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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


18. Juni 2016

Begründung des Landgerichts Hamburg zur Böhmermann-Unterlassungsverfügung

Inzwischen liegt die Begründung zur einstweiligen Unterlassungsverfügung des Landgerichts Hamburg in Sachen Erdogan ./. Jan Böhmermann vor.

Der Besprechung des Kollegen Dr. Kahl ist praktisch nichts hinzuzufügen.

In alter Tradition berücksichtigt die Pressekammer im Ergebnis nicht den Kontext und ignoriert damit standhaft – um nicht zu sagen: trotzig – die Rechtsauffassung der Karlsruher Gerichte.

Dass es außerdem der „Schweinepfurz“ ist, der für das Gericht mit Ausschlag gebend ist, überrascht, da der religiöse Aspekt bislang in der Diskussion keine nennenswerte Rolle spielte. Eine religionsschmähende Intention Böhmermanns dürfte fernliegend sein, für die Einordnung als beleidigend kommt es auch nicht auf subjektive Befindlichkeiten des Betroffenen an, sondern auf ein verobjektiviertes Verständnis einer Äußerung.

Die Hamburger meinen zudem:

Da das Gedicht nicht als unauflösliche Einheit zu betrachten ist, ist wie auch ansonsten bei anderen Kunstwerken wie beispielsweise Büchern oder Filmen nicht die Verbreitung des gesamten Gedichts zu untersagen, sondern nur die aus dem Tenor ersichtlichen, vom Antragsgegner rechtswidrig verbreiteten Passagen.

Das kann man auch anders sehen. Insbesondere darf man nicht das eigentliche Schmähgedicht und Passagen daraus aus dem Kontext reißen, da etwa die ironisch bzw. sarkastisch gemeinten Passagen wie die rassistischen und sexistischen Anspielungen nun einmal isoliert einen anderen Sinn ergeben.

Jedenfalls aber steht die Auffassung des Landgerichts Hamburg, das einzelne Passagen für zulässig erachtet, im Widerspruch zur Rechtsmeinung des Verwaltungsgerichts Berlin, das jegliches „Rezitieren oder Zeigen“ des Böhmermann-Gedichts für zensierenswert hält. Hiergegen haben die Berliner Piraten Hauptsacheklage eingereicht.

Wer immer in den letzten Wochen meinte, das Problem des fliegenden Gerichtsstands sei überschätzt, mag sich die unterschiedlichen Urteile von Köln, Berlin und Hamburg zu Gemüte führen.

3. Juni 2016

Böhmermann-Gedicht darf offenbar pantomimisch gezeigt werden

 

Nachdem der Polizeipräsident in Berlin das „Zeigen und Rezitieren“ des Böhmemanngedichts auch in Teilen bei einer Demonstration untersagt hatte und auch das Verwaltungsgericht Berlin sich weigerte, einen Katalog des gerade noch erlaubten anzubieten, wollten es die Piraten etwas genauer wissen. So meldeten die Piraten eine weitere Demonstration vor der türkischen Botschaft an und reichten dem Polizeipräsident zur gefälligen Zensur ein detailliertes Programm ein.

Darin wollten die Piraten eine Aufnahme der Rede des CDU-Abgeordneten Herrn Seif abspielen, sowie Erdogans Anwalt Herrn Prof. Dr. Höcker zitieren, der diese Form des Zitats korrekt fand. Doch der Polizeipräsident meint, dass das Abspielen einer Aufzeichnung die Rede aus dem parlamentarischen Kontext reißen würde.

Mit keinem Wort beanstandete der Polizeipräsident den Programmpunkt mit dem nicht ganz zufällig gewählten Titel „anachronistische Zugvögel“: Darin wollten die Piraten pantomimisch und mit Symbolen das Gedicht „Schmähkritik“ nachspielen. Etwa das Zitieren des Wortes „Schweinepfurz“ durch Darmwinde wurde nicht beanstandet, auf vorherigen Augen- bzw. Nasenschein wurde verzichtet. Schilder mit Textanteilen aus dem Gedicht dürfen allerdings nur den Titel „Schmähkritik“ enthalten.

