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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


19. Januar 2010

LG Berlin: Kollege E. bekommt von Diekmann 20.000,- Euro Geldersatz

Mein lieber Ex-Mandant Kai Diekmann, den ich letzte Woche zum standeswidrigen Freundschaftspreis von 50 Cent für ein Stündchen beraten hatte, musste heute eine herbe Niederlage vor dem Landgericht Berlin einstecken. Der Kollege E., den ich für den besten Presserechtler mindestens Berlins halte, hat eine Geldentschädigung von beträchtlichen 20.000,- Euro erstritten.

Soweit ich es überblicke, ging es um den Alien-Streit, bei dem die BILD das Bildnis des bekannten Anwalts für eine – wie sie es nennt – „Satire“ – verwendete, in der Kollege E. zum Alien stilisiert wurde. Kollege E. ist jedoch in der Medienwelt dafür bekannt, sein Recht am eigenen Bild vehement zu verteidigen und liefert sich mit Diekmann eine langjährige Vendetta. Offenbar war die satirisch veranlagte Benutzung nicht ausreichend genug, ein Interesse der Öffentlichkeit an E.’s Antlitz zu begründen.

Im obigen Video kann man sehen, wie ein Kabarettprofi eine wirklich gute Alien-Satire auf eine Prominente macht, wobei keine Bildrechte verletzt werden. Hat ja nicht jeder 20.000,- Euro zu Forschungszwecken rumliegen.

UPDATE:

Inzwischen hat Diekmann sein Posting erweitert und eine Presseerklärung des gegnerischen Anwalts veröffentlicht, die meine Vermutung bestätigt. Diese Veröffentlichung könnte allerdings weiteren Ärger auslösen. Warten wir ab, wie sich Diekmanns juristisches Forschungsprojekt in den nächsten (und damit letzten) beiden Wochen gestalten wird!

16. Januar 2010

Ruhrbarone und Wegelagerer

Wie berichtet, waren die Ruhrbarone von einer Fotografin angegangen worden, welche vor Jahren Sara Wagenknecht abgelichtet hatte und sich nicht erinnern konnte, den Ruhrbaronen ein entsprechendes Nutzungsrecht eingeräumt zu haben. Die Ruhrbarone argumentierten mit dem nachvollziehbaren Rechtsempfinden, das Portrait sei von Frau Wagenknecht etliche Jahre zum Download bereitgestellt worden, eine journalistische Nutzung des Pressefotos sei daher legitim.

Grundsatz: kein gutgläubiger Erwerb von Rechten

Während Frau Wagenknecht als öffentliche Person journalistische Auswertung ihres Bildnisses hinnehmen muss, behält die Urheberin (Helga Paris) der konkreten Fotografie grundsätzlich ihre Rechte. Sie kann die Nutzungsrechte an ihrem Werk ihrer Kundin Wagenknecht in der Weise einräumen, dass diese wiederum dann Dritten Nutzungsrechte einräumt. Das ist ja auch der Sinn von PR-Material. Das Problem am durch Zwischenpersonen vermittelten Rechtserwerb ist, dass nur tatsächlich bestehende Rechte übertragen werden können.

Anders als etwa bei beweglichen Sachen wird der Glaube des Erwerbers an das Eigentum des Veräußerers nicht geschützt.

Grundsatz: Keine Rechtsscheinsprivilege im Urheberrecht

Auch der Rechtsgedanke der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht ist nicht ohne weiteres übertragbar.

Im dem Urheberrecht verwandten Markenrecht sieht es anders: eine erworbene Marke muss man pflegen. Marken können wegen Nichtgebrauchs gelöscht werden. Der Industrie obliegen sogar gewisse Marktbeobachtungspflichten, um Verwässerung der Marke etc. frühzeitig zu begegnen. Marken können sogar gegenstandslos werden, wenn sie zum allgemeinen Sprachgebrauch aufsteigen, etwa Vaseline.

Im Urheberrecht jedoch treffen solche Pflichten einen Künstler grundsätzlich nicht. Es ist auch prinzipiell seine Sache, wann er gegen wen seine Rechte geltend macht.

Korrektiv: Rechtsschutzbedürfnis

Für Fälle, die zwar den Buchstaben des Gesetzes entsprechen, auf der Wertungsebene aber aufgrund des unschlüssigen Verhaltens des Klägers Bauchschmerzen bereitet, hat die Rechtsprechung als letzten Notnagel das weitgehend ungeschriebene Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses entwickelt. Wir befinden uns hier eher in der Abteilung „Gnade vor Recht“.

Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg folgte der Argumentation, dass es sich die Künstlerin entgegenhalten lassen muss, jahrelang die Verbreitung des Bildes toleriert zu haben. Sie kann daher heute nicht mehr wie der Geist der vergangenen Weihnacht jedem Verbreiter hinterhersteigen und Nutzungshonorare schinden.

Dies ist eine Wertungsentscheidung, die andere Gerichte auch anders hätten sehen können. Ich habe von einem Gericht im Raum Norddeutschland gehört, bei dem man auf der Ebene des Rechtsschutzbedürfnisses die Beklagten allenfalls aus Höflichkeit ausreden lässt, sich jedoch einen Dreck um die Praktikabilität unverschämter Ansprüche schert.

Fürs Protokoll: Hier handelt es sich um eine spezielle Fallgestaltung. Die prozessuale Enthaltsamkeit der Urheberin hat insbesondere auch nichts mit Verjährung oder ähnlichem zu tun. Die Rechtsauffassung, man könne Pressefotos einfach so übernehmen, ist nicht zur Nachahmung empfohlen. Oft sind die Rechte nur für einen bestimmten Zeitraum oder eine bestimmte Nutzung frei.

Standeswidriger Ruhrbaron

Seiner Durchlaucht Ruhrbaron David Schraven scheinen ihr prozessualer Erfolg zu Kopf gestiegen zu sein, weshalb Schraven nicht die dem Adel obliegende vornehme Zurückhaltung wahrt. So fand er es geziemend, mich aufgrund meiner ad hoc-Einschätzung öffentlich zu bashen. Da er hierzu sogar eine religiöse Formulierung verwendet hat, fällt sein Missgriff nicht nur unter die freie Meinungsäußerung, sondern auch unter Religionsfreiheit.

Sofern der Eindruck entstanden sein sollte, ich stünde auf der Seite gewisser „Abmahnanwälte“ und Gebührenschinder, nur weil ich eine unsichere Rechtsposition als solche darstelle, sei kundgetan, dass ich Mitglied und Rechtsberater der Piratenpartei NRW bin. Wir arbeiten daran, Missbrauch von Urheberrecht einzudämmen.

12. Januar 2010

Der unberührbare Busen der RTL-Chefin

Gerade ist Stefan Niggemeier wieder heftig am Schimpfen. Der war vor ein paar Jahren von RTL unter Anklang rechtlicher Konsequenzen gebeten worden, einen Screen-Shot zu entfernen, der RTL-Chefin Dr. Schäfferkordt im Kampf mit einem ungünstig sitzenden Textil zeigte. Die Dame gibt in Interviews ja zum Besten, sie sei schüchtern.

Nun kritisiert Niggemeier den RTL-Voyeurismus bzgl. eines 18jährigen Barden, der sich vor dem Sängerwettstreit auf der Toilette „beim Abtropfen“  nicht die erforderliche Ruhe gegönnt hatte, woraus ein Fleck auf der Hose resultierte. Da sich der Barde nicht in zivilisierter Umgebung befand, wo man derartiges wie Gentlemen übersehen hätte, sondern einem RTLümmel gegenüber saß, wurde er durch den Fernsehwolf gedreht. Medienunerfahrene Zuschauer dürfen bloßgestellt werden, die hieran gut verdienende Chefin hingegen hat Anspruch auf eine Glasglocke – sie gebietet ja einer ganzen Rechtsabteilung, die wiederum teuerste Anwälte dirigiert.

Alte Geschichten

Ach, die Frau Anke Schäfferkordt! Vier Jahre ist es jetzt schon her, als ich die persönlich geladene RTL-Chefin am Oberlandesgericht Köln empfangen wollte. Sie hat einfach gekniffen und kam nicht, so dass auch ich keine Expertise über deren Oberweite erstellen kann. Manche sind halt gleicher. Doch ihre Jungs fürs Grobe kamen – und vielen auf die Schnauze. Auch in Köln wird nur mit Wasser gekocht! ;-) (more…)

11. Januar 2010

Wie ein religiöser Fanatiker das Presserecht mitruiniert

Man kann zum Thema Abtreibung unterschiedlicher Auffassung sein – auch als Katholik. Aber da gibt es einen unerschütterlichen Fanatiker Klaus Günter Annen, der standhaft zum Kreuzzug gegen die Abtreibung aufruft und Hexenjagden gegen beteiligte Ärzte veranstaltet.

