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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Journalistische Sittenstrolche beim Report aus Mainz

§ 353d Abs. 3 StGB stellt mit bis zu einem Jahr Gefängnis unter Strafe, wenn jemand

die Anklageschrift oder andere amtliche Schriftstücke eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Disziplinarverfahrens, ganz oder in wesentlichen Teilen, im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind oder das Verfahren abgeschlossen ist.

Gäbe es die Voraussetzung „im Wortlaut“ nicht, hätte der SWR jetzt ein kleines Problem. Report Mainz hat Teile der Anklageschrift referiert, die Jörg Tauss schwer belasten. Ob das guter Journalismus ist, eine offenbar durch Indiskretion erlangte Anklageschrift zu verbreiten, mag ein jeder selbst entscheiden. Ebenso, ob der Zeitpunkt der Veröffentlichung so kurz vor der Wahl ein Zufall ist.

Die Piratenpartei hat durch diese Veröffentlichung ein massives Problem aufgrund ihrer kontrovers diskutierten Entscheidung, Tauss politisches Asyl zu gewähren, das jedenfalls PR-mäßig nicht zu unterschätzen ist. Die Tatsache, dass Tauss gar nicht für ein politisches Amt kandidiert, scheint irrelevant zu sein.

Ich hatte letzte Woche ein Treffen der Piraten hier in Münster besucht, wo für mich überraschend Tauss als Gast anwesend war. Der erfahrene Vollblutpolitiker erwies sich in seinem politischen Vortrag und in der anschließenden Fragerunde als sehr kompetent und in jeder Hinsicht überzeugend.

Aber genau aus diesem Grunde kann ich nicht nachvollziehen, dass sich ein erfahrener Politiker bei angeblich delikaten Recherchen nicht lückenlos absichern und Derartiges völlig allein auf sich gestellt tun würde.

Aber wie dem auch sei: Jeder hat einen Rechtsanspruch auf ein faires Verfahren. Die öffentliche Meinung allerdings wird nach diesen Vorwürfen ihr Urteil gefällt haben, was sich auf die Meinung der Richter mit hoher Wahrscheinlichkeit auswirken wird – und auch seine Wirkung auf den Spin bzgl. der Piratenpartei nicht verfehlen wird. Die Masse ist nun einmal unglaublich dumm und urteilt undifferenziert und assoziativ.

Journalisten haben die Rolle des Beobachters. Durchgestochene Anklageschriften verbreiten kann jeder Blogger, sogar jeder „Leser-Reporter“. Dafür brauche ich keinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Schon gar keinen, der sich in Wahlkämpfe einspannen lässt.

UPDATE: Stellungnahme des Angeklagten.

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Autor:
admin
Datum:
23. September 2009 um 00:34
Category:
Allgemein,Beweise,Medienmanipulation,Verdachtsberichterstattung
Tags:
 
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