12. Oktober 2013
Gestern konnte in einem soziologisch eindrucksvollen Moment getestet werden, wie es um die Lesekompetenz und Streitkultur von „Die Piraten(TM)“ steht. Etliche Twitteristen hatten einen anderen Text über Frau Beitzers Variante von Journalismus gelesen, als ich ihn geschrieben hatte.
Im Text hatte ich praktisch nur Argumente FÜR Feminismus gebracht. Ich vertrete nicht einmal die Meinung, dass die Quote grundsätzlich das falsche Instrument sei. Sehr wohl allerdings bin ich der Meinung – und das habe ich auch deutlich so geschrieben – dass beide Meinungen vertretbar sind. Und dass professionelle JournalistInnen respektieren sollten, wenn jemand nicht ihre Ideologie teilt. Zudem habe ich etlichen Piratinnen ausdrücklich meinen Respekt gezollt.
Dennoch habe ich in den Augen einiger LeserInnen einen „antifeministischen Text“ geschrieben. Das verrät mehr über die Perspektive der LeserIn, als über den Text.
Zum Mitschreiben: Ich habe nichts gegen intelligenten Feminismus. Im Gegenteil. Bei der Piratinnenkon hat Nicole von Horst eine entwaffnend starke Keynote gehalten, und ich hätte mir gewünscht, dass es den TeilnehmerInnen gelungen wäre, das Niveau zu halten. Wie nicht anders zu erwarten, legte die Presse den Focus auf die voraussehbaren Peinlichkeiten, die im Vorfeld, am Rande dieser Veranstaltung und danach passiert sind. Leider.
Jemand, der gerne Gegnerlisten auf Twitter führt, hat mich gestern auf eine Liste „rechts“ gesetzt. Als ich mich letzten Monat mit der NPD angelegt hatte, haben die mich zwar tagelang belästigt, aber soweit mir bekannt ist, hat mich von denen kein Blockwart auf eine öffentliche Liste gesetzt.
Der Sprachwissenschaftler(!) Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch war sich nicht zu schade, mir auf Twitter Äußerungen in den Mund zu legen, die ich so nicht gemacht hatte, um mich in Misskredit zu bringen. Mit einem ähnlichen Trick hatte neulich eine große Boulevardzeitung aus dem „Veggieday“ der Grünen ein angebliches Fleischverbot gemacht – die meines Erachtens erfolgreichste Manipulation dieses Wahlkampfs.
Positiv darf ich anmerken, dass mir beim gestrigen Shitstorm offenbar nur eine Person den Tod wünschte.
Mir wurde auch unterstellt, ich wolle der Presse vorschreiben, was sie zu schreiben hat. Im Gegenteil bin ich doch eigentlich als Aktivist für Pressefreiheit bekannt …
In meiner Eigenschaft als damaliger Bundestagskandidat bin ich während der Snwoden-Enthüllungen zu Piratenveranstaltungen durch die halbe Republik gereist – geschrieben wurde darüber so gut wie nichts. Die Pressemitteilungen, an denen ich mitwirkte, wurden gerade einmal vom „Neuen Deutschland“ aufgegriffen. Für Journalisten, die bisweilen aus unseren Tweets Headlines stricken, hatte ich ein NRW-Kandidatenblog eingerichtet, damit jeder vom Schreibtisch aus lesen konnte, wer wir sind und was wir wollen. Soweit mir bekannt, wurde nicht eine einzige Silbe übernommen. Frustrierend, aber als 2%-Partei hat man eben nichts zu melden.
Es ist Sache der Presse, was und wie sie berichten will. Wenn aber eine Journalistin zwei Jahre lang ständig Genderthemen haben will, obwohl wir uns mit anderen Dingen beschäftigen, und dann in ihrem Resümee den Eindruck erweckt, wir wären Sexisten und offen nach rechts, dann ist das nicht mehr nur schwacher Journalismus, sondern irgendwas ganz anderes. Wenn eine Redaktion da über zwei Jahre lang nicht eingreift, dann ist das eben kritikwürdig.
Gestern haben auf Twitter etliche Leute bewiesen, dass sie mit längeren Texten offenbar überfordert sind, vor allem dann, wenn – wie es gestern jemand formulierte – ein Pro-Feminist sich einen Millimeter zu weit von der Linie wegbewegt.
