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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Die Wikipedia frisst ihre Väter … Kurt Jansson und sein bockiges Kind

Bild: Flickr.com

Wie die Geschichte uns lehrt, wurden etliche Ordensgründer oder sonstige Vereinsmenschen von den Organisationen, welche sie initiiert hatten, später irgendwann einmal in die Wüste geschickt. „Die Revolution frisst ihre Kinder“ umschreibt ein ähnliches Phänomen, bei dem das Geschaffene eine Eigendynamik entwickelt, die letztlich den verdienstvoll Gutmeinenden überfordert, gar den Kopf kostet. Ein ähnlich tragisches Schicksal zeichnet sich bei Kurt Jansson ab, dem vormaligen Häuptling des Wikimedia e.V., der die deutschsprachige Wikipedia von der Stillphase bis durch Schulzeitalter begleitete. Gemessen an Internetjahren ist die Wikipedia inzwischen volljährig. (Einen Artikel „Internetjahr“ gibt es bei Wikipedia übrigens noch nicht.)

Schwieriges Promi-Kind

Doch das Kind „Wikipedia“ befindet sich in einer Trotzphase. Es widerspricht dem Vater, der auf seinem Erziehungsrecht beharrt. Genauer: Die Benutzer der Wikipedia haben eine eigene Vorstellung von dem, was Wikipedia ist oder sein sollte. Das verursacht Stress, der einen ersten Höhepunkt Anfang November erreicht hatte, als man zum Zwecke der Krisen-PR eine Pseudo-Podiumsdiskussion zu den Relevanzkriterien zu inszenieren versuchte, die trotz aller Kontrollversuche aus dem Ruder gelaufen war.

Wikipedia-Debatte Reloaded

Heute nun hat der Chaos Computer Club im Rahmen seines Kongressprogramms die missglückte Veranstaltung des Wikimedia-Vereins in Eigenregie neu aufgelegt, jedoch in zivilisierterem Umfeld unter liberaleren Umständen. Statt 42 unter seltsamen Formalitäten zugelassene Beobachter hieß der CCC einige Hundert Interessenten willkommen. Statt an der Tür provinziell barsch herauskomplimentiert zu werden, saß ich diesmal in der ersten Reihe, direkt gegenüber dem Podium – und blieb genauso friedlich, wie ich es im November geblieben wäre. Blogger Fefe, der die Relevanzdiskussion entscheidend geprägt hatte, wurde mit einer gewissen Selbstironie seitlich des Podiums auf einem Sofa platziert, wo er ersichtlich Spaß hatte.

Der Stream wird demnächst hier bzw. hier downzuloaden sein, eine Zusammenfassung bieten netzpolitik.org, heise.de und fefe himself. Daher möchte ich nur wenige Aspekte kommentieren.

Kein Wissen der Vielen, kein Formen der Realität

Die von Wikipedia bzw. Wikimedia gesandten Vertreter widersprachen dem häufig der Wikipedia unterstellten Anspruch, das „Wissen der Vielen“ zu sammeln. Dieses Label sei von Dritten angedichtet worden. Man sammele lediglich das „bekannte“ Wissen, also solches aus Quellen. Ob etwas wahr ist oder nicht, sei unerheblich, entscheidend sei vielmehr, ob es belegt ist. Sekundärquellen werden daher kurioserweise Primärquellen vorgezogen, ebenso tradiierte Lügen, die aufmerksame Leser möglicherweise korrigieren könnten – aber das wäre unerwünschte Theoriefindung

Ebenso wenig sei es erwünscht, die Realität durch Wikipedia zu beeinflussen. Dass Weltverbesserer bei wissenschaftlichen Projekten eher lästig sind, liegt auf der Hand. Hier wird es aber grundsätzlich spannend, denn Fortgeschrittene in Sachen Physik oder Medien wissen, dass ein Beobachter nun einmal stets sein Objekt beeinflusst, zwischen politischen Sachverhalten und deren kollektiver Wahrnehmung eine Wechselwirkung besteht. An dieser Stelle wollen wir es dabei belassen.

Murrt der Kurt?

