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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Anatoly Fedorovich Dobrynin (1919-2010)

Durch Zufall erfahre ich auf einer ausländischen Website, dass Anatoly Dobrynin vor ein paar Tagen verstorben ist. Wenn man Google News trauen darf, war das für die deutschen Medien nahezu kein Thema.

Dobrynin war der sowjetische Diplomat, der u.a. während der Kuba Krise mit Robert Kennedy etwas abwendete, was sehr leicht in einem atomaren Schlagabtausch hätte enden können. (Ich hatte mich mit dem Thema unter anderem letztes Jahr intensiv befasst.) Er hatte wesentlichen Anteil an der Beendigung des (sowjetischen) Afghanistan-Kriegs sowie des Kalten Kriegs. In den letzten Jahrzehnten erwarb er sich große Verdienste, Historikern beim Entschleiern unserer Geschichte zu helfen.

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Trotz DEFCON 2, der höchsten Alarmbereitschaft der Streitkräfte unterhalb eines Krieges, setzte LeMays Air Force am 26. Oktober über dem Johnston Atoll eine [extern] Serie an Atombombentests fort, ohne dass das EXCOMM hiervon in Kenntnis gesetzt worden war. Wie erst seit kurzem bekannt ist, trafen die Sowjets an diesem Tag Vorkehrungen für einen [extern] Nuklearangriff auf den US-Stützpunkt Guantanamo aus kurzer Distanz, wobei es beim Transport zu einem tödlichen Unfall kam.

Bluegill Triple Prime-Bombe, 26.10.1962. Bild: U.S. federal government (Bild vergrößern)

Am 27.Oktober, dem „Schwarzen Samstag“, zwang die Navy durch Einsatz von als solche schwer erkennbaren Übungswasserbomben ein U-Boot zum Auftauchen, das einen sowjetischen Frachter eskortiert hatte. Erst 2002 wurde bekannt, dass ohne Wissen der Amerikaner das [local] U-Boot mit Nukleartorpedos bestückt gewesen war und zur Verteidigung autorisiert war. Angeblich hatte es an Bord sogar einen [extern] Streit über den Entschluss zur atomaren Verteidigung gegeben. Zu allem Überfluss „verirrte“ sich an diesem Tag auch wieder eine U2 in sowjetischen Luftraum, die von MIGs zurück gescheucht wurde. Die U2 wiederum flog einer US-Eskorte mit atomarer Bewaffnung entgegen, ohne dass es zu einem weiteren Zwischenfall kam. Und wieder überraschte EXCOMM die Nachricht eines amerikanischen Atombombentests in der Atmosphäre. Auch die Sowjets ließen in den Folgetagen zwei Atombomben in der Atmosphäre explodieren.

Über Kuba wurde ein U2-Pilot bei einem Spionageflug von einer sowjetischen Rakete abgeschossen, die ein Offizier Castros Wunsch folgend eigenmächtig abgefeuert hatte. Wie erst seit kurzem [extern] bekannt ist, hatte der Offizier die Entdeckung der taktischen Kurzstreckenraketen verbergen wollen, die heimlich auf Guantanamo gerichtet worden waren. Durch den U2-Abschuss hatten die Militärs nun ihren „Zwischenfall“ – und ließen sich aus irgend einem seltsamen Grund eineinhalb Stunden Zeit, bevor sie den Abschuss an Kennedy meldeten. Nach der damaligen in Befehle gefassten Doktrin hätte ein Abschuss binnen Stunden mit einem obligatorischen Vergeltungsschlag beantwortet werden müssen, sodass der weiche Kennedy nun unter zeitlichem Druck stand. Der Präsident verbot einen Vergeltungsschlag, zumal der Überflug völkerrechtlich ohnehin fragwürdig gewesen war. Der für die U2-Flüge verantwortliche CIA-Mann William Harvey, der die Mafia-Kontakte der Agency pflegte, hatte es während der Krise für sinnvoll erachtet, nicht weniger als 60 Paramilitärs mit Fallschirmen auf Kuba abzusetzen. Robert Kennedy stellte ihn auf einer Sitzung zur Rede, woraufhin Harvey den Brüdern wüste Vorhaltungen zu ihrer Kuba-Politik machte. Kurz darauf wurde Harvey auf den CIA-Posten in Rom abgeschoben.

