29. November 2013
Nach der gestrigen Panorama-Doku zum „Geheimen Krieg“ war Prof. Werner Weidenfeld (ehem. Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit) in der Talkshow „Beckmann“ zu Gast. Dabei erzählte er ab Minute 21, dass die (US-)Amerikaner die besten Freunde seien, solange man mit ihnen Konsens habe. Bei Abweichen bei zweitrangigen Fragen kommen Vorwürfe der Undankbarkeit. Aber wenn man in einer ernsten Frage unterschiedlicher Meinung sei, käme sofort das Geheimdienstmaterial auf den Tisch, das Deutschland belaste.
Mit anderen Worten: Die Informationen, welche die US-Dienste vorgeblich gegen „Terroristen“ sammelt, werden zur Erpressung deutscher Entscheidungsträger eingesetzt. Nur, falls sich irgendwer wundert, warum unsere Politiker zu NSA, CIA und JSOC so gastfreundlich sind.
Nach eineinhalb Jahren endet zum Wochenende meine Amtszeit im Bundesschiedsgericht der Piratenpartei. §§ 10, 14 ParteienG schreiben die Einrichtung von parteiinternen Schiedsgerichten nebst Berufungsinstanz vor. Während die Schiedsgerichte u.a. auch Parteiordnungsmittel überprüfen, sind sie bei beantragten Parteiausschlüssen sogar das entscheidende Organ (§ 10 Abs. 5 PartG), da der Ausschluss als ultima ratio nicht politisch missbraucht werden soll.
Nachdem im Frühjahr 2012 Spitzenjournalisten halluzinierten, die Piraten würden von Nazis unterwandert, und diese kollektive Hysterie mit einem gerade gescheiterten Parteiausschlussverfahren gegen einen verpeilten Hobbyhistoriker assoziierten, hatte ich mich für das nächste frei werdende Richteramt beworben. Mir war wichtig, dass jeder Pirat ein rechtsstaatlichen Maßstäben genügendes Verfahren bekam, zumal in einer Partei, die freie Meinungsäußerung sehr hoch hält. Und wenn es denn sein muss, wollte ich dazu beitragen, dass ein Parteiausschlussverfahren ggf. vor konventionellen Gerichten Bestand hat. Kurioserweise habe ich im Ergebnis nicht an einem einzigen Parteiausschlussverfahren mitgewirkt, wir hatten kaum Verfahren dieser Art.
Dafür gab es aber etliche andere Angelegenheiten… Mit der explodierten Mitgliederzahl stieg natürlich auch die Menge der Verfahren. Unsere Arbeit blieb nicht unbeobachtet: Ein Lehrstuhl für Parteienrecht verfolgte unsere Arbeit mit wissenschaftlichem Interesse. Ein Schiedsgericht einer anderen politischen Partei zog sogar mal eines unserer Urteile heran. Einer unserer Kunden schätzte unsere Arbeit so sehr, dass er darüber sogar ein 584 Seiten starkes Buch geschrieben hat. Das Werk des Autors, der juristische Kenntnisse sowie solche auf dem Gebiet der Astrologie beansprucht, kann man als Book-on-Demand für 72,- € bestellen, wenn man möchte.
Vieles am Schiedsgericht war für die Piraten typisch, etwa die online-Kommunikation mit Etherpads, Telkos, virtuellen Akten und einem Ticketsystem. Manches war wie vieles an der Partei liebenswert unfertig, etwa die Piraten-Satzung und die Schiedsgerichtsordnung, die von Leuten stammte, die von Recht so wenig Ahnung hatten wie von Rechtschreibung … ;) Und man hatte es oft mit Piraten zu tun, denen die Selbstbeschäftigung wichtiger war als gemeinsame politische Ziele. Bei Parteien rechnet man mit einem Schnitt an Spinnern unter den Mitgliedern von 10%, aus denen sich erfahrungsgemäß die meisten „Kunden“ der Parteigerichte rekrutieren. Bei allem Respekt vor wichtigen Anliegen und subjektivem Gerechtigkeitsempfinden, aber die Trollquote für überflüssige Inanspruchnahme der Schiedsgerichte dürfte bei 80% zu taxieren sein.
Insgesamt kostete mich das Ehrenamt in der Woche mindestens einen freien Abend, mit der Vorbereitung aber eher aber eine ganzen Arbeitstag. Den Rekord für den umfangreichsten Arbeitsanfall verursachte ein liebenswerter Zeitgenosse namens „Netznotar“, dessen verhinderte Wähler, die man nicht zu einem Aufstellungsparteitag zuließ, während des Wahlkampfs Unmengen an Zeit beanspruchten. Nachdem die vom Netznotar eifrig vertretenen Klagen bei uns scheiterten, versuchten es die Netznotarier auch auf dem konventionellen Rechtsweg mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, scheiterte insoweit jedoch auch am Oberlandesgericht. Unser Urteil war wohl überzeugend. Derzeit streitet man sich um den Gegenstandswert der Sache, der 250.000,- € betragen soll.
