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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


20. November 2013

Der zensierte Dieter Hildebrandt

 

Am 22.05.1986 klinkte sich der Bayrische Rundfunk aus dem Programm der ARD aus und zensierte für die unmündigen Bayern den Scheibenwischer mit Dieter Hildebrandt. Anlass war Hildebrandts Abneigung gegen Kernenergie. Wenige Wochen zuvor war in Tschernobyl ein Atomkraftwerk hochgegangen.

Videoaufzeichnungen wurden nach Bayern „eingeschmuggelt“ und etwa bei den Münchner Kammerspielen gezeigt.

11. November 2013

Letter to Oliver Stone about Untold History

Dear Mr Stone,

I cannot answer directly your question on how “Untold History” was received in Germany. I got rid of my TV years ago and I have now watched the original DVD. Truth be told, the broadcasting of “Untold History” in Germany has hardly attracted any attention. The TV station N-tv which broadcast it in the end was also not the first choice. When it comes to foreign documentaries, the major German broadcasting stations do not simply air a dubbed version, but use the available material to create their own adaptation to which they will add their own commentary. Therefore, your format didn’t have much of a chance. Unfortunately, N24 changed the title from “Untold History of the United States” to “History of the United States”, which naturally arouses different expectations.

A renowned German newspaper, the SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, wrote something derogatory about your documentary. This very newspaper made fun of your portrayal of Henry Wallace as a hero and argued that 99.55% of German television viewers probably would not know him. Although the assessment of the level of awareness may be true, many of the other comments stem from pure ignorance. After all, the newspaper agrees that Roosevelt left the Second World War to the Russians for far too long and that the atomic bomb was not decisive for the war. The latter assumption is also widespread in Germany.

Although I get the impression that (modelled on the BBC approach) German television and the German media in general appear more independent than the more patriotic U.S. media, the conditions here are far from perfect. Germany’s leading political magazine DER SPIEGEL, thus, in relation to the Kennedy assassination prefers to ridicule sceptics and doesn’t even provide the level of research of the ARRB of 1998. So whoever deals critically with the assassination is put on a par with UFO crackpots by DER SPIEGEL. In Germany, by the way, no one knows who Allen Dulles or Lyman Louis Lemnitzer was and even the tensions between the Kennedys and the Pentagon at the time were widely unknown in Germany.

Incidentally, I was touched that you also mentioned the bombing of my city of Münster. Two duds were discovered during construction works under the tracks at the railway station, just last year.

So, ignore the ignoramuses and keep doing your work! I like every piece of it!

6. November 2013

Elmar Theveßen gibt Snowden Ratschläge

Elmar Theveßen, Geheimdienstexperte und stellvertretender Chefredaktuer des ZDF, hatte mich dieses Jahr eigentlich positiv beeindruckt. So war er diesen Sommer für seine sehenswerte Doku „World Wide War“ über Prism & Co eigens zu uns zur OHM in die Niederlande gereist. In Talkshows machte er zur NSA eine kompetente Figur.

Doch seit heute Abend hat Theveßen mit einer provokanten Aufforderung an Snowden Kritik auf sich gezogen. So erkennt er ihm Nobelpreis ab, verweigert ihm Asyl und verlangt vor allem, Snowden möge nicht mehr scheibchenweise leaken, sondern alle Dokumente ins Netz stellen und fertig.

Die Forderung Theveßens, alles auf einmal ins Internet zu stellen, erinnert jedoch genau an den Fehler, den WikiLeaks seinerzeit gemacht hatte. Das undosierte Leaken hatte zwei fatale Effekte:

1. Etliche wichtige Geschichten wurden im Windschatten „beerdigt“. Die Medien berichteten ausgiebig über die Boulevardstorys, wie sich die US-Diplomaten über die internationalen Politiker lustig machten.

2. Weil alle Medien plötzlich alle Daten hatte, machte es für Medien keinen Sinn, in eine vertiefte Recherche zu einzelnen Themen zu investieren. Denn wenn man es nicht exklusiv hat, muss man damit rechnen, dass ein Mitbewerber mit der Story einen Tag vorher rauskommt, also Zeit und Geld in den Sand setzt.

