UPDATE: Bitte beachten Sie vor Lektüre unbedingt diesen Lesehinweis. Danke.
UPDATE: Nein, ich mache die Presse NICHT für unser Wahlergebnis verantwortlich. Das hatte ich vorher hier klargestellt. Ich bin Medienkritiker. Ich kritisiere eine nachhaltig schwache journalistische Leistung.
Hannah Beitzer, politische Journalistin bei der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, tritt offensiv für Feminismus ein. So ist sie etwa Mitglied in der Pressure Group „Pro Quote“, die sich für einen Eingriff in die Pressefreiheit durch zwangsweisen Frauenanteil in den Redaktionen einsetzt. Wie auch sonst in der Wirtschaft und der Gesellschaft sind Frauen auch in der Medienbranche erstaunlich unterrepräsentiert: Mit Ausnahme der taz und diverser Frauenmagazine sind nach wie vor praktisch alle wichtigen Chefredaktionen im Printbereich männlich besetzt. Das war und ist auch bei der Süddeutschen Zeitung zu 100% so. Auch bei den Leitartiklern und Edelfedern sind Frauen unterrepräsentiert. Es ist unerfindlich, weshalb journalistisches, unternehmerisches oder politisches Talent auf die Geschlechter unterschiedlich verteilt sein sollte, so dass wir es durchaus mit einer gesellschaftlichen Herausforderung zu tun haben, da wir viele Talente nicht effizient nutzen.
Ob die Gesellschaft durch eine Frauenquote sinnvoll beeinflusst werden kann und ob die Vorteile eines solchen Eingriffs in Konkurrenzprozesse mögliche Nachteile aufwiegen kann, ist Gegenstand einer seit Jahrzehnten mit bisweilen religiösem Eifer geführten Diskussion, die in diesem Posting möglichst ausgespart werden soll.
Zu konstatieren ist allerdings, dass die gesellschaftliche Vorteilhaftigkeit einer Quote eine politische These ist, die schon methodisch kaum überprüft werden kann. Ob man die Quote für sinnvoll oder nicht erachtet, ist eine subjektive politische Meinung, die jeder für sich selber entscheiden darf. Die eine Meinung hierüber ist genauso so respektabel wie die andere. Die etablierten Parteien sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen und beurteilen die Quote auch parteiintern kontrovers. Bei der jüngsten Bundestagswahl entschieden sich mindestens 54% für Parteien ohne Quote. Von politischen Journalisten, die nicht gerade für ein Tendenzblatt schreiben, darf man eigentlich erwarten, dass sie mit Meinungspluralismus umgehen und fremde Ansichten authentisch berichten können.
Wenn eine Journalistin zu einem Thema eine Position vertritt, sind Interessenkonflikte mit ihrem eigentlichen Auftrag vorprogrammiert. Vegetarische Journalisten würde man allenfalls dann auf einer Metzgerfachmesse schicken, wenn sie professionelle Distanz zu ihrem Thema beherrschen. Dennoch setzte die Süddeutschen Zeitung die eifrig missionierende Feministin Hannah Beitzer ausgerechnet auf eine Partei an, die bereits in der Satzung ihr Desinteresse am Gender-Thema bekundet hatte und sich aus der in Deutschland überwiegend männlichen IT-Community rekrutierte. Statt qualifiziert zu berichten oder wenigstens beim Thema zu bleiben, nahm Frau Beitzer jedoch die Piratenpartei stets zum Aufhänger, um über ihr privates Lieblingsthema Feminismus zu dozieren. Für Frau Beitzer scheint es in der Politik nichts Dringenderes als die Frauenquote zu geben, die gefälligst auch diese Partei einzuführen und für die Gesellschaft zu fordern habe.
Versuch einer unideologischen Partei
Als Menschen aus dem IT-Bereich 2006 (wohl auf der Männerinsel Tortuga) die Piratenpartei gründeten, um gegen Überwachungsstaat, überholtes Urheberrecht und politische Ignoranz des sozialen Raums Internet den Marsch durch die Institutionen anzutreten, verzichteten sie in ihrer Satzung bewusst auf Gendern (§ 1 Abs. 5 Piratensatzung): Das biologische Geschlecht sagt über das subjektiv empfundene nichts aus, die Menschen sind vor Gesetz und Staat ohnehin gleichberechtigt, und wenn Frauen im Jahre 1 nach Merkel nach sechs Jahrzehnten Gleichberechtigung sogar Bundeskanzler werden konnten, schien das Thema Geschlechtergerechtigkeit eigentlich durch zu sein. Netze sollen neutral sein, so auch die Bewertung jeglicher Menschen, in welchem Körper auch immer sie geboren sind.
