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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


19. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi hat den Eindruck, man hätte den Eindruck, dass …

Der inzwischen nicht mehr als Anwalt tätige Kollege Gysi macht sich derzeit wieder um die Achtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verdient. So geht der Kollege gegen den NDR vor, weil dieser in seiner jüngsten Dokumentation den Eindruck erzeugt haben soll,

er habe in seiner Zeit als Anwalt in der DDR mit der Stasi zusammengearbeitet. Unmittelbar vor der Ausstrahlung hatte Gysi dem NDR per einstweiliger Verfügung untersagt, in einer Vorankündigung zu behaupten, ihm sei als Anwalt die Staatsräson oft wichtiger gewesen als das Schicksal seiner Mandanten.

schreibt das Hamburger Abendblatt.

Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht in der Bevölkerung kann man medienrechtlich nicht nur wegen Tatsachenbehaupten in Anspruch genommen werden, die man tatsächlich gesagt hat, sondern auch für solche, die durch Schlussfolgerungen des Publikums entstehen. Nach Karlsruhe benötigt es einen „zwingenden Eindruck“, der unabweisbar erweckt werde, in Hamburg hingegen reicht es aus, wenn man etwas in den Mund gelegt bekommt. Man muss dann absurderweise Behauptungen, die man ggf. nie gesagt oder auch nur gemeint hatte, aufgrund der Beweislastumkehr beweisen. Während man Fehlurteile in Karlsruhe über eine Abwägung mit der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit korrigiert, ist in Hamburg die Meinungsfreiheit eher die des Richters. Meinungen über Sachverhalte sind in Hamburg Tatsachenbehauptungen.

Ich habe den Eindruck, die Geschichte des Herrn Gysi ließe sich nur sehr schwer erzählen, ohne, dass der Eindruck gewisser Interessenkonflikte des Kollegen Gysi entsteht. Daher lässt sich nicht ausschließen, dass der vom NDR erzeugte Eindruck den Tatsachen entspricht. Immerhin erlagen dieses Eindrucks etliche in der Doku erwähnten Ex-Mandanten. Nicht in der Doku erwähnt ist Gysis Ex-Mandantin Bärbel Bohley, der Gysi den StaSi-Verdacht in Hamburg untersagen ließ. Frau Bohley hatte schon zu DDR-Zeiten in der Bürgerrechtsbewegung eine Frau als Spitzel verdächtigt, was sie nicht beweisen konnte und sich durch den Vorwurf in Misskredit brachte. Die verdächtigte Frau war tatsächlich eine eingeschleuste – sogar hauptamtliche – Mitarbeiterin der StaSi, Frau Bohley hatte richtig gelegen.

Wenn Herr Gysi den Gegenbeweis nicht führen kann, dann hat man zwar nicht das Recht, zu behaupten, Gysi habe dies und das definitiv getan. Aber man hat das Recht, das zu meinen, und dies auch als Meinungsäußerung kund zu tun. Mit diesem – möglicherweise falschen – Eindruck muss er leben. Daran werden auch 1000 Sprüche des Landgerichts Hamburg nichts ändern. Versaut allerdings wird durch Gysis Prozess-Exzess die Kultur der Meinungsfreiheit, die Gysis Kumpel Manfred Stolpe so erfolgreich attackierte. Von beiden fühlte sich Bohley seinerzeit verraten und hatte geseufzt: „Wir wollten Gerechtigkeit, und haben den Rechtsstaat bekommen!“ Frau Bohley hat sich übrigens an das Hamburger Verbot nicht eine Sekunde gehalten.

Apropos Manfred Stolpe: Seiner früheren Behörde, dem Bundesverkehrsministerium, habe ich letzte Woche per einstweiliger Verfügung für einen Mandanten eine bestimmte Behauptung untersagen lassen. Der Rechtsstaat funktioniert gelegentlich auch nach oben … ;)

Hamburger Morgenpost druckt Piratenanzeige nicht

Die zum Axel Springer-Verlag gehörende Hamburger Mottenpost druckt diese Anzeige der Hamburger Piratenpartei nicht, weil man angeblich die Persönlichkeitsrechte des Spitzenkandidaten nicht verletzen möchte:

Liebe Mottenpost, das ist Unsinn. Und ihr wisst das. Der Axel Springer-Verlag hat erfahrene Anwälte, die exzellent informiert sind über die in Wahlkampfzeiten sehr begrenzten Persönlichkeitsrechte von Spitzenpolitikern sowie über die Harmlosigkeit des vorliegenden Bildnisses. Nicht einmal euer örtliches Landgericht würde einem nicht kommerziellen Anbieter, schon gar nicht einer politischen Partei, diese leicht erkennbare Fotomontage verbieten. Ich zeige es doch auch, ohne dass der Olaf oder ein ans-tändiger Hamburger Anwalt ein Fax schickt!

