Nach nunmehr fast drei Jahren ist ein lähmendes Parteiausschlussverfahren zu ende.
Der Fall
Ein Pirat, Gründungsmitglied eines Landesverbands, hatte sich 2008 (also zwei Jahre nach Parteigründung von 2006) zu denkbar sensiblen historischen Themen in unqualifizierter Weise geäußert und sich dabei auf einen der Fälschung überführten Geschichtsrevisionisten bezogen. Hierfür wurde vom Bundesvorstand 2008 eine Verwarnung ausgesprochen, die der Pirat akzeptierte. Diese wurde also rechtskräftig.
2009 wurde der Pirat trotz seines Fehltritts zum Ersatzrichter des Bundesschiedsgerichts der Piraten gewählt. Als daraufhin seine unqualifizierten Äußerungen Medienaufmerksamkeit erfuhren und das öffentliche Ansehen der Piraten belasteten, forderte der Bundesvorstand eine deutliche Distanzierung, welcher der Pirat auf seine Weise nach kam. Nachdem sein Landesverband den Piraten 2009 für die Landesliste zur Bundestagswahl aufstellte, nahm der Bundesvorstand eine Neubewertung vor, enthob den Piraten einstimmig seiner Funktion, erkannte ihm für ein Jahr das passive Wahlrecht ab und beantragte am Landesschiedsgericht den Parteiausschluss wegen vorsätzlich parteischädigenden und satzungswidrigen Verhaltens.
§ 6 Abs. 2 der Piratensatzung (aktuelle Fassung):
Ein Pirat kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn er vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Piratenpartei Deutschland verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.
Das Landesschiedsgericht wies den Antrag nach der bemerkenswerten Dauer von zweieinhalb Jahren in einem erbärmlich laienhaft formulierten Urteil zurück. Das vom Bundesvorstand angerufene Bundesschiedsgericht bestätigte nun die Abweisung, allerdings mit anderer Begründung. Derzeit überbieten sich die Kommentatoren mit ihrer Entrüstung, einige suchen einen Schuldigen für dieses offensichtlich unpopuläre Ergebnis. Ist dem Bundesschiedsgericht ein Vorwurf zu machen?
Verfahrenes Verfahren …
Hätten die Piraten ein Scherbengericht, bei dem demokratisch darüber abgestimmt wird, ob ein nicht genehmes Mitglied in die Wüste geschickt werden soll, wäre vermutlich längst Rechtsfrieden eingekehrt. Ein solches Scherbengericht ist in der Satzung aber nicht vorgesehen. Es würde sich auch nicht mit dem Parteiengesetz in Einklang bringen lassen:
Ein Mitglied kann nur dann aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt.
Über den Ausschluss entscheidet das nach der Schiedsgerichtsordnung zuständige Schiedsgericht. Die Berufung an ein Schiedsgericht höherer Stufe ist zu gewährleisten. Die Entscheidungen sind schriftlich zu begründen.
Für die Tätigkeit des Schiedsgerichts ist eine Schiedsgerichtsordnung zu erlassen, die den Beteiligten rechtliches Gehör, ein gerechtes Verfahren und die Ablehnung eines Mitglieds des Schiedsgerichts wegen Befangenheit gewährleistet.
Stattdessen verlangt die Satzung also vielmehr eine politische Entscheidung des Bundesvorstands, den Ausschluss zu beantragen, sowie eine juristische Prüfung durch das Schiedsgericht, ob die Ausschlussvoraussetzungen nach § 6 Abs. 2 der Satzung vorliegen.
Ob die Voraussetzungen eines parteischädigenden Verhaltens erfüllt sind, lassen wir mal dahin gestellt, denn vorliegend scheitert der Ausschluss bereits an einem verfahrensrechtlichen Hindernis. Die Anwendung von Vereins- bzw. Parteienstrafen ist nämlich ihrer Natur nach Strafrecht, sodass gewisse rechtsstaatliche Verfahrensgrundsätze zu beachten sind („gerechtes Verfahren“). Einer dieser Verfahrensgrundsätze, die rechtsstaatliche Verfahren von polizeistaatlicher Willkür unterscheiden, heißt unter Adligen „ne bis in idem“: Wenn über einen Sachverhalt geurteilt wurde und die Entscheidung rechtskräftig ist, ist das Verfahren nun einmal abgeschlossen. Andernfalls nämlich könnte man sich nie auf den Bestand von Entscheidungen verlassen. (Es hat also schon seinen Grund, warum an entsprechende Verfahren von vorne herein hohe Sorgfaltsanforderungen gestellt werden. Das Landesschiedsgericht hatte übrigens nicht einmal dieses Problem gesehen …)
Vorliegend wurde das Verhalten des Piraten 2008 durch die Verwarnung des Bundesvorstands sanktioniert. Der damalige Bundesvorstand hatte von einem Ausschlussverfahren abgesehen und sich mit einer Verwarnung begnügt. Der Umstand, dass der Vorstand diese Bewertung später änderte, weil er das Ausmaß des (damals potentiellen) Schadens falsch eingeschätzt hatte, beeinflusst nicht den Bestand der Entscheidung.