In den letzten Monaten unserer Amtszeit tauchte eine Akte aus dem Jahre 2010 auf, die von unseren Vorgängern und wohl auch den Parteien offenbar wegen Personalwechseln übersehen worden war. Bei der Sachverhaltsdarstellung schlug ich eine für alle Beteiligten gesichtswahrende Formulierung vor:
Die Verfahrensakte wurde anschließend von einer Bande missgünstiger Orks entführt und konnte dank hilfsbereiter Zwerge Mitte 2013 wieder aufgefunden werden.
Das Easteregg schaffte es tatsächlich ins Urteil! ;)
Die Arbeit mit den sehr netten Kollegen am BSG hat großen Spaß gemacht, und es war mir Vergnügen und Ehre zugleich, den Aktiven der auf 30.000 Piraten angewachsenen Partei in der spannenden Zeit zwischen BPT12.1 und BPT13.2 den Rücken frei gehalten zu haben. Das war mein Dank an eine Partei, die Netzsperren und ACTA verhindert hat. Eine starke Piratenpartei wäre auch 2013 wichtig gewesen, wie schon Sascha Lobo zum Jahresbeginn schrieb. Leider hatten wir keine mehr anzubieten.
Ich mustere nun ab und wünsche dem künftigen Bundesschiedsgericht eine glückliche Hand!
https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=kEUq1PKhc4Q
28. November 2013
Für die Feinschmecker unter den masochistischen Lesern verlinke ich hier die gestrige Debatte im NRW-Landtag, in dem die Vorratsdatenspeicher-Partei SPD und die machtgeilen NRW-Grünen die Vorratsdatenspeicherung verkauften. Bullshit-Bingo vom Allerfeinsten!
Heute Abend gibt es in der ARD einen Themenabend zur Recherche „Geheimer Krieg“. Das gleichnamige Buch ist beeindruckend. Ich habe dazu ein Interview mit dem investigativen Journalisten John Goetz gemacht.
Außerdem habe ich kurz die gestrige Entscheidung des BVerwG zur Geheimhaltung der BND-Akte zum Fall Uwe Barschel kommentiert. Letztes Jahr hatte ich zum 25. Jahrestag mit Ermittlern zu diesem „unnatürlichen Todesfall“ gesprochen. Für die Geheimhaltungswünsche des BND und seiner ehemaligen Auftraggeber dürfte es „gute“ Gründe geben …
admin •
13:41 •
Allgemein,
Internet,
Medienmanipulation,
Medienrecht,
Persönlichkeitsrecht,
Politik,
PR,
Pressefreiheit,
Strafrecht,
Überwachung,
Zensur •
Comments (0)
15. November 2013
Jeremy Hammond, der Anonymous-Hacktivist Millionen an E-Mails des privaten US-Geheimdienstes Strategic Forecasting (Stratfor) an WikiLeaks geliefert hatte, wurde zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilt.
Die eigentliche Widerwärtigkeit der Sache besteht darin, dass Hammond von einem Lockspitzel des FBI geführt wurde, der ihn ans Messer lieferte. Ein anderer bekannter Hacktivist, Aaron Swartz, hatte in ähnlicher Situation im Januar Suizid verübt.
Solange nicht die Verbrecher ins Gefängnis müssen, sondern diejenigen, die Verbrechen aufdecken, läuft irgendwas gewaltig schief.
Zum Stratfor Leak:
13. November 2013
Vor ein paar Jahren rief mich abends aufgeregt ein Freund an. Die Polizei wäre bei seinen Eltern gewesen und habe nach ihm gefragt. So hätte man in der Presse gelesen, dass er zu Publicity-Zwecken zur Bewerbung einer Zaubershow im Ruhrgebiet einen außergewöhnlichen Stunt angekündigt habe. Der junge Mann behauptete nämlich, er habe ein fotografisches Gedächtnis und sei in der Lage, mit verbundenen Augen in einem Auto in der Stadt herum zu fahren, die er sich vorher eingeprägt habe. Er habe das Kunststück seit Wochen trainiert.
Der Polizist nun hatte Sorge um die Sicherheit des Straßenverkehrs in seiner Stadt sowie um die des Künstlers. Dieser deutete dem Ordnungshüter schließlich an, dass die Nummer möglicherweise mit einem Zaubertrick bewerkstelligt würde. Das jedoch führte erst recht zu polizeilichen Bedenken. Wäre das denn nicht möglicherweise „Vortäuschen einer Straftat“?
Das war dann der Moment, in welchem dem verantwortungsbewussten Zauberer der ganze Umfang seines Rechtsberatungsbedarfs schlagartig bewusst wurde. Wenn das Vortäuschen von Straftaten verboten sei, wie sei das dann beim scheinbaren Zersägen einer Jungfrau? Das sei ja auch immerhin mindestens Vortäuschen von Körperverletzung! Mit gefährlichen Werkzeugen! Es gelang mir, den Magier juristisch zu beruhigen …
Warum ich heute davon erzähle? Nun ja, ein anderer Freund von mir wollte ein ähnliches Kunststück zeigen. Der Mentalist Marc Hagenbeck vermag aufgrund paranormaler Fähigkeiten mit verbundenen Augen Auto zu fahren. Das hat ihm jetzt die Kreisverwaltung Neuwied untersagt.