Hätte Snowden die Dokumente im Juni alles auf einmal platzen lassen, wäre das Thema nach einem Monat durch gewesen, und wir würden uns heute über andere Tagespolitik unterhalten. So ähnlich hatten es sich ja auch Pofalla & Co. vorgestellt, die ja schon den Skandal für beendet erklärt hatten.

Es gäbe übrigens noch jemanden, der alles auf den Tisch legen könnte: Die NSA. Daher wäre es doch ungleich cooler, die Aufforderung nicht an den mutigen Whistleblower, sondern an die NSA zu richten.

Was aber übel aufstößt, ist der negative Spin, den Theveßen gegen die Person von Snowden dreht. Das Timing ist insoweit erstaunlich, als dass sich diese Woche auch die BILD-Zeitung für die NSA positionierte und auf der Klaviatur des Terrorismus spielte. Das ist für einen öffentlich-rechtlichen Journalisten keine angemessene Gesellschaft.

By the way: Auf den unfassbar platten BILD-Artikel hatte ich mit dieser sarkastischen Parodie geantwortet.

3. November 2013

Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt

Gestern habe ich zum zweiten Mal dieses Jahr im Kinosessel jene Geschichte gesehen, bei der ich 2009/10 Zaungast war: WikiLeaks.

Im Vorfeld hatte die Hackerszene befürchtet, es werde ein Anti-WikiLeaks-Propagandafilm, da er auf zwei Büchern von Personen basiert, mit denen Assange gebrochen hatte. Der Chaos Computer Club in Berlin, gewissermaßen ein Geburtshelfer von WikiLeaks, verweigerte eine Drehgenehmigung, und auch das CCC-Logo wurde beim am Originalschauplatz der damaligen CCC-Kongresse gedrehten Film verfremdet. Die Assanginistas störten sich an der fiktionalen Bearbeitung und vermissten etliche ihnen wichtige Aspekte. Die deutschen Filmkritiker wetteiferten wie üblich, wem denn der intellektuellste Verriss gelingen würde und lobten vor allem die darstellerische Leistung des Assange-Darstellers Benedict Cumberbatch.

Meiner Meinung nach war es genau umgekehrt.

Die Autoren hatten entschieden, den Film aus der selektiven Perspektive von Daniel Schmitt/Domscheit-Berg zu zeigen. In den hieraus destillierten 128 Minuten brachten sie denkbar viel Stoff und Kolorit unter. Viele Personen kamen zu Wort, das Wesentliche wurde durchaus gebracht (wobei ich das Geschachere mit den SPIEGEL-Leuten etwas vermisst habe). Entgegen meinen Erwartungen blieb der von Spielberg produzierte Film ausgesprochen unamerikanisch und ging mit der Geschichte von WikiLeaks durchaus fair um.

Nicht einverstanden bin ich allerdings mit der karikaturhaften Darstellung von Assange. Entgegen einer bei Schauspiellaien verbreiteten Vorstellung ist die Darstellung eines Verrückten keine so große Herausforderung. Ungleich anspruchsvoller ist es, einen schwierigen Charakter überzeugend als Menschen zu spielen. Das gelang Cumberbatch eigentlich nur in der letzten Szene, in der er sich offenbar Assanges Worten über den im Vorfeld kritisierten Film bediente und erstmals das schalkhafte an Assange erkennen ließ. Ich selbst bin Assange nur sehr kurz begegnet, aber das in den Medien verfügbare Material reicht aus, um zu beurteilen, dass er trotz aller charakterlichen Untiefen kein Zombie ist, wie er im Film von Anfang an dargestellt wurde. Diese plumpe Einseitigkeit beraubt die im Original durchaus charismatische Figur jeglicher Spannung.

