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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


1. April 2016

Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik

Der Kollege Jan Böhmermann, ehemals Schöffenrichter am Amtsgericht Köln, hat seit letztem Jahr mehrfach in seiner Sendung den „Scherzanwalt Christian Witz“ zu Gast. Das könnte mit dem Rechtsstreit um Lukas Tagebuch zu tun haben, das von Böhmermann stammt.

Gestern nun erklärte Medienrechtsexperte Böhmermann ab Minute 9:40 den TV-Zuschauern insbesondere in Istanbul den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik.

https://youtu.be/7Dh3do-l_oU?t=583

Ich distanziere mich von dem Inhalt dieses Videos. Nicht, dass das Landgericht Hamburg wieder auf die Idee kommt, ich würde mir durch Einbinden eines Videos da irgendwas zu eigen machen. Die geographisch geringe Distanz zu Böhmermanns Show ist schon kompromittierend genug, denn die wird nur 600 m entfernt hier in Köln-Ehrenfeld aufgezeichnet.

UPDATE: Bei YouTube ist das Video inzwischen verschwunden.

28. März 2016

Erdowi, Erdowo, Erdogan – Türkischer Staatspräsident bittet Barbra Streisand zum Staatsbesuch

In der Türkei laufen einige Dinge anders. So gibt es dort zum Beispiel das Delikt „Beleidigung des Türkentums“ usw.. Bei einem solchen Verständnis von Pressefreiheit unseres geschätzten NATO-Partners wundert es nicht, dass neulich das türkische Generalkonsulat in den Düsseldorfer Karneval eingriff, was sich ein Jeck nicht ernsthaft bieten lässt.

Der für seine Eitelkeit bekannte Staatschef Erdogan war neulich davon irritiert, dass ein britischer Botschafter einen Prozess gegen einen türkischen Muckraker beobachtete. Einen SPIEGEL-Journalisten hatte er aus dem Land geworfen.

Nun aber stört sich der gute Mann offenbar an einer musikalischen Satire von extra-3, obwohl man ihm die Ehre eines prominenten deutschen Songs zudachte. Immerhin hat er den deutschen Botschafter einbestellt. Vielleicht hat ihn ja gestört, dass nicht Barbra Streisand persönlich das Lied trällerte. Kann er haben.

15. März 2016

Investigativer Journalismus hat es schwer

Am Wochenende habe ich in Berlin das Logan CIJ Forum besucht, wo sich Aktivisten, Hacker und investigative Journalisten vernetzten. Die Redner waren denkbar hochkarätig, etwa Seymour Hersh. Man hat auch nicht jeden Tag Gelegenheit, mit dem ehemaligen technischen Direktor der NSA William Binney ein Bier zu trinken oder sich mit anderen namhaften Whistleblowern über die seltsame Welt der Geheimdienste aus erster Hand auszutauschen. In dieser Runde durfte natürlich auch Edward Snowden nicht fehlen, der aus juristischen Gründen nur per Video zugeschaltet war.

Zu den Erkenntnissen der Veranstaltung gehörte, dass nach wie vor viele Journalisten nur unzureichende Kenntnisse über die Möglichkeiten haben, wie sie ihre Quelle etwa durch Verschlüsselung schützen können. Hacktivist Jake Applebaum fühlte sich von Medien hintergangen und beanspruchte für seine Expertise den gleichen rechtlichen Schutz, wie er Journalisten gewährt wird.

Investigativer Journalismus hat es trotz der Vernetzung und der preiswerteren technischen Möglichkeiten heute eher schwerer als früher. Nach wie vor entscheiden die Medienhäuser, was die Öffentlichkeit zu bewegen hat und was nicht. Während wir hierzulande noch eine halbwegs funktionierende Presselandschaft haben, leben etwa Länder wie Indien noch konsequenter in der Truman-Show, da dort die Verlage und TV-Stationen einer Handvoll Milliardären gehören.

Der Medienwandel und die Ausdünnung von Redaktionen dezimieren den Etat für qualifizierte Recherche. Beklemmend war Binneys Kommentar, in den USA sei investigativer Journalismus sogar tot. Kritische Journalisten finden zwar nicht immer die Aufmerksamkeit beim Publikum, dafür jedoch bei den Geheimdiensten. So wurde gerade bekannt, dass das britische GCHQ Journalisten abschnorchelt.

