8. September 2012
Über zweieinhalb Jahre hatten sich die Herrschaften der BILD-Zeitung auf die Zunge gebissen, bis sie mit einem Gerücht mit einer Fallhöhe, die kein Boulevardjournalist toppen könnte, endlich ihr Papier verkaufsfördernd bedrucken konnten. Bereits im Sommer 2010 hatte BILD einen Testballon gestartet und das Tattoo von Bettina Wulff skandalisiert – was absolut lächerlich war, denn damals habe ich bei meinen Berlin-Besuchen so gut wie keine Frau unter 40 gesehen, die kein Tattoo trug. Da mir das Getuschel damals bereits bekannt war, war für mich offensichtlich, dass es sich bei der albernen und daher journalistisch nicht veranlassten „Tattoo-Story“ um Säbelrasseln gehandelt haben dürfte. Presserechtlich spielen zwei Aspekte eine Rolle:
Das Thematisieren von Sachverhalten unterhalb der Gürtellinie – unabhängig ob wahr oder nicht – ist grundsätzlich kein zulässiger Berichtsgegenstand. Ausnahmen gibt es nur, wenn eine Angelegenheit politische Dimensionen erreicht. So hätte über Clintons Affäre mit einer Praktikantin originär in Deutschland eher nicht berichtet werden dürfen, der sich entwickelnde Skandal darüber war jedoch zulässiger Berichtsgegenstand und ließ auch Informationen über Details der präsidialen Organpflege zu, die im Starr-Report nachzulesen sind. Unabhängig von der juristischen Dimension praktizieren alle großen Verlage den Ehrenkodex, dass über sehr privaten Angelegenheiten von Politikern und deren Angehörigen nicht berichtet wird. In der Bonner Republik wussten die Redaktionen von etlichen Seitensprüngen, in der Presse erschien damals nie etwas darüber. Allenfalls über Willy Brandt konnte man zwischen den Zeilen lesen. Auch bei Seehofer usw. waren es nicht die Journalisten, sondern die Büchsenspanner in der eigenen Partei. BILD selbst hatte sich in Sachen Wulff streng an diesen Ehrenkodex gehalten, allerdings machten jedoch Erzählungen die Runde, BILD habe da etwas aus dem Vorleben der Präsidentengattin, was Wulff wohl als „Partyvergangenheit“ abtat.
Der zweite juristische Aspekt betrifft die Zulässigkeit von Verdachtsberichterstattung. Man darf nicht einfach Gerüchte ins Blaue hinein kolportieren, auch bloße Andeutungen müssen sich Betroffene nicht bieten lassen. Um einen Verdacht presserechtlich zulässig äußern zu können, muss man ein Mindestmaß an Anhaltstatsachen aufbieten. Gegenwärtig (also in Hamburg) sind die Anforderung an Verdachtsberichterstattung so hoch, dass man rechtssicher praktisch fast nur noch über rechtskräftig verurteilte Straftäter schreiben könnte (und das auch nur innerhalb eines halben Jahres nach Rechtskraft). Wenn also ein Medium nicht mindestens verlässliche Zeugen aufbieten kann, die einen entsprechenden Verdacht substantiieren, sind solche Storys tabu. Hinzu kommt, dass bei Sachverhalten unterhalb der Gürtellinie nicht nur Verbote ausgesprochen werden, sondern für Betroffene auch fette Entschädigung in Geld angesagt ist. Solche hat es zugunsten von Frau Wulff offenbar gegeben.
Nun sind die Dämme anscheinend gebrochen, denn etliche Zeitungen halten es offensichtlich für einen zulässigen Berichtsgegenstand, über den juristischen Kampf von Frau Wulff gegen Medienhäuser und Blogger zu berichten, welche die Gerüchte aufgegriffen haben. Wer in derartigen Angelegenheiten klagt, stellt faktisch eine gewisse Öffentlichkeit her. Dies ist aber nicht ganz zu vergleichen mit der freiwilligen Selbstöffnung privater Angelegenheiten wie Homestorys und öffentlichen Lebensbeichten. Die Gerichtsberichterstattung wurde insbesondere durch Hamburger Judikate in den letzten Jahren sehr erschwert.
