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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Interessieren sich die Piraten für Wählerumfragen?

Die SPON-Journalistin Annett Meiritz, eine bestens informierte Piraten-Expertin, kommentiert ein von den Demoskopen ausgemachtes Formtief der Piraten, analysiert mögliche Ursachen und äußert fundierte Kritik. Man würde sie fast als Pressesprecherin einstellen oder in politische Ämter wählen wollen. Aber nicht in allen Punkten stimme ich überein. Etwa die These, die Piraten seien durch die Wahlen „ausgebrannt“, scheint mir eine Phantomdiskussion zu sein.

Umfragewerte wichtig?

Zunächst einmal sei festgehalten, dass dieses Jahr keine Wahlen mehr anstehen und die Piratenpartei sich eigentlich ja genau von Populismus und Anbiederung bei Wählern abheben wollte. Qualitätswähler werden bevorzugt. Es wäre aber natürlich sinnvoll, wenn die Qualitätswähler die 5%-Hürde schaffen … Zwar verändern die Piraten durch ihre bloße Existenz die Parteienlandschaft und stimulieren die politischen Mitbewerber, aber ohne Aussicht, säumigen und korrupten Parteien Prozente streitig zu machen und mit echter Opposition zu bedrohen, wird das nicht dauerhaft funktionieren.

Showbiz

Die wichtigste – eigentliche – Bühne bieten derzeit die vier Landesparlamente, in denen ich souveräne Oppositionsarbeit sehen will. In den AGH-Flughafen-Untersuchungsausschuss, den keine Partei weniger verfilzt leiten könnte, als die Piraten, setze ich große Hoffnungen. Den anderen Parlamentariern, die etwa im Mai eingezogen sind, wird man eine gewisse Zeit an Vorlauf zubilligen müssen – schon der Sommerpause wegen. (Der Bundestag tagt erst wieder ab dem 11.09., der NRW-Landtag ab dem 12.09. Auch die für Piraten-Propaganda zuständige „heute-show“ sendet erst wieder ab kommenden Freitag.)

Die wichtigste – tatsächliche – Bühne bilden die Talkshows und politischen TV-Magazine (die ich als Nichtfernseher nur eingeschränkt verfolge und jede Sekunde genieße, in der ich etwa Dominik Rzepka nicht ertragen muss). Weil sich Menschen nun einmal für Menschen interessieren, arbeiten sich die auf Führungspersonen der Top-Down eingetakteten Journalisten eben an Parteichef und PolGF ab. Erster hat angekündigt, dass er absehbar nicht selbst in den Bundestag will, letzterer sorgte jedenfalls im Ergebnis mehr für Beschäftigung mit seiner Person, als mit den Inhalten der 35.000 Piraten. Die aktiven Piraten setzen nicht die Themen und agieren nicht, sie reagieren auf die Medien. Und selbst das nur schleppend. Wie bereits der Piraten-hassliebende Fefe mehrfach anmerkte, haben die Piraten ein sehr schwaches Timing, was das Positionieren zu tagesaktuellen Ereignissen durch Pressemitteilungen betrifft. Das ist vor allem dann ärgerlich, wenn piratige Kernthemen betroffen sind. :(

Provokation

Wie man es macht, ist’s verkehrt. So hatten – wie von Frau Meiritz angesprochen – neulich vier Piraten forsch agiert, nämlich mit der Anzeige eines Ministers wegen der Steuerflüchtlings-CD – und dafür etwa von der Basis Prügel bezogen. Unabhängig, wie man zu der Aktion stehen mag, so wurde aus der Anzeige von u.a. zwei NRW-Fraktionspiraten in der öffentlichen Wahrnehmung eine Anzeige „der Piratenfraktion NRW“ (obwohl von 18 Fraktionspiraten nicht mitgetragen), „der NRW-Piraten“ (wurden nicht gefragt), „der Piraten“ (dito) … In der öffentlichen Wahrnehmung stehen „die Piraten“, die eigentlich konsequent Rechtsstaatlichkeit einfordern wollten, nun da wie FDPler, die sich um die Bequemlichkeit ihrer steuerhinterziehenden Klientel sorgen. Jauch, der das Thema am Sonntag behandelte, waren „die Piraten“ keiner Einladung wert. Und die Bayern-Piraten wissen sowieso alles besser … ;-)

Fehlt es den Piraten an „Vision und Strategie„?

In einer basisdemokratischen Partei, die in einigen Feldern noch kein geschlossenes Programm vorweist (Außenpolitik, Wirtschaft), ist das mit der einheitlichen Strategie so eine Sache. Die Parteivorderen können ja sagen, was sie wollen, sie kriegen immer von jemandem drauf (auch von mir übrigens, wobei ich nur ein kleines Licht bin, aber immerhin Basis). Die Piraten formieren sich, demnächst gibt es ein Bundestags-Barcamp, im Moment sind sie keine Getriebenen.

Im Bundestagswahlkampf 2013 werden die Piraten sich höchstwahrscheinlich nicht wieder so trollen lassen, wie man es im NRW-Wahlkampf versucht hat, als man sie zum Hort der Nazis ausrief und desinfomierte Urheber aufhetzte. Es gilt jetzt, die Kinderkrankheiten in den Griff zu bekommen, Gemeinsamkeiten zu entdecken und herzustellen und die Gateproduktion herunter zu fahren. In NRW war es notgedrungen gelungen, innerhalb weniger Tage eine Mannschaft aufzustellen. An Bewerbern für den Bundestag wird kein Mangel herrschen. Und ich habe große Hoffnung, dass sich darunter Persönlichkeiten und politische Talente befinden, die ganz bewusst bisher die etablierten Parteien gemieden haben.

Die Piraten streben – hoffentlich – politische Macht nicht als Selbstzweck an. Wenn ich die Prognosen der „Parteienforscher“ von letztem Jahr mit der Realität abgleiche, scheint mir das kein ehrbarer Berufsstand zu sein. Was die Meinungsforscher heute über die Piraten unken, interessiert kommendes Jahr vermutlich nicht einmal die Historiker. Die derzeitigen Umfragewerte entsprechen 350% des letzten Bundestagswahlergebnisses. Ganz so dramatisch scheint es nicht zu sein. :-P

« Im Euroweb bleiben nunmehr unter 10% der Euros kleben – Gatekeeping: Geheimstrategie der Piratenpartei geleaked »

Autor:
admin
Datum:
22. August 2012 um 21:02
Category:
Allgemein,Internet,Medienmanipulation,Politik,PR
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