Damit man solch ernste Themen irgendwie aushält, hatten die Veranstalter die Rap News nach Berlin zu einer Bühnenperformance verpflichtet, mit dem einzig wahren Journalisten: Robert Foster!

5. März 2016

Eigenmächtige Werbung mit Prominenten – Sixt mal wieder …

Der Auotvermieter Sixt bleibt sich treu und nutzt mal wieder (vermutlich eigenmächtig) ein Politiker-Portrait, um Aufmerksamkeit für seine Werbung zur erheischen. Oskar Lafontaine hatte einst Unterlassungs- und Schadensersatzklage eingereicht und zunächst am Landgericht Hamburg 100.000,- € erwirtschaftet. Der BGH jedoch meinte, dass sich ein prominenter Politiker jedenfalls dann eine Nutzung gefallen lassen muss, wenn sich diese satirisch mit einem aktuellen Tagesereignis auseinandersetzt. Denn das fällt unter Meinung- und Pressefreiheit, und die darf auch ein Unternehmen für sich in Anspruch nehmen.

Dieses Urteil sowie der schließlich am EGMR in Straßbourg verhandelte Fall Prinz Ernst August ./. Lucky Strike waren richtungsweisend, weil bis dahin im Werberecht ein sehr scharfer Wind wehte. In diesem Bereich gibt es kaum Rechtsprechung, so dass bei Unternehmen bis dahin große Unsicherheit herrschte, ob etwa in Unternehmenszeitungen Prominente honorarfrei abgebildet werden dürfen. Eine Grenze dürfte erreicht sein, wenn ein Promi so abgebildet wird, dass der Eindruck entsteht, er würde hierfür Geld bekommen oder sich aus anderen Gründen bewusst für das Unternehmen verwenden.

Sixt fühlte sich durch die Entscheidung bestätigt und machte heiter weiter. Inzwischen gehört es für Spitzenpolitiker beinahe schon zum guten Ton, von Sixt verspottet zu werden … ;)

(Bilder: Bilder: e-Sixt GmbH & Co. KG)

 

 

 

 

23. Februar 2016

Sorayas Erbe – und was Jörg Kachelmann davon bekommt

Gestern hat das OLG Köln geklärt, wer das Erbe der 2001 verstorbenen Prinzessin Soraya Esfandiary Bakthiary antreten darf. Nach der Prinzessin vom Pfauenthron ist das lex Soraya benannt, nämlich ein Gesetzentwurf von 1958, der unbotmäßige Berichterstattung über den ausändischen Staatsgast unter Strafe stellen sollte. Ein Verfahren in diese Richtung war am Landgericht Hamburg initiert worden. Diese Einschüchterung hatten sich die Redaktionen jedoch nicht bieten lassen.

Der Beitrag handelte übrigens von einem drohenden Putsch. Wie die Geschichte zeigt, war dies ein Frage der Zeit.

Spannender als das finanzielle ist Sorayas presserechtliches Erbe:

Soraya ging nämlich gegen ein erfundenes Interview vor und schrieb schließlich Presserechtsgeschichte, indem sie am Bundesverfassungsgericht zivilrechtlich eine so im Gesetz nicht vorgesehene Geldentschädigung durchsetzte. Nach 12 Jahren erwirtschaftete die Ex-Prinzessin 15.000,- DM. Wenn sich die Presse eines besonders schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht schuldig macht, der nicht anders kompensiert werden kann, gibt es seither einen Anspruch eigener Art auf Geldentschädigung. Man muss also keine Schmerzen oder Behandlungskosten derselben nachweisen, sondern kann die Verlage auch so um Bares erleichtern.

Aktueller Rekordhalter ist Jörg Kachelmann, der in der ersten Instanz am Landgericht Köln auf das 635.000,- € kam.

