25. Juni 2013
Gestern sah ich mir in Luxemburg den 53. Prozesstag des dort zu Recht als „Jahrhundert-Prozess“ bezeichneten Strafverfahrens gegen zwei angeklagte Ex-Polizisten an, denen man die Bombenserie von 1984 bis 1986 zur Last legt. In Wirklichkeit sitzen längst nicht mehr die beiden Staatsdiener auf der Anklagebank, sondern deren Herren. Kommenden Mittwoch muss der vormalige Justizminister Luc Frieden als Zeuge aussagen, warum er auch er die Ermittlungen 2006 zu behindern versuchte. Sein früheres Ministerium war letzte Woche durchsucht worden, ähnliches hatte das Gericht bereits vor Monaten beim Geheimdienst angeordnet.
Luc Frieden, derzeit Finanzminister, ist „Kronprinz“ von Staatschef Jean-Claude Juncker, der über diese Affäre ebenfalls stolpern könnte, da die Bomben offensichtlich nicht von echten Terroristen gelegt wurden, sondern unzweifelhaft Insider-Jobs gewesen sein müssen. Gestern ließen die beiden echten Prinzen mit blumigen Worten verkünden, dass sie ebenfalls als Zeugen zur Verfügung stehen werden und auf ihre Adelsprivilegien ausdrücklich verzichten werden.
Das Verfahren wird von der Bevölkerung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Als ich im Zug einer Frau erzählte, dass ich in Deutschland über den Fall berichte, lud sie mich am Bahnhof spontan zum Kaffee ein. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es Neuwahlen gibt. Die Luxemburger Piratenpartei ist die erste, die bereits ein Programm hat. Gestern habe ich mich auch mit dem Luxemburger Pirat und Abgeordneten-Watcher Jerry Weyer getroffen, der die Vorgänge im Großherzogtum bestens im Auge hat.
Prozesssprache in Luxemburg ist Französisch. Die Amtstracht von Anwälten verziert wie bei evangelischen Pastoren ein weißes Bäffchen. Dem Kollegen Maître Dr. Vogel ist am Ärmel seiner Robe sogar eine weiße Borte gestattet. Die Richterinnen und Richter ziehen wie beim deutschen Verfassungsgericht mit runden Hüten ein. Der Staatsanwalt hatte gestern übrigens bemerkenswert lange Haare. Ein „langhaariger Bombenleger“ war er wohl nicht, obwohl Bombenlegen in Luxemburg Staatsaufgabe zu sein scheint. Die Bomben zünden nun nach 29 Jahren erneut – mit größtmöglicher politischer Sprengkraft.
12. Juni 2013
In Luxemburg liefern ein Geheimdienstuntersuchungsausschuss und ein beispielloser Gerichtsprozess gegen zwei Mitglieder einer Spezialeinheit wegen des Verdachts von Staatsterrorismus in den 1980er Jahren Stoff für Titelseiten. Inzwischen sind der Staatschef Jean-Claude Juncker und sein Kronprinz, Finanzminister Luc Frieden, wegen Verdachts der Vertuschung ins Zwielicht geraten.
Als Geheimdienst-Experte wurde in der Enquete-Kommission auch der Bremer Abgeordnete und auf Bürgerrechte spezialisierte Anwalt Dr. Rolf Gössner angehört, dem der Verfassungsschutz drei Jahrzehnte rechtswidrig hinterher geschnüffelt hatte.
Von den deutschen Medien hatten sich für den Fall nur wenige und auch nur kurzzeitig interessiert, nämlich als ein verschrobener „Zeuge“ die Gerichtsbühne betrat, dessen Verschwörungstheorien allerdings offensichtlich gehochstapelt waren. Obwohl inzwischen die Luxemburger Opposition geschlossen den Rücktritt von Luc Frieden fordert und schon von Neuwahlen die Rede ist, interessiert das Thema die deutschen Edelfedern allerdings nicht die Bohne. Was sind auch schon eine Serie an Bomben, Geheimdienstskandalen und die Vertuschung rechtsstaatlicher Untersuchungen gegen den freien Zugang zum Getränkeautomaten einer fremden Fraktion in deren Kopierraum?