In keiner Weise verboten wurde der angemeldete Programmpunkt Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief. Den deftigen Text, der gewiss nicht zur Pflege der Völkerverständigung erdacht wurde, sollte man einmal gelesen haben …

27. Mai 2016

Zaungast beim Duell des Jahres

Vor meinem Arbeitszimmer in Köln-Ehrenfeld steht ein Schuppen, in dem mein Nachbar seine Tischtennisplatte aufgebaut hat. Heute empfängt er dort einen Gast, mit dessen Arbeitgeber er jahrelang juristisches Ping-Pong gespielt hat – der Presserechtsstreit ist heute legendär.

Inzwischen ist man dazu übergegangen, sich im Tischtennis zu duellieren. Während in den 1970er Jahren deutsche Geheimdienste die Küche und das Telefon meines Nachbarn mit technischem Aufwand abhörten und die Ergebnisse an BILD durchstachen, wird heute aus dem Schuppen ganz offiziell übertragen:

http://realsatire.de/liveticker-titanentischtennis/

17. Mai 2016

In Hamburg darf man verlieren!

 

Eigentlich sah es danach aus, als würde Erdoğan mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu spät antanzen. Denn der Kollege wollte sich einen Monat mit der Antragstelleung Zeit lassen.

Lässt man sich nämlich zu viel Zeit, stellt man die Dringlichkeit infrage mit der Folge, dass nicht im einstweiligen Rechtsschutz vorgegangen werden kann. Es gibt keine festen Vorgaben, allerdings lassen die Pressekammern etwa fünf Wochen genügen. Bei einem Fall wie dem Böhmermann-Gedicht allerdings wäre es unverständlich, wenn man Wochen ins Land gehen lässt. Offenbar hat Erdoğans Anwalt noch rechtzeitig beantragt.

Anders als der Kollege Herr Prof. Dr. Höcker war Erdogans Münchner Anwalt so clever, die Sache am Landgericht Hamburg anhängig zu machen. Dort nämlich lässt man sich in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit nicht von Karlsruhe irritieren, sondern verbietet im Zweifel. Falls doch mal etwas durchsickert, wacht eine Ecke weiter die vormalige Belegschaft der Hamburger Pressekammer, die sukzessive zum Hanseatischen Oberlandesgericht aufgestiegen ist. Sogar geschehen bei den Prozesshanseln der ZEIT, die sich gegen die ZDF-Anstalt wandten.

Das Landgericht Hamburg hat – nicht ganz unerwartet – die Teile des Gedichts verboten, die einen Sexualbezug aufweisen, schreibt SPON. Erlaubt ist jedoch

„Sackdoof, feige und verklemmt, ist Erdogan der Präsident“ 

„Er ist der Mann der Mädchen schlägt und dabei Gummimasken trägt“.

Weshalb der Satz mit Mädchen schlagen und den Gummimasken erlaubt wurde, ist eine gute Frage. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sich das Landgericht Hamburg nur einen Steinwurf entfernt von der Reeperbahn befindet, wo so etwas wohl normal ist. ;) Hätte ein eher ländliches Gericht geurteilt, wären vielleicht stattdessen die Ziegen erlaubt worden …

Wie die Sache ausgehen wird, ist ungewiss. Viele Hamburger Urteile wurde in Karlsruhe deshalb aufgehoben, weil die Hansesaten bei der Auzslegung von Äußerungen den Kontext nicht hinreichend würdigen. So hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 09.03.2010, Aktenzeichen: 1 BvR 1891/05, den Hamburger ins bürgerliche Stammgesetzbuch geschrieben:

So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird.

(…) Die Beurteilung eines Vorgangs anhand rechtlicher oder sittlicher Maßstäbe wird nicht anders als die Äußerung von Rechtsmeinungen grundsätzlich als eine ganz überwiegend auf Wertung beruhende subjektive Beurteilung des Äußernden angesehen. Dies gilt in der Regel selbst für Fallgestaltungen, in denen ein Vorgang als strafrechtlich relevanter Tatbestand eingestuft wird.

(…) An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik sind strenge Maßstäbe anzulegen, weil andernfalls eine umstrittene Äußerung ohne Abwägung dem Schutz der Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in unzulässiger Weise verkürzt würde.

