Im Sommer 2007 brütete Kollege Noogie Kaufmann hier am benachbarten Münsteraner Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht über seiner Dissertation, die sich der Blogosphäre annahm.
Unternehmensblog.de
Damals vertrat ich die temperamentvolle Website Finanzparasiten.de, die sich kritisch mit Finanzvertrieben befasst. Da die Auseinandersetzung mit einem der kritisierten Finanzdienstleister Überhand nahmen, war beschlossen worden, diesem ein eigenes Weblog zu widmen. Um die Firma ordentlich zu provozieren, sollte die Domain aus dem Firmennamen und dem Wort „Blog“ bestehen. Noogie konnte nun am lebenden Objekt forschen!
Wir diskutierten damals die Risiken und kamen zu dem Schluss, dass bei einem Watchblog, das selbst nicht zu Zwecken des Wettbewerbs handelt, keine Markenrechte verletzt werden. Auch dürfte Artikel 5 GG heranzuziehen sein, der einem Autoren das Recht gibt, sein Thema hinreichend plakativ zu bezeichnen.
Hamburger Entscheidung
Sogar das Landgericht Hamburg sah dies genauso und lehnte eine beantragte einstweilige Unterlassungsverfügung gegen das Blog ab. Dem freundlichen Hamburger Kollegen gelang es jedoch, das hanseatische Oberlandesgericht davon zu überzeugen, die Firma hätte ein „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“, und könne daher den Namensschutz aus § 12 BGB beanspruchen. Hm. Schon seltsam, dass das Markenrecht als lex specialis das diffuse Unternehmenspersönlichkeitsrecht nicht sperrte, dessen Existenz noch immer nicht obergerichtlich abgesichert ist. Und seltsam, dass eine solche richterliche Rechtsfortbildung in einem e.V.-Verfahren vorgenommen werden kann, ohne den nicht einmal durch eine Abmahnung vorgewarnten Gegner zu hören. Stilfrage.
Eine Verwechslungsgefahr mit der Firma selbst schied eigentlich aufgrund der eindeutigen Gestaltung aus. Damals gab es in der Blogosphäre auch so gut wie keine Corporate Blogs, also Firmen, die selber rumbloggen, sodass jemand ein Firmenblog erwartet hätte. Es hätte zudem auch in der Marktbeobachtungspflicht des Unternehmens gelegen, derartige Domains zu sichern. Die einstweilige Verfügung wurde damals in der Fachpresse sehr kontrovers diskutiert. Da unsere Seite mit der Firma bereits genug andere Rechtsstreite am Laufen hatte, wollte man das Prozessrisiko in dieser Sache nicht weiter tragen und akzeptierte. Heute findet man unser Web2.0-Abenteuer in allen wichtigen Kommentaren zum Marken- und Domainrecht unter der Bezeichnung „Unternehmensblog.de“.
Expatriiertes Weblog
Die Resonanz in der Online-Gemeinde jedoch konnte sich sehen lassen, der Streisand-Effekt funktionierte. Wenige Tage nach akzeptierter einstweiliger Verfügung spielten Unbekannte ein back up des Weblogs in den USA auf und führten unter ausgiebiger Inanspruchnahme der in der amerikanischenen Verfassung garantierten „freedom of speech“ fort. Dieses amerikanische Blog verwendete ebenfalls den Firmennamen, diesmal mit dem Zusatz „Watchblog“ unter einer „.com“-Adresse, die bei Google ebenfalls abging wie ein Zäpfchen. Auch gegen diese Domain wollte man juristisch vorgehen und versuchte es bei der WIPO. Dies brachte neben PR sogar die Verlinkung der Domain durch die WIPO etc. ein.
Dissertation über Weblogs
Nunmehr ist Noogies Dissertation fertig. In dem Ausschnitt, den er gerade als Demo online gestellt hat, kann man unser Abenteuer von 2007 finden. Inzwischen arbeitet er in einer im IT-Recht namhaften Hamburger Anwaltskanzlei. Zufällig hat er dort gerade gestern jemanden beraten, der ein Problem mit einem Mandanten von mir hat – es ging ausgerechnet um eine Domainstreitigkeit!
Wallstreet 1 1/2 » Rechtsanwalt Markus Kompa
[…] eröffnete ich mein erstes Blog – was u.a. eine Entscheidung nach sich zog, die man heute in jedem Markenrechtsbuch als “Unternehmens-Blog.de” nachlesen kann. Nach Einstellung des Blogs entstand in den USA ein anonymes Blog, das so richtig böse wurde […]
#1 Pingback vom 17. Januar 2011 um 23:48