Zu den Wikipedia-Abmahn-Mandanten des Österreicher Kollegen Herrn Magister Kurt Kulac gehört auch der Fotograf Diego Delso. Auch für Delso versilbert Herr Rechtsanwalt Kulac seit Jahren die „kostenlosen“ Creative Commons-Lizenzen durch Forderungen von angeblichem Lizenzschaden, nebst Abmahnkosten für seine stets mit gleichlautenden Schreiben.
Herr Kulac nutzt hierfür nicht nur die ungeklärte Rechtslage in Österreich aus, sondern erschwert die Rechtsverteidigung auch durch Verschweigen der Anschriften seiner häufig im europäischen Ausland ansässigen Mandanten.
Solchen in Österreich unfassbar teuren Prozessen können Abgemahnte in Deutschland mit sog. Torpedoklagen zuvorkommen, die dann den Gerichtsort in Deutschland binden. Hierzulande machen die Gerichte das Abzock-Modell nicht mehr mit. Auch Herrn Delso habe ich gerichtlich seine Grenzen aufzeigen lassen. Leider allerdings hat es der an einem unbekannten Ort lebende Spanier nicht mit der Erstattung von Anwaltskosten eilig.
Kulac war langjähriger Obmann von Wikimedia Österreich gewesen, und vertritt kaum zufällig Wikipedia-Freunde. Auch Herr Delso ist in der Szene kein Unbekannter:
Bei angeblichen Amateuren ist schwer nachvollziehbar, wie sie sich so viele Abmahnungen leisten können und damit die Uneinbringlichkeit eigener Anwaltskosten riskieren. Einer der Kulac-Mandanten hatte sich vor Jahren mal verplappert und eingeräumt, dass er Herrn Kulac eine Art Kaperbrief ausgestellt hat. Herr Kulac mahnte für ihn auf eigenes Risiko ab und zahlte faktisch also eine Provision an seinen Mandanten.
Wikimedia Deutschland und Österreich scheint dieses anrüchige Geschäftsmodell nicht zu jucken. Dass die Idee von Creative Commons, Wikimedia und Wikipedia in Verruf kommen, nimmt man offenbar lächelnd inkauf.
In einem ORF-Beitrag über Herrn Kulac, der auch selbst für Wikimdia fotografiert, heißt es:
Kurt Kulac betreibt einen unglaublichen Aufwand, wenn man bedenkt, dass die Arbeit an Wikipedia unbezahlt und freiwillig passiert: „Ich bekomme dafür nichts bezahlt und opfere dafür einen großen Teil meiner Freizeit, aber auch meines Geldes“, sagt Kulac.
2018 hatte ich am OLG Köln das inzwischen als „Speicherstadt“ bekannte Urteil herbeigeführt, demzufolge der „Lizenzschaden“ für rechtswidrig genutzte Lichtbilder, die unter einer kostenfreien Creative Commons-Lizenz verbreitet werden, grundsätzlich 0,- € beträgt. Fotografen müssen demnach beweisen, dass sie in einem solchen Fall tatsächlich einen Vermögensausfall gehabt hätten. Solches ist nach meiner Kenntnis keinem einzigen dieser „Profifotografen“ wie den Herren Thomas Wolf, Dirk Vorderstraße, Wladislaw Sojka, Christoph Scholz, Ralf Roltschek und Marco Verch gelungen, denn sie waren mit diesen Fotos im regulären Absatz nicht bzw. nicht nennenswert ins Geschäft gekommen.
Der Fotograf war dann damals (in einem Parallelfall) in Revision gegangen, hatte diese allerdings in letzter Minute zurückgezogen, wohl um die Rechtsunsicherheit zu erhalten und damit sein nach wie vor verfolgtes Geschäftsmodell zu schützen.