 

15. Februar 2016

Affäre Lachman: Déjà-Vue

Bald erscheint mein Politthriller Das Netzwerk, der im Snowden-Sommer 2013 wenige Monate vor der Bundestagswahl im Geheimdienstmillieu spielt. Letztes Jahr musste ich meiner Lektorin beinahe monatlich berichten, dass Ideen in meinem Roman inzwischen von der Wirklichkeit eingeholt wurden. Das Harmloseste war noch meine Erfindung eines BND-Stammtisches auf dem Oktoberfest, dessen Existenz zu meiner Überraschung im NSA-Untersuchungsausschuss tatsächlich bestätigt wurde.

Auch die aktuelle Affäre um den WELT-Journalisten Lachmann, der sich offenbar der AfD als PR-Fuzzi angediehnt hatte, ist da keine Ausnahme: Mein Roman handelt nämlich auch von politischen Journalisten, die eine verdeckte Agenda haben oder schlichtweg käuflich sind, sowie um eine neuartige rechtspopulistische Partei, welche politische PR professionell manipulieren lässt.

 

8. Februar 2016

Ein Brief von Roger Willemsen

Als 2012 etliche Autoren ihren Namen unter den ZEIT-Aufruf gegen die Piraten setzten, die ernsthaft als Gefahr für die Verlagsbranche gesehen wurden, hatte mich mich der Name „Roger Willemsen“ überrascht. Ich hatte ihm daraufhin eine E-Mail geschrieben, weil ich wissen wollte, ob er wirklich im Bilde über die tatsächlichen Positionen der Piraten war.

Willemsen antwortete mir und relativierte:

„(…) Ich habe also nicht für mich selbst unterschrieben, sondern im Hinweis auf eine nötige Debatte, die ja gerade tatsächlich geführt wird. Dass sie vom gut bezahlten Spiegel-Mann Georg Dietz auf das schlichteste Niveau gedrückt wird, hilft ebensowenig, wie all das Ressentiment, der Hass, zu dem man hier auf beiden Seiten greift. Warum müssen eigentlich der anders denkenden Partei immer gleich niedrigste Beweggründe unterstellt werden, statt, wie wir beide es hier ja auch versuchen, argumentativ zu bleiben? Ich bin grade mit Arbeit sehr belastet, kann also die Diskussionen mit Ihnen nicht führen wie ich es wollte, kann aber sagen, dass Ihre Texte mir geholfen haben, und so danke ich vielmals und grüße ebenso.

Ihr Roger Willemsen“

Dann ging Willemsen selbst in die Politik: Er verbrachte ein Jahr im Bundestag auf der Besuchertribüne, um die Verhältnisses der parlamentarischen Demokratie zu recherchieren und schrieb darüber sein originelles Buch Das hohe Haus.

Heute nun ist Roger Willemsen im Alter von 60 Jahren verstorben. Wir haben einen scharfen und unterhaltsamen Denker verloren.

6. Februar 2016

Themenabend zum Fall Uwe Barschel

Seit Jahren befasse ich mich auf TELEPOLIS mit dem Ableben des Dr. Dr. Uwe Barschel. 2012 besuchte ich hierzu den ehemaligen leitenden Oberstaatsanwalt Heinrich Wille, der vergeblich die Aufklärung in diesem Fall betrieb und damals ein Buch veröffentlichte, das man lange verhindert hatte. Damals war zum 25. Todestag ein Film geplant, der jedoch nicht realisiert wurde.

Heute nun strahlt die ARD im Rahmen eines Themenabends den Spielfilm Der Fall Barschel so wie eine neue Doku aus. Inzwischen wurde bekannt, dass der BND entgegen seinem früheren Dementi sehr wohl eine Akte zu diesem Fall hat, die er aber nicht freigeben möchte. Die Akte muss nicht notwendig etwas mit dem Mord zu tun haben, denn auch so gibt es für einen Nachrichtendienst genug Interesse an Barschel, etwa seine Verstrickung in den Waffenhandel und seine konspirativen Reisen in die DDR.

Bis heute weigert sich das BKA ohne überzeugenden Grund, das Original des angeblich gefälschten „Barschel-Briefs“ herausgegeben.  Informationen über die Korruption speziell der CDU Schleswig-Holsteins fanden tatsächlich Jahre später in die Öffentlichkeit und kosteten Barschels Amtsvorgänger das Amt des Verteidigungsministers.