Das war natürlich etwas kurz gegriffen, denn noch immer werden Frauen zwar nicht rechtlich, aber gesellschaftlich etwa bei der Karriere benachteiligt und häufig im Alltag entwürdigt. Die Piraten waren damals ganz überwiegend männlichen Geschlechts – wie auch es auch heute in praktisch allen Computerclubs, der noch immer zu 90% männlichen Wikipedia-Community und bei sonstigen nerdigen Organisationen der Fall ist. Da das biologische Geschlecht der Piraten ganz bewusst nicht erfasst wurde, erübrigten sich Diskussionen über eine Quote. Diskriminierung kann bereits bei der Anrede beginnen, wenn sich jemand im falschen Körper befindet. Wie dem auch sei, Frauenpolitik gehörte damals ganz sicher nicht zu den Prioritäten der IT-Partei.
Der Piratenkompass tendiert bei fast allen zu libertär. Wenig anfangen konnte die undogmatischen Partei mit autoritärem Feminismus wie Forderung nach einer Quote, Sprachpolizei und polarisierenden Vorwürfen von Frauenfeindlichkeit, die manche Piratin zu erheben pflegte, wenn sie mit einem Anliegen aus möglicherweise ganz anderen Gründen gescheitert war.
Als sich 2011 eine Piratin für die Position des politischen Geschäftsführers bewarb, forderte sie sogar eigens dazu auf, sie nicht deshalb zu wählen, weil sie eine Frau sei. Sie wurde gewählt und hochgeachtet. Auch die Sprecherin des ebenfalls männerdominierten Chaos Computer Clubs lehnt feministisch intendierte Anfragen mit dem Hinweis ab, wenn sie sich für Genderpolitik interessiert hätte, wäre sie Genderforscherin geworden. Sie wurde Informatikerin und weiß sich durchzusetzen.
Pro Quote
Doch wer nicht für autoritären Feminismus ist, der ist in den Augen von Frau Beitzer offenbar frauenfeindlich und rückständig, sogar psychisch krank („paranoid“, wie sie schreibt). Ihre private Entrüstung „Wie, die haben keine Frauenquote?“ ließ Frau Beitzer in einen Beitrag von 2011 einfließen, ohne den Lesern zu erklären, dass die Piraten ganz bewusst keine qualitative Unterscheidung nach Chromosomen pflegten, nicht etwa aus Abschätzigkeit, sondern weil man sich für postgender hielt und die Reduktion auf das biologische Geschlecht nur als eingeschränkt hilfreich betrachteten.
Der geringe Frauenanteil wurde Ende 2011/Anfang 2012 auch von anderen Journalisten ab und an einmal thematisiert, der Verzicht auf eine Quote hingegen scheint vor allem Frau Beitzer beschäftigt zu haben. Die Piratenpartei hielt schon immer andere Themen für wichtiger und hatte damals auch kein Bestreben, bei den Grünen zu wildern, zu deren Säulen Feminismus gehörte. Dass man sich jedoch bei den Piraten für ihr Lieblingsthema nicht interessierte, scheint Frau Beitzer ähnlich gefuchst zu haben wie eine abgewiesene Liebhaberin.
Narrativ „Männerpartei“
Bei den von einander abschreibenden Journalisten hatte sich das Narrativ verfestigt, die Piraten seien eine „Männerpartei“. Frau Beitzer spricht sogar von einem „Männerhaufen“. So lehnten die Redaktionen 2011 ein halbes Jahr lang Interviews mit einer damals unbekannten Piratin ab, weil eine Frau nicht dem von der Presse zugedachten Parteiimage entsprach. (Als die Piratin dann erstmals in der Bundespressekonferenz auftauchte und die Medien im Sturm eroberte, wollten alle nur noch mit ihr sprechen.) Auf dem Parteitag 2011 in Offenbach fielen Journalisten peinlich auf, die eine bestimmte Einstellung nicht filmen wollten, weil zu viele Frauen im Bild waren, was ihnen eben nicht in selbiges passte.
