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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


7. Oktober 2014

Helmut Kohl und das Medienrecht

 

Anders als die meisten heutigen Politiker rannte der ewige Kanzler Helmut Kohl den Medien nicht hinterher. Insbesondere am TV war der Kanzler desinteressiert. Dem SPIEGEL verweigerte er ab einem bestimmten Zeitpunkt jeglichen Kontakt. Als Grund für dem Liebesentzug sehen gut informierte Kenner eine flapsige Zeile des SPIEGELs, in dem die Journalisten einen Seitensprung andeuteten. In der Bonner Republik galt das Privatleben von Politikern als absolutes Tabu.

Kohl, der eine Generation an Stimmimitatoren ein sicheres Auskommen bescherte, kam auch nicht auf die Idee, seine Gegner durch Klagen aufzuwerten. Ins Gericht ging der Kanzler allerdings dann, wenn es gegen seine Frau ging. Hannelore Kohl veranstaltete sogar einmal eine Ausstellung mit Kohl-Karikaturen und gab ein Kochbuch mit dem Titel „Was Journalisten anrichten“ heraus.

Derzeit richtet sich das Auge der Medienrechtler auf das im Heyne-Verlag erscheinende Buch des geschassten Kohl-Biographen Heribert Schwan. So hatte Schwan an drei Bändern der Kohl-Memoiren mitgewirkt, hierfür jedoch keine Verschwiegenheitserklärung oder einen sonstigen Vertrag unterzeichnet. Einen Vertrag hatte Kohl ausschließlich mit dem Verlag:

„Der Verlag sichert zu, dass [der Beklagte] persönlich die schriftliche Abfassung des Werkes bis zu seiner Fertigstellung nach den Vorgaben und Angaben des Autors übernimmt. Der Autor wird im Gegenzug [dem Beklagten] entsprechenden Einblick in relevante Unterlagen geben und ihm in ausreichendem Maße für entsprechende Gespräche zur Verfügung stehen (mindestens 200 Stunden). Die Einzelheiten der Zusammenarbeit zwischen [dem Beklagten] und [dem Kläger] werden diese direkt besprechen.“

Im schließlich vom OLG Köln, Az 6 U 20/14, entschiedenen Fall hatte Kohl die Herausgabe der Tonbänder als solche herausgeklagt. Das Gericht gestand Kohl das sachenrechtliche Eigentum (§ 985 BGB) an den Tonbändern zu, weil es Kohl als Hersteller der Tonbandaufzeichnungen nach § 950 BGB bewertete. Der eigentliche Wert der Tonbänder bestehe nicht in ihrem Materialwert, sondern – unabhängig von der Frage urheberrechtlicher Schutzfähigkeit – im immateriellen Gehalt der auf ihnen dokumentierten Äußerungen des Klägers. Der Fall liegt nun beim BGH.

Urheberrechtlich und persönlichkeitsrechtlich war die Entscheidung offenbar witzlos. Zwar hat Kohl die 200 Bänder jetzt in Oggersheim gebunkert, doch Schwan, der kleine Pirat, hat sich natürlich Kopien gezogen … Und daraus nun sein Buch gezimmert, das er – Kohl zum Hohn – ausgerechnet mit PR-Partner SPIEGEL vermarktet. Diesen Dienstag wurde das Werk vorgestellt. Als treueste Kohl-Verteidigerin erwies sich mal wieder die BILD-Zeitung, deren Abgesandter sich um Kohls „geistiges Eigentum“ sorgte.

Soweit bekannt, hat sich der Heyne-Verlag noch keine einstweilige Verfügung eingefangen. Allerdings dürfte das Buch hinsichtlich Persönlichkeitsrecht mehr als spannend werden. Das vom Focus kolportierte Ziel, die Veröffentlichung zu stoppen, hat der Alt-Kanzler nicht erreicht. Aller Wahrscheinlichkeit nach sitzen nun die Kohl-Anwälte in dieser Nacht bei Kaffee und Pizza, um schnellstmöglich ein Fax in Richtung Hamburg, Berlin oder Köln zu schicken. Wir werden in Kürze erfahren, welche Kammer das Rennen gemacht hat.

