Im Dezember luden etliche ARD-Sender regionale Spitzenkandidaten der Parteien für die Wahlarenen in den Dritten Programmen am 12. Febuar ein. Die Wahlarena ist ein sogenanntes Townhall Meeting-Format, bei dem Kandidaten den Wählern Rede und Antwort stehen und Grazie im Kreufreuer beweisen können. Einzig der SWR kam auf die Idee, die damals demoskopisch stabil fünftstärkste Kraft BSW zu übergehen, gleichzeitig aber die weit abgeschlagene FDP einzuladen.
Eine derart willkürliche Einladungspraxis im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verletzt jedoch das verfassungsmäßige Recht der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG. Die Sender dürfen bei ihrer Berichterstattung durchaus Parteien gewichten und Abstufungen vornehmen, das muss aber mit zunehmender Nähe zum Wahltermin nachvollziehbar begründet und die Sender müssen insgesamt ihrem Auftrag zur Darstellung der Meinungsvielfalt gerecht werden.
Im Fall des SWR gaben uns das Verwaltungsgericht Stuttgart und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim recht. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren daher am Dienstag die BSW-Kandidaten zu Gast:
Auch die ARD überging bei der für Montag geplanten Wahlarena im Ersten das BSW, hielt aber sein angebliches redaktionelles „Konzept“ geheim. Der für die Sendung juristisch zuständige WDR behauptete vorgerichtlich, man wolle nur Kanzlerkandidaten der Parteien einladen, die eine realistische Chance hätten, die künftige Bundesregierung anzuführen und den neuen Bundeskanzler stellen.
Weshalb der WDR dann den Kanzlerkandidaten der Grünen einlud, haben wir nicht verstanden. Die Grünen hatten für 14,8 % (2021) über 36 Jahre benötigt und wahren bei der letzten bundesweiten Wahl auf 11,8 % gefallen. Die Union hat dreimal so viel Zustimmung und liegt damit uneinholbar vorne. Auch die SPD könnte in ihrer realistischen Größenordnung allenfalls in einem dritten Wahlgang nach Art. 63 GG eine Viererkoalition anführen. Die Fixierung auf den Wahlsieger ist in Zeiten eines fragmentierten politischen Spektrums ohnehin anachronistisch, denn möglicherweise kommt es auf den Koalitionswillen der kleinen Parteien an.
Vor dem Verwaltungsgericht Köln behauptete der WDR in letzter Sekunde, er hätte danach eingeladen, wer konstant und deutlich über 10 % gelegen habe. Ein solches Konzept war allerdings nie formuliert oder verindliche Stichtage fixiert worden, die Grünen waren im Herbst zweimal unter 10 % gesehen worden und hatten bei den drei Landtagswahlen im Herbst zwischen 3,2 und 5,1 % abgeschnitten. Was die 10 %-Grenze überhaupt soll, ist seltsam, denn noch nie hat eine Partei mit weniger als 25,7 % den Bundeskanzler gestellt. Hätte man die Grenze bei 15 % gezogen, wären die Grünen herausgefallen.
Bereits 2021 hatte die ARD Wahlarena für die Grünen Wahlkampfhilfe gemacht und die grüne Kanzlerkandidatin gleichberechtigt mit SPD und Union eingeladen, obwohl sie absehbar viel schlechter abschnitt und ihr Ergebnis deutlich näher bei dem von FDP und AfD lag, die man ausgelassen hatte. Diesmal nun erweiterte die ARD den Kreis erneut zugunsten der Grünen, schloss aber die einzige weitere Partei aus, die im Zeitpunkt der entsprechenden Planungskonferenz am 11.12.2024 solide über 5 % lag und damit Mandatsrelevanz hatte. Zufall?
