4. September 2011
Der Boulevard-Sender RTL findet es nicht witzig, dass fernsehkritik.tv T-Shirts verkauft und dabei das RTL-Logo im Zusammenhang mit einer Fäkalie verwendet. Holger Kreymeyer, dessen Website mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, lässt sich nicht einschüchtern. Gut so!
Gourméts des Markenrechts erinnern sich an die Urteile zu BMW und Lusthansa sowie Mars.
UPDATE: Ausführlicher Bericht im GULLI.
2. September 2011
Für einen Medienkritiker bietet sich im Blätterwald derzeit reichlich dankbares Anschauungsmaterial. Wenn ich mir die Berichterstattung etwa von SPIEGEL ONLINE zu WikiLeaks diese Woche ansehe, dann muss ich einräumen, dass man der BILD-Zeitung viel Unrecht getan hat …
Den aktuellen Daten-SUPER-GAU hat nun Siegfried Kauder zum Anlass dafür genommen, die Strafen für Geheimnisverrat zu verschärfen und distanziert sich insbesondere vom gegenteiligen FDP-Vorschlag, Journalisten rechtlich besser zu schützen.
Nach seinem Willen soll künftig „für klassische Medien wie für Internet-Plattformen jede Veröffentlichung tabu sein, die Menschen in Gefahr bringen kann“. In derart schwerwiegenden Fällen müsse es möglich sein, gegen die Verantwortlichen zu ermitteln und auch abschreckende Strafen zu verhängen.
schreibt NTV unter Bezug auf die Neue Osnabrücker Zeitung.
Im Klartext bedeutet dies, dass inländische Medien also nicht mehr über Dinge berichten dürfen, die man im Ausland und insbesondere durch die vom Internet geschaffene Daten-Globalisierung damit überall nachlesen kann. Hat der gute Mann eigentlich noch immer nichts verstanden?
Nicht, dass ich falsch zitiert werde: Ich halte überhaupt nichts davon, durch Leaks und bodenlose Schlamperei Menschenleben zu gefährden, insbesondere müssen in den Cables aufgeführte Informanten nicht notwendig Verräter gewesen sein, welche wissend oder gar freiwillig ein Risiko eingegangen sind. Aber die Mittel des Strafrechts gegen die Presse sind diesbezüglich jedoch offensichtlich untauglich, insbesondere in einer Informationsgesellschaft, in der schädliche Informationen so oder so fließen.
Herr Kauder, wo ist denn Ihrer Meinung nach die inhaltliche Grenze für das Gefährden von Menschenleben? Wenn ein US-Präsident zum Hass gegen arabische Völker aufstachelt und Kriegslügen verbreitet, die zum Tod von Hundertausenden Menschen führen, darf darüber nicht, auch nicht kritisch berichtet werden? Was Sie da fordern, ist auf der juristischen Ebene nicht ansatzweise praktikabel. Jegliches Gesetzeswerk dürfte am im Strafrecht geltenden Bestimmtheitsgrundsatz scheitern.
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31. August 2011
Die Persönlichkeitsrechtchen von tapferen Gamern wurden durch den Boulevardsender RTL aufs Schändlichste verletzt … Sogar reaktionäre Teile von „Anonymous“ sahen sich zum Eingriff herausgefordert – und begaben sich auf diese Weise selbst ins Lager der Zensoren, was der besonnenere Teil von Anonymous zu Recht kritisiert. Solche hemdsärmlichen Anlässe aufzugreifen würde auf Dauer das Hackerkollektiv Anonymus diskreditieren, das sich ursprünglich wichtigere Gegner ausgesucht hatte.
Mein geschätzter medienrechtlicher Bloggerkollege Graf Porno hat schön dokumentiert, wie die Gamer zum Mittel der Programmbeschwerde gegriffen haben – bislang ein Terrain von Rentner, Kirchenfürsten und ähnlich prickelnden Gestalten, wo es alle paar Wochen mal eine Eingabe gibt. Nun wurden die Landesmedienanstalten mit Programmbeschwerden regelrecht geflutet. Allein über das Petz-Portal Programmbeschwerde.de gingen 11.500 Programmbeschwerden, die aufgrund der Masse nicht beantwortet werden könnten!