Nun konnte der Bundesgerichtshof sich doch noch zu dieser Rechtsfrage äußern, wenn auch nur indirekt in einem obiter dictum:
Die Marken-Inhaberin von „ÖKO-TEST“ hatte den Hersteller einer Zahncreme verklagt, dessen Lizenz zur Werbung mit Wort-Bild-Marke Werbung weggefallen war. Die Hersteller der von ihr getesteten Produkte dürfen das „ÖKO-TEST“-Zeichen nutzen, wenn diese mit ihr einen unentgeltlichen Lizenzvertrag abschließen, der die Nutzungsbedingungen regelt.
Zwar muss der Hersteller nun unterlassen und vielleicht konkret erlangte Vermögensvorteile herausgeben, einer Berechnung nach sogenannter Lizenzanalogie erteilte der BGH jedoch eine Absage:
Der Markeninhaber kann seinen durch eine Markenverletzung entstandenen Schaden nicht nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie berechnen, wenn er in ständiger Lizenzierungspraxis ausschließlich unentgeltliche Lizenzen an der verletzten Marke erteilt.
(…) Die Schadensberechnung anhand einer fiktiven Lizenz ist zulässig, wenn die Überlassung eines Ausschließlichkeitsrechts der in Rede stehenden Art zur entgeltlichen Benutzung durch Dritte rechtlich möglich und verkehrsüblich ist. Entscheidend ist, dass der Verletzte die Nutzung üblicherweise nicht ohne Gegenleistung gestattet hätte (BGH, GRUR 1995, 349, 351 [juris Rn. 25 und 28] – Objektive Schadensberechnung; BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 – I ZR 263/02, GRUR 2006, 143, 145 [juris Rn. 22] = WRP 2006, 117 – Catwalk; BGH, GRUR 2010, 239 Rn. 23 – BTK).
Der Schadensermittlung nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie liegt die Überlegung zugrunde, dass derjenige, der durch die unerlaubte Nutzung des Ausschließlichkeitsrechts eines anderen einen geldwerten Vermögensvorteil erlangt hat, nicht besser dastehen soll, als wenn er dieses Recht erlaubtermaßen benutzt hätte (BGH, GRUR 1990, 1008, 1009 [juris Rn. 16] – Lizenzanalogie; BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 7/14, GRUR 2016, 184 Rn. 42 = WRP 2016, 66 – Tauschbörse II). Da der Verletzer in einem solchen Fall die Gestattung des Rechtsinhabers hätte einholen müssen, die dieser üblicherweise nur gegen Zahlung einer Lizenzgebühr erteilt hätte, ist der Verletzer so zu behandeln, als sei durch seinen rechtswidrigen Eingriff dem Rechtsinhaber diese angemessene Lizenzgebühr entgangen (BGH, Urteil vom 24. Juni 1993 – I ZR 148/91, GRUR 1993, 899, 901 [juris Rn. 17] – Dia-Duplikate). Insoweit ist mit Blick auf die normative Zielrichtung der Schadensberechnungsmethode eine abstrakte Betrachtungsweise geboten. Es ist deshalb unerheblich, ob es bei korrektem Verhalten des Verletzers im konkreten Fall tatsächlich zum Abschluss eines Lizenzvertrags gekommen wäre (BGH, GRUR 2006, 143, 145 [juris Rn. 22] – Catwalk; GRUR 2010, 239 Rn. 36 und 49 – BTK; BGH, Urteil vom 10. Juni 2010 – I ZR 45/09, juris Rn. 18; BGH, ZUM 2013, 406 Rn. 30).
