In der Piratenpartei wird regional eine unterschiedliche Parteienkultur gepflegt. Etwa in den Landesverbänden Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, NRW, Niedersachen, Saarland, Thüringen, Hamburg und Schleswig-Holstein, die mit Abstand die meisten Piraten stellen, hat sich eine solide, demokratische Parteienkultur entwickelt. Dort hegt man hohe Ansprüche an Transparenz, legt gesteigerten Wert auf das Einhalten demokratischer Verfahren und pflegt eine offensive Fehlerkultur.
Beim Landesverband Berlin hingegen liefen die Dinge schon immer anders. Der legendär raue und unmenschliche Umgangston wird nirgends auch nur halb so primitiv und konsequent praktiziert wie bei den Berliner Piraten. Wer vom bemerkenswert ideologischen Berliner Kurs abweicht, wird quasi in Selbstjustiz per Shitstorm angegriffen, mundtot gemacht und ohne erkennbare Hemmung in die Nähe von Nationalsozialismus gerückt. Politik funktioniert dort auf allen Ebenen nach einem gnadenlosen Freund-Feind-Schema. Selbst Anschwärzungen bei Arbeitgebern und ähnliche Intrigen scheinen in Berlin akzeptierte Methode zu sein. Transparenz äußert sich allenfalls in der Weise, dass man Vetternwirtschaft nicht einmal mehr bemäntelt.
Versprach man einst Partizipation, Transparenz und Basisdemokratie, ist das Klima nunmehr auch auf Bundesebene von Klüngelei, Eigenmacht und Selbstjustiz geprägt. Da die Berliner beim Bremer Bundesparteitag einen demokratischen Wahlsieg von Stefan Körner befürchteten, unterstützten sie Julia Schramms Frankfurter Vertrauten Thorsten Wirth, der sich in seinem Landesverband Hessen allerdings nicht bewährt hatte. Im „Fahnengate“ und „Bombergate“ versagte Wirth dann auch auf ganzer Linie und redete stattdessen den Berlinern nach deren dumpfer Schnauze. Etliche Aktive traten daraufhin aus oder in #Orgastreik, die oben genannten Landesverbände bekundeten ihren Unmut in deutlichen Stellungnahmen. Nachdem drei Bundesvorstände schließlich am 16.03. zurücktraten, wurde der BuVo satzungsgemäß handlungsunfähig.
Aktuellstes Problem der Partei ist, dass diese auf Bundesebene derzeit noch immer nicht wieder satzungsgemäß vertreten wird. Statt eine kommissarische Vertretung zu ernennen, die unverzüglich einen außerordentlichen Parteitag hätte einberufen müssen, hat Wirth unter Missachtung des Verbots des Selbstkontrahierens mal eben sich selbst und die restlichen Bundesvorstände zum „kommissarischen BuVo“ ernannt. Von ihren Getreuen lassen sich die eigentlich entmachteten Ex-Vorstände „unser BuVo“ nennen. Bis zum heutigen Tag verschleppt „unser BuVo“ das unverzüglich gebotene Einberufen eines außerordentlichen Parteitags, ein solcher ist bislang lediglich für Ende Juni (!) angekündigt.
Es dürfte wohl auch der Fall des § 9a Abs. 11 der Satzung vorliegen. Wie sich inzwischen herausstellt, war „unser BuVo“ schon wegen der Urlaubsplanung der Beteiligten absehbar nicht in der Lage, seiner Aufgabe nachzukommen. Angebotene Hilfe wie etwa unterschriftsreife Verträge über BPT-geeignete Hallen usw. schlug Wirth großzügig aus. Nachdem „unser BuVo“ in einer hochnotpeinlichen „unser BuVo“-Sitzung Antworten angekündigt hatte, verbarrikadiert er sich zwei Wochen später arrogant im Hinterzimmer – die Antworten blieb er bislang schuldig. Kritiker des „unser BuVo“-Mimimi werden von Berliner Piraten scharf angegriffen – „Korpsgeist“ würde man diesen Treueschwur anderswo nennen.