29. August 2011
Jeden Freitag eröffnet die Pressekammer die wöchentliche Sitzung um 9.55 Uhr mit den Verkündungen, ab 10.00 Uhr beginnen die Termine. Bereits vor einiger Zeit war auf der Terminrolle mal ein Termin aufgetaucht, der ca. eine Stunde früher begann. Einem gewissen Gerichtsreporter kam der Verdacht, man versuche, seine Berichterstattung zu umgehen. Da der Mann jedoch Frühaufsteher ist, erspähte er diesen ungewöhnlichen Termin rechtzeitig, um die Ereignisse in der ihm eigenen Art zu würdigen.
Vergangenen Freitag jedoch rieben sich die Kollegen, welche die Terminrolle sahen, die Augen, fragten sogar ungläubig den Vorsitzenden nach einem Druckfehler. So waren dort tatsächlich zwei Sachen eines Klägers um 7.00 Uhr morgens angesetzt worden – eine Zeit, in der allenfalls Reinigungs- und Verwaltungspersonal die Flure des Landgerichts Hamburg bevölkert.
Wie Nachforschungen ergaben, war dieser Termin keineswegs kurzfristig eingeschoben worden, sondern stand über eine Woche fest. Er war allerdings sehr kurzfristig dann doch ausgefallen und ist auf November verschoben worden. Sollte es sich tatsächlich um ein Manöver gehandelt haben, um den Gerichtsblogger auszubremsen, so wäre dies untauglich: Der Mann ist ehemaliger Bergsteiger und hatte einmal die erste Polarexpedition der DDR vorbereitet. Wer seinen Kampfgeist brechen will, muss noch früher aufstehen… ;-)
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28. August 2011
Wie Website Juraexamen.info bespricht heute ein aktuelles Urteil des Landgerichts München. Ein prominenter Fußballer hatte seinen Kollegen wissen lassen:
„Der Lehmann soll in die Muppet-Show gehen. Der Mann gehört auf die Couch. Vielleicht wird ihm da geholfen. Einweisen – am besten in die Geschlossene! Was soll ich da bitte machen? Geh ich ein Stück in die Mitte, geht der Ball in die kurze Ecke rein. Ich weiß nicht, warum über so ein Tor diskutiert wird. Schwachsinn!“
Der Betroffene wollte hierfür 20.000,- Euro sehen. Nach Ansicht des Landgerichts Münchens fielen die Äußerungen unter die Meinungsfreiheit. Im Milieu des Profifußballs seien Schimpfwörter und die Austragung von Konflikten zwischen Sportlern über die Medien an der Tagesordnung.
Die Kommentare von Juraexamen.info, die Examenskandidaten helfen sollen, möchte ich so jedoch nicht stehen lassen:
„Schmerzensgeld“
Schon die – auch von Juris(!) verwendete – Terminologie „Schmerzensgeld“ ist unsauber. Gemeint ist der Anspruch auf „Geldentschädigung“, der dogmatisch etwas anderes als Schmerzensgeld ist.
„Absolute Person der Zeitgeschichte“
Die Rechtsfigur der „absoluten“ Person der Zeitgeschichte ist selbst Rechtsgeschichte. Sie war lange von der Rechtsprechung geprägt worden, seit etlichen Jahren jedoch kommt es statt auf Personen auf „zeitgeschichtliche Ereignisse“ und „Berichtsinteresse der Öffentlichkeit“ diesbezüglich an. Promis ziehen solche Situationen zwar öfters an, bleiben aber Rechtssubjekte wie Du und ich.
„Meinungsfreiheit“
Hätte vorliegend nicht das Landgericht München, sondern das in Hamburg geurteilt, so hätten die Chancen gut gestanden, dass die Äußerung als Schmähung angesehen und verboten worden wäre.
Cash
Es entsteht der Eindruck, Lehmann hätte bei einer Bewertung der Äußerung als rechtswidrig Geld bekommen. Er hätte jedoch auch in Hamburg nur eine Unterlassung durchsetzen können. Der Anspruch auf Geldentschädigung hingegen wird nur ganz ausnahmsweise bei besonders schweren Verfehlungen gewährt. Die praktisch bedeutendste Fallgruppe sind Äußerungen im Bezug auf die Sexualität des Betroffenen. Auch bei Berichten über Krankheiten, die äußerlich nicht wahrnehmbar sind, stehen die Chancen nicht schlecht. Der „Platzverweis“ Richtung Muppet-Show nebst Therapie-Empfehlung reicht im genannten Zusammenhang nicht aus.