Die sind davon natürlich nicht erbaut, sehen durch öffentliche namentliche Anprangerung ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und wehren sich. Das bekannteste Resultat von Annens Entgleisungen ist die Babycaust-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Es ging dabei über die Auslegung der Bezeichnung „Mörder“ für Abtreibungsärzte, die im juristischen Sinne keine Mörder sind, umgangssprachlich aber so gesehen werden könnten. Das Bundesverfassungsgericht war seiner für die Auslegung mehrdeutiger Rechtsbegriffe berühmten Stolpe-Entscheidung gefolgt und stellte für den Unterlassungsanspruch eine Verpflichtung auf, die tatsächlich gemeinte Intention klarzustellen.

Dies führt dazu, dass (more…)

8. Januar 2010

Entsorgter Vater geht in Berufung wegen 2 Sekunden

Wie berichtet, hatte man einem Filmemacher wegen Eingriffs in das Recht am eigenen Bild einen Ausschnitt seines Werks verboten. Der Mann zeigte seine damals drei Jahre Tochter, die heute acht Jahre später möglicherweise gar nicht mehr zu erkennen ist.

Da „Bildnis“ im Sinne des § 22 KunstUrhG „Erkennbarkeit“ voraussetzt, könnte man – also normale Menschen – auf die Idee kommen, das Vorliegen eben dieses Tatbestandsmerkmals infrage zu stellen, da die Klägerin heute wohl nicht mehr erkannt werden kann. Uns bösen Juristen ist das aber schnurz, denn das Bild hat die Klägerin ja irgendwann einmal zutreffend abgebildet, das damalige Persönlichkeitsrecht wird nicht durch nachträgliche Änderungen beeinflusst. Außerdem wird sie durch den Film des namentlich genannten Vaters auch erkennbar gemacht, was insoweit ausreichend ist.

In dem oben verlinkten STERN-TV-Video ist problematisch, dass der Filmemacher den privaten Brief seiner minderjährigen Tochter veröffentlicht hat. So schlimm das für den Mann ja sein mag, aber glaubt er wirklich, durch das in die Öffentlichkeit Tragen solch denkbar privater Angelegenheiten die Liebe seiner Tochter zu gewinnen?

Nun versucht der Filmemacher erneut sein Glück vor dem OLG Düsseldorf, wo am Dienstag verhandelt werden wird. Wenn er nur im luftleeren Raum mit „Kunstfreiheit“ und „Filmfreiheit“ argumentiert, wird die Berufung mit einiger Sicherheit in die Wicken gehen.

4. Januar 2010

Wikipedia-Kritiker des Tages … ;-)

Heute erschien auf Telepolis mein Beitrag über die Wikipedia-Profiler, also Leute, die bei der Wikipedia vorgetäuschte Benutzer aufspüren, im Internet-Volksmund „Sockenpuppen“ genannt.

Leser meines Blogs wissen ja, dass ich mit den Wikingern so meine Probleme habe … ;-) Meine Kritik hatte ich insbesondere in diese Glosse gefasst, welche das fragwürdige Wissensmonopol und die durch Wikipedia beeinflusste Wahrnehmung der Realität auf die Schippe nahm, was mich da wohl einige Freunde gekostet hat.

Und wie ich soeben lese, habe ich nun in Sachen Wikipedia-Kritik einen weiteren unerwarteten Mitstreiter gefunden: BILD-Chef Kai Diekmann ist unzufrieden mit der Wikipedia-Berichterstattung über seinen … also über das Kunstwerk und ruft daher seine Leser auf, den Beitrag zu korrigieren. Er stellt sogar eine Reihe an Quellen bereit, gefährdet aber unsere junge Freundschaft, in dem er eine unterschlagen hat: Meinen liebevollen Beitrag zur rechtlichen Auseinandersetzung über die dem Kunstwerk zugrundeliegende TAZ-Satire auf Telepolis!

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Diekmann gewinnt 12 Trophäen des Deutschen Presserats!

Neuer Rekord für Kai Diekmann! BILD online zieht mit BILD print gleich! Beide Publikationen erwirtschafteten 2009 jeweils sechs mal Rügen vom Deutschen Presserat. Dabei beanspruchen sie zusammen einen stolzen Anteil von 20% 40% am Gesamtaufkommen der insgesamt 30 ausgesprochenen Rügen. Herzlichen Glückwunsch!