Und genau da hat es der Spielfilm, der nicht in Programmkinos, sondern in Popcornkinos lief, dramaturgisch vergeigt. Der Spielfilm hätte in der ersten Hälfte eine Kommödie sein müssen, eine Art Lausbubengeschichte zweier Nerds, die mit einem Minimum an Aufwand und Esprit Diktaturen und die verbliebene Supermacht USA ins Wanken brachten. Tatsächlich hatten die beiden eine Menge Streiche unternommen und zusammen jede Menge Spaß gehabt. Wenn man sich die Präsentation auf dem 26C3 ansieht, kann man Assange wohl kaum einen intellektuellen Humor absprechen. Die Drehbuchautoren hätten einfach nur zugreifen müssen, allein in Daniels Buch sind etliche komische Szenen beschrieben, der NASA-Hack war irre witzig, oder etwa die unfreiwillig komische E-Mail-Korrespondenz mit dem hilflosen BND-Chef Ernst Uhrlau. Wäre die Freundschaft zwischen den beiden Hackern nicht von Anfang an als kaputt dargestellt worden, dann wäre der Übergang in die Phase des Bruchs deutlich spannender verlaufen, der Film wäre insgesamt unterhaltsamer geworden. Etwa die Doku „We Steal Secrets“ zum gleichen Thema hat durchaus sehr witzige Momente.

Der Film „Inside WikiLekas – Die fünfte Gewalt“ ist deutlich besser, als er besprochen wurde, und ich empfehle jedem dringend, ihn sich anzusehen. Auch, wenn die Person des Assange nicht überzeugend ausgearbeitet wurde, so haben die Autoren doch auf etliche Aspekte verzichtet, mit denen sich Assange selbst in Misskredit brachte. Der Film erzählt die Geschichte aus der Sicht von Daniel mit einigen dramaturgischen Verdichtungen, und das ist durchaus gelungen. Vielleicht bekommen wir ja eines Tages ein Assange-BioPic, das eine andere Perspektive bietet.

Schmunzeln musste ich bei einer von Moritz Bleibtreu gespielten Figur, die einen genialen Hacker im WikiLeaks-Umfeld namens „Markus“ verkörperte, der das berühmte Submissiontool programmierte. Also ich war’s ganz sicher nicht … ;)

1. November 2013

Unser Mann im Bundestag

 

Im März 2002 verließ Linksanwalt Hans Christian Ströbele, in der rot-olivgrünen Fischer-Fraktion längst isoliert, demonstrativ das Reichstagsgebäude. Er schätzte den Menschen, dem da die Berliner Parlamentarier hündisch huldigten, zutreffend ein: George W. Bush, der im Auftrag seiner ultrakonservativen Freunde Angriffskriege auf die Ölfelder im Nahen Osten schmackhaft machte. Blut für Öl.

„Jemandem, der einen Krieg nach dem anderen führt und den nächsten ankündigt und sich in jeder Weise gegen die Umwelt versündigt, dem kann ich doch nicht zujubeln im Deutschen Bundestag“

Als die Grünen sich für ihre Jobs in der Energiewirtschaft usw. empfahlen, die sie heute bekleiden, war es Ströbele, der sich noch hörbar für eine sinnvolle Drogenpolitik einsetzte und sich auf Hanf-Demos sehen ließ.

Während die Bundesregierung eine Vorladung des Zeugen Snowden mit Pseudoargumenten wie „keine ladungsfähige Adresse“ vermeiden möchte, redete Ströbele von Anfang an Tacheles und machte gestern Nägel mit Köpfen.

Wir haben einen Politiker im Bundestag! An dieser Stelle übrigens nachträglich herzlichen Glückwunsch zum erneuten Direktmandat.

Ich verneige mich tief.

29. Oktober 2013

USA werden Kulturnation

Mit Riesenschritten nähern sich die Vereinigten Staaten von Amerika dem an, was man als kultiviert bezeichnen darf. Bereits 1976 verfügte Präsident Ford die Executive Order 11905, die es fortan der CIA untersagte, ausländische Staatschefs zu töten. Nunmehr diskutiert man in Washington, auch auf das Ausspähen wenigstens befreundeter Staatschefs zu verzichten. Das ist doch schon mal was!

