Die wohl interessanteste Publikation über die Piratenpartei war das Blog Popcornpiraten.de, das zwischen August 2012 und dem 16. Oktober 2013 die Phase des Niedergangs der Piratenpartei begleitete. Über die Motivation des Autoren Caspar Clemens Mierau war viel gerätselt worden. Nunmehr hat Mierau zum Schluss seines Projekts seinen Helfer im Hintergrund geleakt, nämlich den Blogger Jürgen „tante“ Greutsch, der meiner Erinnerung nach selbst einmal Pirat gewesen war, aber im Groll gegangen ist. Im April 2012 machte er sich auch als Nicht-Piratenwähler Luft. Ein solch destruktiver, aber eifriger Einflüsterer relativiert allerdings Mieraus vorgebliche Neutralität.
Wie auch immer Mieraus Blog intendiert war, so bewies es eindrucksvoll die These, dass ein Beobachter eines Experiments dieses beeinflusst, und zwar auf mehreren Ebenen. So begab sich Mierau nicht nur selbst in die Untiefen der Mailinglisten usw., wo man häufig Popcorn findet, sondern bekam welches gesteckt. Dieses Popcorn kanalisierte Mierau in den Focus der Journalisten, die natürlich alle sein Blog lasen und auf Themen stießen, die einem bisweilen sehr peinlich waren. Was bislang eher parteiintern blieb, jedenfalls aber für konventionelle Medien nicht den Schwellenwert für eine Nachricht erreichte, war dank der Überwachung durch die Popcornpiraten schnell ein Thema. Mieraus Überwachung hatte natürlich disziplinierende Effekte und wurde schnell ein geflügeltes Wort, denn wer wollte schon bei den Popcornpiraten landen? Das Popcorn blockierte bisweilen auch mediale Aufmerksamkeit, die die Partei für Sinnvolleres hätte nutzen können.
Wie Mierau selbst im oben verlinkten Vortrag auf der re:publica anmerkt, ist Popcorn alles andere als ein Spezifikum der Piratenpartei. So habe ich noch von keinem Piraten gehört, der die Namen seiner Gegner auf ein Spanferkel geschrieben hätte, wie es neulich ein Münchner SPD-Kandidat tat. Und wenn es Mierau erwähnenswert findet, dass übermotivierte Hessen in einem Moment des Überschwangs ein Foto mit einem Stinkefinger schossen, dann muss man konzedieren, dass Stinkefinger bei der SPD sogar Chefsache sind. Anders als die Grünen hatten wir keinen Kassenwart, der 270.000 € mit Prostituierten durchgebracht hat, wir hatten auch keine Pädo-Altlasten oder sonstige Kriminalität zu bieten. Ebenso wenig gab es bei uns einen Thilo Sarrazin, Jürgen W. Möllemann, Rainer Brüderle oder ähnliches Kaliber.
Natürlich haben wir auch nicht durchgehend durchgestylte, erfahrene oder charismatische Politiker. Alle Menschen, die sich dazu berufen fühlen, aktiv an Politik mitzugestalten, sind nun einmal extrovertiert. Wer es nicht wäre, wäre auch falsch in dem Job. Und wenn etwa Politprofi Angela Merkel mal keine vorbereitete Rede hält, sondern ausnahmsweise improvisiert, dann schrumpft auch sie erstaunlich schnell auf Normalmaß.
Wenn man eine Partei selektiv auf den Boulevard reduziert, dann ist das natürlich nur mäßig angenehm. Da ich aber vor Jahren selbst einmal auf Seiten von sehr lästigen Watchblogs zu tun hatte, kann ich Mieraus Gaudi gut nachvollziehen. ;)
Wenn die gescholtenen, vorgeführten Piraten sich als besonders intensive Popcornfabrikanten wahrnehmen, so gibt es einen Trost: Das liegt wohl vor allem an der Filterbubble. Außerhalb der Parteikreise dürfte das Blog selbst kaum wahrgenommen worden sein. Wie schon oben gesagt, haben die anderen Parteien nicht weniger Popcorn zu bieten. Die heute-Show etwa müsste eingestellt werden, wenn es anders wäre. Und die kommt schon seit einem halben Jahr praktisch ohne die Piraten aus.
