19. September 2012
Der Deutsche Presserat hat gestern auf seiner Jahrespressekonferenz zur Zurückhaltung bei der Recherche in sozialen Netzwerken gemahnt. Diese seien kein Selbstbedienungsladen, Facebookprofile seien nicht mit Medienöffentlichkeit gleichzusetzen. Diese Frage lässt sich vermutlich nur über Fingerspitzengefühl, nicht aber juristisch praktikabel regulieren.
Vor einiger Zeit hatte ich einen lustigen Fall, bei dem ein unfähiger Journalist irrtümlich einen Forennamen einer anderen Person zuordnete und seinen Fehler nicht wahrhaben wollte. In dem er einer in der Öffentlichkeit stehenden Person Postings einer anderen unbekannten Person andichtete, und deren Content rechtswidrig veröffentlichte, griff der der Schreiberling in das Persönlichkeitsrecht zweier Menschen ein. Nachdem gutes Zureden nichts half, habe ich mir von beiden das Mandat erteilen lassen. Stunden später war der Spuk vorbei. :-)
Die Kunst respektvoller wie sachlicher Kommunikation in Textform haben wir noch immer nicht erlernt. Doch wenn man einmal hochrechnet, wie viele Stitstorms durch die Erfindung des heute vor 30 Jahren erstmals versendeten Emotikons vermieden oder gelindert wurden, so dürfte Scott Elliot Fahlman den einen oder anderen Weltkrieg abgewendet haben …
18. September 2012
Während die greisen Pornoproduzenten aus Villariba das Internet als Bedrohung für ihr Geschäftsmodell wahrnahmen und die Abmahnindustrie gegen ihre Konsumenten hochfuhren, haben ihnen innovative IT-Leute aus Villabacho längst das Geschäft aus der Hand genommen. Die WELT bringt einen bemerkenswerten Beitrag über den vermutlich erfolgreichsten Unternehmer in diesem Bereich.
17. September 2012
Passend zur aktuellen Renaissance der Verteufelung des Internets etwa durch Prantl und Friedrich hat die Gruppe Open-Site.org gerade eine eingängige Graphik im Propaganda-Stil über die Feinde des Internets ins Netz gestellt:


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16. September 2012
Dieses Wochenende haben die Berliner Piraten mal wieder getagt und programmatische und personelle Entscheidungen getroffen.
Ein Vorschlag, in Berlin die Schulpflicht abzuschaffen, fand tatsächlich eine Mehrheit. Das Thema hatten wir in NRW auch, kamen jedoch zu anderen Ergebnissen.
Bemerkenswert fand ich die Kandidatur des vor allem wegen seiner Latzhose bekannten Piraten Gerwald „Faxe“ Claus-Brunner, der sich um das Vorstandsamt bewarb. Brunner ist stolz auf seine – nennen wir es mal diplomatisch – „Berliner Schnauze“. Im Bezug auf die Diskussion einer Frauenquote machte er hiervon deftig Gebrauch. In der elektronischen und wohl auch sonstigen Kommunikation sieht Claus-Brunner die Grenze erst im strafrechtlichen Bereich, wie er in seiner Bewerbungsrede ausdrücklich wissen ließ. Bei sich trägt er häufig einen Hammer mit der sinngemäßen Aufschrift „Überzeugungsinstrument“. Bemerkenswerter als die Kandidatur an sich erscheint mir die Tatsache, dass 1/3 der anwesenden Berliner Piraten Claus-Brunner, der offensichtlich nicht über Fingerspitzengefühl verfügt, offenbar ernsthaft ihre Stimme gab.
In dem offenbar rauen Klima der Berliner Piraten fühlten sich nur wenige Frauen zu einer Kandidatur für irgendwelche Ämter ermutigt, obwohl es gerade in Berlin viele fähige Piratinnen gibt. Keine einzige Bewerberin wurde in den Vorstand gewählt.
In Bayern wiederum waren ebenfalls Vorstandswahlen. Ohne Frauenquote kam man hier im Vorstand auf 3 Frauen und 5 Männer. Ähnlich lief es vor kurzem in NRW. Auch in der Landesliste waren allein unter den Top 10 drei Frauen. In unserem Landesverband könnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Pirat mit frauenfeindlichen Äußerungen eine messbare Zukunft hätte. Vielleicht hat das eine ja mit dem anderen zu tun.
Der aktuelle SPIEGEL (Print) scheint wirklich interessant zu sein. So wird über die Pläne von Strauß für einen vorbeugenden Atomkrieg berichtet, der die Amerikaner beunruhigt habe. Allerdings scheint ausgerechnet Kissinger als vernünftig portraitiert zu werden. Ich bin gespannt, ob SPIEGEL auch berichtet, dass die Haltung von Strauß von 1:1 der Mentalität des damaligen Pentagons entsprach. Airforce General LeMay etwa setzte sich nach seiner Pensionierung als Kandidat für die Vize-Präsidentschaft sogar ganz offen für einen Dritten Weltkrieg ein.
By the way: Strauß forderte damals die „unbedingt notwendige“ Anschaffung des M65 Recoiless Nuclear Rifle ein – die schwachsinnigste Waffe, die je gebaut wurde, da der Schütze bei Gegenwind gleich mitverstrahlt wurde. Die Pläne der USA sahen übrigens vor, im Falle eines sowjetischen Einmarsches einen Korridor entlang der deutsch-deutschen Grenze mit Atomminen nuklear zu verseuchen. Dadurch wären in West-Deutschland Millionen Menschen durch den eigenen Staat verstrahlt worden.
Da dem SPIEGEL offenbar bislang geheime Dokumente vorliegen, hoffe ich, dass auch die mir von einem „Mr. X“ berichtete Anfrage von Adenauer an Kennedy während der Berlin-Krise dabei ist. So wurde mir aus zuverlässiger Quelle zugetragen, Adenauer habe damals die DDR atomar bombardieren wollen. Als dies die amerikanische Seite ablehnte, soll er gebeten haben, wenigstens „symbolisch“ eine DDR-Stadt zu bombardieren. Das Dokument ist meines Wissens bislang noch nicht freigegeben. Die ZDF-Zuschauer wählten Adenauer übrigens mal zum „größten Deutschen“.
Alles wird gut.
Der bislang von mir hoch geschätzte Herausgeber der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, hat entdeckt, dass das Internet ein böser Ort ist. In einem aktuellen Beitrag macht er das Internet für die Verbreitung der offenbar von Wulffs Parteifreunden 2006 lancierten Gerüchte über das angebliche Vorleben der gegenwärtig mediensuchenden Bettina Wulff verantwortlich und äußert auch sonst interessante Ansichten.
Hier die schönsten Zitate:
- „Simitis akzeptiert es nicht, wenn die neue Informationstechnologie mit der Meinungsfreiheit einfach gleichgesetzt wird – wie dies die Grünen und die Piraten tun.“
- „Es ist mit dem Internet ähnlich wie mit dem Auto: Man kann sich damit das Leben wunderbar erleichtern, man kann damit aber auch Leute totfahren.“
- „Für das Internet gibt es noch kaum Regeln.“
- „Wer vergisst? Wie vergisst er? Das geht im Internet nicht so leicht.“
- „Die Hetzer im Internet sind und bleiben meist anonym.“
- „Warum? Weil Konzerne wie Google riesige Maschinerien gegen das Recht auf Vergessen geworden sind.“
- „Das bisherige Internetrecht verdient nicht einmal das Wort Recht.“
Als Rechtsanwalt, der häufig Blogger mit seriösen Anliegen vor Gericht vertritt, sehe ich mich außerstande, auf diesen wirren Amoklauf sachlich zu reagieren. Ich verweise stattdessen auf meine Internetrechtsgeschichte „Von Links und rechtsfreien Räumen“.
Nachtrag: Prantl hat aufs falsche Pferd gesetzt.