Medienrechtlich darf man sich auf die Schlacht des Jahres zwischen Frau Wulff und Herrn Jauch freuen. Jauch ist nämlich selbst als einer der aggressivsten Kläger in Sachen Presserecht überhaupt bekannt. Wer juristischen Stress nicht zu schätzen weiß, ist gut beraten, „Frau Jauch“ oder deren Kinder als nicht existent zu betrachten und über Jauch nur das zu berichten, was dieser dem Bildschirm anbietet. Dass nun ausgerechnet gegen Jauch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerichtet wird, ist daher besonders delikat. Ähnlich unverschämt wie Jauch agierte eigentlich nur noch Dieter Bohlen, der mit seinem Buch etlichen Menschen an die Wäsche ging, selbst aber zutreffende Berichte über die Schwangerschaft seiner Freundin verbieten ließ. (In einem von mir betreuten Fall hatte ich Bohlen das letztes Jahr abgewöhnt.)
Ich erlaube mir noch zwei persönliche Bemerkungen:
Ich vertrete einige Mandantinnen, die ihre Attraktivität selbstbestimmt und ohne Notlage beruflich einsetzen und dafür anständig honoriert werden. Es gibt keinen Anlass, diese Frauen geringer zu schätzen als andere Menschen. Und sie haben auch einen legitimen Anspruch darauf, die typischerweise zeitlich begrenzte Episode ihres Lebens privat zu halten.
Zum andern möchte ich festhalten, dass mir Frau Wulff in dem Moment, als ihr Gatte zurückgetreten ist, mit ihrer Haltung unheimlich imponiert hat. Andere Politiker-Frauen hätten diesen Termin mit Sicherheit nicht wahrgenommen – insbesondere „Frau Jauch“ traue ich eine solche Charakterleistung nicht zu. Herr Wulff mag als eine tragische Gestalt in die Geschichte eingehen, um seine Gattin allerdings ist er zu beneiden.

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7. September 2012
Der Bundesbeauftragte der Piratenpartei für Urheberrecht, Bruno Kramm, ist ein Insider im Musik-Business und kennt seine Pappenheimer von der GEMA. Gestern brachte er den Unfug bei der Demo in München auf den Punkt. Allein schon die GEMA-Vermutung, die eine im Gesetz nicht vorgesehene Beweislastumkehr, derzufolge Verwender beweisen müssen, dass sie keine GEMA-Musik spielten, ist nicht nachvollziehbar. Ein privater Verein, der merkwürdig geführt wird und allerdings durch Verwaltung 15% der Einnahmen verschlingt, hat quasi Behördenstatus. Un-fass-bar.
Siehe auch die Bohlensteuer:
6. September 2012
Sehr geehrter Herr Kollege Kompa,
hiermit zeigen wir Ihnen an, dass uns Herr Prof. Dr. XXXXX, die Nordrhein-Westfälische Kammer für Psychotherapeuthen sowie deren sämtliche 7.400 weiteren Mitglieder mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt haben. 7.402 Vollmachtsurkunden in Anlage anbei.
Namens und im Auftrag unserer Mandantschaft erteilen wir Ihnen hiermit mit sofortiger Wirkung
Hausverbot in sämtlichen Praxisräumen unserer Mandanten
und
untersagen Ihnen jeglichen Versuch einer Kontaktaufnahme mit ebendiesen.
Begründung:
Sie hatten unseren Mandanten Herrn Prof. Dr. XXXXX aufgesucht, weil Sie mit Ihren Aggressionen gegen einen gewissen Herrn Christopher Lauer nicht zurecht kamen. Unser Mandant hatte Ihnen eine Rollenspiel-Therapie vorgeschlagen, in welcher Sie die Rolle des Herrn Lauer einnehmen sollten. Nach einer halben Stunde kam es zu bedauerlichen Handgreiflichkeiten seitens Herrn Prof. Dr. XXXXX Ihnen gegenüber, für die wir seinen Schilderungen über Ihr Verhalten als Herr Lauer zufolge allerdings vollstes Verständnis haben. Inzwischen hat sich unser Mandant auf Anraten der Ärzte selbst in allerdings stationäre Therapie begeben und wird voraussichtlich daher vorläufig nicht zur weiteren Aufklärung des Geschehens beitragen können. Es ist jedoch nach Lage der Dinge davon auszugehen, dass von Ihnen erhebliche Gefahren ausgehen, die auch psychologisch geschultem und erfahrenem Personal nicht zuzumuten sind.