Den Edelfedern entging zudem die Tatsache, dass sich im Bundesvorstand noch eine zweite Frau befand, deren ungewöhnlicher Vorname offenbar von vielen als männlich gedeutet wurde. Auch die Tatsache, dass etwa der Landesverband in NRW 2010 von einer Frau geleitet worden war, trübte den Gender-Eifer der Journaille nicht. Die Beobachtung, dass auch in anderen Parteien Frauen in Führungsrollen stark unterrepräsentiert sind – geschenkt. Von den Piraten, die nun einmal aus der männerdominierten IT kamen, wurde von bestimmten JournalistInnen erwartet, dass sie die gesellschaftliche Evolution in kürzerer Zeit meisterten, als das etwa in den besagten Chefredaktionen der Fall ist – etwa der von Frau Beitzers Süddeutschen Zeitung, die bis heute rein männlich geleitet wird. (Im online-Bereich gibt es unter den drei Stellvertretern eine Frau.)
Die Situation hatte sich verschärfte, nachdem in Berlin 15 Piraten mit nur einer Frau an Bord das AGH geentert hatten und sich insbesondere mancher Berliner Pirat Frauen gegenüber wenig galant benahm. Zudem wurden die Piraten von Mitgliedern der berüchtigten Berliner „Zuse-Crew“ getrollt, wo man um die penetranteste Berliner Schnauze wetteifert und irgendwas auf Mailinglisten zu kompensieren scheint. Eine Partei, die sich freiem Informationsaustausch und der Meinungsfreiheit in besonderem Maße verschreibt, ist nun einmal auf Mailinglisten anfällig für Naturen jeglicher Couleur. So fanden sich auch skurrile Trolle (oder Fakes?) ein, die sich „Maskulinisten“ schimpften – und von Feministen nicht etwa mitleidig ignoriert, sondern tatsächlich ernst genommen und damit um den Faktor 1 Million aufgewertet wurden. Zum Trollen gehört jemand, der sich trollen lässt – FeministInnen scheinen insoweit sehr begabt zu sein. Die Gender-Kriege schienen in erster Linie ein Berliner Problem zu sein. Die Hauptstadtpresse scheint allerdings Berlin für den Nabel ihrer bescheidenen Welt halten.
Quotsch
Während des NRW-Wahlkampfs 2012 erkundigte sich Frau Beitzer beim Aufstellungsparteitag in Münster bei einem Gründungspirat (und späteren Bundestagskandidat im 5%-Spektrum), wie er denn zur Quote stünde. Der Pirat befand die Quote nicht als sinnvoll. Daraufhin war das Gespräch beendet – für immer.
Frau Beitzer hielt mit ihrer Agenda nicht hinterm Berg: So forderte sie in einem Artikel zum Bundesparteitag 12.1 in Neumünster bereits in der Überschrift Frauen auf, die Ellenbogen herauszunehmen und dozierte:
„Nur mit Frauen in der ersten Reihe wird es vielleicht bald echte Lösungen geben, wie man Familie, Karriere und Beziehung unter einen Hut bringen kann. Dann werden in ein paar Jahren vielleicht auch Frauen genauso viel verdienen wie Männer. Und dann werden die Töchter der jungen Frauen von heute Vorbilder haben, die zeigen, dass man beides sein kann: Frau und Chef.“
Frau Beitzer beklagte in ihrem Artikel auch die Situation in ihrer eigenen Branche und verfehlte nicht nur damit offensichtlich das eigentliche Thema Piratenpartei („Männerhaufen“). Die These starker Frauen als Vorbilder teile ich grundsätzlich. Einige Piratinnen allerdings fanden es daneben, quasi zur Interessenvertretung ihrer biologischen Geschlechtsgenossinnen verpflichtet oder auf feministische Gallionsfiguren reduziert zu werden. So erteilte etwa eine Vorstandspiratin Frau Beitzers anmaßender Aufforderung eine klare Absage.