Für die Bemessung der als Schadensersatz zu zahlenden angemessenen Lizenzgebühr müssen hingegen die gesamten relevanten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2008 – I ZR 6/06, GRUR 2009, 407 Rn. 25 = WRP 2009, 319 – Whistling for a train; BGH, ZUM 2013, 406 Rn. 30; BGH, Urteil vom 13. September 2018 – I ZR 187/17, GRUR 2019, 292 Rn. 18 = WRP 2019, 209 – Sportwagenfoto). Bei der Bestimmung des fiktiven Lizenzentgelts sind alle Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die auch bei freien Lizenzverhandlungen Einfluss auf die Höhe der Vergütung gehabt hätten (BGH, GRUR 2006, 143, 146 [juris Rn. 28] – Catwalk; GRUR 2010, 239 Rn. 49 – BTK). Maßgebliche Bedeutung kommt dabei einer zur Zeit der Verletzungshandlung am Markt durchgesetzten eigenen Lizenzierungspraxis des Rechtsinhabers zu (BGH, GRUR 2019, 292 Rn. 19 – Sportwagenfoto; GRUR 2020, 990 Rn. 15 – Nachlizenzierung). Insofern kommt es nicht darauf an, ob die vom Rechtsinhaber geforderten Lizenzgebühren allgemein üblich und objektiv angemessen sind. Soweit der Rechtsinhaber die von ihm vorgesehenen Lizenzgebühren verlangt und auch erhält, rechtfertigt dieser Umstand die Feststellung, dass vernünftige Vertragsparteien bei Einräumung einer vertraglichen Lizenz eine entsprechende Vergütung vereinbart hätten (BGH, Urteil vom 26. März 2009 – I ZR 44/06, GRUR 2009, 660 Rn. 32 = WRP 2009, 847 – Resellervertrag; BGH, GRUR 2020, 990 Rn. 15 – Nachlizenzierung).
(2) Nach diesen Grundsätzen kann der Schaden, der der Klägerin durch die streitgegenständliche Nutzung des „ÖKO-TEST“-Zeichens seitens der Beklagten entstanden ist, nicht anhand einer fiktiven Lizenzgebühr bemessen werden.
Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts weist die Berechtigung zur Benutzung der Klagemarke 1 allerdings einen objektiven Vermögenswert auf, der einer Berechnung anhand einer Lizenzgebühr grundsätzlich zugänglich ist. Dass bei einer Marke die Erteilung von entgeltlichen Lizenzen rechtlich möglich (vgl. Art. 22 Abs. 1 GMV, Art. 25 Abs. 1 UMV, § 30 Abs. 1 MarkenG) und verkehrsüblich ist, zieht die Revisionserwiderung nicht in Zweifel. Ihr Einwand, die Klägerin habe nicht dargetan, dass eine entgeltliche Lizenz für die Verwendung von Testsiegeln wie dem „ÖKO-TEST“-Zeichen verkehrsüblich sei, ist rechtlich ohne Belang. Für die Beurteilung der Verkehrsüblichkeit einer Lizenzierung kommt es bei der insoweit gebotenen abstrakten Betrachtung nicht auf die Üblichkeit der Zeichenlizenzierung in der konkret in Rede stehenden Branche an, sondern darauf, ob bei einem Ausschließlichkeitsrecht dieser Art – vorliegend einer Marke – ganz allgemein die Erteilung von Lizenzen im Verkehr üblich ist (BGH, Urteil vom 16. Februar 1973 – I ZR 74/71, BGHZ 60, 206, 211 [juris Rn. 14] – Miss Petite; BGH, GRUR 2006, 143, 145 [juris Rn. 23] – Catwalk; GRUR 2010, 239 Rn. 49 – BTK). Dass die Klägerin davon abgesehen hat, sich den wirtschaftlichen Wert der Klagemarke 1 durch die Erteilung entgeltlicher Lizenzen tatsächlich zunutze zu machen, ist für die Annahme eines objektiven Werts der der Marke innewohnenden Nutzungsberechtigung ohne Bedeutung.