Die Barschel-Affäre ist vor allem ein Lehrstück über Enthüllungsjournalismus und die angebliche Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der Journalistenzunft, die zum Teil ernsthaft von einem Suzid mit Sterbebegleitung fabuliert. Während meines kurzen Ausflugs in die aktive Politik zwischen Januar 2013 bis September 2013 habe ich interessante Erfahrungen mit politischen Journalisten im Wahlkampf gesammelt. Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, dass sich in der Branche wesentlich etwas gebessert hat.

21. Januar 2016

Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk staatsfern?

Der Rundfunk war in Deutschland nach 1945 eigentlich auf einem ganz guten Weg, um die Zeiten der staatsgesteuerten Propaganda zu überwinden. Gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sollte die Unabhängigkeit des Rundfunks vom Staat sichergestellt werden, auch in finanzieller Hinsicht. So entstand der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Die Realität sieht jedoch anders aus, da die Entscheidungsträger und Journalisten alles andere als unabhängig sind, wenn sie ihren Job behalten und sogar Karriere machen wollen. Schamgrenzen scheint es keine zu geben. Nachrichtenmoderatoren wechseln die Front und werden ausgerechnet Regierungssprecher. Regierungssprecher wechseln das Hemd und werden ausgerechnet Intendanten öffentlich-rechtlicher Sender. Die Drehtür ist gut geölt, die Rundfunkräte sind gut ausgesucht, nämlich von den Parteien und angeschlossenen Organisationen.

Nunmehr haben sich SWR und MDR auf Druck von Grünen und Roten (denen beide die Felle wegschwimmen) entschlossen, der AfD keine Bühne zu bieten und die AfD von TV-Duellen und offenbar auch Elefantenrunden auszuschließen. Derartiges Gatekeeping kann man gut finden oder auch nicht, jedenfalls hat die Bevormundung der Zuschauer mit dem Auftrag des Rundfunkstaatsvertrags nur noch wenig zu tun:

§ 11 Auftrag
(1)
Auftrag der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.
(2)
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.

Während die TV-Verantwortlichen auf weitere Karriere hoffen dürfen, dürfte die Aktion nach hinten losgehen: Trotz wenig wohlwollenden Medien bekommt die AfD inzwischen in Umfragen über 10% Zustimmung und wird von einigen Demoskopen als die drittstärkste politische Kraft gesehen. Im Gegenteil wird die AfD die Benachteiligung dazu nutzen, um sich als Unterdrückte zu profilieren und über „Lügenpresse“ zu schimpfen. Den Vorwurf „Lückenpresse“ wird man bei selektiver Berichterstattung kaum von der Hand weisen können.

Das kleine Problem an der Sache ist, dass wir uns den gebührenfinanzierten Rundfunk deshalb leisten, weil wir unabhängige Informationsquellen haben wollen. Aus diesem Grunde ist der Rundfunkbeitrag keine Steuer. Das wäre aber im Zweifel ehrlicher. So aber bezahlen wir sogar für Falschmeldungen, wie sie insbesondere im Ukraine-Konflikt langsam inflationär werden.

UPDATE:

Julia Klöckner (CDU) sagt Teilnahme ab.

„Der Generalsekretär verwies auf die verheerende Wirkung des Verhaltens von Frau Dreyer, die ja auch die Rundfunkkommission der Länder leitet: „Das ist nicht nur ein Frontalangriff auf die Staatsferne öffentlich-rechtlicher Medien. Gleichzeitig macht sich die Ministerpräsidentin so zur ersten Wahlhelferin der Rechtspopulisten!“ Niemand dürfe sich wundern, wenn die dann „Lügenpresse“ riefen und die Politikverdrossenheit zunehme.“

Ich persönlich glaube, dass man diesen Leuten reichlich Gelegenheit zur Blamage geben sollte. Oliver Kalkofe braucht schließlich Material! ;)

23. Dezember 2015

Verstrahlte Medien

Es ist immer wieder aufschlussreich, wie ein und dieselbe Meldung von verschiedenen Medien wiedergegeben wird. Heute war ich mal selbst beteiligt. So hatte ich gestern Abend die freigegebenen Studie von 1956 zu den Atombombenzielen der Air Force entdeckt, einen Beitrag hierzu geschrieben und nach Mitternacht bei Telepolis freigeschaltet.