7. November 2013
Der WDR meldet heute den skurrilen Fall eines jungen Mannes, der sich ausgerechnet auf der Polizeiwache über die mangelhafte Qualität einer Droge beschwerte. Statt des erhofften Verbraucherschutzes handelte er sich ein BTM-Verfahren ein.
So lustig das sein mag, aber tatsächlich wäre Qualitätssicherung auch im Drogenbereich sinnvoll, denn kein Konsument weiß, welche Qualität er bekommt und wie oft der Stoff schon gestreckt wurde. Wer letzteres gewohnt ist, riskiert eine unfreiwillige Überdosis. Viele der sogenannten „harten“ Drogen wären medizinisch betrachtet kaum gefährdend, wäre sie rein. Schon aus diesem Grund wäre es sinnvoll, Drogen aus der Apotheke zu beziehen.
Ein Mensch, der süchtig ist, ist nicht frei. Allerdings zeigt ein Jahrhundert an Erfahrung mit Prohibition, dass diese nicht nur nicht funktioniert, sondern im Gegenteil den Marktpreis stützt. In Portugal hatte man mit der Freigabe von Drogen sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Beschaffungskriminalität wurde über den ungleich geringeren Preis ausgetrocknet, die Zahl der Drogentoten sank. Auch das „Anfixen“ macht keinen Sinn, wenn man kein Geschäft damit machen kann. Der tatsächliche Herstellungspreis für Drogen liegt unter einem Prozent des derzeitigen Marktpreises.
2. November 2013
Die Kollegin Bayan Zahran hatte am Donnerstag ihren ersten Gerichtstermin als Strafverteidigerin absolviert. Sie hatte bereits seit Jahren strafrechtliche und familienrechtliche Fälle bearbeitet, war jedoch bislang nicht vor Gericht als Rechtsanwältin aufgetreten. Dies tat sie nun am Donnerstag am allgemeinen Gericht von Dschidda.
Die Kollegin ist damit die erste Frau, die überhaupt im Königreich Saudi-Arabien als Anwältin vor Gericht plädierte. Herzlich willkommen im Beruf, Frau Kollegin!
29. Oktober 2013
Mit Riesenschritten nähern sich die Vereinigten Staaten von Amerika dem an, was man als kultiviert bezeichnen darf. Bereits 1976 verfügte Präsident Ford die Executive Order 11905, die es fortan der CIA untersagte, ausländische Staatschefs zu töten. Nunmehr diskutiert man in Washington, auch auf das Ausspähen wenigstens befreundeter Staatschefs zu verzichten. Das ist doch schon mal was!
Auch auf militärischer Ebene werden die USA immer humaner: Warf man (aus fiktiven Gründen) auf die Reisfelder in Vietnam noch Bombenteppiche und begann (aus fiktiven Gründen) vor einem Jahrzehnt auf den Ölfeldern des Irak einen Krieg, der über eine halbe Million Menschen das Leben kostete, so können heute dank NSA-Informationen Terrorverdächtige gezielt von Drohnen aus liquidiert werden. Warum sollten sich die Menschenfreunde aus Washington dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag unterwerfen?
Doch es gilt noch ein paar Hürden zu meistern. So ist es im Mutterland der Meinungsfreiheit Folteropfern offenbar verboten, über ihre Folterungen zu berichten. Denn Derartiges sei ja geheim! Ob da wohl die Todesstrafe drauf steht? Aber Schwamm drüber: Immerhin kriegen die Nordamerikaner ja jetzt ein Gesundheitssystem. Wo gibt es so etwas schon seit über einem halben Jahrhundert? Richtig, auf Kuba. Selbst in Vietnam ist die durchschnittliche Lebenserwartung ein Jahr höher als in den USA. Falls da nicht wer demokratisierende Bomben schmeißt oder die Lebensmittel verfastfooded.
Ein Zauberkünstler hat aktuell juristische Probleme, weil er einen „akademischen“ Titel verwendet hat: „Doktor der Unsterblichkeit“. Die Staatsanwaltschaft Lübeck hatte nichts Besseres zu tun, als dem Gaukler Stefan Sprenger, der unter der Domain derhochstapler.de firmiert, die irdischen Folterinstrumente zu zeigen. Am 20. November muss der Frankfurter zum Amtsgericht Lübeck. Ich werde berichten … ;-)
Mitte der 90er Jahre hatte ich in Saarbrücken den Fall eines Kabarettisten beobachtet, den man wegen seines Künstlernamens „Dr. K. Odie“ vor den K. Di zerrte. In zweiter Instanz sprach ihn das Landgericht Saarbrücken frei. Der wurde schlussendlich von einem „Prof. Dr.“ verteidigt, der diesen Titel führen durfte.
Falls der der Hochstapler ins Loch geworfen werden sollte, werden natürlich skrupellose Kollegen profitieren …