Nachdem wir letzte Woche eine erste Mahnwache auf dem Telekom-Campus in Bonn gehalten hatten und dabei ins Gespräch mit Telekom-Vertretern über die Bedeutung Netzneutralität und die Auswirkungen von deren Nichtachtung kamen, hat man nun die geplante Drossel zumindest gedrosselt: Statt auf 384 KBit/s soll nun nur noch auf 2 MBit/s herunter gedrosselt werden.
Ein versöhnliches Zeichen. :)
Reicht uns aber nicht. :(
Denn wenn man erst einmal eine solche Stellschraube einführt, dann wird da auch dran gedreht. Mit der Netzneutralität ist es wie mit „ein bisschen schwanger“ – entweder netzneutral, oder halt nicht. Da die Drossel ohnehin erst in ein paar Jahren eingeführt werden soll, müssten sich halbe Zugeständnisse auch am zu erwartenden Nutzerverhalten orientieren. Genauso wenig jedoch, wie heute die Angebote und damit die Nutzeransprüche auf dem technischen Niveau von 2003 angelegt sind, wird man in wenigen Jahren mit dem Mindeststandard von heute zufrieden sein.
Sofern eine Bevorzugung von Datenpaketen nicht technisch begründet ist, etwa bei Live-Kommunikation, gehen die Telkos die Inhalte und deren Ausmaß nichts an.
4. Juni 2013
2. Juni 2013
2009 las ich das Blogpost eines verhinderten Demonstranten, den die Berliner Polizei unter rechtsstaatlich unfassbarer Ignoranz willkürlich an der Teilnahme der absolut friedlichen „Freiheit statt Angst-Demo“ hinderte (sieht man einmal von der dort erfolgten Polizeigewalt ab). Ich bin daraufhin spontan der einzigen mir noch wählbar erscheinenden Partei beigetreten.
Weil die Welt ein Dorf ist, wohnte der Mann nicht irgendwo, sondern nur drei Straßen weiter von mir. Gestern saßen wir bei einer Feier zusammen, bei der man eigentlich durchgehend Spaß haben sollte. Dennoch verfolgten wir auf dem Smartphone die Geschehnisse in der Türkei und in Hessen – ausgerechnet das Bundesland, das 1970 durch Erlass des weltweit ersten Datenschutzgesetzes Bürgerrechtsgeschichte geschrieben hatte.
Es wird Zeit, dass der Staat wieder lernt, seine Bürger zu achten. Die SPD hat bekanntlich jede Sauerei gegen Bürgerrechte mitgemacht, die Grünen sind je nachdem, ob sie Macht zu verteidigen hatten, mitgedackelt, die Linkspartei muss sich ihre bürgerrechtsfeindliche Herkunft vorhalten lassen – wobei zur Ehrenrettung der DDR-Sicherheitskräfte zu sagen ist, dass es 1989 bei der friedlichen Revolution meines Wissens nicht einmal Schwerverletzte gegeben hat, so wie gestern in Hessen.
Damit der Staat nicht vergisst, wer der Souverän ist, treten Markus Bahrenhof und Markus Kompa aus Münster zur Bundestagswahl an. Wie schon 2009 werden wir die etablierten Parteien da kneifen, wo es sie am meisten schmerzt: Bei den Wählerstimmen, die wir ihnen abnehmen. Allein das ist es schon mehr als wert.
31. Mai 2013
Das mit den USA traditionell eng verbundene Königreich Saudi-Arabien verbietet Guy Fawkes-Masken. Gegen das Anonymisieren von Frauen, denen man die Burka zumutet, haben die Wüstensöhne nichts einzuwenden, aber mit den systemkritischen Masken mögen sich die Scheichs nicht so recht anfreunden.