Seitens unserer Mandantschaft bedauern wir, Ihnen keine alternativen therapeutischen Angebote offerieren zu können und bitten um Verständnis für die Sicherheitsinteressen unserer Mandantschaft.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
XXXXXX
Rechtsanwälte
5. September 2012
Gestern Abend leuchteten die Augen etlicher Medienjuristen, selten war größere Heiterkeit: Auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg waren zwei fette Fliegerbomben entdeckt worden, und einiges sprach dafür, dass diese wie neulich in München gesprengt würden. An das Heiligengeistfeld grenzt nämlich das Landgericht Hamburg, und zwar genau der Flügel, in dem die Hamburger Pressekammer residiert. Dieser befand sich im inneren Kreis der drei Gefahrenzonen.
Den „fliegenden Gerichtsstand“ ausgerechnet mit Fliegerbomben zu bekämpfen, entbehrt nicht eines gewissen Charmes. Da in Hamburg noch rund 3.000 Blindgänger aus dem Zeiten Weltkrieg auf ihren Einsatz warten, besteht eine gewisse Chance, dass der eine oder andere Prozess eines Tages platzen wird.
Meine Hamburger Arbeitstage beginnen meistens am Hauptbahnhof Münster, wo neulich unter dem Gleis, das nach Hamburg führt, bei Bauarbeiten ebenfalls nacheinander zwei Fliegerbomben entdeckt wurden. Ich bitte daher um Verständnis, dass ich bei Hamburg-Einsätzen ab sofort Gefahrenzulage berechnen werde.
Seit heute bin ich wieder unter meinen alten Telefonnummern erreichbar, die mich am 11.07.2012 auf erstaunliche Weise verließen. Hätte mir damals jemand gesagt, was mich danach bei Vodafone erwarten würde, hätte ich mit Sicherheit die Gelegenheit zum Wechsel ergriffen.
WISO (ZDF) präsentierte neulich einen Vodafone-Kunden, dem noch krasseres widerfuhr.
3. September 2012
Der Dokumentarfilmer Hanno di Rosa recherchiert seit Jahren über Nigeria-Scams und sonstige Betrugskünste im Internet. Heute läuft um 22.00 Uhr auf WDR 3 seine Doku „Abgezockt im Internet“.
Ich habe gestern auf Twitter die Kommentare zur Jauch-Sendung verfolgt und erste Presseberichte gelesen. Es ist schon sehr verwunderlich, womit sogenannte „Experten“ durchkommen und weshalb man ihnen eine prominente Bühne gibt. In dem obigen Video von TTT wurde der missionarische Mumpitz des Herrn Spitzer bereits Mitte Juli verfrühstückt. Trotzdem entspinnt sich gerade (also nach der Sommerpause) eine Ping-Pong-Debatte innerhalb der Medienblase. Allerdings hat Jauchs „Experte“ Spitzer offenbar auch einen politischen Botschafter-Auftrag, den er auf CSU-Veranstaltungen sogar zum Besten gibt:
„(…) wies auf Gefährdungen durch Bildschirmmedien hin. Es komme bei verstärkter Mediennutzung zu Übergewicht, Aufnahmeschwierigkeiten und Lese- Rechtschreibschwächen, so der Mediziner. „Medienkonsum hat unter dem Strich negative Effekte auf die Entwicklung der Kinder“, so Spitzer. Es sei Aufgabe des Staates, die Eltern mit entsprechenden Regelungen und Gesetzen zu unterstützen. Spitzer brachte auch eine „Gewaltsteuer“, eine Steuer auf Gewaltdarstellungen, wie es sie in den Vereinigten Staaten gebe, in die Diskussion ein.“