Mit Blick auf die Lizenzierungspraxis der Klägerin kann jedoch nicht angenommen werden, dass sie sich diesen Wert im Wege einer von der Beklagten zu zahlenden Lizenzgebühr zunutze gemacht hätte (für die Praxis unentgeltlicher Lizenzen vgl. auch OLG Köln, GRUR 2015, 167, 173 [juris Rn. 98]; WRP 2018, 873 Rn. 19 und 21 [juris Rn. 33 und 35]; OLG Hamm, GRUR-RR 2017, 421 Rn. 65 [juris Rn. 168]). Sofern die Klägerin den Herstellern der getesteten Produkte die Benutzung des „ÖKO-TEST“-Zeichens zur Bewerbung der Waren gestattet, geschieht dies stets unentgeltlich; so ist sie auch gegenüber der Beklagten verfahren. Daran muss sich die Klägerin festhalten lassen.
Die vom Rechtsinhaber geforderten und auf dem Markt durchgesetzten Lizenzsätze für die in Rede stehende Benutzungshandlung sind für die Bemessung der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr maßgeblich, auch wenn sie über dem Durchschnitt vergleichbarer Vergütungen liegen (BGH, GRUR 2009, 660 Rn. 32 – Resellervertrag; GRUR 2020, 990 Rn. 15 – Nachlizenzierung). Nichts Anderes kann gelten, wenn der Rechtsinhaber durchweg eine unter der angemessenen und üblichen Lizenzgebühr liegende Vergütung verlangt oder – wie vorliegend die Klägerin – die Nutzung seines Ausschließlichkeitsrechts ausnahmslos unentgeltlich gestattet.
In solchen Fällen kann nicht davon ausgegangen werden, dass vernünftige Vertragsparteien ein von der Lizenzierungspraxis des Rechtsinhabers abweichendes Entgelt vereinbart hätten, wenn der Verletzer die Erlaubnis des Rechtsinhabers zur Nutzung seines Ausschließlichkeitsrechts eingeholt hätte. Bei der Berechnung des Schadens im Wege der Lizenzanalogie soll der Verletzer nicht schlechter, aber auch nicht besser als ein vertraglicher Lizenznehmer gestellt werden (BGHZ 119, 20, 27 [juris Rn. 32] – Tchibo/Rolex II). Es würde der Funktion des Schadensersatzrechts, den durch eine Rechtsverletzung erlittenen Vermögensnachteil auszugleichen, und dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. April 2014 – V ZR 275/12, NJW 2015, 468 Rn. 20 [insoweit nicht in BGHZ 200, 350 abgedruckt]) zuwiderlaufen, wenn dem Rechtsinhaber im Wege des Schadensersatzes eine Lizenzgebühr zugebilligt würde, die er bei einer erlaubten Nutzung seines Ausschließlichkeitsrechts niemals erzielt hätte (vgl. OLG Köln, WRP 2018, 873 Rn. 25 f. [juris Rn. 40 f.]; vgl. auch BGH, GRUR 1995, 349, 352 [juris Rn. 35] – Objektive Schadensberechnung). Ansonsten würde der Ersatzanspruch in die Nähe eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes gerückt (vgl. dazu BT-Drucks. 16/5048, S. 37 und 62; BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, BGHZ 190, 145 Rn. 62 – ORWI; BGHZ 225, 316 Rn. 67; BGH, GRUR 2020, 990 Rn. 26 – Nachlizenzierung).