Auch auf militärischer Ebene werden die USA immer humaner: Warf man (aus fiktiven Gründen) auf die Reisfelder in Vietnam noch Bombenteppiche und begann (aus fiktiven Gründen) vor einem Jahrzehnt auf den Ölfeldern des Irak einen Krieg, der über eine halbe Million Menschen das Leben kostete, so können heute dank NSA-Informationen Terrorverdächtige gezielt von Drohnen aus liquidiert werden. Warum sollten sich die Menschenfreunde aus Washington dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag unterwerfen?

Doch es gilt noch ein paar Hürden zu meistern. So ist es im Mutterland der Meinungsfreiheit Folteropfern offenbar verboten, über ihre Folterungen zu berichten. Denn Derartiges sei ja geheim! Ob da wohl die Todesstrafe drauf steht? Aber Schwamm drüber: Immerhin kriegen die Nordamerikaner ja jetzt ein Gesundheitssystem. Wo gibt es so etwas schon seit über einem halben Jahrhundert? Richtig, auf Kuba. Selbst in Vietnam ist die durchschnittliche Lebenserwartung ein Jahr höher als in den USA. Falls da nicht wer demokratisierende Bomben schmeißt oder die Lebensmittel verfastfooded.

18. Oktober 2013

Caspar C. Mierau, Popcornpirat – Journalisten unter Piraten (3)

 

Die wohl interessanteste Publikation über die Piratenpartei war das Blog Popcornpiraten.de, das zwischen August 2012 und dem 16. Oktober 2013 die Phase des Niedergangs der Piratenpartei begleitete. Über die Motivation des Autoren Caspar Clemens Mierau war viel gerätselt worden. Nunmehr hat Mierau zum Schluss seines Projekts seinen Helfer im Hintergrund geleakt, nämlich den Blogger Jürgen „tante“ Greutsch, der meiner Erinnerung nach selbst einmal Pirat gewesen war, aber im Groll gegangen ist. Im April 2012 machte er sich auch als Nicht-Piratenwähler Luft. Ein solch destruktiver, aber eifriger Einflüsterer relativiert allerdings Mieraus vorgebliche Neutralität.

Wie auch immer Mieraus Blog intendiert war, so bewies es eindrucksvoll die These, dass ein Beobachter eines Experiments dieses beeinflusst, und zwar auf mehreren Ebenen. So begab sich Mierau nicht nur selbst in die Untiefen der Mailinglisten usw., wo man häufig Popcorn findet, sondern bekam welches gesteckt. Dieses Popcorn kanalisierte Mierau in den Focus der Journalisten, die natürlich alle sein Blog lasen und auf Themen stießen, die einem bisweilen sehr peinlich waren. Was bislang eher parteiintern blieb, jedenfalls aber für konventionelle Medien nicht den Schwellenwert für eine Nachricht erreichte, war dank der Überwachung durch die Popcornpiraten schnell ein Thema. Mieraus Überwachung hatte natürlich disziplinierende Effekte und wurde schnell ein geflügeltes Wort, denn wer wollte schon bei den Popcornpiraten landen? Das Popcorn blockierte bisweilen auch mediale Aufmerksamkeit, die die Partei für Sinnvolleres hätte nutzen können.

Wie Mierau selbst im oben verlinkten Vortrag auf der re:publica anmerkt, ist Popcorn alles andere als ein Spezifikum der Piratenpartei. So habe ich noch von keinem Piraten gehört, der die Namen seiner Gegner auf ein Spanferkel geschrieben hätte, wie es neulich ein Münchner SPD-Kandidat tat. Und wenn es Mierau erwähnenswert findet, dass übermotivierte Hessen in einem Moment des Überschwangs ein Foto mit einem Stinkefinger schossen, dann muss man konzedieren, dass Stinkefinger bei der SPD sogar Chefsache sind. Anders als die Grünen hatten wir keinen Kassenwart, der 270.000 € mit Prostituierten durchgebracht hat, wir hatten auch keine Pädo-Altlasten oder sonstige Kriminalität zu bieten. Ebenso wenig gab es bei uns einen Thilo Sarrazin, Jürgen W. Möllemann, Rainer Brüderle oder ähnliches Kaliber.