6. Oktober 2014

ZEIT-Prozesshanseln scheitern überwiegend mit Pressegängelung

 

Die meisten der einstweilig verbotenen Äußerungen hat heute das Landgericht Hamburg fürs erste wieder erlaubt. Distanzieren muss ich mich (einstweilen) von dem im oben genannten Video erweckten Eindruck,

Dr. Jochen Bittner sei Mitglied, Beirat oder Vorstand von drei Organisationen, die auf einer Schautafel in der Sendung „Die Anstalt“ im ZDF genannt wurden.

-> Josef Joffe und Jochen Bittner scheitern gegen Die Anstalt (ZDF)

3. Oktober 2014

Deutscher Fernsehpreis für Günter Wallraff

 

Günter Wallraff wurde gestern für „Team Wallraff“ mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Ich habe bislang keinen beeindruckenderen Journalist kennen gelernt. Die Hälfte seiner Arbeitszeit wurde durch Gerichtsprozesse verschwendet.

Als der Kollege Höcker mir letztes Jahr mit einem Prozess drohte, bot mir Wallraff spontan an, sich an möglichen Prozesskosten zu beteiligen. ;)

Hier die vollständige Aufzeichnung der sehenswerten Wallraff-Ausgabe von „Ich stelle mich (WDR)“ vom 17.08.2014.

1. Oktober 2014

Versteckte Kamera in Arztpraxis

 

Ein Hamburger Arzt hat gegen den NDR (vermutlich am Landgericht Hamburg) eine einstweilige Verfügung wegen eines Berichts erwirkt, der mit versteckter Kamera gedreht wurde. Der christliche Medizinmann hatte seine Künste als „Schwulenheiler“ angeboten, die ein schwuler Journalisten in Anspruch nahm, obwohl er vermutlich nicht wirklich „geheilt“ werden wollte.

Aufnahmen mit versteckter Kamera sind im Presserecht ein Klassiker, da es sich beim Verhältnis zwischen Arzt und Patient um einen vom Gesetzgeber besonders geschützten Bereich handelt. Arzt und Patient sollten vertrauensvoll und offen reden können. Das ist dann nicht unbefangen möglich, wenn man mit verdeckten Aufnahmen rechnen muss. Daher ist es relativ einfach, in der ersten Instanz eine Unterlassungsverfügung zu erwirken.

Allerdings ist eine Rechtsverteidigung durchaus möglich. RTL etwa wehrte sich erfolgreich gegen eine Unterlassungsverfügung, weil der dort betreffende Azrt anonymisiert war.

Dieses Jahr hob das Oberlandesgericht Hamburg eine Unterlassungsverfügung von Krebs-Behandler und Dauerkläger Dr. Nikolaus Klehr gegen das ZDF auf. Die Aufnahmen hatten nur den Eingangsbereich seiner Praxis sowie ein verpixeltes Beratungsgespräch ohne Originalton gezeigt. Entgegen dem Landgericht Hamburg vermochte das OLG darin keine rechtswidrige Persönlichkeitsrechtsverletzung zu erkennen.

 

27. September 2014

ZEIT-Journalisten verstehen keinen Spaß

 

Gestern habe ich live auf Twitter und dann bei Telepolis über den selbstentlarvenden Rechtsstreit zwischen den ZEIT-Autoren Josef Joffe und Jochen Bittner gegen das ZDF wegen angeblicher Unwahrheiten in einem zugespitzen satirischen Beitrag der „Anstalt“ berichtet. Kampfschauplatz war mal wieder Saal 335B des Landgerichts Hamburg.

