Heute erschien ein Audio-Mitschnitt der Podiumsdiskussion über den Konflikt zwischen Wikipedianern und Akademikern, die letzten Samstag in Leipzig den Höhepunkt der Konferenz „Wikipedia – Ein kritischer Standpunkt“. So richtig spannend und prägnant ist es nicht geworden, bietet aber einen gewissen Einstieg in die Problematik. Bemerkenswert offen äußerte ein Wikipedianer seine Einstellung, dass er gar nicht den Anspruch hat, andere mitmachen zu lassen. Diese Leute betrachten die von ihnen eroberten Bereiche der Wikipedia schamlos als ihr „Revier“, was das Konzept des Wikis konterkariert.
Die Alltagsbedeutung der Wikipedia ist unverkennbar, die Sammlung von enzyklopädiertem Wissen, das im Prinzip von jedermann evaluiert und bereichert werden könnte, ist einer der Erfolgsgeschichten in der vernetzten Kommunikation. Das Problem ist, dass sich nicht etwa die Besten der Besten an dem Projekt beteiligen, sondern dass sich die „Community“ zu einem Closed Shop entwickelt hat, der neue Autoren durch Schnelllöschung und rauen Arbeitston wegeekelt und selbst darüber befindet, was denn „die Wahrheit“ oder überhaupt relevant ist.
Ich habe mir in den letzten Jahren diese Community und ihre Protagonisten genauer angesehen. Ich bin jedes Mal aufs Neue entsetzt, dass ein auf den ersten Blick so zivil und akademisch wirkendes Projekt von Leuten dominiert wird, deren Sozialverhalten und Niveau man nur schwer charakterisieren kann, ohne als beleidigend empfunden zu werden. Wer sich ein Bild über vordemokratischen Zustände dieser Leute machen möchte, muss nur mal die Vereins-Mailingliste der letzten Tage durchlesen, wo man gerade irgendwelche Formalitäten an den Haaren herbeizieht, um ein 10%-Quorum zu behindern, das eine außerordentliche Hauptversammlung herbeiführen könnte.
Es gehört zum guten journalistischen Stil, dass ein Journalist eigene Angelegenheiten nicht thematisiert. Bei mir gab es zwei Interessenkonflikte:
Interessenkonflikt 1: Autorenerfahrung
Zwischen 2005 und 2007 hatte ich in der Wikipedia editiert, bis ich mal überraschend gesperrt wurde, obwohl es keinen nachvollziehbaren Grund hierfür gab. Als ich dann heraus fand, dass meine Kontrahenten inklusive sperrende Admins allesamt Stammtischbrüder des Wikipedia-Stammtisches Hamburg waren, habe ich aus Protest eine Satire darüber verfasst und mich demonstrativ selbst sperren lassen.
Aus diversen Gründen bin ich dann doch wieder zum Projekt zurückgekehrt, wo es nicht das geringste Problem gab, bis ich Mitte 2009 einen Wikipedianer kritisiert hatte, dessen Verhalten mir hochneurotisch vorkam, und der mir durch seine Intriganz die Sperren von 2007 beschert hatte. Weil ich im Gegensatz zu meinen Kontrahenten keine Kraftausdrücke verwenden wollte (und in der Wikipedia bis heute nicht getan habe), hatte ich meinen neurotisch handelnden Gegner als „Neurotiker“ bezeichnet, was überwiegend sachlich gemeint war. Obwohl in der Wikipedia ein bemerkenswert rauer Arbeitston herrscht, wurde mir das als so schreckliche Beleidigung ausgelegt, dass ich „infinit gesperrt“ wurde. Diese Klüngelei fand ich so widerlich, dass ich den Kindergarten umgehend verließ. Ich verzichtete bewusst auf eine Sperrprüfung, beantragte Accountnamensänderung und dann die größtmögliche Stilllegung meines Accounts, weil ich mit der Wikipedia nichts mehr zu schaffen haben wollte.