Auch die von Berlin protegierte EU-Spitzenkandidatin Julia Reda glänzt mit Eigenmacht. Reda und ihre Berliner Ideologen waren beim BPT in Bochum mit ihrem Programmantrag eigentlich gescheitert. Doch demokratische Entscheidungen hinderten die vormalige JuPi-Vorsitzende natürlich nicht daran, in einem uninspirierten Wahlspot statt TTIP-Kritik genau diese Forderungen zu bringen, inklusive dem albernen Weltraumfahrstuhl nebst Weltraumfahrstuhlmusik. Wenn man Kritik an den aufgestellten Kandidaten übt, verweisen diese auf ihre demokratische Legitimation. Die galt den Berlinern allerdings einen Dreck für die demokratisch abgestimmte NRW-Liste zur jüngsten Bundestagswahl, weil die NRW-Kandidaten nicht durchgehend den ideologisch verbohrten Vorstellungen entsprachen. Ehrensache, dass die Berliner ihre Kollegen aus NRW und anderen Bundesländern bei ihren Berliner Presse-Spezis anschwärzten.
Eigenmächtig und damit definitiv nicht demokratisch handelten auch jene Berliner Piraten, die beim BPT in Bochum der Veranstaltung durch penetrantes Aufhängen von Antifa- und Anarchofahnen ihren Stempel aufnötigten („Fahnengate“).
Besonders faszinierend finde ich, wenn die Berliner Piraten altklug von Minderheitenrechten und am liebsten vom Feminismus predigen. Bei den letzten Berliner Vorstandswahlen wurde ein rein männlicher Landesvorstand gewählt, während etwa bei uns unbelehrbaren „Machos“ in NRW Frauen im Landesvorstand ganz selbstverständlich zahlreich vertreten sind. Minderheiten haben bei den Berlinern nur dann etwas zu melden, wenn sie ideologisch passen. Die linientreue Mentalität im Landesverband Berlin spiegelte sich auch in dessen sogenannten Landesschiedsgericht wieder, wo rechtsstaatliche Grundsätze keine allzu große Wertschätzung erfahren, während man dort hingegen Urteile gendert …
Als ich 2012 vor genau zwei Jahren in das Bundesschiedsgericht der Piratenpartei eintrat, sah ich mich damals alsbald zur Ansage veranlasst, dass ich meine Aufgabe als neutraler Richter ernst nähme, das auch von meinen Kollegen erwartete und für Klüngelei nicht zur Verfügung stünde. Statt sachlicher Auseinandersetzung reagierten Berliner BSG-Richter mit albernen persönlichen Angriffen. Nachdem wir uns dann berappelt hatten, war am BSG während meiner im letzten November ausgelaufenen Amtszeit kein nennenswerter Klüngelversuch mehr zu erkennen.
Beim BPT13.2 in Bremen wurde das BSG überwiegend mit Personen aus dem Landesverband Berlin und den bekanntlich Berlin-orientierten JuPis besetzt. Entsprechend linientreu fielen denn auch die jüngsten BSG-Entscheidungen aus, für die man sich einfach nur noch schämen möchte.
Hoffentlich läuft es in meiner anderen Partei Die PARTEI besser …
UPDATE:
Es kommentiert die laut BSG über jeden Verdacht von Klüngelei, Parteilichkeit und Unsachlichkeit erhabene vormalige Vorsitzende des LSG Berlin und aktuelle BSG-Richterin Daniela Berger, die bestimmt auch nie pöbeln würde:
Vielleicht sollte der
@KompaLaw sich ’ne neue Basis wählen?#lastTweets
Links 2014-04-29 | -=daMax=-
[…] markus kompa: Von der Mitmachpartei zur Eigenmachtpartei. […]
#1 Pingback vom 29. April 2014 um 17:25
Interessante Links und Nachrichten 28.04.2014ff - Pirat Aleks A.
[…] Markus Kompa aka @Kompalaw(u.a.) über die Legalität des Handelns des kBuVo und über Klüngeleien http://www.kanzleikompa.de/2014/04/28/von-der-mitmachpartei-zur-eigenmachtpartei/ […]
#2 Pingback vom 30. April 2014 um 20:32
Piraten: Parteigerichtsbarkeit oder Peergroup-Tentakel? » Rechtsanwalt Markus Kompa
[…] scheinen insbesondere BSG-Kollegen aus dem ideologisch aufgeladenen Landesverband Berlin, wo man zur Demokratie ein eher subjektives Verhältnis pflegt, nie so ganz verstanden zu haben. Zwei Berliner BSG-Richter schieden dann auch vorzeitig […]
#3 Pingback vom 19. Juli 2015 um 10:11