Update:

Wie mich inzwischen ein Leser wissen ließ, sind 12 Rügen nach neuester Forschung 40% von 30 Rügen.

Übrigens beherrschen 6 von 10 Deutschen keine Prozentrechnung. Das sind umgerechnet mehr als 80%!

Folgen haben diese Rügen nicht wirklich. Die müssen die Meldung mit den Rügen gerade einmal irgendwo zwischen Anzeigen für Klingeltöne und Stöhntelefonnummern abdrucken. Wenn Diekmann die Jungs vom Presserat auf einer Berliner Party trifft, gibt er ihnen vermutlich lässig einen aus, man macht ein paar joviale Witze und die Sache hat sich.

Nicht zuletzt, weil der Deutsche Presserat inzwischen auch online-Publikationen berügt, haben sich die Beschwerden um 70 Prozent auf rund 1250 gesteigert. Sie möchten auch mal motzen? Bitte sehr!

19. Dezember 2009

Liebesgrüße aus Moskau – verliebt in ein Foto

Eine attraktive Russin klagt gerade gegen die russische Gerichtsvollzieher wegen Missbrauch eines Fotos von ihr. Sie staunte nämlich nicht schlecht, als sie im TV sah, was sich die Gerichtsvollzieher hatten einfallen lassen, wie man Schulden-Nomaden einfängt:

Die checken ihre Pappenheimer, die sich dem Zugriff entziehen, in sozialen Netzwerken durch und nehmen dann unter der Identität einer schönen Frau Kontakt auf. Die flirten so lange mit den säumigen Zahlern, bis diese von sich aus ein Date vorschlagen. Ziemlich ungeschickt ist es dann, mit einem fetten Auto protzen zu wollen, wenn man hoch verschuldet ist, denn zum Date erwartet den liebestollen Schuldner nicht die heiße Braut, sondern der kalt kalkulierende Gerichtsvollzieher.

Hierzulande wäre die Nutzung eines Fotos zur – wie es in Fachkreisen heißt – „Honigfalle“ ein Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild, § 22 KunstUrhG. Auch in Russland scheint es so was zu geben.

Die russischen Gerichtsvollzieher haben inzwischen angekündigt, künftig nur Fotos von Frauen zu verwenden, die eingewilligt haben.

Auch in Kanada scheinen Behörden soziale Netzwerke zu bemühen. Wer sich Stripshows ansieht, obwohl er wegen Depressionen krankgeschrieben ist, sollte damit eher diskret umgehen.

4. Dezember 2009

Nochmal zur Kunstfreiheit

Eine Bloggerin vertritt zur grundgesetzlich Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz garantierten Kunstfreiheit eine extremere Auffassung. Daher möchte ich kurz nachlegen.

Grundsätzlich besteht bereits das philosophische Problem, was man als Kunst bewertet, vor allem die verfassungsrechtlich hochproblematische Frage, einem Werk den Status Kunst sogar abzusprechen. Aber darum geht es gar nicht, schon gar nicht um Bilderverbrennung oder ähnliches.

Der Komponist Stockhausen hat in seinen letzten Jahren alles Mögliche als Musik interpretiert. So hat er sogar die Anschläge vom 11. September zu einem Kunstwerk erklärt. Nun sind wir uns hoffentlich einig, dass die Kunstfreiheit nicht soweit gehen kann, dass sie das Töten oder auch nur die Verletzung von Menschen rechtfertigt. Auch Kunstfreiheit kann also nicht schrankenlos gewährleistet sein, sondern findet ihre Grenzen dann, wenn erhebliche Rechte anderer betroffen sind.

Bilder etc. werden nur ganz, ganz selten verboten, praktisch nur dann, wenn das Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild in einer erheblichen Weise betroffen ist. Etwa die kopulierenden Schweine mit dem Gesicht von Franz-Joseph Strauß (dem man diese Kritik m.E. durchaus hätte zumuten können). Einem Künstler, der Claudia Schiffer in lasziven Posen Pin Up-mäßig malte, um damit gut zu verdienen, wurde das auch untersagt. Soweit ich die Rechtsprechung überblicke, werden künstlerische Bilder nur im absoluten Ausnahmefall wegen des Verstoßes gegen Persönlichkeitsrechte verboten. Vorsichtiger wäre ich da schon bei markenrechtlich oder urheberrechtlich geschützten Inhalten, wenn diese kommerziell verwertet werden. Siehe etwa auch den Beitrag „50 Jahre Asterix. Eine kleine Rechtsgeschichte“.

