Bei Verdachtsberichterstattung erliegen Journalisten häufig der Versuchung, sich für eine Partei zu entscheiden, wobei die Argumente nicht notwendig sachliche sind. Insbesondere in Fällen von Kindesmissbrauch will kein Autor Gefahr laufen, ein tatsächliches Opfer auch noch zum Lügner zu stempeln. Gerade in solchen Fällen aber, in denen ein möglicherweise zu Unrecht Verdächtigter seine Unschuld häufig nicht beweisen kann, wären professionelle Kommentatoren gut beraten, vorverurteilende Berichterstatung zu vermeiden. Auch der Deutsche Pessecodex verlangt das.
Derlei Handwerk scheint die taz-Autorin Christina Nord noch lernen zu müssen. Schon die Überschrift „Nichts sehen, nichts sagen“ und die Dachzeile, in der von einer „Verkommenheit Hollywoods“ die Rede ist, beziehen klar die dann doch etwas unkritische Position. Dabei gesteht die „Expertin“ selbst ein, dass Aussage gegen Aussage stehe, urteilt aber:
„Angesichts des Detailreichtums von Dylan Farrows Erinnerung scheint es wahrscheinlicher, dass er lügt.“
Ähm. Nein. Bei unbeteiligten Zeugen kann Detailreichtum tatsächlich ein Indiz für Glaubwürdigkeit sein. Zeugenaussagen bewertet man jedoch auch hinsichtlich einer sogenannten „Belastungstendenz“. Hier nämlich haben wir es nicht mit einer bloßen Zeugin zu tun, sondern mit einer angeblich Geschädigten, die ganz klar im Lager von Mia Farrow steht, die Allen seit über 20 Jahren hasst.
Bereits damals kam ein Gericht zum Schluss, dass an den Anschuldigungen wohl nichts dran sei. Allen wurde 1993 insbesondere durch die Nanny entlastet, die aussagte, an dem fraglichen Tag die Adoptivtochter keine fünf Minuten aus den Augen gelassen zu haben. Und dass Farrow sie anstiften wollte, Allen in Misskredit zu bringen. Insbesondere widersprach sie Details (!), die Farrow zu dem Zwischenfall behauptet hatte.
Jeder, der einmal gewisse Zeit in einem Gerichtssaal zugebracht hat, weiß, dass Zeugen häufig lügen. In vielen Fällen merkt man es sofort, manche Menschen allerdings können lügen wie gedruckt. Ein Indiz für solche Lügen ist übrigens Detailreichtum …
Die taz-Kommentatorin schließt:
Wenn man daraus überhaupt einen Schluss ziehen möchte, dann vielleicht den, die eigene Fähigkeit zur Empathie besser auszubilden.
Eine Alternative zur offenbar noch nicht hinreichend ausgebildeten Empathie wäre eine gründliche Recherche. Hilfreich dabei wäre etwa dieser sehr ausführliche Beitrag eines Woody Allen-Biographen.
Hier die aktuelle Darstellung von Woody Allen.