Hannah Beitzers Gender-Debatten
Die Überschriften, die Frau Beitzer Anfang 2012 produzierte, lassen auf ihr dichotomisches Weltbild schließen:
Offenbar sind alle Piraten gleich und in Frau und Mann eingeteilt. Die Singularisierung von Personenmehrheiten hatten wir schon mal („der Russe“). In dem irreführend überschriebenen Artikel geht es um zwei Piratinnen, die für Feminismus werben und damit nicht durchgehend auf Gegenliebe stießen – was allerdings in allen Parteien passierte, als eine Quote vorgeschlagen wurde. Ein SPD-Minister mit Kanzlerambitionen sprach in den 1980ern mal von „Tittensozialismus“. No News, liebe Journalistin Frau Beitzer.
Und selbstverständlich gibt es auch in einer 30.000 Menschen-Partei, die sich in Internetforen formiert hat, einen Prozentsatz an Personen, die ihre Sozialisierung noch vor sich haben. Eine Journalistin, die über Parteien schreibt, sollte das wissen und gewichten können. Doch dann die nächste Überschrift:
„Die Piratenpartei und die Piraten leiden unter Feminismus-Paranoia“
Hochspannend ist, wieso Amateuer-Psychologin Frau Beitzer von einer derartigen „Paranoia“ spricht, wenn sie im gleichen Artikel das Desinteresse am Thema berichtet:
„Und leider muss man zweitens feststellen, dass die Piraten zwar Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern wahrnehmen – aber selbst anscheinend keine große Lust verspüren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen: Nur 14 Prozent der Befragten in der Umfrage gaben an, sich besonders für Geschlechter- und Familienpolitik zu interessieren.“
Etwas seltsam wird Frau Beitzers Besinnungsaufsatz, wenn sie bestreitet, dass es „beim Feminismus um die Bevorzugung der Frau“ gehe. Hallo?!? Geforderte Eingriffe in Auswahlprozesse wie eine Frauenquote sind aber nun einmal genau das. Ob berechtigt und sinnvoll ist eine andere, politisch zu beurteilende Frage.
Eigentlich wäre spätestens diese Arbeitsprobe ein guter Anlass für ein Redaktionsgespräch gewesen. Wenn sie eine fremde Partei gestalten möchte, dann soll sie Mitglied werden und ihr Glück versuchen. Wenn sie Berichterstatterin einer namhaften Zeitung ist, erwarten Leser grundsätzlich professionelle Distanz, solange es sich nicht um einen Kommentar handelt.
Ob man Frau Beitzer nicht besser über die Violetten hätte schreiben lassen, mit denen sie die Piraten möglicherweise verwechselte? Die haben sogar eine paritätische Doppelspitze und sind voll nett.
Piratinnen
Die große Ironie an den Vorwürfen der nach Frauen rufenden Presse war, dass unsere Außenwahrnehmung von starken Frauen geprägt war, deren Brillanz manchen Missgriff der „wilden Männer“ etwa in Berlin aufwog. Diese Piratinnen genießen in der Partei großen Respekt und haben sich ihre Position erarbeitet und werden sich auch da durchsetzen und überzeugen, wo es keine Quote gibt.
Fairerweise darf man allerdings nicht unterschlagen, dass Piratinnen in Ämtern ihren männlichen Kollegen in nichts nachstanden, wenn es darum ging, der Partei Schande zu machen. Über problematische Piratinnen hat Frau Beitzer allerdings nur in einem Fall das Nötigste berichtete, auch wenn es in mindestens einem anderen Fall nachhaltig angezeigt gewesen wäre. Da aber Frau Beitzer außerhalb Berlins ohnehin praktisch keine Piraten wahrnimmt, muss das nichts bedeuten.
Männliche Feministen
Auch die Herren der Schöpfung, die plötzlich ihre Freude am Feminismus auslebten, haben nicht notwendig hilfreich zum Ansehen der Piraten beigetragen. Allen voran Feminist Johannes Ponader, der sich irgendwann auf Twitter aus Solidarität als „Piratin Johannes“ anbiederte. Sendungsbewusste Feministen aus Berliner Piratenkreisen brüskierten beim letzten Kongress des Chaos Computer Clubs ihre Gastgeber und Mitgäste mit exzessiv verteilten „Creeper Cards“, wobei sie sogar das charmant gemeinte Aufhalten von Türen als sexistisch identifizierten. Selten war mir meine Parteizugehörigkeit peinlicher.