Natürlich haben wir auch nicht durchgehend durchgestylte, erfahrene oder charismatische Politiker. Alle Menschen, die sich dazu berufen fühlen, aktiv an Politik mitzugestalten, sind nun einmal extrovertiert. Wer es nicht wäre, wäre auch falsch in dem Job. Und wenn etwa Politprofi Angela Merkel mal keine vorbereitete Rede hält, sondern ausnahmsweise improvisiert, dann schrumpft auch sie erstaunlich schnell auf Normalmaß.

Wenn man eine Partei selektiv auf den Boulevard reduziert, dann ist das natürlich nur mäßig angenehm. Da ich aber vor Jahren selbst einmal auf Seiten von sehr lästigen Watchblogs zu tun hatte, kann ich Mieraus Gaudi gut nachvollziehen. ;)

Wenn die gescholtenen, vorgeführten Piraten sich als besonders intensive Popcornfabrikanten wahrnehmen, so gibt es einen Trost: Das liegt wohl vor allem an der Filterbubble. Außerhalb der Parteikreise dürfte das Blog selbst kaum wahrgenommen worden sein. Wie schon oben gesagt, haben die anderen Parteien nicht weniger Popcorn zu bieten. Die heute-Show etwa müsste eingestellt werden, wenn es anders wäre. Und die kommt schon seit einem halben Jahr praktisch ohne die Piraten aus.

Die Wirkung von Mieraus Popcornpiraten war deshalb so stark, weil er nicht etwa, wie manch politischer Gegner, eine gegnerische Partei mit Dreck bewarf. Dass das nicht nur nicht funktioniert, sondern kontraproduktiv ist, sah man sehr schön im NRW-Wahlkampf 2012, wo die Urheber für uns die beste PR gemacht hatten. In der politischen Feind-PR etwa ist weniger fabrizierte Desinformation gefragt als vielmehr geschicktes Platzieren von zutreffender Information.

Wie auch immer, eine Partei, die für Meinungsfreiheit und gegen Zensur eintritt, muss mit einem Watchblog leben. Etwas irritiert war ich, als ich hörte, dass die Piratenpresseleute Anfragen von Mierau ignorierten (wenn’s stimmt …). Ich hatte ihn mal angerufen, um ihn in aller Freundschaft auf ein rechtliches Problem aufmerksam zu machen (in etwa so, wie er es ja in seinem Vortrag von anderen vermisste), und der Kontakt war eigentlich sehr freundlich. Ich habe von ihm keine Unterlassung verlangt und mich auch über nichts ernsthaft beklagt, sondern nur im beiderseitigen Interesse einen Hinweis für die Zukunft gegeben. Erstaunlicherweise hat Mierau das schon etwas länger zurückliegende Telefonat neulich so dargestellt, als hätte ich ihn einer „Kampagne“ geziehen, was schon deshalb Unsinn ist, weil er damals wohl das erste Mal mal überhaupt über mich geschrieben hatte.

Doch es gibt durchaus Abzüge in der B-Note. Mieraus Postings waren dann am besten, wenn er uns authentisch einen Spiegel vorhielt und nur das Nötigste kommentierte. Einige Kommentare allerdings waren unnötig gehässig und gaben einen negativen Spin vor, der für Popcorn als solches, also zur Unterhaltung oder Information, entbehrlich gewesen wäre. Wenn man nun erfährt, dass im Hintergrund der Piratengegner „tante“ trollte, und wenn das Blog dann kurz nach dem Wahlkampf dicht macht, dann hinterlässt das schon einen sehr faden Beigeschmack. Einer Partei hinterherzusteigen, die Transparenz bis zum Masochismus auslebt, per Definition von Amateuren aufgezogen wird und die sich schon auf dem absteigenden Ast befand, ist dann so heldenhaft nun auch wieder nicht. Und manche Postings wirkten dann schon etwas bemüht. Popcornpiraten vom Format eines Netznotars waren eher rar gesät. Lästern und anderen am Zeug flicken kann jeder.