Während das Oberverwaltungsgericht NRW uns bei der Europawahl noch gefolgt war, als die ARD die neue Partei BSW mit aberwitzigen Ausreden nicht bei der ARD Wahlarena Europa berücksichtigen wollte (BSW fuhr 6,2 % ein), bewertete es diesmal die Auswahlentscheidung als nachvollziehbar. Insbesondere werde dem BSW im weiteren Programm ausreichend Raum eingeräumt. Tatsächlich aber hatten die freihändig eingeladen, ohne verbindliches Konzept.
Das Spektakel der ARD-Wahlarena, das fünf Tage vor dem Wahlabend noch Einfluss auf unentschlossene Brief- und Urnenwähler nehmen könnte, suggeriert unterschwellig, dass nur diese Parteien aussichtsreich seien. Die fehlende Präsenz kann auch nicht durch andere Wahlsendungen kompensiert werden, denn die meisten davon liefen schon und berücksichtigten natürlich nicht die jüngsten Ereignisse wie das Telefonat zwischen Trump und Putin und die Reaktionen auf die ungewöhnliche Rede von US-Vizepräsident J. D. Vance zur gefährdeten Meinungsfreiheit in Deutschland – beides Kernthemen des BSW.
In Wirklichkeit allerdings geht es wohl nicht um den Bundeskanzler, denn der wird uneinholbar Merz werden, sondern nur um gewöhnliche (beitragsfinanzierte) Wahlwerbung und ggf. den Koalitionspartner. Es geht offensichtlich darum, eine lästige fünfte Fraktion aus dem Bundestag rauszuhalten.
Aufgrund hohen Krankenstands bei den NRW-Verwaltungsgerichten kam die OVG-Entscheidung erst am Freitag um 10.37 Uhr. Die Verfassungsbeschwerde ging um 12.00 Uhr raus, als man in Karlsruhe eigentlich schon ins Wochenende wollte. Das Bundesverfassungsgericht nahm sich für uns extra am Samstag Zeit, nicht jedoch die Beschwerde zur Entscheidung an. Eine Verletzung der Grundrechte sei nicht schlüssig dargetan. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass nur 1,69 Prozent aller Verfassungsbeschwerden erfolgreich sind. Versuch macht kluch.
Zum Ruf der öffentlich-rechtlichen Sender kommentierte jüngst Verfassungsrichter a. D. Huber in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Archiv für Presserecht als Vorsitzender des sog. Zukunftsrats, das Angebot werde nicht nur von Randgruppen als einseitig, „linkslastig“ und auf Minderheiten fokussiert wahrgenommen. ARD, ZDF und Deutschlandradio dürften sich nicht in erster Linie als Aktivisten verstehen. Sie müssten sich – stärker als bisher – als Anwälte des demokratischen Diskurses begreifen und eine faktenbasierte, erkenntnisorientierte Selbstverständigung der Gesellschaft fördern. Dies könne nur durch eine unvoreingenommene, sachliche, kompetente, gewissenhafte und faire Berichterstattung gelingen, in der alle Strömungen und Perspektiven zum Ausdruck kommen. Die Öffentlich-Rechtlichen müssten sich deutlich mehr als bisher um eine pluralistische Berichterstattung bemühen, die jedem Eindruck der Einseitigkeit entgegenwirkt. Hierzu bedürfe es besonderer Sensibilität und einer klaren Orientierung an den Standards journalistischen Arbeitens, an der es nicht selten fehle.
Einer repräsentativen Umfage zurolge vertraut nur noch jeder Dritte der unter 30-jährigen den öffentlich-rechtlichen Sendern. Welche Bedeutung die TV-Sender bei der kommenden Bundestagswahl in wohl vier Jahren haben werden, bleibt abzuwarten. Wenn zutrifft, was derzeit über Manipulationen in der Wahlarena-ähnlichen ZDF-Sendung „Klartext“ zu hören ist, werden Politiker künftig keine Energien mehr darin investieren, sich in solche Sendung einklagen – und die Kommunikation lieber direkt im Internet suchen.