Die Klage war in dem Moment verloren, als sie eingereicht wurde. Vielleicht wird Lehmann langfristig Olli Kahn beerben, einen der eifrigsten Kläger in der Hamburger Pressekammer. (Dort sind übrigens die Fußballernamen „Link(e)“ und „Wiese“ nicht unbekannt … ;-) )
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26. August 2011
Als ich neulich den Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung traf, Heribert Prantl, teilte ich ihm bei dieser Gelegenheit (zugegeben leicht herablassend) mit, er sei der Hauptgrund, warum ich das Blatt überhaupt noch beziehe. Aber auch eine journalistische Lichtgestalt wie Prantl kann den Schwachsinn nicht aufwiegen, den uns altklug der [hier bitte einen beliebigen Kraftausdruck einsetzen] Herr Markus C. Schulte von Drach verzapft:
Bislang konnte trotz etlicher Untersuchungen der Vorgänge in Dallas noch niemand einen stichhaltigen Beweis für eine der Theorien vorlegen – und so bleibt es dabei, dass Kennedy von dem ehemaligen US-Marineinfanteristen und Kommunisten Lee Harvey Oswald erschossen wurde – allein und aus unbekanntem Motiv.
* Facepalm * Eine vom US-Congress(!) eingesetzte Kommission kam 1998 im Gegenteil zu dem Schluss, dass die These vom Alleintäter nicht mehr zu halten sei. Das der Warren-Kommission von Hoover vorgelegte Material sei gefiltert und unbrauchbar gewesen.
Die Indizien, Oswald sei „Kommunist“ gewesen, sind hanebüchen dünn. Den Stand der Forschung habe ich 2008 hier dargestellt. Den bislang in deutscher Sprache kaum thematisierten Konflikt der Kennedys mit dem Pentagon habe ich 2009 hier in meiner Lemnitzer-Biographie geschildert.
Für altkluge Desinformation auf Pennäler-Wikipedia-Niveau muss ich keine toten Bäume kaufen. Noch ein solcher Dummschwatz, und ich kündige mein Abo.
23. August 2011
Zu den unappetitlichsten Gegnern im Privatzensurgeschäft gehören jene ominösen Adressbuchverlage, die sehr empfindlich gegen Kritik an ihrem Geschäftsmodell sind. Die Behauptung, diese Branche mache keine Gefangenen, wäre unrichtig, denn gegenwärtig sitzt etwa Dr. Peter Niehenke als angeblicher Betreiber einer anonymen kritischen Website im Knast, was ihn an seinem Lieblingshobby Joggen vermutlich hindern wird.
Derselbe liebenswerte Anbieter von Branchenbüchern hatte neulich versucht, den ebenfalls kritischen Verein Anti Spam e.V. mit Markenrecht einzuschüchtern und aufgefordert, einen mit seiner Marke identischen Titeltag aus der Welt und Google zu schaffen. Zu letzterem setzte er eine Frist von einer Stunde. Die wackeren Kritiker ließen sich nicht einschüchtern und erstritten via Kanzlei Richter aus Berlin nun beim Landgericht Düsseldorf per negativer Feststellungsklage dieses schöne, noch nicht rechtskräftige Urteil. Glückwunsch nach Berlin!
Von den Darstellungen und Äußerungen auf den verlinkten Seiten distanziere ich mich und bestreite deren Wahrheitsgehalt mit Nichtwissen. Sicher ist sicher … ;-)
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21. August 2011
Die CIA kommt dieser Tage aus dem Lachen gar nicht mehr heraus:
Die CIA-Abteilung „Abwehr und Desinformation“ bekam bereits letzte Woche spontanen Extra-Urlaub, nachdem Julian-Assange-Fundamentalisten nichts unversucht ließen, um das Projekt OpenLeaks in Misskredit zu bringen. Dort ist die frühere Submission-Plattform eingebaut, welche die abtrünnigen WikiLeaks-Leute bei ihrem Weggang ausgebaut hatten. Der Input von WikiLekas war damals weggebrochen. Durch die versuchte PR-Sabotage dürften etliche Whistleblower nun verunsichert sein; ein Nutzen der Schlammschlacht für den Gedanken des Leakens ist nicht erkennbar.
Die gescholtene Abteilung, die für die Sicherheit der Cables zuständig war, wurde nunmehr rehabilitiert. Hatte Assange seine Kontrahenten noch verhöhnt, sie hätten bei der Sicherheit ihrer Daten einen wirklichen schlechten Job gemacht, sah sich plötzlich der weltbekannte Hacker umgekehrt mit der Tatsache konfrontiert, dass auch ihm Daten „gestohlen“ worden waren. Die von Assange angemaßte „Kündigung“, ohne vorher eine Sicherheitskopie zu ziehen, war nicht gerade eine Meisterleistung in Sachen IT-Sicherheit. Eine spontane Party feierten die US-Schlapphüte diese Woche, nachdem sich abzeichnete, dass die OpenLeaks-Leute die vormals im Submissionsystem klemmenden Einsendungen, die WikiLekas nicht bearbeitet hatte und jetzt plötzlich ganz wichtig findet, vernichten wird. Dies war eine direkte Folge des fragwürdigen Drucks, den die Assange-Jünger ohne Not aufgebaut hatten.