Wir waren mal eine Partei gegen Zensur und für Toleranz. Inzwischen haben wir auf Twitter reaktionäre Politkommissare und ideologische Blockwarte, die einzig die eigene Meinung gelten lassen und zur Durchsetzung zu unappetitlichen Mitteln greifen. Schade eigentlich.
11. Oktober 2013

Liebe Internet-Trauergemeinde (TM),
wir gedenken heute dem Piraten Sven Krohlas.
Sven war ein Pirat der ersten Tage. Der Informatiker wusste 2006 nicht mehr, welcher Partei er noch guten Gewissens seine Stimme geben konnte. Schon damals lehnte er die immer weiter ausartenden Überwachung ab, engagierte sich für die Förderung freier Software und kämpfte gegen Softwarepatente – Themen, die keine andere Partei besetzte.
Sven machte so etwas verrücktes wie die Mitgliedschaft in einer Minipartei, die vielleicht nie, vielleicht in einem Jahrzehnt das erste Landesparlament entern würde. Er nahm es in Kauf, für so eine Partei belächelt zu werden, die der Karriere eher hinderlich als förderlich war; die Engagement nicht vergütete, sondern mit Shitstorms strafte.
Sven war bereit, sich in Fußgängerzonen bespucken zu lassen, als Zensursula das Internet diskreditierte, um es zu zensieren. Wenn man ihn rief, war er da. Die Partei, für die sich Sven engagierte, hat viel Wichtiges bewirkt. Sie hat 2009 die Internetsperren gelöscht, sie hat ACTA zumindest im ersten Level besiegt, und sie hat in der deutschen Parteienlandschaft für Aufsehen gesorgt, und sei es auch nur das Einfordern von Partizipation und Transparenz.
Ich selbst wurde auf Sven das erste Mal aufmerksam, als er zu Beginn der Snowden-Enthüllungen äußerte, er wolle die NSA brennen sehen, was seinen Weg in die Medien fand. War ich im ersten Moment ob der assoziierten Billigung von Straftaten irritiert, so merkte ich erst im zweiten Moment seiner Brillanz: Als einer der ganz, ganz wenigen hatte es Sven geschafft, in diesem wenig ruhmreichen Wahlkampf die Filterbubble zu verlassen und außerhalb seiner Twitter-Timeline zu kommunizieren, dass wir Piraten etwas gegen Überwachungsstaaten haben. Und hatten wir uns nicht alle diese Woche gefreut, dass im Datenklo in Utah wegen Stromschwankungen die Platinen abrauchen?
Sven hatte immer alles gegeben. Als Basispirat, bei der Programmentwicklung, beim Aufbau von Stammtischen, als Landtagskandidat, als Politischer Geschäftsführer des Landesverbandes und dann als Bundestagskandidat. Jüngst trug man ihm eine Kandidatur zum Bundesvorstand an. Doch Sven wurde schon länger von Zweifeln geplagt. Seine Freunde wussten es schon lange, dass er dem Projekt keine Chance mehr gab. Wie das Orchester auf der Titanic, das spielte, bis das Wasser kam, hat er seine Rolle tapfer bis zum Schluss gespielt.
Nach sieben Jahren Mitgliedschaft hat er uns heute verlassen.
9. Oktober 2013
https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&list=PLB0D0D18AEDC55D0B&v=eMagGx9JPAc
Vorab:
Ich lege gesteigerten Wert auf die Feststellung, dass ich den Medien keine bis wenig Schuld am Abstieg der Piraten gebe.
Im Gegenteil beklage ich sogar, dass Journalisten 2011/2012 überhöhte Erwartungen weckten und nicht früher kritischer über das Piratenprojekt urteilten, wo es angebracht war, um absehbare Fehlentwicklungen frühzeitig zu korrigieren. Der Verlust an Wohlwollen und Aufmerksamkeit ab Sommer 2012 ist definitiv hausgemacht und von den Verantwortlichen, und denen, die sie gewähren ließen, wohlverdient. Nach der Niedersachsenwahl mit 2% ging es in erster Linie um Haltung. Der Bundestagswahlkampf war spätestens im Frühjahr 2013 definitiv zu Ende, nachdem feststand, dass die Kommunikationsstrukturen nicht ansatzweise funktional waren und bleiben würden. Selbst eine noch so wohlwollende Presse hätte uns so nicht mehr über 5% gehoben. Nicht einmal während der Snowden-Enthüllungen gelang es der Piratenpartei, das Thema medienwirksam zu besetzen oder Expertise zu kommunizieren. Die einstige „Internetpartei“ spielte sich als Sozialreformerin auf, warb mit den gleichen Themen wie die meisten Mitbewerberinnen, jedoch ohne Alleinstellungsmerkmale oder Persönlichkeiten. Gesichter der Partei im öffentlichen Gedächtnis waren skurrile Vorstände sowie unreife Herrschaften insbesondere in Berlin, von denen man nach einem Jahr Welpenschutz genug gesehen hatte.