Die Wirkung von Mieraus Popcornpiraten war deshalb so stark, weil er nicht etwa, wie manch politischer Gegner, eine gegnerische Partei mit Dreck bewarf. Dass das nicht nur nicht funktioniert, sondern kontraproduktiv ist, sah man sehr schön im NRW-Wahlkampf 2012, wo die Urheber für uns die beste PR gemacht hatten. In der politischen Feind-PR etwa ist weniger fabrizierte Desinformation gefragt als vielmehr geschicktes Platzieren von zutreffender Information.
Wie auch immer, eine Partei, die für Meinungsfreiheit und gegen Zensur eintritt, muss mit einem Watchblog leben. Etwas irritiert war ich, als ich hörte, dass die Piratenpresseleute Anfragen von Mierau ignorierten (wenn’s stimmt …). Ich hatte ihn mal angerufen, um ihn in aller Freundschaft auf ein rechtliches Problem aufmerksam zu machen (in etwa so, wie er es ja in seinem Vortrag von anderen vermisste), und der Kontakt war eigentlich sehr freundlich. Ich habe von ihm keine Unterlassung verlangt und mich auch über nichts ernsthaft beklagt, sondern nur im beiderseitigen Interesse einen Hinweis für die Zukunft gegeben. Erstaunlicherweise hat Mierau das schon etwas länger zurückliegende Telefonat neulich so dargestellt, als hätte ich ihn einer „Kampagne“ geziehen, was schon deshalb Unsinn ist, weil er damals wohl das erste Mal mal überhaupt über mich geschrieben hatte.
Doch es gibt durchaus Abzüge in der B-Note. Mieraus Postings waren dann am besten, wenn er uns authentisch einen Spiegel vorhielt und nur das Nötigste kommentierte. Einige Kommentare allerdings waren unnötig gehässig und gaben einen negativen Spin vor, der für Popcorn als solches, also zur Unterhaltung oder Information, entbehrlich gewesen wäre. Wenn man nun erfährt, dass im Hintergrund der Piratengegner „tante“ trollte, und wenn das Blog dann kurz nach dem Wahlkampf dicht macht, dann hinterlässt das schon einen sehr faden Beigeschmack. Einer Partei hinterherzusteigen, die Transparenz bis zum Masochismus auslebt, per Definition von Amateuren aufgezogen wird und die sich schon auf dem absteigenden Ast befand, ist dann so heldenhaft nun auch wieder nicht. Und manche Postings wirkten dann schon etwas bemüht. Popcornpiraten vom Format eines Netznotars waren eher rar gesät. Lästern und anderen am Zeug flicken kann jeder.
Anyway, Mierau hat mit seinem Watchblog eine spannende journalistische Pioniertat vollbracht, und wenn ich mal die Absicht hätte, einer Partei Schwierigkeiten zu machen, dann wäre das Mittel meiner Wahl ein solches Blog, das den Stil der Partei kopiert und die Popcornpolitiker für sich selber sprechen lässt. In diesem Sinne, nicht unbedingt Dank, aber Respekt an Caspar C. Mierau für ein originelles journalistisches Experiment!
Popcornkönig und Dramaqueen » Rechtsanwalt Markus Kompa
[…] Watchblogger, der ein grundsätzlich inspiriertes, aber letztlich dann doch tendenziöses Blog über die Piratenpartei veröffentlichte, lässt diesen seltsamen Text (wohl) über mich […]
#1 Pingback vom 01. November 2013 um 01:18
Annett Meiritz, Kontaktpflegerin – Journalisten unter Piraten (4) » Rechtsanwalt Markus Kompa
[…] habe ich Caspar C. Mieraus Blog „Popcornpiraten“ beleuchtet, das so unabhängig/überparteilich, wie es tat, dann wohl doch nicht […]
#2 Pingback vom 30. März 2014 um 13:05