Gewürdigt werden sollte auch die Leistung von Feminismus-Missionar Anatol Stefanowitsch (fordert 50%-Frauenquote), der auf dem Höhepunkt der NSA-Affäre spannende Diskussionen über „Zigeunerschnitzel“ zubereitete und Herrenanzüge als Symbol für den Kapitalismus etikettierte. Stefanowitschs bemerkenswerte Leistung war die Mitautorenschaft des berühmten „Zeitreiseantrags“, einem satirischen Insider-Text, der beim legendär missglückten Parteitag in Bochum als pädagogische Auflockerung gedacht war. Die Medien berichteten nicht einmal den satirischen Charakter des Antrags, so dass die Piraten als Vollidioten erschienen, die ernsthaft über Zeitreise-Anträge debattierten. Noch heute werde ich darauf angesprochen.
Bei einer 2%-Partei wäre ein Flachs wie der Zeitreiseantrag witzig gewesen. Von einer 8-15%-Partei, der die Medien Hunderte Journalisten schicken, erwartet man aber, dass sie mit Zeit und Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit verantwortungsvoller und reifer umgeht, etwa Politik und Satire trennt. Andernfalls wird man dann halt wieder 2%-Partei. Genau das trat im Januar 2013 in Niedersachsen ein. Nachdem in Bochum die Chance für eine Ablösung des dysfunktionalen Vorstands vertan wurde, beschränkten die Medien ihre Aufmerksamkeit gerade einmal auf das wirklich unglaubliche BuVo-Theater. Dass Frau Beitzer im Vorfeld über den Niedersachsen-Wahlkampf über diesen berichtet hätte, wäre mir nicht aufgefallen. Dabei hätte die Journalistin, die damals an einem Buch über die Piratenpartei schrieb, auf eine hochmotivierte und politisch brillante Wahlkämpferin stoßen können, die eigentlich ihr Interesse hätte wecken müssen. Aber Recherche ist nicht so Frau Beitzers Ding.
#Aufschrei
Kurz vor der Niedersachsenwahl im Januar 2013 lieferte eine schon länger umstrittene Berliner Journalistin, mit der Frau Beitzer auf peinliche Weise ihre Freundschaft betwittert, ein Thema, das wie für die Feministin geschaffen war: Getuschel unter den Piraten über möglicherweise zwischen Journalisten und Politikern fragwürdige Nähebeziehungen wurde als Sexismus identifiziert (obwohl derartige Geschichten in jeder anderen Partei auch die Runde gemacht hätten). Nachdem die Journalistin Laura Himmelreich nach der Wahl eine bedeutend schwerwiegendere Anekdote über das Verhalten eines FDP-Politikers veröffentlichte, folgte die #Aufschrei-Debatte über Alltagssexismus, die also offensichtlich kein Piraten-spezifisches Thema betraf. Die Reaktion etlicher Piraten war die, sich öffentlich zu solidarisieren. Trotzdem stellt Frau Beitzer sie als Sexisten dar.
Nach einem weiteren der vielen vermeidbaren Missgriffe des BuVo-Vorsitzenden, dem im Zusammenhang mit Frauen die Floskel „Fordern und Fördern“ über die Lippen gerutscht war, reifte schließlich der Plan, eine „Piratinnenkon“ zu veranstalten, die sich mit Feminismus in Gesellschaft und Piratenpartei befasste. Die zweifellos gut gemeinte Aktion provozierte nicht nur die parteibekannten Gendertrolle, auch außerhalb der schrillen Berliner Filterbubble stießen die Feministen nicht notwendig auf Gegenliebe. Etliche Piratinnen konnten mit dieser Form von Feminismus, der sich plakativ auf zwei Geschlechter beschränkte und polarisierte, wenig anfangen. Kritik von außerhalb schien allerdings extrem unerwünscht zu sein und wurde mit exakt den gleichen Methoden gekontert, die man beklagte: Mobbing. Darüber aber schrieb Frau Beitzer nicht.