Die gleichen Journalisten, die einseitig und ungenau über den Ukraine-Konflikt berichten, werden auf einmal denkbar sensibel, wenn es um Tatsachenbehauptungen über sich selber geht und legen an Satiriker absurde Maßstäbe an. Wie weggetreten kann man eigentlich sein? Ob man vielleicht mal Putin verraten sollte, dass man missliebige Meinungen am Landgericht Hamburg genauso effizient verbieten lassen kann wie in seinem eigenen straff geführten Reich, das so schrecklich sein soll? Wäre es nicht die politische Aufgabe freier westlicher Journalisten gewesen, dem Osten ein Vorbild in Sachen Pressefreiheit zu geben und wenigstens die Freiheit der Satire zu achten?

Der letzte namhafte Journalist, der den eigenen Kollegen in der Hamburger Zivilkammer 24 Sand in die Druckmaschinen streute, war 2008 Helmuth Markwort, weil er der Saarbrücker Zeitung einen Irrtum von Roger Willemsen zurechnen wollte, der diesem in einem Interview unterlief (Titel: „Heute wird offen gelogen“… ;) ). Nachdem die Hamburger Landrichter sich dankbar Sand in die Augen streuen ließen, hob der Bundesgerichtshof diese hanseatische Dösbattelei wieder auf. Sehr peinlich …

Die eigentlichen Probleme meiner gestrigen „Frontberichterstattung“ lagen da, wo man sie nicht vermuten würde. So musste ich kurzfristig einen dringenden Zahnarztermin verlegen und kämpfte im Gerichtssaal gegen einen schwachen Akku. Während in anderen Gerichten bei Nutzung von Steckdosen eine Jahresgebühr erhoben wird, ist man in Hamburg glücklicherweise liberal. Als tückisch erwies sich die Autokorrektur, die meine Arbeit leider stehts verdoppelte. So „vermenschlichte“ die Maschine den Namen des Kollegen Dr. Mensching, dem die ehrenvolle Aufgabe zufiel, das ZDF zu vertreten.

Das wohl ungewöhnlichste Hindernis beim gestrigen Twitter-Marathon war der Versuch von Uri Geller, mich auf meinem Smartphone anzurufen, weil er sich nochmals für unser auf english geführtes Nonsens-Interview wegen den verbogenen iPhone 6 bedanken wollte. Das war zwar bei Telepolis kein Hit gewesen, wurde aber von internationalen Medien wie dem Wallstreet Journal und dann anderen aufgegriffen und geht gerade um die ganze Welt. Wenn ich mich mit umstrittenen Löffelbiegern besser verstehe als mit die Wahrheit verbiegenden Journalisten, sagt das wohl irgendwas aus … ;)

Noch bizarrer allerdings war gestern eine E-Mail von Bittner, in der er mich auf seinen larmoyanten Kommentar im Heise-Forum aufmerksam machte. Das wäre gar nicht nötig gewesen, denn die Heise-Leser waren so aufmerksam, sämtliche von Bittners Kommentaren rot zu markieren …

25. September 2014

Geheimdienstkontrolle: Wer bewacht die Wächter?

 

Im Leitartikel zum aktuellen KOMPASS habe ich das gegenwärtigen Konzept der Geheimdienstkontrolle in Deutschland beschrieben. Ab S. 4 skizziere ich zunächst kurz, welche Erfahrungen wir hierzulande mit Geheimdiensten so gemacht haben. Anschließend stelle ich knapp die Kontrolle durch Justiz, Verwaltung, Politik und Medien dar, sowie meine Meinung zu dem Thema. Die Zeitung enthält auch ein Interview mit Padeluun von Digital Courage.

31. Juli 2014

Durfte DER SPIEGEL Fotos der Opfer von MH 17 verbreiten?

Mehrfach kam die Frage auf, ob das Agitprop-Magazin DER SPIEGEL für seinen aktuellen Titel die privaten Fotos der beim Flug MH 17 getöteten Menschen benutzen durfte.

Zivilrecht

Sofern nicht die Angehörigen eingewilligt haben: NEIN.