Die Presse beschränkte sich 2013 im Wesentlichen auf Ignorieren der 2%-Partei, die Gegnern nicht einmal mehr das Bewerfen mit Dreck wert war. Die in der „kleinen Bundestagswahl“ während des NRW-Wahlkampfs von 2012 erlebten Peinlichkeiten wie die „Mein Kopf gehört mir“-Kampagne des HANDELSBLATTS, der „ZEIT-Aufruf“ und der irre Rant des CICERO-Herausgebers, die unfreiwillig PR für die Piraten machten, blieben 2013 aus. Pädo-Storys lancierte man diesmal über die Grünen und die FDP; auch eine kollektive Medienhysterie über eine halluzinierte Unterwanderung durch Nazis wurde uns dieses Jahr erspart. Eine nicht mehr allzu originelle Partei, die als einzige bei Verlagen weder Anzeigen schaltet noch Medienbeteiligung oder verwurzelte Redaktionskontakte pflegt, hat nun einmal nur geringe Ansprüche auf Aufmerksamkeit.
Nein, die Presse trifft keine bis wenig Schuld an der Misere der Piraten. Dennoch ist es eine Frage der Hygiene, das gelegentliche Foulspiel und mangelndes journalistisches Handwerk zu dokumentieren, denn politischer Journalismus ist für die Gesellschaft wichtig. Die Vollprofis aus dem Berliner Hauptstadtjournalismus, die ich demnächst hier in meinem Blog behandeln werde, hätte ich auch im Falle eines glorreichen Wahlsiegs öffentlich in gleicher Weise kritisiert. Sie hätten eigentlich die Aufmerksamkeit der Medienkritiker wecken müssen. In Berlin funktioniert politischer Journalismus keinen Deut weniger provinziell als anderswo. Nachdem wir nun die Wahlen des Herbstes 2013 hinter uns gebracht haben, ohne dass sich jemand des Themas annahm, fällt nun mir die Chronistenpflicht zu, der Nachwelt von diesen Glanztaten der „vierten Macht“ zu künden.
Die beißende Ironie an den hier demnächst zu erzählenden Geschichten ist, dass der Partei, die als „postgender“ startete und Pressefreiheit so hoch wie keine andere hielt, ausgerechnet die Kombination von beidem nicht bekam. Vielleicht gelingt es Regisseuren wie Helmut Dietl oder Sönke Wortmann, aus journalistischem Totalversagen einen satirischen Film wie etwa „Der Campus“ zu machen. Wie wir sehen werden, bietet der Stoff für eine Polit- oder Mediensatire mehr als genug Inspiration.
22. September 2013
Die Piratenpartei hat sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 um 0,2 % gesteigert, wobei aufgrund der höheren Wahlbeteiligung der Stimmenzuwachs noch höher liegt. Insgesamt haben uns eine Million Menschen ihr wertvollstes demokratisches Recht anvertraut. (UPDATE: 958.507.)
Am heutigen Wahlabend ärgern sich vermutlich alle anderen Parteien, dass ihnen genau die 2,2 % der Stimmen fehlen. FDP und dieses alberne Gebilde hätten gerne 0,2 % davon abgehabt. Die Grünen und die Linkspartei liegen nunmehr gleichauf – beide wären jeweils mit unseren Stimmen zweistellig, was insbesondere bei der Linkspartei die v0n der SPD versagte Autorität hätte erhöhen können. Zwischen den Blöcken CDU/CSU und rot-rot-schwarz fehlen diese von uns gekaperten 2,2 % schmerzlich, die übrigens beinahe ein Zehntel der Volkspartei SPD ausmachen.
Wie schon 2009 fragen sich die Wahlstrategen, wie sie ihre Prozente von uns wieder zurück kriegen. Und wie schon beim Zensursula-Gesetz und bei ACTA werden die sich Gedanken machen müssen, wie man uns die Themen wieder entzieht. Nicht ganz zufällig etwa beeilte man sich letzten Freitag, dass Anti-Abzock-Gesetz endlich durch den Bundesrat zu bringen, welches das Kostenrisiko von uns so verhassten Filesharing-Abmahnungen deutlich reduziert. Wir waren insoweit mächtiger als die Lobbyisten der Musikindustrie, denen die rot-schwarze Koalition gefällig gewesen war.