Anonymität ist wichtig, der Verzicht hierauf („Ich habe nichts zu verbergen“) ist unsolidarisch. Viele Menschen haben sehr legitime Gründe, etwas zu verbergen. So sind etwa je nach Quelle der Statistik sind zwischen 6% und 10% aller Menschen eindeutig homosexuell, viele jedoch möchten durch ein offenes Ausleben die hiermit verbundenen sozialen Nachteile nicht inkauf nehmen. Ein bemerkenswert hoher Prozentsatz von Menschen fragt regelmäßig pornographische Inhalte nach, möchte jedoch nicht schief angesehen werden (häufig wohl gegenseitig). Viele Menschen haben private Probleme, Suizidversuche sind häufiger, als man denkt. Unter jedem Dach ein „Ach“. Und wer jemals in der Branche der Hundertausend Sexarbeiter tätig war, typischerweise nur einen befristeten Zeitraum, muss das nicht jedem auf die Nase binden.
Auch den Staat geht etliches einfach nichts an. Was das religiöse Bekenntnis in etlichen Dokumenten zu suchen hat, ist nur schwer nachvollziehbar. In den 1970er Jahren reichte eine kritische Einstellung zu Atomenergie aus, um einen Eintrag in die INPOL-Datei zu erhalten, was den Zugang zum Beamtenverhältnis behinderte. Und ganz verschissen hatte man, wenn man kummunistisches Gedankengut wie Antimilitarismus und gleiche Teilhabe pflegte. Wer sein Sex-Spielzeug über das Internet kauft, muss sich dabei nicht über die Schulter sehen lassen. Und auch im Gerichtssaal ist es eine Zumutung, wenn Menschen aufgrund filegesharter Pornofilme Aufschluss über ihre sexuellen Präferenzen geben müssen.
Wie es im Film „V for Vendetta“, der die Guy Fawkes-Masken populär gemacht hat, so schön heißt:
„Nicht die Bürger sollten sich vor dem Staat fürchten, der Staat sollte sich vor seinen Bürgern fürchten.“
30. Mai 2013
In Luxemburg stehen in einem inzwischen 39 Prozesstage währenden Verfahren zwei Polizisten auf der Anklagebank, denen das Vortäuschen der Bombenserie zwischen 1984 und 1986 zur Last gelegt wird. Schlagende Beweise für die Täterschaft gibt es nicht, jedoch zeichnet sich ein deutliches Bild, dass die Aktionen mit erheblichem Insiderwissen durchgeführt worden sein müssen und bei der Aufklärung massiv vertuscht wurde.
Eine derartig langfristige Täuschungskampagne zugunsten besserer Polizeiausstattung wäre jedoch ohne Beispiel. Die Anwälte der beiden angeklagten Polizisten sehen denn auch in den Attentaten eine militärische Handschrift. Inszenierte Attentate zur psychologischen Beeinflussung der öffentlichen Meinung gehören zum Standardrepertoire von Militär und Geheimdiensten. So fanden etwa der US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger und sein schwedischer Kollege Anfang der 1980er Jahre nichts dabei, die Bevölkerung vor vermeintlich russischen U-Booten zu verängstigen, die in schwedischen Hoheitsgewässern herumschnorchelten. Tatsächlich waren es U-Boote der NATO.
Was mich an dem Fall am meisten fasziniert: Die deutschen Medien berichten so gut wie gar nicht darüber, obwohl die Angelegenheit politisches und historisches Gewicht hat. Lediglich dem skurrilen „Zeugen“ Andreas Kramer war für kurze Zeit Aufmerksamkeit vergönnt, jedoch diente er publizistisch in erster Linie dazu, die Untersuchung lächerlich zu machen. Wenn ich mir ansehe, mit welch dürftigen Storys politische Journalisten dieser Tage Zeilen verschwenden, kann ich nur darüber staunen, wie man sich die wirklich starken Themen entgehen lassen kann.