Ein Dank für die öffentliche Beschäftigung mit Feminismus blieb aus – und war auch nicht zu erwarten, denn auch der Linkspartei wurde ihre 50%-Quote nie gedankt. Weder die Medien feierten die Piraten für ihre demonstrativ zur Schau getwitterte Frauenpolitik, noch trat die erhoffte Verdoppelung der Wählerschaft durch Ansprechen von Wählerinnen ein, die ein Absinken der Wahlergebnisse von jeweils über 8% auf 2% hätte mildern können. Wähler, die gesteigerten Wert auf Feminismus legen, wählen vermutlich weiterhin grün.
Vorwahlkampf
Während wir Piraten im Frühjahr vor der Bestandsdatenauskunft warnten, ließen uns die Medien im Stich. Auch Frau Beitzer war mit diesem Thema überfordert oder hieran desinteressiert. Wir demonstrierten in Städten, ohne dass die Passanten mit dem Begriff etwas anfangen konnten – Totalversagen der vierten Gewalt. Für den Knatsch im Bundesvorstand und Feminismus war allerdings immer Zeit. Zum Parteitag in Neumarkt, der eigentlich relativ produktiv verlief, waren Frau Beitzer und befreundete Edelfederinnen bereits mit gesenktem Daumen angereist und bereicherten die Twittertimeline mit gönnerhaft herablassenden Tweets. Auch die Tatsache, dass nunmehr eine Frau ans Ruder des Leck geschlagenen Schiffes gestellt wurde, stimmte die Feministin nicht gnädig, denn auch der teilweise neue Vorstand verfehlte eine Frauenquote. Das konnte man Frau Beitzer nicht zumuten.
Frau Beitzer trat auch einmal als Piratenexpertin in einer Talkshow auf. Dabei gab sie zu erkennen, dass sie über ganz fiese Intrigen bei den (Berliner) Piraten informiert war. Jedes Wort ihrer Analyse stimmte, wobei es mehr als unglücklich war, dass sie diese Kritik ausgerechnet der neuen politischen Geschäftsführerin vor die Füße warf – einer der beiden ganz großen personalen Glücksfälle der Piratengeschichte, die gerade nicht für Streit und Eitelkeiten steht – aber auch nicht für feministische Frauenpolitik. Das konnte eine Hannah Beitzer natürlich nicht durchgehen lassen.
Wenn Frau Beitzer im Vorfeld der Bundestagswahl über sich streitende unreife Piraten klagt (zu denen es in allen Parteien Entsprechungen gibt), so wäre es sinnvoll gewesen, wenn sie sich mal die Kandidaten der vorderen Listenplätze angesehen hätte. Die haben sich in rund einem Dreivierteljahr nicht ein einziges Mal auch nur ansatzweise gestritten. Auch sonst waren unter den aussichtsreichen Kandidaten, die sich bekanntlich einem langwierigen Auswahlverfahren hatten unterziehen müssen, nur wenige, die Bedenken weckten. Schade auch, dass Frau Beitzer, wenn sie denn diese Insiderkenntnisse hatte, diese nicht öffentlich machte – das wäre nämlich ihr Job als Journalistin gewesen
Während Frau Beitzer für ihr Frauen-Thema stets Zeilen erübrigen konnte, fiel sie durch inhaltliche Befassung eher selten auf. Als wir im ersten Halbjahr gegen Bestandsdatenauskunft auf die Straße gingen, interessierte das Frau Beitzer nicht. Ebenso wenig unser Protest gegen die „Drosselkom“.
Wahlkampfauftakt
Mit Frau Beitzer hatte ich außer der Tatsache, dass sie mich via Twitter beschattet, nur einmal zu tun. Es war ein Pressefrühstück mit den 16 sogenannten „Spitzenkandidaten“ in Berlin. Ich hatte die NRW-Spitzenkandidatin auf deren Bitten hin begleitet, weil gerade das NSA-Snowden-Thema aktuell war und ich mich nun einmal seit einem Jahrzehnt mit Geheimdiensten befasse, in Hacker-Kreisen verkehre und gerade auf die Erkenntnisse von Prof. Foschepoth zur Geschichte der Überwachung in Deutschland aufmerksam gemacht. Ich war zu den Berliner Journalisten gereist, um sie auf die damals noch immer gültigen Geheimverträge mit den USA und Großbritannien aufmerksam zu machen, die offenbar die Hauptstadtjournalisten nicht kannten.