Ob wir im Bundestag sitzen, oder ob wir sie von außen da kneifen, wo es sie am meisten weh tut, nämlich bei ihrem Machtanspruch, ist zweitrangig: Wir werden den Lebensraum Internet auch weiterhin verteidigen. Die 2,2 % Stimmen waren es wert.
Zu begrüßen ist ferner, dass es weder der FDP, noch den Deutschtümlern gelungen ist, mit massiven finanziellen Mitteln die 5%-Hürde zu knacken. Insbesondere bei der FDP haben die Leute sich von der dreistesten Kampagne nicht beeindrucken lassen, die ich je in einem Wahlkampf gesehen habe.
Der Partei Die PARTEI gratuliere ich zu 0,2 % der Wählerstimmen, was ebenfalls eine Steigerung um 0,2 % ausmacht. Auch die hätte die FDP gut brauchen können … ;)
21. September 2013
(Juli 2013, Demo gegen Prism in Frankfurt/Main)
Piraten!
Wenn morgen die Stimmen der Piraten ausgezählt werden, sind diese in erster Linie euer Verdienst. Die Leute wählen, weil ihr sie mit großem Enthusiasmus in den Fußgängerzonen überzeugt habt. Man wird uns nicht aus dumpfem Protest, nicht aus Taktik, nicht als Resultat einer teuer orchestrierten PR-Kampagne, nicht aus religiöser Verbundenheit und auch nicht wegen einer Präsenz in den Medien wählen. Anders als 2012 fanden wir in der Öffentlichkeit in diesem Wahlkampf praktisch gar nicht statt. Über die Gründe wird zu reden sein.
Wir waren schon einmal eine Partei ohne Lobby. Wir haben 2009 als nahezu unbekannte Partei auf der Straße gestanden, um für das einzutreten, was wir bedroht sahen: Die Freiheit des sozialen Raums Internet, dessen Potential die etablierten Parteien erst verschlafen hatten und dann das „Neuland“ kollektiv weltfremd bekämpften. CDU, SPD und die unzuverlässigen Grünen hatten sich unwählbar gemacht, die FDP war es aus anderen Gründen schon immer, und auch die Linkspartei liegt nun einmal nicht jedem.
Wir hatten die Politiker da gekniffen, wo es sie am meisten weh tat, nämlich bei den Wählerstimmen. Durch unseren außerparlamentarischen Protest haben wir die Netzsperren und sogar ACTA(!) gekippt. Das sind die Gründe, warum ich dieser Partei auch in schwierigen Zeiten die Treue halte, denn eine solche Kraft wird im politischen Spektrum nach wie vor gebraucht. Mit Datenschutz, Privatsphäre und Urheberrecht sind die anderen Parteien überfordert.
Ob wir uns einen Gefallen damit getan haben, unsere Kernthemen zu verlassen und uns ein Vollprogramm zu geben, wird unterschiedlich beurteilt. So gut unser Programm auch sein mag, so habe ich nicht verstanden, warum wir derzeit vor allem mit Themen werben, die auch andere, wesentlich stärker organisierte Parteien anbieten, und warum wir das Korruptionsthema nicht deutlicher kommunizierten. Mir waren vor allem unsere Kernthemen wichtig, und für diese hatte ich die Ehre, als Kandidat in diesem Wahlkampf einzutreten. Urheberrecht spielte in diesem Wahlkampf allerdings keine Rolle. Erstaunlicherweise wollte selbst während der NSA-Affäre über Geheimdienste niemand etwas von mir in meiner Eigenschaft als Pirat hören, obwohl ich mich mit diesen Organisationen seit einem Jahrzehnt ausgiebig befasse und in Experten- und Hackerkreisen gut vernetzt bin. Ohne die Partnerschaft mit den Medien war es für eine finanziell schwache Partei nicht möglich, den Leuten in der Breite zu kommunizieren, dass Überwachung und Datenschutz wichtige Themen sind. Wenig überraschend waren den Medien Köpfe wichtiger als Themen.