Wollte man hierzu seriös bloggen, dann müsste man sich die Jauch-Sendung auch selbst ansehen, sowie das offenbar zur Fantasy-Literatur zählende Buch von Spitzer lesen. Einen Bildungsauftrag gegenüber Opfern analogen Alzheimers können wir Blogger allerdings nicht wahrnehmen, weil diese in der Gutenberg-Galaxis gefangen sind und keinen intellektuellen Zugang zu Blogs haben. Den vom Internet bereits Erleuchteten wiederum müssten wir nicht erst erzählen, dass das Internet je nach Gebrauch eine intellektuelle Angelegenheit ist, die jedermann kostenfreien Zugang zu Informationen ermöglicht und die Edukation revolutioniert hat. Zeitverschwendung also … ;)
1. September 2012
So sahen uns die Medien während des NRW-Wahlkampfes, der „kleinen Bundestagswahl“. Obwohl die NRW-Piraten das umfangreichste Wahlprogramm boten, beschränkte sich das durchaus vorhandene Medieninteresse auf Boulevard oder untergeschobenen Themen wie die Mär, wir würden das Urheberrecht abschaffen wollen – was wohl eher kein NRW-Thema war. Was können wir kommendes Jahr besser machen? Hierzu machen wir jetzt beim Barcamp im Unperfekthaus Essen einen Workshop.
30. August 2012
Morgen wird voraussichtlich die Vorsitzende Frau Käfer in der Zivilkammer 24 den päpstlichen Gesandten empfangen. Nachdem man sich in der Kantine mit dem freitäglichen Fisch gestärkt hat, wird man um 13.30 Uhr ein Stockwerk tiefer über die Provokationsprofis des Titanic-Magazins zu Gericht sitzen.
Chefredakteur Leo Fischer will mit der gesamten Redaktion zur Verhandlung an der mündlichen Verhandlung als „Beobachter“ teilnehmen und vor der Verhandlung symbolisch an den Michel zu ketten. Außerdem planen Politiker der Partei „Die Partei“ einen Mittelaltermarkt mit Jongleuren, Tanzbären und einem Pranger.
Das Kölner Domradio vermeldet 175 Beschwerden beim Deutschen Presserat. Schwach, da geht doch bestimmt noch mehr!
BRAEKING: Papst zieht zurück!

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26. August 2012
Dieser Tage wundern sich viele über den rasanten Anstieg der Gate-Produktion und die Possen, wer was im Namen oder im Anschein der Piratenpartei zu äußern oder zu unterlassen oder dieses zu verbieten oder das Verbieten zu unterlassen hat. Schon machen sich einige Kommentatoren Gedanken, ob die Pubertätsausbrüche der jungen Partei diese unter 5% drücken könnten oder die fähigen Leute vergraulen könnten. Wie nun aus einem mir zugespielten hochgeheimen Strategiepapier folgt, ist die aktuelle Häufung an Gates kein Zufall, sondern in Wirklichkeit Teil eines ausgebufften Masterplans:
Während des Wahlkampfs an der Saar, in Niedersachsen und in NRW war die Partei in einer empfindlichen Phase durch den Brandbrief der JuPis öffentlich in den Ruch einer Toleranz für rechtslastige Positionen geraten. Die Medien bissen sich an diesem Thema fest, statt sich mit den eigentlichen Inhalten der Piraten zur befassen (-> kein-programm.de). Derzeit haben die Piraten eine Wahl-Atempause, die strategisch geschickt genutzt wird, um es überall, wo möglich, knallen zu lassen und aufgestaute Energien abzubauen. Neben dem reinigenden Effekt und dem hiermit verbundenen Erkenntnisgewinn wird außerdem aktuell die Leidensfähigkeit und Shitstormresistenz aktiver Piraten getestet. Wer sich in ein solch schmutziges Geschäft wie die Politik begibt, der benötigt ein dickes Fell und muss damit umgehen, dass die eigentliche Arbeit selten Anerkennung findet. Nur die Harten kommen in den Garten!