Wer in Deutschland Fotos verbreiten oder zur Schau stellen will, auf denen Gesichter zu erkennen sind, benötigt grundsätzlich nach § 22 KunstUrhG die Einwilligung entweder des Abgebildeten oder nach dessen Tod die von den Angehörigen (bis zum Ablauf von zehn Jahren).

Eine solche Einwilligung wäre entbehrlich in Fällen eines gewichtigen Berichtsinteresses der Öffentlichkeit, § 23 KunstUrhG. Ein solcher Fall liegt aber nicht vor, denn DER SPIEGEL hat kein Flugzeugunglück berichtend illustriert, sondern „Stoppt Putin“ bebildert. Wenn die Betroffenen oder deren Angehörige diesen politischen Apell nicht teilen, liegt eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vor.

Etwas anderes könnte aber gelten, wenn Bildrechte nach § 22 KunstUrhG wirksam übertragen wurden. Dem Vernehmen nach soll sich DER SPIEGEL aus sozialen Netzwerken bedient haben. Wenn man selbst Fotos von sich ins Netz stellt, gibt man insoweit ein Stück Privatsphäre von sich faktisch auf. Dies beinhaltet jedoch nicht automatisch die Erlaubnis, dass auch Dritte solche Fotos nutzen dürfen (zumal auch das Urheberrecht des Fotografen geschützt ist, sogar gegenüber dem Abgebildeten). Die Einwilligung nach § 22 KunstUrhG reicht grundsätzlich nur soweit, wie es dem Betreffenden vernünftigerweise erkennbar war. Wird man z.B. bei einem nicht öffentlichen Anlass gefilmt und lässt die Aufnahmen zu, bedeutet dies nicht, dass man pötzlich im landesweiten TV zu sehen sein will. Die Reichweite einer Einwilligung nach § 22 KunstUrhG ist regelmäßig Streitfrage am Richtertisch und wird in den Instanzen unterschiedlich beurteilt.

Bei Facebook heißt es in den Allgemeinen Geschäftsbedinungen:

(…) Du erteilst uns deine Erlaubnis zur Nutzung deines Namens, Profilbilds, deiner Inhalte und Informationen im Zusammenhang mit kommerziellen, gesponserten oder verwandten Inhalten (z. B. eine Marke, die dir gefällt), die von uns zur Verfügung gestellt oder aufgewertet werden. Dies bedeutet beispielsweise, dass du einem Unternehmen bzw. einer sonstigen Organisation die Erlaubnis erteilst, uns dafür zu bezahlen, deinen Namen und/oder dein Profilbild zusammen mit deinen Inhalten oder Informationen ohne irgendeine Entlohnung für dich zu veröffentlichen. (…)

Außerdem ist Facebook der Ansicht, dass jedweder Anspruch, Klagegegenstand oder Streitfall (Anspruch), den man gegenüber Facebook Ireland Limited hat und der sich aus der Erklärung gegenüber Facebook oder in Verbindung mit dieser bzw. mit Facebook ergibt, ausschließlich vor dem für den nördlichen Bezirk von Kalifornien zuständigen US-Bezirksgericht oder vor einem Staatsgericht in San Mateo County zu verhandeln sei, wobei die Gesetze des Bundesstaates Kalifornien unter Ausschluss der Bestimmungen des internationalen Privatrechts anzuwenden seien.

Das Landgericht Berlin teilte allerdings 2010 freundlich mit, dass in Deutschland deutsches Recht anzuwenden sei und auch hierzulande geklagt werden könne. Das Urteil wurde dieses Jahr vom Kammergericht bestätigt.

Die Frage also, inwieweit ein Verlag für einen Printtitel von Facebook wirksam Rechte Dritter nach § 22 KunstUrhG erwerben kann, wäre daher auch hierzulande justiziabel. Wie gesagt, die Reichweite solcher Einwilligungen ist im Einzelfall eine diffizile Angelegenheit. Die Rechtsansicht, dass man auf Facebook wirksam darin einwilligt, in politische Kampagnen eingespannt zu werden, halte ich für abwegig.