14. Mai 2016

Zitieren des Böhmermann-Gedichts „Schmähkritik“ durch Springerboss, CDU-Hinterbänkler und demonstrierende Piraten

In Sachen Erdoğan ./. Döpfner liegen inzwischen die Entscheidungsgründe des Landgerichts Köln vor, das den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in dieser Instanz abwies.

Das Gericht prüfte nicht die Rechtmäßigkeit des Originalwerks, sondern sah in Döpfners Kommentar kein Zu-Eigen-Machen des Böhmermann-Gedichts (das Gericht hat ihn als „Herr C “ anonymisiert):

Die Meinungsfreiheit umfasst als individuelles Freiheitsrecht auch und insbesondere die Freiheit, in einem kontrovers geführten Meinungskampf um die Zulässigkeit einer Äußerung eines Dritten – wie Herrn Cs Text – sich dem Dritten öffentlich solidarisch zur Seite zu stellen und die umstrittenen Äußerungen des Dritten als zulässig zu erachten bzw. das Geschehene gutzuheißen.

Das Gericht sieht in der Prozesshanselei Erdogans ein ausreichendes Berichtsthema:

Der Antragsteller hat als Staatsoberhaupt der Türkei zu dieser Debatte Anlass gegeben, indem er wegen des Gedichts von Herrn C ein Strafverlangen gemäß §§ 103, 104a StGB vorlegte bzw. vorlegen ließ. Er muss daher auch scharfe Kritik an seiner Position hinnehmen.

Spannend wird es, wie das Gericht das ausdrücklich so formulierte „Zu-Eigen-Machen“ Döpfners wertet:

… was bejaht werden kann, wenn die fremde Äußerung so in den eigenen Gedankengang eingefügt wird, dass die gesamte Äußerung als eigene erscheint oder dargestellt wird. Der Anspruch setzt aber – gewissermaßen vorgelagert – auch voraus, dass die Fremdäußerung selbst verbreitet oder veröffentlicht wird.

Wurde es aber nicht. Das Gericht verweist sogar darauf, dass Döpfners Text auf einen Beitrag zum Thema verlinkte, wo das Gedicht nur in geschwärzter Form präsentiert wurde. (Ich erinnere mich an eine hanseatische Gerichtspraxis, die verlinkte Inhalte nur belastend, nicht aber entlastend zurechnete).

Auch die Wiedergabe des Wortes „Ziegenficker“ in dem Artikel „Solidarität mit C!“ sieht das Gericht nicht als Zu-Eigen-Machen an. Insoweit stellt das Gericht auf den Kontext ab, in dem dieses (ungenaue) Zitat in Bezug zu anderen satirischen Beiträgen gesetzt wird.

Inzwischen hat ein von allen guten Geistern verlassener CDU-Hinterbänkler das Gedicht sogar vollständig(!), aus dem satirischen Kontext gerissen(!) im Bundestag(!) zitiert.

Erstaunlicherweise gefiel dies Erdoğans Kölner Anwalt Prof. Dr. Höcker:

„Der Kontext war ein völlig anderer als bei Böhmermann oder Döpfner. Deshalb habe ich der Bild-Zeitung auf Anfrage gerade mitgeteilt:
Die Rede ist rechtlich vollkommen in Ordnung und ein gutes Beispiel dafür, wie man schlimme Inhalte wiederholen kann, ohne selbst zu beleidigen.“

In Sachen Piratenpartei ./. Polizeipräsident in Berlin wird daher kaum zu begründen sein, weshalb Bruno Kramms Gedichtsinterpretation den Verdacht einer Straftat begründet haben sollte. Mit dieser Begründung war am 22.04.2106 eine Demo vor der türkischen Botschaft in Berlin aufgelöst worden. Eine dann erlassene Auflage sah vor, dass vom Gericht nur der Titel „Schmähkritik“ zitiert werden durfte.

Landgericht Köln, Beschluss vom 10.05.2016 – 28 O 126/16.

Siehe auch Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 06.05.2016 – 1 L 291.16.

9. Mai 2016

Unterliegen Demos künftig einer Vorabzensur?

 

Der Polizeipräsident in Berlin erließ letzte Woche gegen eine Demonstration der Piratenpartei zwei ungewöhnliche Auflagen.