Atombomben auf Ost-Berlin

Journalisten, die etwa bei Telepolis auf die Meldung stießen, hatten alle wesentlichen Details der Meldung präsent und schöpften aus der gleichen Quelle, wo die meisten wichtigen Details zuvor von Historiker William Burr herausgearbeitet wurden. Um 11 Uhr zog SPIEGEL Online mit ähnlichem Aufbau (und eigenen Recherchefehlern) nach, benutzte jedoch eine andere Sprache.

Kalter Krieg: USA wollten im Ernstfall 91 Ziele in Ost-Berlin treffen

Der Begriff „Ernstfall“ wurde meiner Erinnerung nach immer synonym mit „Verteidigungsfall“ benutzt. Im SPON-Artikel findet man kein Wort davon, dass es den rechtsgerichteten Planern im Pentagon damals nicht um Verteidigung, sondern um Angriff ging. General LeMay hatte seit Ende der 1940er Jahre nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er einen offensiven, präventiven Atomkrieg führen wollte. SPON unterschlägt auch, dass sich die Angriffe etwa auch gegen Penicilin-Fabriken richteten, man also gezielt die Bevölkerung dahinsiechen lassen wollte. Vergleichbar Zynisches kennt man von den Nazis und Stalin, die künstliche Hungersnöte in Osteuropa provozieren wollten bzw. dies taten.

Einen ähnlichen Duktus wie SPON präsentiert die Süddeutsche um 13.44 Uhr:

Kalter Krieg – US-Plan sah 91 Atombomben auf Ost-Berlin vor

und spricht ebenfalls von „Ernstfall“.

Deutlich inkompetenter berichtet FOCUS um 13.23 Uhr:

USA hätten im Kriegsfall in Deutschland 91 Ziele mit Atombomben angegriffen

Die Zahl 91 bezieht sich nur auf Ost-Berlin und Vororte. Tatsächlich gab es in der DDR Hunderte militärische Ziele, die mit bis zu 9 Megatonnen-Bomben vernichtet werden sollten. Nach Meinung von FOCUS befanden sich „in Ost-Berlin große sowjetische Luftwaffenstützpunkte“. Nein, die befanden sich außerhalb. Die 91 Bömbchen waren für zivile Ziele in Berlin gedacht.

Stramm auf US-Linie berichtet natürlich Axel Springers WELT:

Hunderte Ziele von US-Atombomben in der DDR

Springers WELT-Büger übernehmen nicht nur Recherchefehler von SPON, sondern werben um Verständnis, dass die USA die DDR und West-Berlin nuklear grillen wollten:

Zumal auch der Koreakrieg 1950 bis 1953 gezeigt hatten, dass nur die Drohung mit Atomwaffen kommunistische Staaten von Aggressionen abhalten konnte. (…) „Wir brauchen Verbündete und kollektive Sicherheit“

Im Gegensatz zur WELT ist mir nicht bekannt, dass die Kommunisten in die USA einmarschieren wollten, was bei zwei Weltmeeren und einem unbeherrschbar riesigen Land auch logistisch unmöglich war. Ich habe aber mal etwas von einem Russen gehört, der Anfang der 1950er Jahre den Kalten Krieg beenden wollte, weil sie im sowjetischen Riesenreich genug eigene Probleme hatten. Der Westen hatte hieran jedoch kein Interesse gezeigt. Was die WELT da verzapft, könnte man Stockholm-Syndrom nennen, denn West-Berlin inklusive Axel Springer-Hochhaus wären bei Atombombenexplosionen im Vorgarten ebenfalls unter nukleares friendly fire geraten.

Alle Blätter unterschlagen die Tatsache, dass die Sowjets damals über keine nennenswerte Erstschlagskapazität verfügten und China, das ebenfalls platt gemacht werden sollte, gar keine Atomwaffen besaß. Wenn also die Medien selbst nach 60 Jahren ihren Lesern die wesentlichen Informationen vorenthalten und um Verständnis für Massenmord an uns selbst werben, kann man sich einen Reim darauf machen, was man von geopolitischer Berichterstattung unserer Tage zu halten hat.