Da ich in der Wikipedia nicht mehr aktiv werden wollte und durch meine Erfahrungen eine gewisse Kompetenz zum Thema habe, empfand ich diese frühere Autorentätigkeit nicht als Interessenkonflikt, der mich an einer journalistischen Berichterstattung gehindert hätte. Das hat die Redaktion auch so gesehen. Ich darf mit einem gewissem Stolz bemerken, dass sich nur wenige andere deutsche Journalisten ähnlich häufig und fundiert mit der Wikipedia auseinander gesetzt haben:
- „Ich kam schon in einer Zeit zurecht, als es gar keine Wikipedia gab“ (Medien-Satire)
- Offline-Sperrung (Bericht und Kommentar zur legendären Podiumsdiskussion vom 05.11.2009)
- Wikipedia soziologisch betrachtet (Interview mit dem Netzwerkforscher Dr. Christian Stegbauer)
- Die Wikipedia-Profiler – Cyber-Jagd auf infiltrierte Phantom-Agenten (Über Sockenpuppenjäger)
- Wikipedia: Feuchtgebiet 2.0 (Glossierender Bericht über die Löschdiskussion eines pikanten Artikels)
- Landgericht Hamburg lockert Haftung für nutzergenerierte Inhalte (Haftungsabwehr durch fragwürdiges Bestreiten der juristischen Verantwortung)
- Wikipedia und die Spieltheorie (Kritik des Soziologen Dr. Thomas König an den Wikipedia-Regeln)
- „Wikipedia – ein kritischer Standpunkt“ (Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Christian Pentzold über die Wikipedia-Regeln)
Interessenkonflikt 2: juristische Auseinandersetzung mit Verleumdungen
In der kommenden Folge werde ich schildern, wie sich ein Konflikt mit Wikimedia e.V. entwickelt und hochgeschaukelt hat, der sehr wohl einen Interessenkonflikt auslöste. Aufgrund sehr befremdlicher Verleumdungen und einer soziologisch hochspannenden Kultur des Wikimedia e.V. und dem Gebaren seines unglücklich agierenden Geschäftsführers sah ich mich gezwungen, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, was ich in den kommenden Folgen dieser Serie näher ausführen werde.
Zwar kann es eigentlich nicht richtig sein, dass ein ursprünglich unparteiischer Journalist durch Angriffe zur Verteidigung provoziert und auf diese Weise zur Partei gemacht wird. Aber im Ergebnis lässt es sich nicht abstreiten, dass ich aufgrund der wirklich unterirdischen Erfahrungen, die ich in den letzten 11 Monaten mit Wikimedia e.V. gemacht habe, meine Distanz zum Thema verloren habe. Trotz Bemühens um Neutralität KANN ein Journalist, der sich mit seinem Berichtsobjekt Gerichtsprozesse liefert, per Definition nicht den professionellen Abstand leisten, der guten Journalismus auszeichnet. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache“ formulierte einst Hanns Joachim Friedrichs.
Mein jüngster Beitrag über die ominösen Umstände der hinter dem Rücken der Vereinsöffentlichkeit eingestielten „gemeinnützigen Wikimedia Fördergesellschaft mit beschränkter Haftung“, die offensichtlich den gut im Speck des neureichen Vereins sitzenden Pöstcheninhabern ihre Einkommen sichern helfen soll, war zumindest in dieser Wertung bewusst scharf und hat vielen die Augen geöffnet. Inhaltliche Schwächen sind mir bis jetzt nicht bekannt (außer, dass ich den Anteil der sinnvollen Investionen in die Technik noch bei weitem zu hoch angegeben hatte, da sich die Zahlen auf 2008 bezogen). Die mir inzwischen per Mail und öffentlich gestellte Frage, warum Telepolis diesen Beitrag „aus redaktionellen Gründen“ gelöscht hat, kann ich daher nicht beantworten. Im Gegenteil war der Beitrag sogar noch viel zu harmlos.
Ich schätze den Heise-Verlag und speziell Telepolis sehr. Es ist aufgrund meiner gewachsenen Rolle als Kritiker und Prozessgegner dem Verlag nicht zuzumuten, dass er in Mitleidenschaft meines schwelenden Konflikts mit Wikimedia e.V. gezogen wird. Ich werde daher die Berichterstattung in dieser Angelegenheit nicht mehr in anderen Medien persönlich fortsetzen, sondern mich als Privatmann hier in meinem Blog äußern und die bereits interessierten Medien mit Informationen versorgen. Was mir in den 11 Monaten alles über Wikimedia e.V. und dessen Vereinsgeschichte zugetragen wurde, könnte locker ein ganzes Buch füllen. Arbeitstitel wäre: „Geld verdirbt den Charakter“.
Da ich künftig gegenüber Wikimedia e.V. insoweit nicht mehr den Verlag repräsentiere und mir daher auch keine Interessenkonflikte mehr nachsagen lassen muss, kann ich mir hier im Blog nunmehr gewisse Freiheiten erlauben, die ich mir vorher verkniffen hatte. Außerdem kann ich anwaltliche Mandate gegen Wikimedia e.V. ohne journalistische Interessenkonflikte annehmen. Deutlicher möchte ich heute nicht werden, verweise aber auf die Überschrift des Blogposts.