UPDATE:

BILDblog hat sich die SPIEGELBILDerei vorgenommen. Dort ließen sich die SPIEGEL-Leute wie folgt ein:

„Wir halten die Optik für angemessen, denn es handelt sich um Opfer der ruchlosen Machtpolitik des russischen Präsidenten Putin. Dies rechtfertigt nicht nur eine so starke, emotionale Optik, es macht sie geradezu notwendig – und zwar im Interesse der Opfer und ihrer Angehörigen.“

UPDATE: Unabhängig vom Aspekt der Persönlichkeitsrechte sind natürlich auch die Urheberrechte der Fotografen betroffen.

Pressekodex

Der Verlag des SPIEGEL hat sich dem – nicht vor ordentlichen Gerichten justiziablen – Pressekodex unterworfen:

§ 1 (…) Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.

§ 8 (…)

Richtlinie 8.2 – Opferschutz
Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen  zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

Richtlinie 8.3 – Kinder und Jugendliche
Insbesondere in der Berichterstattung über Straftaten und Unglücksfälle dürfen Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in der Regel nicht identifizierbar sein.

§ 11 (…)

Richtlinie 11.3 – Unglücksfälle und Katastrophen
Die Berichterstattung über Unglücksfälle und Katastrophen findet ihre Grenze im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen. Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

§ 13 (…)

Richtlinie 13.1 – Vorverurteilung
Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen. Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind.

Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines „Medien-Prangers“ sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.

27. Juni 2014

KOMPASSGATE – Thorsten Wirth pullt eine Streisand

 

Wer hätte das gedacht? Piraten-Ex-Vorsitzender Thorsten Wirth und seine Getreuen machen jetzt die Streisand.

Nun wäre es ja durchaus nachvollziehbar, wenn Wirth sein unfassbar peinliches Interview mit dem Weser-Kurier wieder einfangen wollte. Das bislang einzige Politiker-Interview in dieser Liga wurde 2010 zwischen einer Geisterbeschwörerin und Uwe Barschel geführt. Doch Wirth ärgert sich nicht über seinen Missgriff, sondern will dem im Piratenumfeld erscheinenden KOMPASS am Zeug flicken.

Der KOMPASS nämlich hatte zum kommenden Bundesparteitag eine Sonderausgabe gebracht, in der er das Wahlsystem erklärt und die bis dahin bekannten Kandidaten vorstellt. Der Umstand, dass die Unwählbaren mit „Wahlempfehlung des progressiven Flügels“ gekennzeichnet sind, liegt in der Natur der Sache und ist zudem eine Frage der subjektiven Perspektive bzw. Hirnmasse. Die Darstellung ist fair und ausgewogen, presserechtlich jedenfalls nicht zu beanstanden.

Doch die Freiheit von Informationen, Meinung und Presse missfiel dem Piraten(?) Wirth offenbar, und da er sich kein Unrechtsanwalt leisten wollte, der dann zum Landgericht Hamburg tapert, musste der Partei-Justiziar seine Künste beweisen. Der verlangte zunächst vom KOMPASS eine „Gegendarstellung“, und zwar online und sogar in der aktuellen(!) gedruckten Ausgabe. Der KOMPASS gewährte eine solche in der online-Fassung, und zwar hauptsächlich deshalb, damit auch jeder weiß, mit welchen „Piraten“ man es zu tun hat. Was von dem Gebaren des Justiziars zu halten ist, habe ich hier seziert.

Doch die Online-Gegendarstellung reichte den Wirthsleuten nicht, auch die Print-Ausgabe sollte mit der „Gegendarstellung“ versehen werden. Natürlich hat der KOMPASS, vertreten durch Kompa, eine abgeforderte Erklärung höflich abgelehnt und wird nichts in seine aktuelle Ausgabe einfügen.