Heute allerdings wurde der Leiter der CIA-Abteilung Human Intelligence mit einem Orden für besondere Verdienste ausgezeichnet: Julian Assange hat bekannt gegeben, die Frau des OpenLeaks-Protagonisten, welche dieser letztes Jahr kennengelernt und spontan geheiratet hatte, sei eine Geheimagentin und habe WikiLeaks unterwandert! Dies dürfte so ziemlich der erste gelungene Coup einer von den US-Diensten platzierten Perspektiv-Agentin überhaupt sein. Die US-Dienste wurden bislang international dafür verspottet, dass sie es nie geschafft hatten, Zielpersonen durch Julia-Agentinnen zu gewinnen oder zu kompromittieren, wie es umgekehrt den Romeo-Agenten der östlichen Geheimdienste durchgehend gelungen war! Genauso perfide waren die US-Dienste bereits letztes Jahr in Schweden vorgegangen, wo es ihnen gleich zweimal gelang, den ahnungslosen Assange heimtückisch in die Honigfalle zu locken.
Nach diesem nun dritten Fall dürfen sich die Hacker auf weitere Sex-Agentinnen auf US-Payroll freuen. Zweifel am Wort von Assange, der sich mal „Mandax, der Lügner“ nannte, werden seine Jünger vermutlich nicht in Betracht ziehen.
Heute vor 70 Jahren hatte einer der in jeder Hinsicht bemerkenswertesten Filme aller Zeiten Premiere. Das Universalgenie Orson Welles, das eine Blitzkarriere vom Zauberkünstler zum Theater- und Radiomann hingelegt hatte und seiner Zeit um Jahrzehnte voraus gewesen war, legte sich in seinem ersten Kinofilm mit dem reichsten Mann der Welt an: William Randolph Hearst, Eigentümer von Zeitungsverlagen und Radioketten und Großgrundbesitzer, der Präsidenten kontrollierte und dies auch selbst werden wollte.
Hearsts Blätter schrieben 1898 den Spanisch-Amerikanischen Krieg herbei. Eine wegen Mordeverdachts inhaftierte junge Frau ließ er zur Freieitskämpferin („Blume von Kuba“) stilisieren, stellte Mexikaner als arbeitsscheue Schmarotzer da und benutzte den bis heute mysteriösen Anschlag auf das US-Kriegsschiff Maine im Hafen von Havanna, damals spanischer Kolonie, um dies als terroristisches Attentat der Spanier hinzustellen. Seinem Graphiker, der vergeblich auf den Kriegsausbruch gewartet hatte, soll er zuvor telegraphiert haben: „Besorge du die Bilder, ich besorge den Krieg“. Hearst führte sogar eigenmächtig mit Spanien die Friedensverhandlungen. Nachdem er 1904 dazu aufgefordert hatte, Präsident McKinley zu erschießen, tat dies 1904 jemand.
Ende der 30er begann Orson Welles, ebenfalls ein begabter Medienmanipulator, ein Pseudo-Biopic über Hearst zu drehen. Er kalkulierte bereits den PR-Effekt ein, falls Hearst gerichtlich gegen seinen Film vorgehen würde. Hearst versuchte, die Produktion zu behindern, ließ die Darsteller bedrohen, warf den Hollywood-Studios mangelnden Patriotismus vor und wollte die Negative kaufen, um sie zu verbrennen. Nach Hearsts Kriegserklärung wollten wollten die Studio-Bosse das Werk einstampfen, weil sie umn ernbsthafte Konsequenzen für die Filmindustrie fürchteten. Doch Welles erinnerte in einer Krisensitzung an das uramerikanische Recht auf Meinungsfreiheit, dessen Missachtung sich die Studio-Bosse nicht öffentlich vorhalten lassen wollten.