Zum einen sollte die Demo nicht anmeldungsgemäß vor der türkischen Botschaft stattfinden, vielmehr wollte der Polizeipräsident die Demo vor der Botschaft von Österreich sehen. Zum anderen sollten das Böhmermann-Gedicht oder Textpassagen daraus nicht „rezitiert“ oder „gezeigt“ werden. Lediglich der Titel „Schmähkritik“ durfte genannt werden. Bei einer Vorläufer-Demo hatte die Polizei zunächst das paraphrasierende Zitat „Kurden treten“ beanstandet und die Versammlung dann nach einem weiteren paraphrasierenden Zitat aufgelöst.

Zwar mag es auch in Österreich gerade Probleme geben, doch die Piraten wollten nicht gegen den „Wiener Schmäh“ demonstrieren, sondern gegen den Umgang mit dem „Schmähgedicht“. Meine Ausführungen zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Brokdorf und Heiligendamm haben sowohl das Verwaltungsgericht Berlin als auch den Polizeipräsident davonüberzeugt, dass auch die Wahl des Orts der Versammlung von Art. 8 GG geschützt ist.

Doch einer Kritik von „Schmähkritik“ stand das Gericht kritisch gegenüber. In meinem Schriftsatz hatte ich geschrieben:

1.

Die Auflage zu 1) ist schon zu unbestimmt.

Wie jeder andere Verwaltungsakt muss sich auch die versammlungsrechtliche Verfügung zunächst an formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen messen lassen. Hierzu zählt insbesondere das Bestimmtheitsgebot (§ 37 Abs. 1 VwVfG). Danach muss die Verfügung so vollständig, klar und unzweideutig erfolgen, dass der Adressat sein Verhalten danach richten kann, Peters/Janz-Groscurth, „Handbuch Versammlungsrecht“, 1. Aufl. 2015, G Rn 131, 264.

a)

Der Umfang des Verbots ist unbestimmt.

Der Bescheid leidet schon daran, dass der verbotene Text nicht enthalten ist.

Dies wäre schon deshalb unumgänglich, da unklar und nur im Rahmen einer individuellen und ggf. subjektiven Wertung festzustellen ist, welche Anteile des Textes tatsächlich beleidigend sind.

Es ist auch nicht erkennbar, was der Antragsgegner unter „Textpassagen“ versteht.

Ist eine Textpassage eine Strophe? Ein Absatz? Ein Satz? Ein Halbsatz? Eine sinngemäße Kombination aus zwei Wörtern? Ein einzelnes Wort?

Ist es der Antragstellerin untersagt, den in seinem Palast residierenden, von Leibwächtern geschützten türkischen Staatspräsidenten, der seine Feinde aus der Luft bombardieren oder einsperren lässt, „feige“ zu nennen, nur weil dies Böhmermann auch tat?

Wie verhält es sich mit Schildern? Dürfen die Demonstranten einzelne Worte auf Schilder malen? Dürfen sie einzelne Buchstaben herumtragen? Sind Schilder mit Leerzeichen und Satzzeichen erlaubt?

Soweit der Antragsgegner gnädig das Zitat des Werktitels gestattet, ist dies offensichtlich zu weitgehend. So war dem Antragsgegner bei Erlass des Bescheids bekannt, dass das angerufene Gericht mit Beschluss vom 14. April 2016 – Az. 1 L 268.16 lediglich für die isolierte auszugweise Wiedergabe des Gedichts die Voraussetzungen einer Straftat als unzweifelhaft annahm und ansonsten offen ließ, ob eine Zitierung in einem etwa ironisierenden Kontext möglich ist.

b)

Völlig unklar ist, was der Antragsgegner unter den juristisch undefinierten Begriffen „Zeigen“ und „Rezitieren“ versteht.

Unter Rezitieren stellt sich die Antragstellerin eine werktreue Interpretation eines Gesamtwerks vor. Eine solche müsste notwendig auch die satirisch-ironisierende Einkleidung enthalten, da andernfalls eine Entstellung des Gesamtkunstwerks nach § 14 UrhG vorläge. Eine isolierte Rezitation ist von der Antragstellerin nicht ansatzweise beabsichtigt oder zu befürchten.

Insbesondere ist nicht geplant, werktreu wie im Böhmermannschen Original beim Gedicht selbst türkischsprachige Untertitel einzublenden und damit den Adressat seiner „Schmähkritik“ unmittelbar anzusprechen und herauszufordern.

