Vor genau einem Jahr hatte ich für einen Mandanten eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Hamburger Fehlurteil bzgl. der Haftung für User Generated Content (Foren, Wikis, Blogs) eingelegt. Nunmehr kam aus Karlsruhe ein Signal, das hoffen lässt:
Eine Zeitung hatte im sogenannten „Pressespiegel“ die Meldungen bzw. Meinungen der Mitbewerber abgedruckt (was im UrhG eigens erlaubt wird, um die Meinungsvielfalt zu fördern). Dummerweise riskiert man bei der Wiedergabe fremder Inhalte, dass diese ggf. unwahr oder sonstwie persönlichkeitsrechtsverletzend sind. Die Printmedien haben also ein ähnliches Problem wie Forenbetreiber mit User Generated Content. Inwieweit also muss man anderer Leute Informationen überprüfen?
Nach Art des Hauses hatte die Pressekammer des Landgerichts Hamburg der Zeitung die volle Haftung für die mögliche Verbreitung einer fremden Falschmeldung auferlegt, und auch das hanseatische OLG hat die Entscheidung mitgetragen. Da die Zeitung leider auch andere Fehler gemacht hatte, wies das Bundesverfassungsgericht nun eine Verfassungsbeschwerde ab. Es ließ aber in einem sog. „obiter dictum“ die Hamburger wissen, dass allein durch den unkommentierten Abdruck noch kein zu-Eigen-machen vorliegt. Prinzipiell reiche der Hinweis, dass es sich um einen Pressespiegel handele, als Distanzierung aus.
Das hier geht runter wie Öl:
(…) Der Schutz von Tatsachenbehauptungen endet erst dort, wo sie zur Meinungsbildung nichts beitragen können, so dass nur die bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst wird (vgl.BVerfGE 54, 208 <219>; 61, 1 <8>;90, 241 <247 f.> ). Zum von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Kommunikationsprozess kann auch die Mitteilung einer fremden Meinung oder Tatsachenbehauptung zählen, und zwar auch dann, wenn der Mitteilende sich diese weder zu eigen macht noch sie in eine eigene Stellungnahme einbindet, sondern die fremde Äußerung lediglich verbreitet. Es ist Teil des meinungsbildenden Diskussionsprozesses, dessen Schutz Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Sinn hat, sich und andere auch über Stellungnahmen Dritter zu informieren (vgl.BVerfGE 85, 1 <22> ), etwa weil der Verbreitende sie für begrüßenswert hält, weil er ihr ablehnend gegenübersteht oder weil er sie aus sich heraus für bemerkenswert erachtet.
Mehr noch:
Die Wiedergabe andernorts zuvor veröffentlichter Berichte im Rahmen einer Presseschau bzw. eines Pressespiegels ist daher selbst dann von der Meinungsfreiheit geschützt, wenn die fremde Äußerung weder kommentiert noch in anderer Weise in eine eigene Stellungnahmen eingebettet, sondern schlicht um ihrer selbst willen referiert wird.
Das hier wird die Hamburger, die Blogger grundsätzlich wie Redaktionen großer Verlage behandelt, irritieren:
(…) Die Rechtsprechung der Zivilgerichte stellt einen Ausgleich dieser widerstreitenden Belange regelmäßig dadurch her, dass sie demjenigen, der nachteilige Tatsachenbehauptungen über andere aufstellt, Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt auferlegt, die sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten richten (vgl. BGHZ 132, 13 <23 f.>) und etwa für Medien strenger sind als für Privatleute (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 1966 – VI ZR 266/64 – NJW 1966, S. 2010 <2011>; Urteil vom 12. Mai 1987 – VI ZR 195/86 – NJW 1987, S. 2225 <2226>).
Und jetzt kommt’s:
(…) Erlegte man der Presse in diesen Fällen eine uneingeschränkte Verbreiterhaftung auf, führte dies dazu, dass die Tatsachenbehauptungen, die in dem wiedergegebenen Auszug enthalten sind, von dem Verfasser der Presseschau auf ihren Wahrheitsgehalt hin wie eigene Beiträge zu überprüfen sind. Eine solche Recherchepflicht wirkt jedenfalls dann maßgeblich auf den Kommunikationsprozess ein, wenn die Fachgerichte zugleich hohe Anforderungen an eine haftungsbefreiende Distanzierung der Presse stellen.
Crescendo!
(…) Es ist zumindest zweifelhaft, ob angesichts dessen von der Presse in jedem Fall eine weitergehende Distanzierung zu verlangen ist, um eine Haftung als Verbreiter für die in einer solchen Presseschau wiedergegebenen Fremdberichte vermeiden zu können. Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht vielmehr einiges dafür, auch im Fall der Veröffentlichung eines Fremdberichtes – ähnlich wie bei der Veröffentlichung von Leserbriefen – die Recherchepflicht des Verbreiters einzuschränken beziehungsweise die eindeutige Kennzeichnung als gekürzter Fremdbericht im Regelfall als hinreichende Distanzierung ausreichen zu lassen.
Im Klartext: In Karlsruhe versteht man, Zeitungen so zu lesen, wie sie geschrieben werden. Beiträge Dritter macht man sich nicht automatisch zu Eigen. Die Logik der Hamburger, die sich von gewissen Anwälten jeden Floh ins Ohr setzen lassen, zieht in Karlsruhe Karlsruhe nicht. Der Weg dahin ist weit, aber er lohnt sich.
Jetzt heißt es: Daumen drücken für meinen Mandanten. Und das Web 2.0.