Hearst sabotierte die Verbreitung des Films, in dem er sich weigerte, künftig Anzeigen von Kinos zu drucken, welche den Film zeigen. In New York musste das Studio RKO eigens ein Kino improvisieren. Die Hearst-Presse ignorierte den Film. Bei der Oscar-Verleihung, bei welcher der Film für neun Oscars nominiert war, schickte Hearst bezahlte Buhrufer. Zwar vermochte Hearst sein Zensurziel nicht zu erreichen, doch auf einen weiteren Film ließen sich die Hollywood-Studios nicht mehr ein. Von dem finanziellen Rückschlag konnte sich Welles nie erholen, musste nach Europa ausweichen und verbrachte beinahe mehr Zeit im Gerichtssaal als im Studio.
Die oben verlinkte Doku „The Battle Over Citizen Kane“ von Michael Epstein und Thomas Lennon wurde Oscar-nominiert und hat in meinem Regal mit medienkritischer Literatur einen Ehrenplatz.
19. August 2011
Eigentlich hätte es für die Antragsgegner gar nicht schlecht ausgesehen: Der Vorsitzende der Hamburger Pressekammer hatte an diesem Vormittag kundgetan, die BGH-Entscheidungen zu FraPort und Schrempp enthielten wohl die Botschaft, dass man nicht zu schnell auf Tatsachenkerne springen solle, wenn es einen wertenden Kontext gäbe. Genau das hatte ich ihm seit fünf Jahren zu verklickern versucht. Bislang hatten die Hamburger gerne in wertenden Äußerungen nach „Tatsachenkernen“ gesucht, die zu beweisen seien. Insoweit hatte man „Anlasstatsachen“ aufbieten und beweisen müssen, was insbesondere dann kaum zu leisten war, wenn man einen angeblich erweckten Eindruck „beweisen“ musste. Dieser Spuk, der etliche Menschen beinahe in den Wahnsinn trieb, scheint nun tendenziell der Hanseatischen Rechtsgeschichte anzugehören.
Heute wäre denn auch eine Gelegenheit gewesen, die Rückkehr der Meinungsfreiheit nach Hamburg in einem Urteil zu manifestieren. Leider gingen die Antragsgegner in die Falle des routinierten Angreifers.
Einem Ehepaar war aufgefallen, dass eine angehörende Seniorin in einem Pflegeheim anscheinend nicht genug Flüssigkeit zu sich nahm. Sie machten das Personal darauf aufmerksam und forderten vergeblich einem Bericht über die Flüssigkeitsaufnahme an. Nachdem das Ehepaar einer Zeitung seine Beobachtung mitgeteilt hatte und diese darüber berichtete, fand das Institut, es sei der Eindruck entstanden, die Seniorin sei nicht ausreichend versorgt worden. Die Einrichtung erwirkte gegen das Paar eine einstweilige Unterlassungsverfügung.
Das Institut machte keine halben Sachen und hatte hierzu einen Hamburger Medienanwalt beauftragt, der mit den Feinheiten des Hanseatischen Medienunrechts bestens vertraut ist, während sich das Ehepaar von einem Kollegen vertreten ließ, dessen Qualitäten eher auf anderen Gebieten zu vermuten sind.
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung überreichte der Vorsitzende dem Ehepaar-Anwalt die Antragsschrift, die da noch so rumliege. Der Kollege hatte demnach Widerspruch erhoben, ohne zuvor oder jemals die Antragsschrift abzufordern … Mit anderen Worten: Der Kollege wusste gar nicht, was der Angreifer vorgetragen hatte, um die einstweilige Verfügung zu erhalten, war also unvorbereitet und hoffte, mit präsenten Zeugen etwas zu reißen (die jedoch in Hamburg so gut wie nie gehört werden).
Der verduzte Kollege kam nicht einmal auf die Idee, sich eine Lesefrist auszubitten und setzte seinen Blindflug fort. Der überforderte Kollege ließ sich sogar noch eine Unterlassungserklärung aus dem Kreuz leiern, obwohl es durchaus Chancen gegeben hätte, die Sache als zulässige Verdachtsberichterstattung hinzubiegen. Man denke an die neulich ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zugunsten der Whistleblowerin Brigitte Heinisch.
Das Ehepaar, das in Sorge um die Verwandte auf einen Missstand hinwies und moralisch handelte, bleibt nun auf teuren Anwalts- und Gerichtskosten sitzen.
UPDATE: Hier ist der Zeitungsbeitrag, der nicht oder nicht erfolgreich angegangen wurde. Ein Pflegehelfer, der sich als Whistleblower versuchte, ist seinen Job los. Übrigens hatte die Hamburger Pressekammer 50% der beantragten Unterlassungen von sich aus abgelehnt.
admin •
21:48 •
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Beweise,
Die lieben Kollegen,
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