Gegen Mittag [extern] verlangte LeMay von Kennedy, die Raketenbasen zu bombardieren und in der Folgewoche einzumarschieren. LeMay hatte Kennedy offen an „München“ erinnert, wo Kennedys Vater Joseph sich 1938 Hitler gegenüber beim Münchner Abkommen als zu nachsichtig gezeigt hatte.
Geheimdiplomatie

Am selben Tag lösten die Kennedy-Brüder den Konflikt auf [extern] diplomatische Weise durch Geheimgespräche mit Botschafter [extern] Anatoli Dobrynin. Sie verhinderten hierdurch jegliche Einflussnahme etwa der Militärs oder sonstiger Hardliner. Den ausgehandelten diskreten Abzug von Lemnitzers Jupiter-Raketen aus der Türkei konnten die Brüder als leicht verschmerzlich verkaufen, da die Funktion der stationären, veralteten Raketen ohnehin durch solche der moderneren [extern] Polaris-Klasse ersetzt wurde, die mobil von U-Booten aus abgefeuert werden konnten. Auch die Sowjets hatten strategische U-Boote, von denen ballistische Raketen gestartet werden konnten, sodass sie ebenfalls nicht auf landgestützte Basen angewiesen waren.

Der Abzug der Jupiter-Raketen war bereits [extern] intern im Planungsstadium gewesen. Lemnitzer hatte Vizepräsident Johnson während der Krise zu Bedenken gegeben, dass ein Abzug der Zustimmung der europäischen NATO-Partner bedürfe, da andernfalls deren Vertrauen erschüttert würde. Die Kennedys handhabten die Krise pragmatischer und versprachen den Abtransport Dobrynin in die Hand, was Lemnitzer in Paris ausbaden musste.

Wie Chruschtschow später in seinen Memoiren anmerkte, sei für ihn ein wesentlicher Beweggrund zum Einlenken die alternative Aussicht gewesen, dass Kennedy durch einen rechtsgerichteten Staatsstreich beseitigt werden würde. Diese Befürchtung hatte Robert Kennedy bei seinen Geheimverhandlungen gegenüber Dobrynin sogar ganz direkt geäußert. Aber auch der eigenmächtige Abschuss der U2 durch einen russischen Offizier hatte Chruschtschow bewogen, die bislang unentdeckt gebliebenen taktischen Bomben abzuziehen. Auch Chruschtschow wollte nicht riskieren, dass übereifrige Militärs einen Weltkrieg vom Zaun brachen oder die Entdeckung der taktischen Waffen zu unkontrollierbaren Kurzschlüssen führen würde.

Der Tod dieses Mannes, der sich um den Weltfrieden verdient gemacht hat wie wohl nur wenige andere, ist für unsere Qualitätsmedien nicht interessant genug. SPIEGEL online spielt stattdessen lieber Volksempfänger und übt sich in Frontberichterstattung. Ob Herr zu Guttenberg die vier heute getöteten Soldaten bei seiner eigens geänderten Reise wieder zum Leben erwecken kann – in Afghanistan, wo Leute wie Dobrynin einst den Krieg beendeten?

« Recht am eigenen Po? Gegendarstellungsrechte einer Pokerlady – Oberbürgermeisterin darf wieder nackt gezeigt werden »

Autor:
admin
Datum:
15. April 2010 um 21:34
Category:
Allgemein,Internet,Medienmanipulation
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Ein Kommentar

  1. Tweets die Anatoly Fedorovich Dobrynin (1919-2010) » Rechtsanwalt Markus Kompa erwähnt -- Topsy.com

    […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von boote erwähnt. boote sagte: Anatoly Fedorovich Dobrynin (1919-2010) » Rechtsanwalt Markus Kompa: Polaris-Klasse ersetzt wurde, die mobil von U… http://bit.ly/dt82jg […]

    #1 Pingback vom 15. April 2010 um 22:32

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