Ich danke jedem Wahlkämpfer, der sich nicht entmutigen ließ. Ich danke vor allem Katharina Nocun, dass sie gerade in schwierigen Zeiten nach vorne gegangen ist und mit beeindruckendem Enthusiasmus für die Sache eintrat. Ich danke insbesondere der NRW-Kandidatin Melanie Kalkowski, die leider in diesem Wahlkampf viel zu wenig in den Medien war, obwohl sie ihre Sache fantastisch gemacht hat. Ich danke speziell auch besonders meinem Kollegen Udo Vetter, der die Piraten exzellent vertreten hat. Ebenfalls danke ich Anke Domscheit-Berg, die trotz ihres aussichtslosen Listenplatzes im Flächenland Brandenburg einen beispiellosen Wahlkampf geboten und in den Medien das Kernthema Open Government kommuniziert hat. Ich danke auch Bruno Kramm, der Urheberrecht in den Medien besser darstellen konnte, als es uns Anwälten möglich gewesen wäre, und stets ein verlässlicher Partner war.
Ich danke für die nachhaltige Unterstützung auch den Piraten in Münster, die sich in den letzten Wochen keine Pause gegönnt haben. Sebastian Kroos und unsere Direktkandidatin Sasa Raber haben mich schwer beeindruckt.
Besonders danken möchte ich der Münsteraner Piratin Marina Weisband, welche für die positive Wahrnehmung der Piraten vermutlich mehr bewirkt hat, als alle anderen Piraten zusammen.
9. September 2013
Letzten Samstag trafen sich rund 10.000 Menschen in Berlin, um gegen den Überwachungswahn zu protestieren. Während Grüne und Die Linke (und lästigerweise auch eine verlorene Abordnung der JuLis) Flagge gegen die Massenbespitzelung zeigten, fehlten CDU und SPD unentschuldigt. Man will sich ja später in der großen Koalition nicht unglaubwürdig machen.
Auf der „Freiheit statt Angst“-Demo waren die überwiegenden Beiträge thematisch und kreativ. Allerdings sah sich insbesondere die Piratenpartei gefordert, ihre Präsenz zu kommunizieren, denn andernfalls hätten die Zeitungen ebendiese vermisst. Tatsächlich etwa schrieb die ZEIT von „einigen Piratenfahnen“, obwohl die meisten Beobachter wohl eher viele solche wahrgenommen hatten. An dem Fahnenmeer störten sich etliche Nicht-Piraten, denen der Protest nicht intellektuell genug sein konnte. Allen wird man es wohl nie recht machen können. Auf jede Piratenfahne kam allerdings mindestens eine kreative Aktion.
Befremdlich finde ich allerdings die Nachlese, die heute in einigen Blogs zu lesen war. So sei die Veranstaltung bisweilen „antiamerikanistisch“ gewesen. Nun habe ich nicht alle Redebeiträge gehört und nicht jedes Plakat abgenommen, aber mir scheint da eher ein kommunikatives Defizit auf Empfängerseite vorzuliegen:
Wenn ein Redner forderte, Deutschland solle nicht länger ein „Vasallenstaat“ der USA sein, so bezog er sich auf ein Zitat des US-Beraters Zbigniew Brzeziński, der in seinem Buch „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ die Verbündeten der USA gönnerhaft als „Vasallenstaaten“ bezeichnet und das ernst meint. Das Vorwort steuerte sein Kumpel, der vormalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei, der offenbar gerne Vasallenstaatler war.
Andere Redner betonten, dass wir nicht der 51. Bundeststaat der USA seien und dass man einander auf Augenhöhe begegnen solle – was nun einmal im geheimdienstlichen und militärischen Bereich nicht der Fall ist. Wie man in diesem Befund „Antiamerikanismus“ hineindeuten könnte, übersteigt ein bisschen meine Fantasie. Wenn allerdings die NSA hierzulande die Gastfreundschaft in unfassbarem Maße verletzt, die CIA in Pakistan Zivilisten mit Drohnen abschießt, die US-Streitkräfte fremde Länder nach Gusto bombardieren und Soldaten ungestraft davonkommen, wenn sie Passanten mit dem Maschinengewehr aus dem Helikopter abschießen, und sich dann für eine Anerkenntnis des internationalen Gerichtshofs in den Haag zu schade sind, dann darf man ab und an schon mal ein kritisches Wort verlieren. Sogar der Kanzlerin scheint die US-Kriegerei langsam auf den Geist zu gehen.
Wenn die Szene derer, die sich für digitale Bürger- und Menschenrechte einsetzen, sich leichtfertig über subjektive Befindlichkeiten auseinander dividieren lässt und man die gemeinsame Veranstaltung mal eben leichtfertig als „antiamerikanisch“ labelt und anderen Vorschriften machen will, wie sie teilnehmen sollen, dann finde ich das irgendwie schade.