Ich habe den Olaf vor einiger Zeit mal kennen gelernt. Der ist entspannt. Der hat inzwischen sogar erkannt, dass die Internetsperren doof sind. Der macht nix gegen euch. Versprochen!

UPDATE:
Die Hamburger Morgenpost gehört NICHT zum Axel Springer-Verlag!
Ich bestreite mit Nichtwissen, dass die gute Anwälte haben!

16. Februar 2011

Sascha Lobo plädiert für Beleidigungskultur

In seiner SPON-Kolumne spricht sich Sascha Lobo für eine vernünftige Beleidigungskultur aus. Ich weiß von einem weisen Münchner Richter, der absichtlich das Internet auslässt, weil ihn nicht heiß macht, was er nicht weiß. Auch sonst imponieren mir etliche Leute des öffentlichen Lebens, die mitr gesagt haben, dass sie den Blödsinn, der über sie geschrieben wird, einfach ignorieren. (Ich selbst bin noch von dieser Weisheitsstufe entfernt …)

Wie Sascha Lobo diesen kulturellen Fortschritt realisieren will, etwa durch Kodifizierung der Beleidigungskultuer, hat er nicht verraten. Das Recht der Beleidigungen ist vorwiegend Richterrecht. Was die Rechtsprechung zu Schmähkritik betrifft, die inflationär das Unternehmenspersönlichkeitsrecht reklamieren, so wären mit einer Abspaltung des Stadtstaats Hamburg vom Bundesgebiet 98% des Problems erledigt.

Aus meiner Sicht ist das größere Problem aber nicht die Schmähkritik, sondern die seit der „Stolpe-Rechtsprechung“ unmöglich gewordene Benutzung der deutschen Sprache, wenn man es mit betuchten Klägern zu tun hat. Es wäre ein historisches Verdienst – für Lobo oder für einen anderen Journalisten – mal einer breiten Öffentlichkeit darzustellen, welcher Wahnsinn sich unter dem Label „Stolpe-Rechtsprechung“ in deutschen Gerichtssälen abspielt.

11. Februar 2011

NPD-Mails geleakt

Nachdem sie bei WikiLeaks ewig in der Pipline fest hingen und nicht bearbeitet wurden, haben die unbekannten Leaker die über 60.000 mitgeschnorchelten Emails der NPD-Leute nun diversen Medien zugespielt.

Eine ähnliche Aktion hatte WikiLeaks vor Jahren in England durchgeführt. Erstaunlicherweise beschwerten sich die NPD-Leute nicht, sondern waren im Gegenteil froh, dass ihnen mal jemand zuhörte …

UPDATE: Das Landgericht Hamburg hatte bereits 2008 dem SPIEGEL das Zitieren aus NPD-Mails per einstweiliger Verfügung verbieten lassen, die jedoch keinen Bestand hatte.

30. Januar 2011

„Ägypten ist als Entwicklungsland bedeutendster Empfänger deutscher Waffen“

Jürgen Grässlin, Deutschands wohl hartnäckigster Rüstungskritiker, der häufig sein Recht auf Meinungsfreiheit in Karlsruhe einfordern musste, hat mich gebeten, folgende Pressemitteilung zu veröffentlichen:

Gemeinsame Pressemitteilung
Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK),
Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL)
und RüstungsInformationsBüro (RIB e.V.)
vom 30. Januar 2011

++ Friedensorganisationen kritisieren „aktuelle Verdoppelung der Waffenexporte an das diktatorische Regime in Ägypten“ ++
++ „Ägypten ist als Entwicklungsland bedeutendster Empfänger deutscher Waffen“ ++
++ Grässlin und Russmann fordern „sofortigen Rüstungsexportstopp für Ägypten und alle anderen menschenrechtsverletzenden Staaten“ ++

