Als 2009 weltfremde Parlamentarier das Internet entweder ignorierten oder bekämpften und sich durch das hirnrissige Internetsperrgesetz unwählbar machten, bin ich in die Piratenpartei eingetreten. Die Modernisierung des aus dem analogen Zeitalter stammenden Urheberrechts, die Kritik am digitalen Überwachungsstaat und die Gewährleistung der Meinungsfreiheit waren Kernthemen, mit denen ich mich identifizierte.
Erst nach meinem Parteieintritt wurden mir die Selbstansprüche der Piraten bekannt. So fand man dort Basisdemokratie wichtig, hielt nichts vom Delegiertensystem und huldigte auf gelegentlich bigotte Weise einem Transparenzkult. Und Bällebad war superwichtig. Bei meinem ersten Bundesparteitag in Offenbach wurde beschlossen, dass den Piraten ihre Unabhängigkeit wichtiger als eine solide Finanzierung sei, so dass Parteispenden nur von Privatleuten in geringen Mengen akezeptiert wurden.
Ich hätte eine Partei, die sich den mir wichtigen Anliegen professionell gewidmet und dafür den ein oder anderen Kompromiss gemacht hätte, der Selbstausbeutung vorgezogen. Auch Basisdemokratie als Selbstzweck überzeugte mich nicht ansatzweise. Ich hielt mich allerdings aus innerparteilichen Diskussionen raus, denn die Piraten waren ohne Alternative.
Die Piratenpolitiker wollten 2012 dann unbedingt zeigen, wie authentisch sie seien: Jeder Streit (der in jeder Partei und und jeder Zeitungsredaktion genauso tobt) musste unbedingt öffentlich ausgetragen werden. Die Medien bewiesen bei der Berichterstattung über diesen Exhibtionismus keinerlei Kompetenz oder Interesse, derartiges zu gewichten.
Nach dem Höhenflug im Piratenfrühling 2012, in dem manche Medienvertreter unrealistische Erwartungen auf die junge Partei projizierten, ruinierten dann egozentrische Traumtänzer wie Ponader jeglichen Anspruch, in der Öffentlichkeit noch ernst genommen zu werden. Plötzlich redeten alle messianisch nur noch vom BGE, das alle Probleme löse. Die Piraten waren inhaltlich und im Auftreten kaum noch von Linkspartei und Grünen zu unterscheiden. Verständlicherweise favorisierten so angesprochene Wähler das Original.
Als die Partei in der Wählergunst auf 2% runtergefahren war, habe ich versucht, im ohnehin aussichtsarmen Bundestagswahlkampf die Kernthemen hochzuhalten und wenigstens einen sportlichen Wahlkampf zu bieten. Doch dann passierten drei Sachen:
- In meinem Landesverband brach das „Gutachtengate“ aus. Statt die Wahlkämpfer zu unterstützen, warfen irgendwelche weltfremden Transparenzfetischisten mit dem überflüssigsten Streit aller Zeiten ihren Kollegen erbittert Knüppel zwischen die Beine. Über soviel Gruppendynamik konnte ich nur noch staunen.
- Die Berliner AGH-Fraktion befürchtete, dass sie im Falle einer Piraten-Bundestagsfraktion möglicherweise im Schatten stehen würden. Also beschlossen die Berliner Superstars, denen viele NRWler bei deren Wahlkampf beigestanden hatten, den Bundestagswahlkampf zu boykottieren – und mit Durchstechereien an die Medien zu sabotieren.
- Die Medien interessierten sich ausschließlich für die von ihnen gekürten „Piratenstars“. Die aussichtsreichen Kandidaten, die tatsächlich zur Wahl standen, spielten keine Rolle. Ebenso wenig deren Themen. Drei Monate vor der Wahl ploppte der Snowden-Skandal auf – und niemand mehr wollte von den Piraten etwas zu deren Kernthema hören. Stattdessen spielten die Medien nun das Spiel der AfD.
Erst 2014 wurde mir und anderen bewusst, dass hinter vielen seltsamen Einzelfällen der (intransparente!) Versuch einer linksextremen, gut organisierten Gruppe hauptsächlich in Berlin ansässiger Piraten steckte, die Partei zu übernehmen und ihr eine eigene Agenda aufzunötigen. Vor allem Meinungsfreiheit wurde als entbehrlich gesehen.
Der Spuk der MLPD2.0 für Bildungsferne provozierte schließlich den „Orgastreik“ und den außerordentlichen Parteitag in Halle. Danach verließen die Trittbrettfahrer die Piraten, allerdings wurde dieser 2014 erfolgte Einschnitt von den breiten Medien nie wirklich wahrgenommen. Die Kontaktpfleger der Presse kümmerten sich wie stets ohnehin nur um die Berliner Sonnenkönige. Ein taz-Autor schwafelte etwas von „Rechtsruck“ – ein Jahr später wurde genau dieser Autor dabei erwischt, wie er junge Praktikantinnen NSA-like ausspionierte …
Außer Bruno Kramm hatten die Piraten seit drei Jahren praktisch keinen Vorturner. Trotz seines sehr beeindruckenden Wahlkampfs blieben ihm nur die Trümmer, die ihm die Egomanen aus dem AGH hinterließen. Dass die Berliner Piraten nun hinter Tierschutzpartei und Die PARTEI zurückblieben, ist bitter, war aber angesichts der ignoranten Berichterstattung kaum vermeidlich.
Wenn jetzt aber Journalisten und andere Kommentatoren ausgerechnet die AGH-Ex-Piraten feiern, deren verbohrte Egozentrik, maßlose Arroganz und unfassbare Intriganz das einst strahlende Piratenprojekt sabotierten, dann fällt mir dazu nichts mehr ein. Die von den Medienvertretern gefeierten Berliner Ex-Piraten nehme ich als Selbstoptimierer, Intriganten und Nichtskönner wahr.
Wenn ich es mir allerdings recht überlege, entsprechen sie damit möglicherweise dem Anforderungsprofil für konventionelle Berufspolitiker. Ob wir wirklich mehr Spinner an Bord hatten, als etwa Grüne oder Linkspartei, wage ich zu bezweifeln. Na, liebe Politjournalisten, dann mal viel Spaß noch, etwa mit der AfD!
Was bleibt:
- Wir haben die Netzsperren verhindert.
- Wir haben ACTA verhindert.
- Wir werden TTIP verhindern.
Und das war und ist es mir wert.