Ist eine Rezitation erfüllt, wenn Synonyme verwendet werden? Ist es zulässig, Kurden „wegzubomben“, nicht aber zu „treten“?

Liegt eine Rezitation bereits vor, wenn Schilder mit dem Antlitz des türkischen Staatschefs und einer Ziege empor gehalten werden? Wäre es als ein Zitat zu werten, wenn diese Schilder aneinander gerieben würden?

Höchst unklar ist zudem, ob „Zeigen“ bzw. „Rezitieren“ des Gedichts auch andere Werkarten wie ein szenisches Aufführen beinhalten. Dürfen Pantomimen das Gedicht aufführen?

Bei der Demo vom 29.05.2016 wäre es aufgrund der Beteiligung von Kurden ohne weiteres möglich gewesen, die Äußerung „Kurden treten“ aufzuführen. Diesen wiederum hätte sich die Möglichkeit des „Christen Hauens“ eröffnet.

Wäre das Mitführen von Dönern oder Gummimasken als Zitat zu werten?

Und wären auch Schweinefurze untersagt, wie sie Herrn Kramm gelegentlich entfahren?

c)

Wie soll die Antragstellerin vor der Kundgebung den dort anwesenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei einem Zitierverbot verkünden, was zu Zeigen oder zu Rezitieren verboten ist?

Umfasst die Auflage auch ein Rezitieren des Beschlusses des angerufenen Gerichts vom 14. April 2016 – Az. 1 L 268.16, welches das anonymisierte, jedoch vollständige Gedicht enthält? Oder des Beschlusses, der auf diesen Antrag ergeht?

2.

Die Auflage zu 1) ist jedenfalls gegenüber der Antragstellerin unbegründet, da das Verbot gegen § 15 VersammlungsG verstößt und keinesfalls mit Art. 5 Abs. 1, 3 GG sowie mit Art. 8 GG in Einklang zu bringen ist.

Eine Versammlung oder ein Aufzug kann nach § 15 VersammlungsG nur dann von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Nichts dergleichen war und ist der Fall. (…)

Das Gericht ließ jedoch die Befürchtung von Straftaten nach § 103 StGB ausreichen. Der Verwaltungsakt sei nicht zu unbestimmt, sondern nach „Treu und Glauben“ auszulegen. Es sei dem Gericht unmöglich, in dem Gedicht Teile zu finden, die nicht beledigend seien. Es sei auch nicht Sache des Gerichts, einen abstraktem Katalog noch zulässiger (nonverbaler) Äußerungen im Bezug auf das Gedicht zu formulieren.

Eine Entscheidung über die genannten Beispiele sei deshalb nicht erforderlich gewesen, weil die Piraten nicht vorgetragen hatten, was sie denn konkret sagen wollten, insbesondere, ob die beandstandeten Reden wiederholt werden sollten.

Daraus folgt, dass ab sofort das Grundrecht der Versammlungsfreiheit künftig in der Weise eingeschränkt ist, dass ein Versammlungsleiter sein Manuskript der Polizei oder einem Gericht vorlegen muss. Wie das mit dem Zensurverbot aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 3 GG zu vereinbaren sein soll, wird zu klären sein.

Die vorgeschobene Befürchtung einer Beleidiging als „Straftat“ im Sinne des Versammlungsgesetzes ist lächerlich, denn bei Demos werden üblicherweise ganz andere Sachen geduldet. Zur Straftat gehört auch ein erkennbarer Vorsatz, der bei einer kritischen und distanzierten Kritik von Schmähkritik nicht ernsthaft festzustellen ist.

(…) Es bedeutet eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, wenn die Versammlung verboten wird oder infolge von versammlungsbehördlichen Verfügungen und verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen nur in einer Weise durchgeführt werden kann, die einem Verbot nahe kommt, etwa indem sie ihren spezifischen Charakter so verändert, dass die Verwirklichung des besonderen kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert wird (vgl. BVerfGE 110, 77 <89>; vgl. zu weit reichenden räumlichen Beschränkungen auch BVerfGE 69, 315 <321, 323, 364 ff.> – Brokdorf).