Frankfurt / Freiburg / Stuttgart. In Ägypten ist seit dem Jahr 1981 die Notstandsgesetzgebung ununterbrochen in Kraft, die Menschenrechtslage katastrophal.[#1] Mit der Waffengewalt staatlicher Sicherheitskräfte, die selbst massiv an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren und sind, konnte sich das diktatorische Regime in Kairo drei Jahrzehnte lang an der Macht halten. Derzeit riskieren Ägypterinnen und Ägyptern ihr Leben, indem sie ihren Protest gegen das diktatorische Regime unter Hosni Mubarak öffentlich artikulieren. Ägyptische Polizisten schießen auf weit überwiegend friedliche Demonstranten, mehr als hundert Menschen sind bereits ums Leben gekommen.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte, „der Weg zur Stabilität führt über die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte“.[#2] Erklärungen wie diese „wirken heuchlerisch angesichts der Tatsache, dass Deutschland zu den Hauptwaffenlieferanten der diktatorischen Machthaber in Ägypten zählt“, sagte Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.). Der Freiburger Rüstungsexperte warf der Bundesregierung vor, dass sie 2009 gegenüber dem Vorjahr „mehr als eine Verdoppelung der Lieferungen von Waffen und Rüstungsgütern an Ägypten genehmigt“ habe. So sei der Genehmigungswert von 33,6 Millionen Euro (2008) auf 77,5 Millionen Euro (2009) „dramatisch gesteigert worden“.

„Die Einzelgenehmigungen für ‚Kleinwaffen’ sind aufgrund der hohen Opferzahlen besonders folgenschwer“, so Jürgen Grässlin. Die für ihre rücksichtslose Vorgehensweise bekannte ägyptische Polizei verfüge über Maschinenpistolen des Typs MP5, entwickelt von Heckler & Koch in Oberndorf. Allein im Jahr 2009 habe Ägypten weitere 884 Maschinenpistolen und Bestandteile im Wert von 866.037 Euro erhalten.[#3]

„Die Machthaber in Kairo erhielten Teile für Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, militärische Landfahrzeuge und Kommunikationsausrüstung“, erklärte Paul Russmann, Sprecher der Kampagne gegen Rüstungsexport bei Ohne Rüstung Leben (ORL). Insgesamt sei „Ägypten mittlerweile sogar das bedeutendste Empfängerland in der Liste der aus Deutschland belieferten Entwicklungsländer“.

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) stufte Ägypten in ihrem Rüstungsexportbericht 2009 als „problematisches“ Empfängerland ein. Die dortige Menschenrechtssituation sei laut Bericht der beiden großen christlichen Kirchen „sehr schlecht“, die Gefahr der Unverträglichkeit von Rüstung und Entwicklung sei „groß“.[#4] „Angesichts der katastrophalen Menschenrechtslage hätte Ägypten unter Diktator Mubarak niemals Waffen aus Deutschland und anderen Ländern erhalten dürfen“, erklärte ORL-Sprecher Paul Russmann.

Grässlin und Russmann forderten die Bundesregierung auf, „mit sofortiger Wirkung einen Rüstungsexportstopp gegenüber Ägypten und allen anderen menschenrechtsverletzenden Staaten zu verhängen“.

Kontakt:
Jürgen Grässlin, Freiburg, Tel.: 0761-76 78 208, j.graesslin@gmx.de
Paul Russmann, Stuttgart, Tel.: 0176-28 04 45 23, orl-russmann@gaia.de

Websites:
Informationen über Rüstungsexporte siehe www.rib-ev.de (alle Rüstungsexportberichte), www.dfg-vk.de, www.juergengraesslin.com; Rüstungsexporte an Ägypten siehe auch
http://www.bicc.de/ruestungsexport/pdf/countries/2010_aegypten.pdf

Quellen:
#1 AMNESTY INTERNATIONAL REPORT 2010, Ägypten, S. 67 ff.
#2 Focus Online vom 26.01.2011
#3 Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahre 2008 (Rüstungsexportbericht 2008), S. 106
und Rüstungsexportbericht 2009, S. 15, 24, 34, 110
#4 GKKE-Rüstungsexportbericht 2009, Fachgruppe Rüstungsexporte, S. 40

27. Januar 2011

„schillernder Plagiatsbegriff“ zieht nicht – Verfassungsrichter ./. Juraprof

In der Hamburger Pressekammer saß man zu Gericht über den Autor des Werkes „Das Wissenschaftsplagiat“ – einen Münchner Juraprofessoren. Der Jurist hatte in seinem Buch einen weiten Plagiatsbegriff definiert, der reichen sollte

vom Abschreiben bis zu fahrlässiger Unkenntnis des Forschungsstandes verwandt,

weiß Legal Tribune Online. Der Juraprofesor glaubte, der nicht gesetzlich definierte Begriff des Plagiats und die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit könnten ihn schützten.