Echte politische Journalisten hätte mein Thema eigentlich interessieren müssen, solche waren jedoch nicht gekommen. Stattdessen schlürfte Frau Beitzer mit uns Kaffee. Ihr waren nicht einmal die weiblichen Spitzenkandidaten eine Zeile wert, nach denen sie so laut gerufen hatte. Als dann plötzlich eine Woche später DER SPIEGEL und die FAZ genau mit diesem Thema Schlagzeilen machten, benötigte die Süddeutsche online mehr als einen Tag, um zum Sachstand aufzuschließen. Frau Beitzer hätte von mir alle Informationen 6 Tage vorher bekommen können, um selbst oder durch einen Kollegen zum Überwachungsthema einen brauchbaren Artikel zu machen. Selbst ein Hinweis auf meinen TELEPOLIS-Artikel hätte ihrer Redaktion geholfen. Warum folgt mir eine Journalistin auf Twitter, wenn sie meine Beiträge nicht liest (oder versteht)?
Stattdessen spekulierte Frau Beitzer in ihrem Bericht – wohl unter dem Eindruck der AGH-Piraten – darüber, dass sich eine künftige Piratenfraktion streiten würde. Als einzigen Lichtblick erwähnte sie eine Piratin, der sie das nötige Format zutraute. Diese Piratin ist mir hochsympathisch, sie gehörte zweifellos zu unseren größten Talenten und ist eine langjährige Freundin – hatte aber keine realistische Chance, da sie aufgrund ihres schwachen Listenplatzes erst ab 7% in den Bundestag gekommen wäre. So fragt sich, warum sich Frau Beitzer nicht für die Kandidaten interessierte, die sich im Falle eines nach Lage der Dinge allenfalls knappen Bundestagseinzugs im 5%-Spektrum bewegten.
Es war mir ja durchaus recht, dass Frau Beitzer eine Eloge auf die besagte 7%-Piratin schrieb, eine beispiellos engagierte wie temperamentvolle Wahlkämpferin und eines unserer ganz großen Talente. Journalistisch gesehen allerdings war Frau Beitzers Beitrag wegen Realitätsferne unbrauchbar. Ich erlaubte mir per DM die Frage an Frau Beitzer, warum sie denn nicht bei meinem Überwachungsthema zugegriffen habe. Sie antwortete, dafür sei jemand anderes in der Redaktion zuständig. Warum Frau Beitzer die 7%-Kandidatin den nun einmal wahrscheinlicheren Kandidaten vorgezogen hat, liegt auf der Hand: Jene 7%-Piratin ist – neben ihrem Engagement zu vielen piratischen Themen – nun einmal auch für ihr offensives Eintreten für Feminismus bekannt …
Aber auch diese Piratin vermochte die Piratenpartei für Frau Beitzer nicht etwa zu rehabilitieren, im Gegenteil nutzte die Journalistin die nächste Gelegenheit, um die Piraten, die noch immer nicht dem glorreichen autoritären Feminismus hündisch huldigten, zu exekutieren. Und so brachte Frau Beitzer über jene bei allen wirklich aktiven Piraten hochanerkannte Piratin eine auch der Betroffenen höchst unangenehme Story, in der Frau Beitzer den Piraten eine Feindlichkeit gegen die Piratin wegen ihrer Prominenz unterstellte. Seriöse Journalisten hätten sich an Stelle von Frau Beitzer gefragt, ob angebliche Missgunst und Neid bei den Piraten ausgeprägter und repräsentativer als anderswo sind, statt laienhaft den Piraten Psychogramme auszustellen.