In der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes haben Grundrechte einen hohen Rang. Der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht bedarf der Rechtfertigung, nicht aber benötigt die Ausübung des Grundrechts eine Rechtfertigung, BVerfG NJW 2007, 2167 (G8-Gipfel in Heiligendamm).

Nachdem der Antragsteller bereits drei Versammlungen durchgeführt hatte, ist nicht bekannt, dass irgendjemand Strafanzeige deswegen erstattet hätte. Auch seine Exzellenz, der türkische Botschafter, hat sich bislang nicht gerührt. Im Gegenteil hat die Antragstellerin Grund zur Annahme, dass das Botschaftspersonal ihre Demonstration billigt und sogar begrüßt, denn den meisten hier lebenden Türken schätzen die in Deutschland gewährleisteten Grundrechte und die Sensibilität und Weitsicht der sie wahrenden Gerichte.

 

Verwaltungsgericht Berlin – Pressemitteilung

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 06.05.2016 – 1 L 291.16.

23. April 2016

Abbruch politischer Veranstaltung wegen Gedichtinterpretation

Ohne Worte.

22. April 2016

Das Netzwerk – Spione online

Inzwischen liegen erste Rückmeldungen und Rezensionen für meinen Geheimdienstthriller Das Netzwerk vor. Bislang sind alle positiv.  :) Eine Zeitschrift schrieb:

„Ein Thriller mit wenig Blut und umso mehr Grauen – davor, wie manipulierbar wir sind, wie politische Meinungen verbreitet werden, wie sich Geheimdienste verselbständigen und ihre skrupellosen Machtspiele spielen.“

Einige haben mich sogar zu einer Fortsetzung ermuntert …

Zum Thema passend habe ich heute bei Telepolis auf die neusten Enthüllungen über die Arbeitsweise und Werkzeuge der britischen und US-amerikanischen Spione geschrieben. Der Umgang der Briten mit persönlichen Daten dürfte bei den deutschen Datenschützern, die heute in Bielefeld wieder die Big Brother-Awards vergeben, zu Schnappatmung führen. Faszinierend ist auch die Auswertung von Social Media durch die CIA, die im Gegensatz zu uns nicht mühsam einer Twitter-Timeline etc. folgen muss.

In meiner Eigenschaft als benannter Sachverständiger habe ich vor einem Monat dem Landtag NRW meine fachliche Stellungnahme zu den Vorschlägen einer Ausweitung der Internetüberwachung zur Terrorbekämpfung eingereicht. Leider hat das Thema durch die Anschläge von Brüssel traurige  Aktualität erreicht – sowohl durch den Schrecken als auch mit der Frage, wie man mit dem Terrorproblem sinnvoll umgeht. Wie die Geschichte des Terrorismus lehrt, hat sich der Überwachungsansatz als Sicherheitsesoterik erwiesen, politische Probleme können nur politisch gelöst werden.

17. April 2016

Haben die Berliner Verwaltungsrichter Herrn Erdoğan beleidigt?

Dem türkischen Staatspräsident Erdoğan bietet sich für seinen juristischen Amoklauf ein weiteres Ziel: Das Berliner Verwaltungsgericht.

Die Berliner Polente hatte befürchtet, dass auf einer Demo vor der türkischen Botschaft das Gedicht „Schmähkritik“ rezitiert würde. Dort hatte die Piratenpartei nach der Extra3-Satire eine (übrigens von mir angeregte) wöchentliche Demo etabliert. Die Polizei machte zur Auflage:

„Das öffentliche Zeigen oder Rezitieren des Gedichts ‚Schmahkritik‘ von J… B… oder einzelner Textpassagen daraus wird untersagt. Ausgenommen hiervon ist die bloße Namensnennung des Titels ‚Schmähkritik‘. Diese bleibt in Wort oder Schrift im Rahmen der Versammlung ausdrück ich erlaubt.“

Einen hiergegen gerichteten Eilantrag wies das Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 14. April 2016, Az. 1 L 268.16 ab. Dabei kam das Gericht nicht umhin, das komplette Gedicht in seinem Beschluss zu zitieren. ;)

Dabei ließen die Berliner Verwaltungsrichter ausdrücklich offen, ob eine Aufführung des Gedichts, die in den quasi-edukatorischen Kontext eingebettet ist, zulässig wäre.

