Zum Inhalt springen


Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Seltsames Erlebnis in Berlin

Berlin Innenstadt. Aus einem am Straßenrand parkenden Auto ruft mich jemand heran, mit einem Stadtplan gestikulierend. Ich trete durch den kleinen Schneeberg heran, eigentlich nur, um dem Mann auf dem Beifahrersitz höflich zu sagen, dass ich selbst fremd hier sei.

Der gut gekleidete Italiener in einem durchaus vorzeigbaren Auto will jedoch nur ungefähr wissen, wie man auf die Autobahn findet und verwickelt mich in ein Gespräch. Er und sein Kumpel wollten zum Gardasee, da müsse er wohl nach Süden. Er macht mir plötzlich Komplimente, ich sei ein netter Mann, fragt, ob ich Italien möge. Klar, jeder Deutsche mag irgendwie Italien. Er wolle mir ein Geschenk machen. Ich werde stutzig. Ist das eine Guerilla-Werbeaktion? Ist das ein Test? Versteckte Kamera?

Er zeigt mir einen Kleidersack einer bekannten italienischen Marke, der zwei italienische Anzüge enthält, sowie Hemden (nur knapp zu groß), Gürtel und Krawatten. Er wolle sie mir schenken, das sei eine Art Werbung, er arbeite hier im [bekanntes Kaufhaus]. Er reicht mir den Kleidersack durch das Autofenster, die seien über 3.000,- Euro wert. Ich lehne mehrfach ab, aber er insistiert, bis ich das Zeug schließlich in Händen halte und überlege, ob die Anzüge sitzen würden (ich trage eigentlich nur Maßanzüge). Ist der Typ ein verrückter Millionär, der einen guten Tag hat?

Lächelnd reiche ich ihm den Kleidersack wieder zurück. Ich kann mir von einem Fremden nichts schenken lassen. Ich erinnere mich an einen Professor, der mal sagte: „Wenn Ihnen irgendjemand was schenken will, gehen Sie nicht weg – rennen Sie!“

Nun rückt der spendable Italiener endlich mit seinem Begehr heraus. Er und sein Freund müssten übers Wochenende zum Gardasee, Montag sei er wieder in Berlin. Ich nicht. Woher ich komme? Der temperamentvolle Mann mit den guten Manieren verwickelt mich in ein Gespräch.

Beide hätten beim Glücksspiel alles verloren. Seine Frau dürfe das nicht erfahren. Die EC-Karte würde auch nichts ausspucken. Ob ich helfen könne. Er würde es zurückzahlen. Ich könne gerne die Anzüge behalten, aber er habe gerade das Problem, dass er kein Benzin mehr im Tank hätte und irgendwie zum Gardasee. Mein Statement, ich hätte kaum Bargeld dabei beeindruckt den Charmeur nicht. Er bittet mich, mit ihm zur Sparkasse zu fahren. Mehr aus Gaudi steige ich ein, darf sogar vorne sitzen. Der andere Typ sagt kein Wort. Ich frage, was er denn konkret wolle. Ob ich eine Tankfüllung auslegen solle. Der Mann erzählt mir in gebrochenem Deutsch etwas über die Maut in Österreich, auch brauche er mehrere Tankfüllungen. Er denkt so an 200 Euro. Allein die Anzüge seien über 3.000,- Euro wert.

Es hat den Anschein, als wollten die beiden plötzlich mit mir in eine Tiefgarage fahren. Ich bleibe cool, das war nur ein Wendemanöver. Während ich dem Mann erkläre, dass vielleicht seine Botschaft ihm weiterhelfen könne, erzählt er mir von seiner Frau usw. Ich könne seinen Namen notieren. Ich bitte ihn um seinen Ausweise, den er mir schließlich auch zeigt. Keine Ahnung, wie ein italienischer Ausweis auszusehen hat. Beim Aussteigen meinen sie noch, ich könnte mein Gepäck im Auto lassen, was ich dankend ablehne.

Als eingefleischter Historiker in Sachen Falschspiel frage ich mich die ganze Zeit über, wo genau die Masche liegen dürfte. Ich hatte großen Spaß bei der Lektüre des Klassikers „The Big Con“ des Linguisten David Maurer über Betrugsmaschen des Amerika der 30er Jahre, bei der oft die Leichtgläubigkeit von Fremden ausgenutzt wird. Ich war überglücklich, mal einem entsprechenden Profi bei der Arbeit zuzusehen. Um ehrlich zu sein, ich wäre fast geneigt, den beiden 200,- Euro als verdientes Honorar für eine gelungene Show sowie ein Erlebnis-Seminar zu bieten. Der Italiener dürfte nicht die geringste Ahnung haben, dass er es mit dem deutschen Biographen von John Scarne (Orlando Carmelio Scarneccia) zu tun hat.