Man kann sich über Entscheidungen wie „Der blaue Engel“ trefflich streiten, aber im Grundsatz würde man den deutschen Gerichten Unrecht tun, wenn man ihnen nachsagte, sie gängen mit der Kunstfreiheit leichtfertig um. In entsprechenden Prozessen werden ggf. auch Kunstsachverständige gehört.

Die bloße Idee alleine, eine Person nackt darzustellen, ist trivial. Die Qualität der technisch-graphischen Umsetzung, den ggf. bewusst reduzierten Malstil usw. vermag ich nicht zu beurteilen, wobei nicht jeder Kunsthandwerker auch als Künstler gilt, denn Kunst kommt von Können und Künden. Eine künstlerische Aussage darf und soll sogar der Beobachter interpretieren und bewerten. Dafür benötigt man auch nur im Ausnahmefall Kunstsachverstand.

Die bloße Idee, eine ansonsten nackte Politikerin in Strapsen lächerlich zu machen ist eine künstlerische Aussage auf sehr rudimentärem Niveau. Jeder solch sich mal fragen, ob er oder sie es wirklich witzig fände, wenn die eigene Mutter im vorgerückten Alter öffentlich so bloßgestellt würde. Es gibt gewisse Tabu-Bereiche, über die sich eine Kultur definiert. So gibt es etwa sehr nachvollziehbare Gründe, heranwachsende Kinder nicht nackt abzubilden und Pornographie in der Öffentlichkeit zu regulieren. Jeder Erwachsene darf selber entscheiden, ob er sich öffentlich nackt darstellen will oder eben nicht.

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht wird zwar von so manchen Anwälten und Gerichten zur politischen oder geschäftlichen Waffe pervertiert und führt tatsächlich oftmals zu Zuständen, die faktisch nichts anderes als Zensur darstellen. Doch grundsätzlich ist das aus der Menschenwürde hergeleitete Persönlichkeitsrecht ein kultureller wie ethischer Fortschritt, der auf gleicher Stufe wie die Kunstfreiheit steht.

Es mag sein, dass bei gewissen Politikern die Nacktheit ein künstlerisch veranlasstes Stilmittel wäre. Aber eine Politikerin, die mit Fragen wie dem Bau einer umstrittenen Brücke befasst ist, zu entblößen, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in den grundsätzlichen Anspruch auf ein Minimum an Respekt. Und der beginnt spätestens an der Gürtellinie. Da muss die Politikerin sich schon ein bisschen mehr zu Schulden kommen lassen, als dass man so weit gehen dürfte, ihr und ihren Familienangehörigen eine solche Obszönität zuzumuten. Auch Politiker sind kein Freiwild.

Da die Rechtsprechung bei sexistischer Nacktheit ohne inhaltlich wirklich kritischen Bezug insoweit einheitlich ist, bewerte ich die gerichtliche Gegenwehr der Künstlerin lediglich als Publicity-Gag. Davon, dass ausgerechnet in einer kunstsinnigen Stadt wie Dresden die Kunstfreiheit nicht gewährleistet sei, sind wir weit entfernt. Wohl jedes deutsche Gericht hätte den Fall ganz genauso entschieden. Das Bild wurde auch nicht als solches verboten, sondern darf lediglich vorerst nicht mehr öffentlich gezeigt werden. Nicht einmal der Verkauf war untersagt oder gar eine Vernichtung beantragt worden.

Und schließlich: Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob sich eine Privatperson gegen die Ausbeutung ihrer Persönlichkeit wehrt, oder ob der Staat Bilder verbrennt.

3. Dezember 2009

Dümmliches NacktBILD

In einem Fachmagazin für Meinungs- und Kunstfreiheit des Axel Springer-Verlags wird – natürlich voller Entrüstung, versteht sich – das leicht zensierte BILD der Politikerin abgebildet.

Frau Lust, die sich übrigens den gleichen Namen wie eine schwedische Erotik-Darstellerin zugelegt hat, versteht sich als politische Künstlerin und äußert sich wie folgt:

„Mein Kunstwerk „Frau Orosz wirbt für das Welterbe“ ist ein künstlerischer Kommentar zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis, nämlich der in der Geschichte Europas einmaligen Aberkennung des Welterbetitels für das Dresdner Elbtal. Die mit Amtskette dargestellte Oberbürgermeisterin wird auf dem Bild in den Kontext des Themas gestellt. Die von mir implizierte Aussage, dass sie praktisch mit „nichts in der Hand“ , also ohne konkrete eigene Taten für das Welterbe wirbt, ist ein Statement, dass in der Kunst sehr häufig durch Nacktheit dargestellt wird. Somit ist die dargestellte Nacktheit als künstlerisches Mittel zum Ausdrücken ihrer Tatenlosigkeit zu verstehen und somit voll und ganz durch die grundgesetzlich verbriefte Meinungs- und Kunstfreiheit abgedeckt.