Danach stellt die vom Antragsteller beabsichtigte Zitierung des Gedichts von J… B… eine Beleidigung dar. Hierbei bleibt ausdrücklich offen, ob die von J… B… selbst getätigten Äußerungen ihrerseits einen Straftatbestand erfüllen oder wegen ihres Kontextes noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Entscheidend dürfte insoweit der Umstand sein, dass B… sein Gedicht in einen „quasi-edukatorischen Gesamtkontext einbettet-, um so die Grenzen der Meinungsfreiheit zu verdeutlichen (Thiele in: http://verfassungsblog.de/erlaubte-schmaehkritik-die-verfassungsrechtliche-dimension-der-causa-jan-boehmermann/).

(Ja, die Richter haben den Bloggerkollegen Thiele zitiert.)

Jedenfalls die isolierte auszugweise Wiedergabe des Gedichts erfüllt die Voraussetzungen einer beleidigenden Schmähkritik. Trotz der öffentlichen Diskussion über den Beitrag von Herrn B… wird ein unbefangener Dritter, der die mit Ziegenmasken auftretenden Versammlungsteilnehmer und die Texttafeln wahrnimmt, dies nicht als eine zulässige Form der Meinungsäußerung verstehen. Denn es fehlt die distanzierende Einbettung in einen „quasi-edukatorischen Gesamtkontext-, wie dies bei der Satire von J… B… erfolgt ist. Deshalb stellt sich das Gedicht bzw. Auszüge daraus nur als eine Aneinanderreihung abwertender Verunglimpfungen des türkischen Staatspräsidenten dar. Dies gilt insbesondere für die vom Antragsteller aufgrund der Masken und des angemeldeten Themas der Versammlung dem Staatspräsidenten unterstellten massiven sodomitischen Handlungen.

d) Für die versammlungsrechtliche Beurteilung eines Verhaltens, das zugleich einen Straftatbestand – hier den des § 185 StGB – verwirklicht, ist unbeachtlich, ob eine beleidigte Person ein persönliches Interesse hat. den Beleidiger bestraft zu sehen und deshalb einen Strafantrag stellt (BVerfG, Beschluss vom 21. März 2007, a. a.

Es wäre für die Rechtswissenschaft von unschätzbarem Wert gewesen, wenn der Veranstalter genau das gemacht hätte … :P

Spaß beiseite: Die Richter haben natürlich nichts zu befürchten, nicht einmal urheberrechtlich.

6. April 2016

Sechster Jahrestag des Hubschraubervideos

Ende 2009 lernte ich im Berliner Chaos Computer Club „Daniel Schmitt“ kennen, den damaligen deutschen Sprecher der scheinbar vielköpfigen Organisation WikiLeaks. Damals konnten nur politisch besonders Interessierte mit dem Projektnamen etwas anfangen. Über einen verschlüsselten Chat berichtete Daniel vor sechs Jahren aus Island, dass man nun etwas „ganz Großes“ vorhabe, dafür sogar eigens eine Website einrichte.

Das Hubschraubervideo, mit der eigenen Kamera des US-Militärs aufgenommen, zeigte schonungslos und unabstreitbar den Zynismus der Besatzungsmacht. Es wurde groß.

Doch die Folgen ernüchterten: Alle Verantwortlichen dieser Menschenhatz sind auf freiem Fuß, der Mensch allerdings, der das Video geleakt hat, sitzt in Haft. Friedensnobelpreisträger Obama ist nur ein sympathisch wirkenderer Bush. Statt aus Hubschraubern lässt Obama Menschen von Drohnen aus abballern.

Noch immer hat die Politik kein Whistleblowerschutzgesetz geliefert, so dass der Mensch, der die Panama Papers leakte, in Deutschland Strafrecht und Schadensersatzforderungen zu befürchten hätte.

Schon bald nach dem Hubschraubervideo begann es bei WikiLeaks zu kriseln. Die großartige Geschichte WikiLeaks lähmte sich mit  Selbstbeschäftigung und Egos.

Einige der Erfahrungen von damals haben mich zu meinem Politthriller Das Netzwerk inspiriert, der dieser Tage erscheint. Auch dort gibt es eine Whistleblowerwebsite, von der die anonymen Mitglieder nicht wissen, wer der andere ist – und ob man ihm vertrauen kann.