Doch der Kläger, der nicht nur selbst Honorarprofessor, sondern auch Bundesverfassungsrichter ist, mochte nicht des Plagiats geziehen werden. Womöglich hat er in der Karlsruher Kantine von den Auslegungskünsten der Hamburger Pressekammer gehört, wo er mit Rubrum „c/o Bundesverfassungsgericht“ klagte: Die Hamburger wollten dem „schillernden Plagiatsbegriff“ denn auch nicht folgen und legten die Äußerung selbst aus. Die Äußerung enthalte nun einmal einen „Tatsachenkern“, der zu beweisen sei. Auch, wenn es Karlsruhe noch und nöcher in die Urteile schreibt, wird der Kontext am Sievekingplatz häufig ignoriert. Und auf die gebotene Abwägung mit der Meinungsfreiheit wartet man in Hamburg vergeblich, wie man in Karlsruhe sehr genau weiß.

Mehr Glück in Hamburg hatte der beklagte Juraprofessor bei einem anderen Plagiator, nämlich bei einem Anwalt, der seinen Namen wegen Resozialisierungsinteresse nicht lesen wollte. Das machen so ohne weiteres auch die Hamburger nicht mehr mit, seit man diese Masche in Karlsruhe „geSTOPPt“ hat.

22. Januar 2011

Schweigt DER SPIEGEL über „Schweigeabkommen“?

Niemand auf der Welt verfügt über mehr Erfahrung mit Zensur als die Katholische Kirche. Besonders in der Dösese Regensburg scheint man sich mehr um lästernde Worte als um lüsternde Prediger zu sorgen.

Nun hat das Landgericht Hamburg dem SPIEGEL erstinstanzlich verboten, von angeblichen „Schweigeverträgen“ zu schreiben: So ist dem Nachrichtenmagazin verboten,

die Berichterstattung in der bisherigen Form nicht weiter verbreiten. Der Grund hierfür liegt darin, dass nicht fest steht, ob die Vorwürfe tatsächlich zutreffen. Derjenige, der Behauptungen aufstellt, die geeignet sind, einen anderen in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, muss im Streitfall die Richtigkeit seiner Behauptung beweisen. Dieser Nachweis ist den Beklagten nicht gelungen.

weiß der Pressetext des Landgerichts Hamburg, wie in Regensburg Digital wiedergibt.

Erfolglos blieb die Klage, soweit sie sich gegen die in der Berichterstattung enthaltene Äußerung richtete, die Familie habe eine “Schweigevereinbarung” unterzeichnet. Bei dieser Formulierung handelt es sich um eine zulässige Bewertung der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung. Ein Bezug zwischen der Schweigeabrede und der Schmerzensgeldzahlung wird durch die verwendete Formulierung nicht hergestellt.

21. Januar 2011

BGH: Madeleine von Schweden erhält 400.000,- Euro

Während sich Familienministerin Schröder auf ihr erstes Bundesbaby freut, ziert sich der schwedische Hochadel und meidet sogar Scheinschwangerschaften. So hatte ein Fachorgan des Klambt-Verlags („Frau mit Herz“, „Welt der Fau“, „Frau mit Hirn“) von einer Schwangerschaft berichtet, von der die Glückliche nichts wusste, und damit offenbar viele Leserinnen von Klatschmagazinen glücklich gemacht. Und so etwas ist ja auch sehr, sehr schlimm, weshalb ein Prinz aus Hamburg 850.000,- Euro für die bedürftige Schwedin verlangte. Bekommen haben Hoheit nun 400.000,- Euro.

Vergleicht man den Schmerz, den eine vergewaltigte Frau hat, mit dem „Schmerz“, den eine Hochwohlgeborene hat, wenn dröge Hausfrauen eine Falschmeldung über eine Schwangerschaft lesen, und vergleicht man dann die Größenordnung des Schmerzensgeldes bzw. der Geldentschädigung, dann kann man eigentlich nur noch den Kopf schütteln.