Während der Halbzeitpause des gestrigen Spiels zwischen Deutschland und den USA nun schickte der tapfere und wohl etwas erregte Justiziar gleich dreimal ein Fax, in dem „die Piratenpartei Deutschland“ auf ihr Hausrecht auf dem kommenden Bundesparteitag in Halle an der Saale am 28. und 29. Juni hinweist und dem Herausgeber das „Verteilen von Druckerzeugnissen“ untersagt.

Ich habe Zweifel, ob der Justiziar tatsächlich in Vertretungsmacht der Piratenpartei handelt, denn Zensur ist eigentlich etwas, bei dem wir dagegen waren. Die Ausgabe des KOMPASS ist sachlich nicht zu beanstanden. Der Justiziar hat mir weder einen Beschluss eines gegenwärtigen Entscheidungsträgers vorgelegt noch glaube ich, dass die am BPT für das Hausrecht zuständige Versammlungsleitung mit dieser Zensur einverstanden sein wird. Entgegen anderen Verfahren hat mir der Justiziar auch keine Vollmachtsurkunde vorgelegt, weshalb ich auf diesem Wege das Anliegen nach § 174 Satz 1 BGB zurückweise.

Der plumpe Zensurversuch geht allerdings wie stets etwa auch bei der TITANIC ins Leere: Die Auflage des KOMPASS ist bereits ganz überwiegend verteilt. Vor der Halle kann Wirth das Verteilen nicht untersagen. Da ein solches Verbot nur das Verteilen durch den Herausgeber verbietet, darf jeder Pirat erhobenen Hauptes mit seinem KOMPASS in die Halle einmarschieren – oder auch mit einem Stapel, falls andere Papier-affine Piraten lesen wollen, was Wirth ihnen zensieren will.

Ob es die Wirthsleute schaffen, rechtzeitig zum BPT Internetsperren zu installieren, um ein digitales Einsickern des KOMPASS zu verhindern, wird man sehen. Wer nun denkt, dass Piraten-Babo Thorsten Wirth nicht mehr tiefer sinken könnte: Das nächste Gate wird noch im Laufe dieses Tages bekannt gegeben. Stay tuned! Um das Warten zu überbrücken, hier ein Rahmenprogramm:

UPDATE: Für den BPT14.2 wurde eine Hausordnung vorbereitet, die allgemein das Auslegen und Verteilen von Druckerzeugnissen verbietet. Kann man machen. Aber gegenüber einem bestimmten Herausgeber willkürlich im Vorfeld ein konkretes Verbot auszusprechen, ist Zensur.

 

7. Juni 2014

Verfalldatum für Nackedeis?

Die Schauspielerin Corinna Drews brachte es 1986 zu einer gewissen Bekanntheit in „Kir Royal“, wo sie ausgerechnet ein Starlet spielte, das von einem Klatschreporter berühmt gemacht werden wollte. Dreimal posierte sie auf dem Titel des Anatomie-Fachmagazins „Playboy“, wo sie ihr Gesicht und andere Körperteile in die Kamera schwenkte (bei Interesse bitte selber googeln …). Erstmals hatte sie 1981 für das Fachblatt blank gezogen und darüber informiert, ihr Sport seien Männer.

33 Jahre später war dem gereiften Nackedei die Aktion irgendwie peinlich, was deshalb verwunderlich ist, weil sie das peinlichste machte, was man tun kann: In eine RTL-Containercampwasweißichprollshow zu gehen. Sauer wurde Frau Drews, als eine für BILDberichterstattung bekannte Boulevardzeitung dieses Ereignis mit einem historischen Playboyfoto von 1981 illustrierte. Sie zog vor das Landgericht München, wo sie anders als aus der Show nicht bei der ersten Gelegenheit rausflog, und begehrte Unterlassung. Und Geld hätte sie dafür natürlich auch gerne.