Der Umstand, dass die Klägerin die Nutzung des „ÖKO-TEST“-Zeichens zur Bewerbung der getesteten Produkte nur unter bestimmten – im Streitfall von der Beklagten nicht eingehaltenen – Nutzungsbedingungen unentgeltlich gestattet, gibt zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass (vgl. OLG Köln, WRP 2018, 873 Rn. 19 [juris Rn. 33]; aA OLG Frankfurt, ZUM-RD 2020, 443, 445 [juris Rn. 41]; LG München I, ZUM 2015, 827, 831 [juris Rn. 79]; Schaefer, MMR 2015, 470; Koreng, K&R 2015, 99, 102; BeckOK.Markenrecht/Goldmann, 27. Edition [Stand 1. Oktober 2021], § 14 MarkenG Rn. 725.1a). Die fehlende Beachtung von lizenzvertraglichen Vorgaben zur Nutzung eines Ausschließlichkeitsrechts kann bei der Bemessung einer zu zahlenden fiktiven Lizenzgebühr – etwa mit Blick auf einen dadurch eintretenden Marktverwirrungsschaden – Berücksichtigung finden (vgl. BGHZ 119, 20, 27 [juris Rn. 31] – Tchibo/Rolex II; BGH, GRUR 2010, 239 Rn. 29 – BTK; BGH, Urteil vom 22. September 2021 – I ZR 20/21, juris Rn. 30 – Layher) oder dazu führen, dass der Verletzer einen daraus resultierenden konkreten Schaden des Rechtsinhabers auszugleichen hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1966 – Ib ZR 5/64, BGHZ 44, 372, 382 [juris Rn. 26] – Meßmer-Tee; BGH, GRUR 1973, 375, 378 – Miss Petite [insoweit nicht in BGHZ 60, 206 abgedruckt]; GRUR 2010, 239 Rn. 29 – BTK). Sie rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass ein Rechtsinhaber, der sein Ausschließlichkeitsrecht – wie die Klägerin das „ÖKO-TEST“-Zeichen – stets unentgeltlich lizenziert, für die betreffende Benutzungshandlung abweichend von seiner Lizenzierungspraxis eine Vergütung verlangt hätte.“
In einer zustimmenden Urteilsbesprechung weist Prof. Raue außerdem darauf hin, dass nach dem EuGH eine abstrakte Schadensberechnung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 3 II RL 2004/48/EG verstößt, wenn ein pauschalierter Schadensersatz „den tatsächlich erlittenen Schaden in Ausnahmefällen (…) eindeutig und beträchtlich überschreitet“ (EuGH GRUR 2017, 264 Rn. 31 – OTK/SFP; Raue ZUM 2017, 353 (354)).
Obwohl die Herren Thomas Wolf, Dirk Vorderstraße, Wladislaw Sojka, Christoph Scholz, Ralf Roltschek und Marco Verch ständig vor Gerichten scheitern, habe ich nach wie vor Lizenzforderungen für kostenlose Creative Commons-Fotos auf dem Tisch.
OLG Köln, Urteil vom 23.03.2018 – 6 U 131/17 – Speicherstadt
BGH, Urteil vom 16.12.2021 – I ZR 201/20 – ÖKO TEST III
Seit November 2020 sind Online-Medien nicht mehr polizeifest. Die seit 1949 verfassungsrechtlich garantierten Medienfreiheiten können nunmehr von Landesmedienanstalten durch Untersagungsverfügungen und Ordnungsgelder nach §§ 109, 19 MStV beschnitten werden. Diese faktisch staatlichen Behörden dürfen sogar selbst darüber befinden, was „Wahrheit“ ist, ein spezifisches Verfahrensrecht oder einen Richtervorbehalt gibt es nicht.
Wer sich Meinungsfreiheit nicht von einer Meinungspolizei definieren lassen möchte, dem bietet § 19 Abs. 3 MStV den Ausweg, sich gegenüber dem Trägerverein des Deutschen Presserats auf dessen Pressekodex zu verpflichten. Anders als die Behörden kann der Presserat nichts verbieten, sondern nur psychologische „Sanktionen“ wie Rügen usw. aussprechen (was er seltenst macht). Durch eine mehr oder weniger freiwillige Selbstverpflichtung endet nicht nur automatisch die Zuständigkeit vom Eumann & Co., sondern die Anbieter werden auch datenschutzrechtlich als Journalisten anerkannt und entsprechend privilegiert.
2021 verweigerte der Presserat allerdings einigen Interessenten mit unterschiedlichen Begründungen den Zutritt. Dies ist misslich, weil es absehbar keine Alternativen zum Presserat gibt. Eine Mandantin wollte sich weder staatliche Zensur noch Ungleichbehandlung bieten lassen und verklagte den Presserat auf Annahme ihrer Selbstverpflichtung.