Quot-Essenz
Bei ihrem Totentanz nach den Wahlen schrieb Frau Beitzer dann:
„Die Piraten hatten in den vergangenen Monaten eine schmerzhafte Debatte zu Sexismus und struktureller Benachteiligung durchlaufen, in der sich der diskriminierungssensible Flügel durchsetzen konnte.“
Weder sind mir derartige „Flügel“ oder auch nur eine nennenswerte Anzahl von Piraten bekannt, die das Thema mit Frau Beitzers Interesse verfolgen, noch wäre mir bekannt, dass sich irgendwer mit irgendwas durchgesetzt hätte. Bekannt ist mir aber, dass es etliche gemäßigte Piratinnen leid sind, von Berliner Twitter-Accounts als „Masku-Schlampe“ gemobbt zu werden und sich aus entsprechenden Diskussionen, die Frau Beitzer mit so großem Interesse verfolgt, längst verabschiedet hatten.
Und weiter:
„Viele dieser unbedachten Äußerungen spielten sich irgendwo zwischen Sexismus und der mangelnden Abgrenzung von rechts ab.“
Die von Frau Beitzer unterstellte mangelnde Abgrenzung gegen rechts möge Frau Beitzer doch mal bitte belegen (vgl. auch § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 3 der Satzung). Die in den Medien kolportierte angebliche Nazi-Unterwanderung der Piratenpartei im Frühjahr 2012 ist meiner Einschätzung nach eine sebstreferentielle Medienhysterie gewesen. Ich hatte mich damals ins Bundesschiedsgericht der Piratenpartei wählen lassen, um an entsprechenden Parteiausschlussverfahren mitzuwirken. In eineinhalb Jahren hatte ich (wie jedes Parteigericht) mit extrem nervigen Personen zu tun, aber mit keinem einzigen Nazi-Vorfall. Auf etlichen Nazi-Demos weht die Piratenfahne bei den Gegendemonstranten, worauf wir gesteigerten Wert legen. Und dann rülpst Frau Beitzer im Herbst 2013 eine derart ehrabschneidende Unterstellung?
Und ewig jammert Frau Beitzer, die charismatische Piratin von einst möge wieder auf Erden erscheinen und das Ruder ergreifen – die allerdings unmissverständlich verkündet hatte, dass das Geschlecht im Bett eine Rolle zu spielen habe, und nur da. In den neuen Bundesvorstand werden beim Parteitag in Bremen voraussichtlich einige Frauen gewählt werden, und zwar deshalb, weil sie als Menschen und Politiker überzeugen.
Redaktionsversagen
Meines Erachtens hat weniger Frau Beitzer versagt als vielmehr die Redaktion der Süddeutschen Zeitung, der offenbar die Klickzahlen der Beitzerschen Beiträge mehr zusagten als der Ruf als Qualitätsmedium. Ob wohl die Süddeutsche Zeitung mit den Beitzerschen Beiträgen der EMMA mehr LeserInnen abspenstig gemacht hat als die Piraten den GrünInnen?
Über Frau Beitzers dieses Jahr vorgestelltes Buch (das ich mir gespart habe) schreibt das Deutschland-Radio (wohl diplomatisch):
„An keiner Stelle scheut sich die Autorin vor einer klaren eigenen Haltung, erzählt und argumentiert oft sehr persönlich.“
Nicht ganz das, was man von Sachliteratur erwartet. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die „Journalistin“ Hannah Beitzer nicht etwa persönliche Nuancen setzt, sondern gar nichts anders kann als Tendenzliteratur zu fabrizieren. Der Leseprobe nach schreibt sie ohnehin wohl lieber über sich selbst. Für eine Buchautorin ist Haltung in Ordnung, auch für einen pointierten journalistischen Kommentar in einer Tageszeitung. Bei der langfristigen politischen Berichterstattung einer Zeitung mit Qualitätsanspruch über eine Partei sind solche einseitig selektiven Präferenzen und Projektionen deplatziert.
Mit der Beschäftigung von überforderten Assoziationsautorinnen, die von journalistischem Handwerk vermutlich nicht einmal gehört haben, tut die Süddeutsche Zeitungen niemandem einen Gefallen.
Annett Meiritz, Kontaktpflegerin – Journalisten unter Piraten (4) » Rechtsanwalt Markus Kompa
[…] dieser Missstände betraf eine Autorin, deren subjektiv-selektive Sicht eher eine einfältig-naive Projektion als ein handwerklich vertretbares Ergebnis journalistischer Arbeit war. Schlichte Gemüter […]
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