Grundsätzlich ist eine nach § 22 KunstUrhG erforderliche Einwilligungserklärung in das Verbreiten und Zur-Schau-Stellen eines Portraitfotos unwiderruflich. Ob man beim Foto bekleidet war oder nicht, spielt normalerweise keine Rolle. Anders als etwa im Urheberrecht gibt es kein „Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung“. Andernfalls wäre jedes Foto, auf dem jemand erkennbar ist, mit unkalkulierbaren Rechtsunsicherheiten belastet. Der Playboy hatte damit grundsätzlich das zeitlich unbegrenzte Recht zur Auswertung erworben, soweit nichts anderes vereinbart war. Möglicherweise war der Verlag sogar zur Weiterlizenzierung berechtigt.

Gerichte legen den Umfang von Einwilligungserklärungen nach § 22 KunstUrhG allerdings einschränkend aus. Wer etwa gefilmt wird, muss eine ungefähre Vorstellung haben, wofür die Aufnahmen verwendet werden. Zur klassischen Frage, welche Rechte einem Nacktmodell zustehen, das inzwischen zur Tugend gefunden hat und nur noch züchtig bekleidet durch den Blätterwald rauschen will, gibt es nur wenig bekannte Entscheidungen, weil in solchen Fällen meist Vergleiche geschlossen werden.

Das Landgericht München nun entschied der Süddeutschen Zeitung zufolge, die zu Be­ginn der 1980er Jahre erklärte Einwilligung Einwilligung zur Veröffentlichung der Fotostrecke Anfang der Achtzigerjahre gelte nicht auch für eine Bildveröffentlichung 2014. Zumal keinerlei Zusammenhang zwischen der seinerzeitigen Veröffentlichung und dem umstrittenen Bericht bestehe. Die bloße Assoziation, Dschungelcamper entblößten sich regelmäßig im wörtlichen oder übertragenen Sinne, ließen sie nicht gelten. Ebenso wenig käme es darauf an, dass die Zeitung eine Lizenz beim Playboy erworben hätte.

Unverkennbar schwingt bei dieser Sicht die Caroline-Entscheidung mit, die bei unfreiwilliger Bildberichterstattung stets einen konkreten Anlassbezug fordert. Die Münchner Richter gingen offenbar so weit, dass man es nach 33 Jahren nicht mehr hinnehmen müsse, mit einer Jugendsünde konfrontiert zu werden. Dem zufolge hätte die Zeitung selbst dann keine lizenzierten Bilder verwenden dürfen, wenn sie inhaltlich über das Fotoshooting von 1981 berichtet hätte. Konsequenterweise dürfte nun nicht einmal der Playboy die Aufnahmen von Frau Drews aus dem Archiv wieder ins Blatt holen. Wenn das Urteil Schule macht, wird die Zweitverwertung älterer Nacktaufnahmen ein medienrechtliches Risiko.

Nun möchte Frau Drews in einer weiteren Klage auch noch Geld für die Reaktualisierung sehen. Das halte ich für optimistisch, aber nicht für ausgeschlossen.

Der Zeitungsverlag könnte allerdings versuchen, im Gegenteil sogar selbst von Frau Drews Geld zu verlangen, nämlich Schadensersatz. Denn etwa auch ein launischer Künstler, der sein Rückrufsrecht wegen gewandelter Überzeugung geltend macht, muss für seine Eigenwilligkeit den Inhaber eines Nutzungsrechts „angemessen entschädigen“, § 42 Abs. 3 UrhG . Allerdings hat das Landgericht München offenbar die Einwilligung als von vorneherein beschränkte ausgelegt. Bei dieser Konstruktion aber wäre nicht einmal ein Widerruf nötig, wobei unter uns Pfarrerstöchtern wohl eher anzunehmen ist, dass Frau Drews der Gedanke nachträglich kam.