Die Grundrechte wie Pressefreiheit usw. gelten zwar in erster Linie gegen den Staat, sie haben aber auch Ausstrahlungswirkung ins Privatrecht. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine private Organisation ein Monopol hat, auf das alle angewiesen sind, etwa das einzige Fußballstadion am Ort oder eine marktbeherrschende Kommunikationsplattform betreibt.
Nach ca. einem halben Jahr kam der Presserat dann doch noch zur Vernunft und akzeptierte die Mandantin.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Online-Enzyklopädie Wikipedia eine besondere Glaubwürdigkeit genießt, obgleich bekannt ist, dass Änderungen theoretisch für jedermann möglich sind. Der Durchschnittsleser geht durch den Selbstkontrollmechanismus von einer gewissen Objektivität aus (OLG München, WRP 2012, 1145; Spindler/Schuster/Micklitz/Namysłowska, 4. Aufl. 2019, UWG § 5a) Rn 76.) Der Leser einer Enzyklopädie Wikipedia erwartet üblicherweise Fakten und keine Verdächtigungen (LG Berlin, Urteil vom 28.8.2018 – 27 O 12/17, ZUM 2019, 65). Der Inhalt eines manipulierten Artikels suggeriert eine Scheinobjektivität, wenn die für Wikipedia typische Darstellung von Streitständen unterbleibt. Der verschleiernde Charakter wird dabei nicht durch relativierende Diskussionsbeiträge beseitigt, weil diese vom durchschnittlichen Wikipedia-Nutzer nicht zur Kenntnis genommen werden (OLG München, WRP 2012, 1145; Spindler/Schuster/Micklitz/Namysłowska, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. 2019, UWG § 5a Rn. 77).
Die Wikipedia ist insbesondere kein Meinungsforum. Da die Wikimedia-Stiftung als Betreiberin der Wikipedia-Domain ihren Sitz in Kalifornien hat, ist sie als ausländische juristische Person keine Grundrechtsträgerin der Presse- oder Rundfunkfreiheit (Dilling, Olaf: Persönlichkeitsschutz durch Selbstregulierung in der Wikipedia, ZUM 2013, 380). Für die Wikipedia-Autoren gelten die Sorgfaltsmaßstäbe nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB. Allgemeinen Grundsätzen entsprechend hat der Erklärende die Voraussetzungen des § 193 StGB darzutun und im Bestreitensfall zu beweisen (Gomille, Christian: Negatorische Haftung der Wikipedia-Betreiberin, ZUM 2019, 69). Auch der BGH unterscheidet Internetangebote mit nutzerbasierten Beiträgen dahingehend, ob der Betreiber Neutralität, objektiv nachvollziehbare Sachkunde und Repräsentativität hinsichtlich der Beurteilungen der Nutzerbeiträge für sich in Anspruch genommen hätte, oder ob er sich als ein Meinungsformum versteht und darstellt (BGH, Urteil vom 14.1.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587). Die Wikipedia beansprucht unstreitig einen neutralen Standpunkt und untersagt den Nutzern in den Artikeln eigene Meinungsbeiträge (Wikipedieregel: Keine Theoriefindung, Wikipediaregel: Neutraler Standpunkt).