Die Anzüge dürften zweifelhafter Herkunft oder oder aus anderem Grunde bedeutend weniger wert sein. Angesichts der Routine des Italieners, mir bei jeder Frage auszuweichen und eine neue Geschichte zu erzählen, dürfte ausgeschlossen sein, dass die aufgetischte Version echt ist. Die machen das definitiv professionell. Bei einem Streitwert von 200,- Euro dürfte mir eine Adresse in Italien nicht allzu nützlich sein.

Der Italiener kommt mit ins Innere der Bank, muss also riskieren, gefilmt zu werden. Sportlich. Er verrät sich jedoch, indem er darauf hinweist, ich könne ja auch die Nummer des Autos notieren, es sei ein deutsches Auto. Er sagt dann jedoch, es sei bei HERTZ geliehen. Na toll, was für eine Sicherheit!

Ich mache ihm noch Vorschläge, er solle seine Anzüge doch besser zum Pfandleiher bringen oder der Bank als Sicherheit für einen Kleinkredit anbieten. Oder sich an die italienische Botschaft wenden. Ich sei nunmal kein Geldverleiher. Irgendwann wird mein neuer Freund dann doch pampig und meint, er habe die Schnauze voll. Stapft zum Auto gestikuliert noch. Beinahe könnte man Mitleid mit ihm haben.

Bei seinem Redetalent und seiner psychologisch geschickten Gesprächsführung erinnert mich der Mann an Mandanten aus dem Handelsvertreter-Bereich. Da habe ich Leute kennen gelernt, die Eskimos Kühlschränke verkaufen konnten. Ich war zwischendurch auch wirklich nahe dran gewesen, denen wenigstens eine Tankfüllung zu spendieren. Schließlich hatte ich ja zwei Anzüge im Wert von über 3.000,- Euro geschenkt bekommen …

Der Anlass meines heutigen Berlin-Besuchs war kaum weniger skurril: Ich war bei der Beerdigung eines Mannes, der sich in den letzten Jahrzehnten mit nichts anderem als Täuschungskunst beschäftigt hatte. Er hinterließ keine Familie, jedoch fanden sich viele Zauberkollegen ein. Statt Blumen waren neben dem Grab  Spielkarten positioniert, mit denen er so gerne gezaubert hatte. Jeder Gast warf ihm eine Spielkarte auf den Sarg.

Heute Abend bin ich in der Gesellschaft von Hackern, die ja auch gelegentlich täuschen. Morgen treffe ich jedoch einen Mann, dessen Mission es ist, die Wahrheit zu verkünden – unabhängig und überparteilich!

« Hamburger Bräuche: BGH stellt Gebührenschinden mit Schubladenverfügung ab! – Gastgeschenk für Kai Diekmann »

Autor:
admin
Datum:
14. Januar 2010 um 20:02
Category:
Allgemein
Tags:
 
Trackback:
Trackback URI

5 Comments

  1. Betrug im Anzug » Rechtsanwalt Markus Kompa

    […] Januar 2009 hatte ich über ein seltsames Erlebnis in Berlin berichtet. Zwei Trickbetrüger wollten mich damals mit einer eigenartigen Masche reinlegen. Zwei […]

    #1 Pingback vom 17. Oktober 2013 um 14:29

  2. Anzüglicher Autofahrer » Rechtsanwalt Markus Kompa

    […] Januar 2010 hatte ich von einem freundlichen Italiener berichtet, der mich in Berlin spontan einkleiden wollte. […]

    #2 Pingback vom 05. Juni 2014 um 23:40

  3. Italienischer Anzugverschenker sitzt noch immer in Frankfurt fest! » Rechtsanwalt Markus Kompa

    […] 2010 berichtete ich von einem freundlichen Italiener, der mir in Berlin zwei neue Anzüge schenken wollte und dann um eine finanzielle Gefälligkeit bat, weil ihm das Benzingeld nach Mailand fehlte. Drei Jahre später hatte er es immerhin bis nach München geschafft. Vielleicht ist er ja in der Zwischenzeit tatsächlich in Mailand angekommen, denn letztes Jahr wurde er in Frankfurt und damit auf dem Rückweg gesehen. Anscheinend blieb der gute Mann seither dort stecken und hat noch immer nicht das Benzingeld für Berlin beisammen. So berichtete mir jüngst ein Leser: […]

    #3 Pingback vom 22. Juni 2015 um 10:54

  4. Freundlicher Anzugverschenker wieder in München gesichtet! » Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln

    […] Seltsames Erlebnis in Berlin […]

    #4 Pingback vom 08. August 2017 um 19:36

  5. Ilatienischer Anzugverschenker verschenkt jetzt Uhren! » Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln

    […] Seltsames Erlebnis in Berlin […]

    #5 Pingback vom 30. April 2019 um 17:33

Kommentar-RSS: RSS feed for comments on this post.

Sorry, the comment form is closed at this time.