admin •

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Die Online-Ausgabe des sogenannten Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL bringt gegenwärtig einen rührende PR-Story über Henry Kissingers (angebliche) Liebe für seinen deutschen Fußballverein. Ich bin immer wieder erstaunt, wie es deutschen Medien möglich ist, über diese Person unkritisch zu berichten. Hätte ein arabischer oder ein chinesischer Politiker einen deutschen Fußballverein besucht, wäre mit einiger Sicherheit auf irgendein Menschenrechtsproblem hingewiesen worden. Der SPIEGEL hielt es für journalistisch veranlasst, sogar den Vorsitzenden des Vereinssponsors zu feiern, wie es in provinziellen Anzeigenblättchen üblich ist.
Hoffentlich trat Kissinger in Fürth nur den Fußball und nicht irgendwelche Vietnamesen. Aus denen wollte er nämlich „die Scheiße heraustreten“. Im obigen Video sieht man eine auf Band festgehaltene Konversation zwischen Kissinger und Nixon, bei der beide darüber diskutieren, ob man in Vietnam durch Zerstören von Dämmen 200.000 Menschen töten solle, oder ob nicht eine atomare Lösung vorzugswürdig sei. Dieses Gespräch fand statt, nachdem Nixon sich im TV als friedliebend dargestellt hatte. Die Liste an Vorwürfen gegen Kissinger ist lang. Diese Woche wurde von Aktivisten des 39. Jahrestags des von Kissinger arrangierten Putsches in Chile vom 11.09.1973 gedacht.
10. September 2012
Gegenwärtig wehrt sich die vormalige 1st Lady gegen Google, weil sie sich durch die Funktion beeinträchtigt sieht, die automatisch weitere Suchwörter anbietet. Diese Vorschläge stammen von anderen Nutzern, die zuvor nach einer solchen Kombination gegoogelt haben (was dezent daran erinnern sollte, dass Google uns beobachtet). Soweit bekannt, gab es bislang fünf erfolglose Versuche anderer Kläger, diese Autovervollständigungsfunktion untersagen zu lassen. Die aktuelle Klage liegt allerdings etwas anders, so dass ich mich mit Prognosen lieber zurückhalte. In Sachen Haftung pflegt das Landgericht Hamburg bekanntlich sehr eigenwillige Ansichten. Am Landgericht Frankfurt war bereits ein Versuch erfolgreich.
Die Information, dass die anderen Nutzer diese Kombination gesucht haben, ist für sich genommen (vermutlich) nicht unwahr. Persönlichkeitsrechtlich gesehen ist vorliegend allerdings problematisch, dass auf diese Weise Sachverhalte unterhalb der Gürtellinie ventiliert werden, was nach deutschem Presserecht grundsätzlich unzulässig ist. Das in den prüden USA beheimatete Google filtert übrigens ohnehin gewisse Inhalte auch aus dieser Funktion aus.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass nun einmal auch Google anfällig für Manipulation ist. Aufgeweckte Hacker könnten Google mit inszenierten Suchanfragen bombardieren und auf diese Weise Menschen und Firmen in Misskredit bringen.
Es stellt sich daher für Google die politische Frage, ob, wo und ab welcher Schwelle in die Suchalgorithmen eingegriffen werden darf, kann oder soll. Auch, wenn es im Einzelfall weh tun mag: Rechtspolitisch kann die Antwort nur lauten: Netzneutralität. Alles andere führt uns in illusionäre orwellsche Welten. Ein „Informationsministerium“ wäre das Letzte, was die Menschheit weiterbringt.

admin •

10:42 •
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9. September 2012
Eine Partei, die sich zur internen Kommunikation in erster Linie elektronischer Tools wie Mailinglisten, Foren und Twitter bedient, hat ein Problem: Schon aus strukturellen Gründen produzieren diese Medien eigendynamischen Streit. Bereits an der Langzeitstudie Wikipedia, die tatsächlich weniger ein akademisches als ein politisches Terrain ist, lässt sich das Versagen elektronischer Medien für die interaktive Meinungsbildung demonstrieren. Es fehlt einfach der Kontext. Man weiß nicht, wer der andere ist, welchen Bildungshintergrund er hat oder über welche Lebenserfahrung er verfügt. Man sieht nicht die Emotionen, erkennt nur unzulänglich Ironie, ebenso wenig, ob ein Gesprächspartner möglicherweise sogar gerade betrunken tippert. Missverständnisse sind vorprogrammiert.
Hinzu kommt der Umstand, dass Menschen, die aus ideellen Motiven in politische Parteien gehen, ohnehin ein bisschen – sagen wir mal diplomatisch – „temperamentvoll“, manchmal auch reaktionär oder gar Christopher Lauer sind. Und in einer Partei, die sich aus Parteiverdrossenen rekrutiert, quasi dem Heise-Forum entsprungen ist und für die politische Auseinandersetzung den Begriff „Shitstorm“ geprägt hat, darf man nicht zwangsläufig menschliche Wärme erwarten.
Dieses Wochenende trafen sich in Bielefeld auf der „Flauschcon“ Piraten, die sich Gedanken über die Optimierung des innerparteilichen Umgangs miteinander machten. Wenn kommendes Jahr die Bundestagswahl ansteht, sollten die Hausaufgabe gemacht sein. Interessante Impulse gab es u. a. von Katharina Nocun über Neupiraten und Shitstorms sowie Strukturen ehrenamtlicher Politik.