Diese Auffassung hatte das OLG München letzte Woche sogar in einem Hinweisbschluss, der gegen denselben Beklagten ergangen war, bekräftigt:
„Von einem biographischen „Wikipedia“-Beitrag erwartet der maßgebliche Leser aber, dass er über Werdegang und Persönlichkeit der beschriebenen Person im Wesentlichen vollständig und objektiv informiert wird. Diese Erwartung schließt eine kritische Auseinandersetzung des Verfassers mit dem Denken und Handeln der beschriebenen Person keineswegs aus. Mit seiner Bearbeitung hat der Beklagte aber die Grenzen objektiver Darstellung überschritten, weil er dem Leser die gewünschte Bewertung der Person von Prof. Dr. Verleger geradezu aufdrängt und es ihm durch Verschweigen wesentlicher Aspekte von dessen Biographie erschwert, sich eine eigene Meinung zu bilden.„
Insbesondere ist eine Enzyklopädie mit neutralem Geltungsanspruch kein Ort für eigene subjektive Auffassung der Bearbeiter. Die Einträge des Beklagten standen im Widerspruch zum Willen der Geschäftsherrin Wikimedia, § 678 BGB. Auch die durchaus haftende Plattformbetreiberin hat am gezielten Verstoß gegen den in den Wikipedia-Regeln geforderten neutralen Standpunkt kein Interesse, schon weil sie selbst nicht die europäischen Medienfreiheiten beanspruchen kann, sondern grenzt sich sogar ausdrücklich von einem Meinungsforum ab.
Zur Ausübung von Meinungsfreiheit stellt die Wikipedia den Nutzern zu jedem Artikel ein Diskussionsforum zur Verfügung, wo streitige Änderungen diskutiert werden sollen. Im Artikel jedoch sind subjektive Ansichten von Nutzern ausdrücklich unerwünscht. Mutwillige Regelverstöße bezeichnet man im Wikipedia-Jargon zutreffend als „Vandalismus“. Ebenso wenig, wie Sachbeschädigung oder verbotene Eigenmacht mit Meinungsfreiheit gerechtfertigt werden kann, muss sich die Wikipedia eine Meinung des Beklagten als vermeintlich eigene aufdrängen und unterschieben lassen. Auch der Kläger muss den aufgedrängten Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte durch vorgetäuschte Objektivität nicht hinnehmen.
Es ist bereits verfehlt, anonymes Eintragen unwahrer oder irreführender Informationen in fremde Texte überhaupt unter Äußern von Meinung zu subsumieren, da der subjektive Charakter der Einträge verschleiert bzw. aufgegeben wird. Eine persönliche Zuordnung eines Eintrags zu einem bestimmten Nutzer ist nur unter erheblichem Aufwand recherchierbar, nämlich durch Abgleich mit der gesamten Versionsgeschichte.
Behaupten einer Tatsache setzt streng genommen eigentlich vorraus, dass man sein Haupt auch zeigt. Im Gegensatz zur Tatsachenbehauptung misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab. Davon geht die h.M. aus, wenn die Äußerung den Empfänger als subjektive Meinung anspricht und ihm als solche erkennbar ist. Es kommt darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, Burkhardt (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap, Rn. 48, mwN.). Eine solche Prägung oder Erkennbarkeit ist bei subversiv in einem fremden Text platzierten Informationen, von denen Leser zumindest das Bemühen um Neutralität sowie eine kollektive Äußerung erwarten, denknotwendig ausgeschlossen. Insbesondere wäre die Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB in einer Enzyklopädie ausgeschlossen, da diese gerade keine eigenen Bewertungen anstellen, sondern tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen von Dritten abbilden soll, nicht aber solche der Nutzer. Auch die Rechtsprechung differenziert zwischen Websites mit neutralem Geltungsanspruch und Meinungsportalen, BGH, Urteil vom 14.1.2020 – VI ZR 496/18.