Andererseits: Das schwedische Königshaus hat in letzter Zeit genug geliefert, um die Bedürfnisse der Boulevardpresse zu befriedigen … ;-)

20. Januar 2011

Ankündigungstext für NDR-Doku „Die Akte Gysi“ stellenweise verboten

Mit 25 % seiner Verbotswünsche kam der ehemalige Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi beim Landgericht Hamburg durch. Die Doku heute wird jedoch wohl laufen …

UPDATE: So kommentiert DIE LINKE.

UPDATE: Die FAZ weiß, was fehlt:

Der NDR dürfe nun unter anderem nicht mehr behaupten, dass Gysi die Staatsräson oft wichtiger gewesen sei als das Schicksal seiner Mandanten.

17. Januar 2011

Wallstreet 1 1/2

Als ich neulich die Fortsetzung von „Wallstreet“ sah, hatte ich etliche Dejás Vues. In dem Film ging es nämlich um Lügen in der Finanzbranche, Insiderhandel, Hedgefonds, Kursmanipulationen, Shorten und um eine linke Website. Ich hatte das Gefühl, dass sich Regisseur Oliver Stone aus einem kuriosen Abschnitt meines Lebens bediente, nämlich meinem über Jahre währenden Kleinkrieg mit der Finanzindustrie.

Vor einigen Jahren hatte ich mich über einen Finanzvertrieb geärgert, eine bewusst krawallige Website ins Netz gestellt und die Reaktionen getestet. Als die Firma juristische Schritte unternahm, wurde das Internetforum von WALLSTREET(!)-online zum Kampfplatz. Nachdem das Forum mehrfach vor den Anwälten der Firma einknickte, eröffnete ich mein erstes Blog – was u.a. eine Entscheidung nach sich zog, die man heute in jedem Markenrechtsbuch als „Unternehmens-Blog.de“ nachlesen kann. Nach Einstellung des Blogs entstand in den USA ein anonymes Blog, das so richtig böse wurde … Selbst ein bei der WIPO angestrengtes Domain-Verfahren überstand diese Website und ging gestärkt daraus hervor.

Die Webaktivitäten, welche über den Streisand-Effekt und Google-Ranking extrem bekannt wurden und der Firmenkommunikation beträchtlichen Schaden zufügten, zeitigten auch andere Effekte. Als zur Gallionsfigur und zum Sprachrohr gewordener Kritiker fanden etliche ehemalige Firmenangehörige ihren Weg in mein Lager, darunter der Whistleblower, der vor Jahren 8 Milliarden Euro Luft aus der Firmenaktie gelassen hatte. Dessen Einschätzung zufolge hatten aktuelle Kursschwankungen unmittelbar mit den Aktivitäten des ursprünglichen bzw. des anonymen Blogs zu tun, das sich inzwischen zur inoffiziellen Firmenzeitung entwickelt hatte. In dieser Zeit erfuhr ich mehr über die Firmengeschichte, als sich die meisten Firmenangehörigen träumen ließen.

Aber auch andere verfolgten die Aktivitäten, etwa ein sehr bekannter Hedgefonds-Manager, der seinerzeit durch Shorten an der Firma ein beträchtliches Vermögen verdient hatte. Die Vorstellung, dass man mit ein bisschen Tippern auf der Tastatur exorbitant Geld verdienen könnte, erschien zwar sexy, aber das Studium des Wertpapierhandelsgesetz verhinderte, dass ich einen unmittelbaren Kontakt zu dem geheimnisvollen Mann suchte. Ich bin ein kleiner, freundlicher Mann, der von gewissen Dingen halt lieber die Finger lässt und sich ohne Scham im Spiegel sehen möchte. Manche Storys sieht man sich besser im Kino als im Leben an, wobei ich mich in diesen Tagen häufiger fragte, ob ich mich in der Realität befand, oder eben in einem seltsamen Film. Besagter Finanzjongleur etwa ist heute untergetaucht. Ich bin noch da.

Irgendwann kam einmal die Stunde der Parlamentäre, und man hat sich mal auf Augenhöhe zusammengesetzt und vernünftig miteinander geredet, persönliche Animositäten beigelegt. Mit dem heutigen Abstand kann ich manchmal kaum glauben, was sich da damals abgespielt hatte.

Dieser Tage macht ein anderer Whistleblower von sich reden: Rudolf Elmer, der bereits vor Jahren mit WikiLeaks operierte und nunmehr eine Datei mit Steueroptimierern an die Datenschleuder übergeben hat. Zeigs ihnen, Rudolf!