6. September 2013
https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=o7XrAZFCrao
Für heute hatte ich eigentlich wenigstens von der ZEIT erwartet, dass sie auf den 50. Jahrestag eines ihrer wichtigsten – und erstaunlich aktuellen – Artikels hinweist. Damals hatte die ZEIT mit ihren Enthüllungen die Abhöraffäre in Gang und den Innenminister Hermann Höcherl in Bedrängnis gebracht. Der wiegelte ab wie Pofalla:
„Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“
Einen Tag vor der „Freiheit statt Angst“-Demo hätte ein Hinweis auf diesen Enthüllungsartikel gut gepasst.
Alles muss man selber machen.
2009 warben die Veranstalter der Demonstration „Freiheit statt Angst“ mit diesem Trailer. Ein unfassbarer Polizeivorfall auf dieser Demo war damals für mich Anlass, bei den Piraten einzutreten.
Anders als 2009 sind heute die Internetsperren nicht das Thema, sondern das Ausspähen durch die NSA, das die Lebensqualität unseres Lebensraums Internet entscheidend beeinträchtigt. Nachdem der ehrwürdige Chaos Computer Club lange Bedenken hatte, weil er sich parteipolitisch nicht vereinnahmen lassen will, ruft auch diese Institution zur Teilnahme auf.
Wir sehen uns morgen. Berlin, Alexanderplatz. 13 Uhr.
Wer es nicht schafft, kann wenigstens zugucken.
Jedes Jahr treffen sich in Pamplona etliche Vollidioten, um andere Vollidioten zu beeindrucken.
Dieses Bullenrennen war möglicherweise Namensgeber für das NSA-Programm Bullrun, dessen Gefährlichkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Indem wir unsere IT-Infrastruktur mit Produkten aufgebaut haben, die Schadcode der NSA enthalten, haben wir uns wie die Vollidioten in Pamplona selbst in Gefahr gebracht.
Es wird nun langsam Zeit, dem Silicon Valley Lebewohl zu sagen und alternative IT-Umgebungen aufzubauen. Der europäische Stier ist mir lieber als der Bullrun. Dass unsere Politiker weder die Brisanz des Themas noch die Chance für den IT-Standort Europa erkennen, sondern vor angeblichem Antimarikanismus warnen, ist mir unbegreiflich. Was muss eigentlich noch passieren?
UPDATE: Namensgeber dürfte eher die Schlacht am Bull Run im US-Bürgerkrieg gewesen. Der Krieg gegen die eigenen Bürger hat in den USA ja Tradition …
5. September 2013
Am Dienstag waren Udo Vetter, Daniel-Domscheit-Berg und ich zu Gast im Berliner taz-Café, um mit den eigens eingeladenen Hauptstadt-Journalisten und sonstigen Gästen über den BND/NSA-Skandal und die Chancen eines Untersuchungsausschusses zu diskutieren. Mit dem in der Durchsetzung von Bürgerrechten erfahrenen Strafverteidiger Udo Vetter, dem weltbekannten Hacktivisten und IT-Sicherheitsexperten Daniel Domscheit-Berg und meiner Wenigkeit als interessierter, aber belesener Laie in Geheimdienstgeschichte, hatten wir die wesentlichen Felder abgedeckt, die man für so einen Talk braucht.
Das taz-Café war bis auf den letzten Platz besetzt. Wir hatten ein sehr aufmerksames Publikum, das kluge Fragen stellte. Der Talk hat allen Beteiligten großen Spaß gemacht und war uns die Anreise aus NRW jede Sekunde wert. Wir könnten uns gut vorstellen, einen BND/NSA-Untersuchungsausschuss zu leiten. Ähnlich wie beim BER-Ausschuss wären die Piraten praktisch die einzigen, die das ohne Interessenkonflikte könnten.
Während die Gäste sehr interessiert waren und sich durchweg positiv äußerten, hatten die politischen Journalisten in Berlin offenbar Besseres zu tun. Im Axel Springer-Haus auf der gegenüberliegenden Seite war man im Gegenteil in dieser Nacht mit einer Boulevardstory befasst, um die Piraten in den Dreck ziehen. Lediglich das Norwegische Radio interessierte sich für uns. Meine Lieblingsfrage von Journalisten ist übrigens die, warum man denn von den Piraten so wenig zur NSA hört.