Laut einem am 31.01.2022 verkündeten Urteil des OLG Koblenz hingegen scheinen dort andere Maßstäbe zu gelten. Das OLG Koblenz hält Wikipedia-Artikel offenbar sogar für ein Meinungsforum. Dort werden sachlich unstreitig falsche Äußerungen als „wahr“ bezeichnet, wenn man sie mit einer Quelle referenziert (und nicht etwa als subjektive Meinung darstellt). Am OLG Koblenz darf man Autoren, die man fertig machen möchte, eine aus abenteuerlichen Umkehrschlüssen konstruierte „Zusammenfassung“ in den Mund legen und sie damit als scheinbar verrückt erscheinen lassen. Man darf sich aus einem Leben anderer Leute selektiv bedienen und Autoren und sie in Verbindung mit politischen Ansichten von andere Personen bringen, die sie irgendwann einmal unerwartet getroffen haben. Man darf den Eindruck eines gescheiterten Künstlers erwecken, dessen Werke scheinbar nie aufgeführt worden seien und der konzertantes Komponieren aufgegeben habe.
Tatsächlich ist der Kläger ein hochintelligenter, gebildeter und wissenschaftlich sorgfältig arbeitender Mann. Er spricht fünf Sprachen fließend, lebte in verschiedenen Ländern (Israel, Island, Deutschland), war Informatiker schon zu Zeiten von Lochkarten, studierte dann Musik, gehörte in den 70er Jahren zu den Pionieren von Computermusik, bereiste die Welt und publizierte in juristischen Fachzeitschriften zu Menschenrechten. Wegen seiner Kompetenz zum Thema Wirtschaftssanktionen hatte ihn eine kalifornische NGO ihn ca. 1999 und 2000 zweimal als Vertreter zur jährlichen Sitzung der Menschenrechtskommission der UNO in Genf gesandt. Das ermöglichte dem Kläger, als Beobachter an verschiedenen Ausschüssen teilzunehmen und mit Delegierten der verschiedenen Staaten über die Sanktionen zu sprechen. Damals traf der Kläger in dieser Angelegenheit Graf Hans-Christoph von Sponeck, Nachfolger von Denis Halliday als UN-Koordinator für humanitäre Fragen in Irak. Im Februar 2000 reichte auch von Sponeck (nach Halliday) seinen Rücktritt aus Protest gegen die Sanktionspolitik des UN-Sicherheitsrates ein, die er verantwortlich für das Sterben mehrerer hunderttausender irakischer Kinder sah. Soweit bekannt, wurden dem Kläger bislang kein Recherchefehler nachgewiesen. Seine Bücher sind in diversen Sprachen erschienen. Er erhielt internationale Einladungen bis hin nach Pakistan, unter anderem wurde ihm ein Preis im House of Lords verliehen.
Der Beklagte hingegen, dessen Lebensleistung sich dagegen eher bescheiden ausnimmt, räumte in seiner Berufungsschrift sogar ein, dass er mit seiner Bearbeitung Dritte vom Lesen der Bücher des Klägers (die er selbst offenbar nicht kennt) abhalten wollte, da dem Kläger nur ein schlechter Ruf zustehe. Für mich klingt das nach Kreditgefährdung iSd § 824 BGB und vorsätzlich sittenwidriger Schädigung iSd § 826 BGB.
Kontrolle und Abschirmen eines komplett einseitigen und verzerrenden Artikels gegen sachliche Korrekturen scheint für das OLG Koblenz jedoch völlig in Ordnung zu sein. Die Tatsache, dass der Kläger wegen der völlig verzerrten Darstellung über Jahre hinweg im Internet und damit automatisch auch im richtigen Leben wegen ihm untergeschobenen politischen Thesen und Auffassungen geächtet und sozial isoliert wurde, soll nach Meinung des OLG Koblenz nicht so schlimm gewesen sein. Außerden hätte der Kläger, der jahrelang beim Bemühen um Korrekturen in seinen Beitrag gescheitert war, nach Enttarnung von Feliks keinen Anwalt bemühen müssen, man hätte ihn ja auch privat anschreiben und nett fragen können.
Dementsprechend wird das OLG Koblenz sicherlich nichts dagegen haben, dass ich dessen Urteil wie in der Überschrift zusammengefasst habe.
OLG Koblenz, Urteil vom 31.01.2022 – 9 U 195/21 (nicht rechtskräftig).