Das spätere Verhalten des Piraten, nämlich die Kandidatur für Parteiämter und Landesliste, obwohl sein Ruf lädiert war, mag zwar wegen der hierdurch verursachten Presseaufmerksamkeit faktisch die Partei in Verruf gebracht und ihr dadurch geschadet haben. Die Kandidatur als solche ist jedoch ein demokratisch verbrieftes Recht eines Parteimitglieds und daher schwerlich als Satzungsverstoß vorwerfbar. Zwar gab es später noch weitere Vorwürfe wegen anderen fragwürdigen Äußerungen des Hobby-Historikers, diese reichten jedoch nicht an die Entgleisungen von 2008 heran.
Eine Partei, die für den Rechtsstaat eintritt, wird daran gemessen werden, ob sie die geforderten Standards für ein faires Verfahren auch an sich selbst anlegt. Hätte das Bundesschiedsgericht den fundamentalen Verfahrensgrundsatz des „ne bis in idem“ missachtet und nach Gutsherrenart geurteilt, hätte es sich nicht nur fachlich berechtigter Kritik der Willkür ausgesetzt, vielmehr hätte der betroffene Pirat auch vor einem konventionellen Gericht Klage erheben können, was in der Praxis durchaus vorkommt. Dann hätte das Verfahren noch eine Ehrenrunde gedreht.
Gewinner:
- Der (aktuelle) Bundesvorstand: Auch, wenn das Parteiausschlussverfahren von Anfang an wegen der bereits rechtskräftigen Verwarnung eine Totgeburt war, konnte der Bundesvorstand durch Betreiben des Verfahrens Haltung zeigen und signalisieren, dass die Partei sich künftig solches Verhalten nicht bieten lassen wird.
- Das Bundesschiedsgericht: Es hat demonstriert, dass es die rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze achtet und diese nicht einer möglicherweise populäreren Entscheidung opfert. (Die Mitglieder des Schiedsgerichts müssen nun ggf. einen Shistorm aushalten.)
- Die Piratenpartei: Sie hat eine Kinderkrankheit aus ihrer Frühzeit nun endlich hinter sich gebracht, wird sich künftig Bewerber für Parteiämter wohl genauer ansehen und eine Parteikultur etablieren, in der sich gewisse Personen nicht wohlfühlen.
Verlierer:
- Das betreffende Landesschiedsgericht: Wie auch immer sich das Verfahren gestaltet haben mag, aber wenn man zweieinhalb Jahre lang nicht zu Potte kommt, dann ist das Ergebnis für alle Beteiligten ein klarer fail. Rechtsstaatlichkeit bedeutet auch, dass Verfahren effizient betrieben werden müssen. Die unbrauchbar laienhafte Fassung des „Urteils“ lässt vermuten, dass die Beteiligten mit ihrer Aufgabe überfordert waren. Die Schlagzeilen, mit denen wir jetzt leben müssen, hätten der Partei 2010 weniger geschadet, zumal ein Parteiausschlussverfahren als Dauerbrenner einfach nicht sonderlich prickelnd ist. UPDATE: Das LSG hatte im Laufe des Verfahrens das untätige Personal ausgewechselt.
- Die Piratenpartei: U.a. dem GRÜNEN-Taktierer Volker Beck (
selbst eigentlich Jurist, Rechtsexperte seiner Partei, der es besser wissen müsste) ist es gelungen, aus dem gescheiterten Parteiausschlussverfahren populistisch Kapital zu schlagen. - Der betroffene Pirat. Er weiß es vielleicht noch nicht.
Die politische Geschäftsführerin ließ ihrem Temperament freien Lauf:
„Ich kotze im Strahl!“
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