine zielführende Strategie.

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Autor:
admin
Datum:
11. Januar 2013 um 12:18
Category:
Allgemein,Internet,Medienrecht,Politik
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