Kurt Jansson ist es hoch anzurechnen, dass er sich in die Höhle des Löwen gewagt hatte, wo man nun einmal mehrheitlich anderer Auffassung als der harte Kern der Wikipedanten ist – und auch nicht durch Sperren seiner Stimme beraubt werden kann. Da mag man ihm seine anfängliche Larmoyanz durchgehen lassen, das Projekt Wikipedia erfahre seitens des CCC nicht ausreichend Anerkennung. Denn im Gegenteil hatte sich gerade der CCC oft für die Wikipedia stark gemacht, zumal nicht einer im Saal gewesen sein dürfte, der den grundsätzlichen Wert und die Leistung der Wikipedia-Macher infrage stellte.

Doch „Lieben heißt loslassen können“, wie es Wolfdietrich Schnurre einst propagierte. Die Loslösung vom Elternhaus bereitet Vater Jansson gewisse Schwierigkeiten. Noch immer sieht Jansson in seinem gehätschelten Kind seine Vorstellungen, nach denen es sich zu richten habe, ohne zu merken, dass sein jedermann präsenter Sprößling ein Eigenleben entwickelt hat. Die Realitätsferne Janssons trat in der Diskussion erstmals zutage, als er so nebenbei erwähnte, dass man beim Kochen ja auch nicht auf Wikipedia zurückgreife – genau aber solch einen praktischen Mehrwert wünschten sich offensichtlich die meisten Anwesenden.

Keine große Wikipedia-Verschwörung!

Hinterließ Jansson gut zwei Drittel der Zeit den Eindruck eines aufgeweckten Zeitgenossen, so trübte sich das Bild des Gastes mit Pharaonenbart schlagartig, als er zur Höchstform auflief: So wetterte Jansson gegen den – soweit ich es sehe, vorliegend gar nicht erhobenen(!) – Eindruck, in der Wikipedia gäbe es die ganz große Verschwörung usw. Offenbar handelte es sich hier um ein vorbereitetes Statement, das Jansson im ungeeigneten Moment ventilierte.

Nun ja, Cliquen-Bildung, Seilschaften und Meinungskartelle gibt es sehr wohl, oft sogar äußerlich wahrnehmbar: nämlich in Form der Wikipedia-Stammtische und Treffen, sowie im Wikimedia-Verein, der während der Veranstaltung überhaupt nicht zur Sprache kam. Jansson wird ihn kennen – er hat ihn nämlich selbst gegründet. Wie der Soziologe Christian Stegbauer nachgewiesen hat, ist die offline-Präsenz für Admin-Karrieren eine fundamentale Voraussetzung. Auch Streite innerhalb der Wikipedia werden im Zweifel zugunsten dessen entschieden, den man kennt.

So ist das nun einmal. Warum sollte es in der Wikipedia auch anders laufen als sonstwo? Warum kann man denn nicht einfach zu solchen Tatsachen stehen, anstatt sie zu negieren?

Fazit

So niveauvoll die Debatte auch verlief, erneut reduzierte man das Thema auf die Relevanzkriterien. Die anderen Strukturprobleme wie Artikelbesitzer, Admin Abuse und jede Menge Interessenkonflikte durch den Wikimedia Verein („Geld verdirbt den Charakter“), kamen leider nicht zur Sprache. Doch sowohl die lebhaft geführte Debatte, als auch die zahlreichen kritischen Anmerkungen, die anlässlich des Eine-Millionsten Artikels in der Tagespresse fielen, lassen hoffen, dass die reziproke Wahrnehmung der bemerkenswert kritikresistenten Wikipedanten aufgebrochen wird.

Eine Sache sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben: Jemand, der sich Verdienste um die Wikipedia wie Kurt Jansson erworben hat, sollte dort durchaus relevant genug für einen eigenen Artikel sein.

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Autor:
admin
Datum:
30. Dezember 2009 um 22:23
Category:
Allgemein,Internet,Medienmanipulation,Medienrecht,Meinungsfreiheit,Politik
Tags:
 
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Ein Kommentar

  1. Ein kleiner Jahresrückblick « Ucki`s Fotoblog

    […] Thementrennung .. es soll ja um den Jahresrückblick gehen. Und wie ich dank der Wikipediadiskussion lernen durfte ist ein Internetjahr 2,5 Monate lang. Da mein Blog nun also mehr als ein Jahr alt ist […]

    #1 Pingback vom 06. Januar 2010 um 22:32

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