Meine Absicht ist es, Diskussionen auszulösen.
Darf man so gesellschaftskritisch arbeiten?
Darf man sich so was trauen?
Darf man keinen Respekt vor der Macht haben?
Warum regen die Bilder so auf?
Warum hat der Mensch so viel Ehrfurcht von der Mächtigen?

Ich finde es spannend.“

Also, ich finde es absolut unspannend, sondern eher billig.

Zunächst einmal sind Starfakes – ob mit Photoshop oder mit Pinsel – keineswegs „voll und ganz durch die grundgesetzlich verbriefte Meinungs- und Kunstfreiheit abgedeckt“. Die Meinungs- und Pressefreiheit ist kein Freibrief, wie die Künstlerin meint, sondern wird mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (vorliegend mit der gesetzlichen Ausgestaltung in § 22 KunstUrhG) abgewogen. Persönlichkeitsrechte und die Rechte auf Meinungs- und Kunstfreiheit sind grundsätzlich gleichwertig, so dass man den Einzelfall auf das Für und Wider hin untersucht.

Da Nacktheit etwas sehr Privates ist, bei entsprechender Konnotation die Intimsphäre berührt, ist Derartiges nur bei einem überragenden künstlerischen Interesse gerechtfertigt. Und jetzt mal im Ernst, eine Politikerin in Strapse oder alternativ sogar als Domina darzustellen, ohne, dass ein irgendwie witziger Bezug zu erkennen wäre, ist pennälerhaft primitiv. Das könnte jeder 13jährige auch. So gewichtig ist die Kunst der Frau Lust wohl nicht.

Die Springer-Presse hatte das – natürlich – als Skandal aufzubauen versucht.  Da auch die BILD-Zeitung mit der Rechtsprechung zu § 22 KunstUrhG vertraut ist, wussten die natürlich, dass das Bild verboten werden würde.

Lustig ist allerdings die Koinzidenz, dass BILD-Chef Kai Diekmann exakt am gleichen Tag, dem 16.11.2009, als er an Persönlichkeitsrechten der Politikerin mitverdiente, ebenfalls mit der künstlerischen Verwertung seiner Nacktheit konfrontierte. Peter Lenks Plastik hat im Gegensatz zum lahmen Politikerin-Bild einen inhaltlich-politisch veranlassten, pointierten Bezug, der eine entsprechend exponierte Nacktheit Diekmanns höchstwahrscheinlich sogar rechtfertigt. Da allerdings Diekmann selbst Fotos und Videos des Werkes in Internet stellte, als selbst Verbreiter des Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht gewesen war, würde ihm das sogenannte Rechtsschutzinteresse für einen entsprechenden Prozess fehlen.

Eine im Dresdner Fall spannende Frage ist, inwieweit der Politikerin ein Anspruch auf Geldentschädigung zusteht  – der Diekmann vor sieben Jahren versagt worden war. Da es zumindest in Pressesachen schnell mal zu 20.000,- und 30.000,- Euro kommen kann, wird Frau Lust langfristig selbige  am Malen vergehen, denn so uninspiriert, wie sie malt, wird sie kaum etwas absetzen können.

Auch morgen wird sich in BILD mit aller Wahrscheinlichkeit ein Artikel über das „Skandal-Bild“ finden. Wie aufregend …

UPDATE:

Ach, guck an: DER SPIEGEL schreibt:

Das Bild wirkt unbeholfen, fast amateurhaft – noch unbeholfener allerdings ist die Reaktion der Porträtierten. Denn dargestellt wird auf dem Bild mit dem Titel „Frau Orosz wirbt für das Welterbe“ keine andere als die Dresdener Oberbürgermeisterin.

und veröffentlicht das „Werk“ ebenfalls. „Unbeholfen“ hat die Politikerin also agiert? Da würde mich doch mal interessieren, wie der Journalist reagiert hätte, wenn jemand seine Mutter so gemalt hätte.

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