9. September 2013
Letzten Samstag trafen sich rund 10.000 Menschen in Berlin, um gegen den Überwachungswahn zu protestieren. Während Grüne und Die Linke (und lästigerweise auch eine verlorene Abordnung der JuLis) Flagge gegen die Massenbespitzelung zeigten, fehlten CDU und SPD unentschuldigt. Man will sich ja später in der großen Koalition nicht unglaubwürdig machen.
Auf der „Freiheit statt Angst“-Demo waren die überwiegenden Beiträge thematisch und kreativ. Allerdings sah sich insbesondere die Piratenpartei gefordert, ihre Präsenz zu kommunizieren, denn andernfalls hätten die Zeitungen ebendiese vermisst. Tatsächlich etwa schrieb die ZEIT von „einigen Piratenfahnen“, obwohl die meisten Beobachter wohl eher viele solche wahrgenommen hatten. An dem Fahnenmeer störten sich etliche Nicht-Piraten, denen der Protest nicht intellektuell genug sein konnte. Allen wird man es wohl nie recht machen können. Auf jede Piratenfahne kam allerdings mindestens eine kreative Aktion.
Befremdlich finde ich allerdings die Nachlese, die heute in einigen Blogs zu lesen war. So sei die Veranstaltung bisweilen „antiamerikanistisch“ gewesen. Nun habe ich nicht alle Redebeiträge gehört und nicht jedes Plakat abgenommen, aber mir scheint da eher ein kommunikatives Defizit auf Empfängerseite vorzuliegen:
Wenn ein Redner forderte, Deutschland solle nicht länger ein „Vasallenstaat“ der USA sein, so bezog er sich auf ein Zitat des US-Beraters Zbigniew Brzeziński, der in seinem Buch „Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ die Verbündeten der USA gönnerhaft als „Vasallenstaaten“ bezeichnet und das ernst meint. Das Vorwort steuerte sein Kumpel, der vormalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher bei, der offenbar gerne Vasallenstaatler war.
Andere Redner betonten, dass wir nicht der 51. Bundeststaat der USA seien und dass man einander auf Augenhöhe begegnen solle – was nun einmal im geheimdienstlichen und militärischen Bereich nicht der Fall ist. Wie man in diesem Befund „Antiamerikanismus“ hineindeuten könnte, übersteigt ein bisschen meine Fantasie. Wenn allerdings die NSA hierzulande die Gastfreundschaft in unfassbarem Maße verletzt, die CIA in Pakistan Zivilisten mit Drohnen abschießt, die US-Streitkräfte fremde Länder nach Gusto bombardieren und Soldaten ungestraft davonkommen, wenn sie Passanten mit dem Maschinengewehr aus dem Helikopter abschießen, und sich dann für eine Anerkenntnis des internationalen Gerichtshofs in den Haag zu schade sind, dann darf man ab und an schon mal ein kritisches Wort verlieren. Sogar der Kanzlerin scheint die US-Kriegerei langsam auf den Geist zu gehen.
Wenn die Szene derer, die sich für digitale Bürger- und Menschenrechte einsetzen, sich leichtfertig über subjektive Befindlichkeiten auseinander dividieren lässt und man die gemeinsame Veranstaltung mal eben leichtfertig als „antiamerikanisch“ labelt und anderen Vorschriften machen will, wie sie teilnehmen sollen, dann finde ich das irgendwie schade.
6. September 2013
https://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=o7XrAZFCrao
Für heute hatte ich eigentlich wenigstens von der ZEIT erwartet, dass sie auf den 50. Jahrestag eines ihrer wichtigsten – und erstaunlich aktuellen – Artikels hinweist. Damals hatte die ZEIT mit ihren Enthüllungen die Abhöraffäre in Gang und den Innenminister Hermann Höcherl in Bedrängnis gebracht. Der wiegelte ab wie Pofalla:
„Die Beamten können nicht den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen.“
Einen Tag vor der „Freiheit statt Angst“-Demo hätte ein Hinweis auf diesen Enthüllungsartikel gut gepasst.
Alles muss man selber machen.
2009 warben die Veranstalter der Demonstration „Freiheit statt Angst“ mit diesem Trailer. Ein unfassbarer Polizeivorfall auf dieser Demo war damals für mich Anlass, bei den Piraten einzutreten.
Anders als 2009 sind heute die Internetsperren nicht das Thema, sondern das Ausspähen durch die NSA, das die Lebensqualität unseres Lebensraums Internet entscheidend beeinträchtigt. Nachdem der ehrwürdige Chaos Computer Club lange Bedenken hatte, weil er sich parteipolitisch nicht vereinnahmen lassen will, ruft auch diese Institution zur Teilnahme auf.
Wir sehen uns morgen. Berlin, Alexanderplatz. 13 Uhr.
Wer es nicht schafft, kann wenigstens zugucken.
Jedes Jahr treffen sich in Pamplona etliche Vollidioten, um andere Vollidioten zu beeindrucken.
Dieses Bullenrennen war möglicherweise Namensgeber für das NSA-Programm Bullrun, dessen Gefährlichkeit nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Indem wir unsere IT-Infrastruktur mit Produkten aufgebaut haben, die Schadcode der NSA enthalten, haben wir uns wie die Vollidioten in Pamplona selbst in Gefahr gebracht.
Es wird nun langsam Zeit, dem Silicon Valley Lebewohl zu sagen und alternative IT-Umgebungen aufzubauen. Der europäische Stier ist mir lieber als der Bullrun. Dass unsere Politiker weder die Brisanz des Themas noch die Chance für den IT-Standort Europa erkennen, sondern vor angeblichem Antimarikanismus warnen, ist mir unbegreiflich. Was muss eigentlich noch passieren?
UPDATE: Namensgeber dürfte eher die Schlacht am Bull Run im US-Bürgerkrieg gewesen. Der Krieg gegen die eigenen Bürger hat in den USA ja Tradition …
5. September 2013
Am Dienstag waren Udo Vetter, Daniel-Domscheit-Berg und ich zu Gast im Berliner taz-Café, um mit den eigens eingeladenen Hauptstadt-Journalisten und sonstigen Gästen über den BND/NSA-Skandal und die Chancen eines Untersuchungsausschusses zu diskutieren. Mit dem in der Durchsetzung von Bürgerrechten erfahrenen Strafverteidiger Udo Vetter, dem weltbekannten Hacktivisten und IT-Sicherheitsexperten Daniel Domscheit-Berg und meiner Wenigkeit als interessierter, aber belesener Laie in Geheimdienstgeschichte, hatten wir die wesentlichen Felder abgedeckt, die man für so einen Talk braucht.
Das taz-Café war bis auf den letzten Platz besetzt. Wir hatten ein sehr aufmerksames Publikum, das kluge Fragen stellte. Der Talk hat allen Beteiligten großen Spaß gemacht und war uns die Anreise aus NRW jede Sekunde wert. Wir könnten uns gut vorstellen, einen BND/NSA-Untersuchungsausschuss zu leiten. Ähnlich wie beim BER-Ausschuss wären die Piraten praktisch die einzigen, die das ohne Interessenkonflikte könnten.
Während die Gäste sehr interessiert waren und sich durchweg positiv äußerten, hatten die politischen Journalisten in Berlin offenbar Besseres zu tun. Im Axel Springer-Haus auf der gegenüberliegenden Seite war man im Gegenteil in dieser Nacht mit einer Boulevardstory befasst, um die Piraten in den Dreck ziehen. Lediglich das Norwegische Radio interessierte sich für uns. Meine Lieblingsfrage von Journalisten ist übrigens die, warum man denn von den Piraten so wenig zur NSA hört.
4. September 2013
Anhand aktueller Umfragen nach dem „Duell“ sieht es laut Heise wohl so aus:
Der neueste stern-RTL-Wahltrend zementiert vielmehr die Lage. Union und FDP haben mit 45 Prozent nicht nur deutlich mehr Punkte als Rot-Grün mit 34 Punkten, sie liegen auch vor dem so genannten „linken Lager“ von SPD, Grünen und Linken mit 43 Prozent.
Die Verhältnisse würden deutlich verschoben werden, wenn die Piraten mit mindestens 5% in den Bundestag einziehen. In jedem Falle aber dürfen sich die Parteien, denen am Ende ca. 3 Prozent fehlen, für die an uns verlorenen Prozente bei den Leuten bedanken, die zwischen 2009 und 2013 ihre Netzpolitziker ausgebremst haben. Ohne dieses Versagen gäbe es uns nicht.
Dem hartnäckigen Forscherdrang von Prof. Dr. Josef Foschepoth verdanken wir die Kenntnis über die Geschichte der Überwachung in Deutschland, die so erst seit 2012 erstmals wissenschaftlich dokumentiert sind. Anlässlich der Verleihung des Whistleblowerpreises an Edward Snowden hielt er diesen Vortrag.
Leider ist die Geschichte der Überwachung noch nicht vorbei, auch wenn uns Frau Merkel und Herr Pofalla das gerade auf die Nase binden wollen. Selten dreist.