Ich wäre nicht überrascht, wenn der Verlag diese Sache durch die Instanzen treibt. Möglicherweise handelt es sich bei dem Fotoshooting durchaus um ein zeitgeschichtliches Ereignis, denn die B.Z. spricht immerhin vom „schönsten Busen der 80er“. Den mir bekannten Fotos nach zu urteilen könnte das hinkommen. Ich hoffe jedenfalls auf weitere aussagekräftige Abbildungen in den juristischen Fachzeitschriften. ;)

Eines allerdings ist sicher: Ab Montag wird jeder professionelle Aktfotograf seinen Models eine deutlich ausführlichere Einwilligungserklärung abfordern.

Ironie am Rande: Frau Drews ist inzwischen Textilunternehmerin. Da senden Nacktfotos eher die falsche Botschaft … ;)

Via Strafakte.

7. Mai 2014

Verspiegelte SPIEGEL-Affäre

 

Der Regisseur Roland Suso Richter ist dafür bekannt, Stoffe deutscher Gerichte dramaturgisch gekonnt, historisch aber mitunter sehr frei und bisweilen ärgerlich falsch zu verfilmen. Die gerade in der ARD gelaufene SPIEGEL-Affäre (hier ins Netz befreit) ist leider keine Ausnahme. Franziska Augstein hat dazu bereits das Wesentliche richtiggestellt.

Sehr schade ist, dass der Film nicht aus der Perspektive und Welt der 50er/60er Jahre erzählt wird. Denn in Wirklichkeit war die SPIEGEL-Affäre eine Art Flügelkampf im konservativen Lager. Die FDP, der Rudolf Augstein angehörte, war damals eher ein Sammelbecken für sehr national Gesinnte. Auch Augstein selbst war keineswegs die im Film dargestellt Lichtgestalt, wie man bei Otto Köhler nachlesen kann. Wie im Film kurz erwähnt wird, arbeiteten im SPIEGEL sogar höchst fragwürdige SS-Leute.

Im Film wird kurz ein vorgeblich punktueller Kontakt der SPIEGEL-Redaktion zum BND dargestellt, der wohl irgendwo in Pullach hause. Tatsächlich war der geschäftsführende Redakteur Hans Detlev Becker mit dem stellvertretenden BND-Chef, der in Hamburg residierte, eng befreundet und wurde sogar als dessen Nachfolger vorgeschlagen. Die damalige BND-Nähe des SPIEGEL dürfte auch einer der Gründe gewesen sein, dass Strauß eine Intrige von dessen Dienstherrn Adenauer witterte, um den ungeliebten Kronprinz aus Bayern als unfähigen Verteidigungsminister zu domestizieren.

Irreführend ist die im Film suggerierte Annahme, Strauß wär atomkriegsfreudiger als Adenauer gewesen. Von den meisten Historikern wird tapfer ausgeblendet, dass gerade Adenauer zur Atombombe ein äußerst naives Verhältnis pflegte und mit seinen Wünschen für deren Einsatz gegen die Sowjetunion Präsident John F. Kennedy mehrfach in Verlegenheit brachte.

Wie weggetreten die Mächtigen damals waren, sieht man am im Film erwähnten Prof. von der Heidte, der seinerzeit die Strafanzeige erstattet hatte. Von der Heidte hatte damals vorgeschlagen, die Bundeswehr in katholische und evangelische Divisionen aufzuteilen. Vermutlich ließ er sich hierzu vom Hohen Kommissar John McCloy inspirieren, der für das US-Militär die Rassentrennung forderte.

Beschähmend am Heldengemälde für Augstein ist schließlich, dass es der Drehbuchautor nicht für nötig befand, den eigentlichen Ghostwriter des berühmten „Bedingt abwehrbereit“-Artikels auch nur zu erwähnen. Jener Autor Heinz Höhne war es denn auch, der ein Jahrzehnt später eine Enthüllungsserie „Pullach intern“ über den BND brachte, welche die enge Zusammenarbeit zwischen Nachrichtendienst und Nachrichtenmagazin beendete. Als Höhne, einer der profundesten Geheimdienstkenner, vor ein paar Jahren zu Grabe getragen wurde, ließ sich vom SPIEGEL dort niemand sehen.