Anyway, Mierau hat mit seinem Watchblog eine spannende journalistische Pioniertat vollbracht, und wenn ich mal die Absicht hätte, einer Partei Schwierigkeiten zu machen, dann wäre das Mittel meiner Wahl ein solches Blog, das den Stil der Partei kopiert und die Popcornpolitiker für sich selber sprechen lässt. In diesem Sinne, nicht unbedingt Dank, aber Respekt an Caspar C. Mierau für ein originelles journalistisches Experiment!

 

16. Oktober 2013

NSA-Video

(via Süddeutsche Blog)

Außerdem hier ein starkes Video von 2007:

(via InsideX)

12. Oktober 2013

#Beitzergate – Lesekompetenz in 140 Zeichen

Gestern konnte in einem soziologisch eindrucksvollen Moment getestet werden, wie es um die Lesekompetenz und Streitkultur von „Die Piraten(TM)“ steht. Etliche Twitteristen hatten einen anderen Text über Frau Beitzers Variante von Journalismus gelesen, als ich ihn geschrieben hatte.

Im Text hatte ich praktisch nur Argumente FÜR Feminismus gebracht. Ich vertrete nicht einmal die Meinung, dass die Quote grundsätzlich das falsche Instrument sei. Sehr wohl allerdings bin ich der Meinung – und das habe ich auch deutlich so geschrieben – dass beide Meinungen vertretbar sind. Und dass professionelle JournalistInnen respektieren sollten, wenn jemand nicht ihre Ideologie teilt. Zudem habe ich etlichen Piratinnen ausdrücklich meinen Respekt gezollt.

Dennoch habe ich in den Augen einiger LeserInnen einen „antifeministischen Text“ geschrieben. Das verrät mehr über die Perspektive der LeserIn, als über den Text.

Zum Mitschreiben: Ich habe nichts gegen intelligenten Feminismus. Im Gegenteil. Bei der Piratinnenkon hat Nicole von Horst eine entwaffnend starke Keynote gehalten, und ich hätte mir gewünscht, dass es den TeilnehmerInnen gelungen wäre, das Niveau zu halten. Wie nicht anders zu erwarten, legte die Presse den Focus auf die voraussehbaren Peinlichkeiten, die im Vorfeld, am Rande dieser Veranstaltung und danach passiert sind. Leider.

Jemand, der gerne Gegnerlisten auf Twitter führt, hat mich gestern auf eine Liste „rechts“ gesetzt. Als ich mich letzten Monat mit der NPD angelegt hatte, haben die mich zwar tagelang belästigt, aber soweit mir bekannt ist, hat mich von denen kein Blockwart auf eine öffentliche Liste gesetzt.

Der Sprachwissenschaftler(!) Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch war sich nicht zu schade, mir auf Twitter Äußerungen in den Mund zu legen, die ich so nicht gemacht hatte, um mich in Misskredit zu bringen. Mit einem ähnlichen Trick hatte neulich eine große Boulevardzeitung aus dem „Veggieday“ der Grünen ein angebliches Fleischverbot gemacht – die meines Erachtens erfolgreichste Manipulation dieses Wahlkampfs.

Positiv darf ich anmerken, dass mir beim gestrigen Shitstorm offenbar nur eine Person den Tod wünschte.

Mir wurde auch unterstellt, ich wolle der Presse vorschreiben, was sie zu schreiben hat. Im Gegenteil bin ich doch eigentlich als Aktivist für Pressefreiheit bekannt …

In meiner Eigenschaft als damaliger Bundestagskandidat bin ich während der Snwoden-Enthüllungen zu Piratenveranstaltungen durch die halbe Republik gereist – geschrieben wurde darüber so gut wie nichts. Die Pressemitteilungen, an denen ich mitwirkte, wurden gerade einmal vom „Neuen Deutschland“ aufgegriffen. Für Journalisten, die bisweilen aus unseren Tweets Headlines stricken, hatte ich ein NRW-Kandidatenblog eingerichtet, damit jeder vom Schreibtisch aus lesen konnte, wer wir sind und was wir wollen. Soweit mir bekannt, wurde nicht eine einzige Silbe übernommen. Frustrierend, aber als 2%-Partei hat man eben nichts zu melden.