24. Mai 2013
Wie schon in den vergangenen Wahlkämpfen wird auch der um den Bundestag partiell schmutzig geführt werden. Einen Vorgeschmack bietet eine Aktion der Berliner Grünen, die es offenbar schaffen, Nicht-Storys in den ihnen gefälligen Medien zu platzieren, um den politischen Gegner lächerlich erscheinen zu lassen. Nachdem mich bei gewissen Publikationen ja inzwischen gar nichts mehr wundert, tut es schon ein bisschen weh, dass sich ausgerechnet die TAZ für derartige PR-Aktionen instrumentalisieren lässt.
Wir haben gerade gewaltige Probleme in Deutschland, die thematisiert gehören. Petitessen wie die, ob ein Grünling im Fraktionsbereich der Piraten Anspruch auf unbeaufsichtigtes Gastrecht hat, haben eigentlich keinen messbaren Nachrichtenwert. An solch journalistischen Fehlgewichtungen sieht man sehr schön, was uns diesen Sommer noch so alles erwartet und welcher Journalist wohl mit wem in Berlin mal nett essen war.
Wenn die Grünen solche Nicht-Nachrichten lancieren, sollte man sie vielleicht einmal daran erinnern, dass sie mit ihrem eigenen Personal genügend Stress haben. So wurde vor einem halben Jahr der vormalige Grünen-Schatzmeister von Brandenburg für dreieinhalb Jahre ins Loch geschickt (aktuell nicht rechtskräftig), weil er vorher 270.000,- € abzweigte. Inzwischen genießt er Haftverschonung, könnte sich also ebenfalls in Fraktionsräume der Berliner Piraten begeben und dort etwa für die Dienste für bulgarische Prostituierten werben. DAS würde ich einen Skandal mit Nachrichtenwert nennen.
18. Mai 2013
Ich bin schwer dafür, dass sich Redaktionen, die für Talkrunden und Podien häufig reine Männerrunden ausgucken, auch mal Gedanken machen, ob sie vielleicht Frauen mit gleicher Qualifikation übersehen haben. Frauen müssen etwa im Beruf bekanntlich mehr leisten, um die gleiche Anerkennung wie Männer zu erfahren. Das sollten qualifizierte Redakteure im Hinterkopf und im Blick haben.
Wenn man jedoch allen Ernstes eine Frauenquote für Talkshows fordert, also das Geschlecht als Selbstzweck über eine Qualifikation stellt, dann ist ein solch ideologischer Eingriff in die redaktionelle Autonomie schwerlich mit der grundgesetzlich garantierten Meinungs-, Informations- und Rundfunkfreiheit zu vereinbaren.
Prof. Dr. Gesche Joost, die eben genau dies fordert, liefert selbst das beste Beispiel, wie gefährlich unqualifiziertes Personal ist:
„Eine generelle Vorratsdatenspeicherung ist kritisch – Ausnahmen kann es nur bei schwersten Straftaten und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geben.“
Hallo? Bei Speicherung auf Vorrat weiß man nicht, welche Daten „schwerste Straftaten“ betreffen. So schwer isses nicht. Und ausgerechnet diese „Expertin“ hat sich „Kanzlerkandidat“ Steinbrück als „Netzexpertin“ ins Team geholt. Dass es sich dann auch noch um eine Telekom-Lobbyistin handelt, braucht niemanden zu stören, schließlich leisten sich die GRÜNEN ja mit Kulturpolitikerin Agnes Krumwide eine GEMA-Lobbyistin.
16. Mai 2013
Als am Sonntag große Teile bereits abgereist waren, um ihre Beerdigungsreden über die Piratenpartei zu wegen der so nicht beschlossenen „Ständigen Mitgliederversammlung“ zu tippern, wurde das neue Abstimmungstool der Piratenpartei beschlossen, den „Basisentscheid Online – BEO“. Erstaunlicherweise haben unsere Qualitätsjournalisten das selbst drei Tage später noch nicht auf dem Schirm …