admin •

11:38 •
Allgemein,
Internet,
Medienmanipulation,
Medienrecht,
Meinungsfreiheit,
Persönlichkeitsrecht,
Politik,
Strafrecht,
Überwachung,
Verdachtsberichterstattung,
Zensur •
Comments (0)
2. September 2013
Am Dienstag werde ich im Berliner TAZ-Café, 19 Uhr, mit dem Kollegen Udo Vetter und dem IT-Experten und Hacktivisten Daniel Domscheit-Berg über den NSA-Skandal und die Möglichkeiten parlamentarischer Kontrolle und Konsequenzen sprechen.
Zur Geschichte geheimdienstlicher Überwachung in Deutschland empfehle ich diesen Beitrag im Deutschlandfunk, der auf den Ende letzten Jahres veröffentlichten Forschungen von Prof. Foschepoth basiert.
Heute erschien auf TELEPOLIS mein Interview mit dem ehemaligen Verfassungsschützer Winfried Ridder, der eine kritische Bilanz der Terrorbekämpfung gegen die RAF zieht.
Ebenfalls heute erschien auf GOLEM der Beitrag Die BND-Auslandsaufklärung im rechtsfreien Raum über ein Gespräch mit dem Verfassungsrechtler Christoph Gusy von Christiane Schulzki-Haddouti.
Der von ehemaligen Geheimdienstlern und Historikern gegründete „Gesprächskreis Nachrichtendienste“ hat im LIT-Verlag eine interessante Buchreihe zum Thema „Geheimhaltung und Transparenz“ herausgegeben. Die einzelnen Beiträge muss man natürlich je nach Haltung und Perspektive der durchaus unterschiedlichen Autoren gewichten.

admin •

16:05 •
Allgemein,
Internet,
Medienmanipulation,
Medienrecht,
Meinungsfreiheit,
Politik,
Pressefreiheit,
Strafrecht,
Überwachung,
Verdachtsberichterstattung,
Zensur •
Comments (0)