Es ist Sache der Presse, was und wie sie berichten will. Wenn aber eine Journalistin zwei Jahre lang ständig Genderthemen haben will, obwohl wir uns mit anderen Dingen beschäftigen, und dann in ihrem Resümee den Eindruck erweckt, wir wären Sexisten und offen nach rechts, dann ist das nicht mehr nur schwacher Journalismus, sondern irgendwas ganz anderes. Wenn eine Redaktion da über zwei Jahre lang nicht eingreift, dann ist das eben kritikwürdig.

Gestern haben auf Twitter etliche Leute bewiesen, dass sie mit längeren Texten offenbar überfordert sind, vor allem dann, wenn – wie es gestern jemand formulierte – ein Pro-Feminist sich einen Millimeter zu weit von der Linie wegbewegt.

Wir waren mal eine Partei gegen Zensur und für Toleranz. Inzwischen haben wir auf Twitter reaktionäre Politkommissare und ideologische Blockwarte, die einzig die eigene Meinung gelten lassen und zur Durchsetzung zu unappetitlichen Mitteln greifen. Schade eigentlich.

11. Oktober 2013

Sven Krohlas ist von uns gegangen

Liebe Internet-Trauergemeinde (TM),

wir gedenken heute dem Piraten Sven Krohlas.

Sven war ein Pirat der ersten Tage. Der Informatiker wusste 2006 nicht mehr, welcher Partei er noch guten Gewissens seine Stimme geben konnte. Schon damals lehnte er die immer weiter ausartenden Überwachung ab, engagierte sich für die Förderung freier Software und kämpfte gegen Softwarepatente – Themen, die keine andere Partei besetzte.

Sven machte so etwas verrücktes wie die Mitgliedschaft in einer Minipartei, die vielleicht nie, vielleicht in einem Jahrzehnt das erste Landesparlament entern würde. Er nahm es in Kauf, für so eine Partei belächelt zu werden, die der Karriere eher hinderlich als förderlich war; die Engagement nicht vergütete, sondern mit Shitstorms strafte.

Sven war bereit, sich in Fußgängerzonen bespucken zu lassen, als Zensursula das Internet diskreditierte, um es zu zensieren. Wenn man ihn rief, war er da. Die Partei, für die sich Sven engagierte, hat viel Wichtiges bewirkt. Sie hat 2009 die Internetsperren gelöscht, sie hat ACTA zumindest im ersten Level besiegt, und sie hat in der deutschen Parteienlandschaft für Aufsehen gesorgt, und sei es auch nur das Einfordern von Partizipation und Transparenz.

Ich selbst wurde auf Sven das erste Mal aufmerksam, als er zu Beginn der Snowden-Enthüllungen äußerte, er wolle die NSA brennen sehen, was seinen Weg in die Medien fand. War ich im ersten Moment ob der assoziierten Billigung von Straftaten irritiert, so merkte ich erst im zweiten Moment seiner Brillanz: Als einer der ganz, ganz wenigen hatte es Sven geschafft, in diesem wenig ruhmreichen Wahlkampf die Filterbubble zu verlassen und außerhalb seiner Twitter-Timeline zu kommunizieren, dass wir Piraten etwas gegen Überwachungsstaaten haben. Und hatten wir uns nicht alle diese Woche gefreut, dass im Datenklo in Utah wegen Stromschwankungen die Platinen abrauchen?

Sven hatte immer alles gegeben. Als Basispirat, bei der Programmentwicklung, beim Aufbau von Stammtischen, als Landtagskandidat, als Politischer Geschäftsführer des Landesverbandes und dann als Bundestagskandidat. Jüngst trug man ihm eine Kandidatur zum Bundesvorstand an. Doch Sven wurde schon länger von Zweifeln geplagt. Seine Freunde wussten es schon lange, dass er dem Projekt keine Chance mehr gab. Wie das Orchester auf der Titanic, das spielte, bis das Wasser kam, hat er seine Rolle tapfer bis zum Schluss gespielt.

Nach sieben Jahren Mitgliedschaft hat er uns heute verlassen.

CC-by Bastian Paeper, Blattgrün Fotografie, http://www.blatt-gruen.de