Derzeit tobt in der Piratenpartei eine lebhafte Diskussion über die Einrichtung einer „Ständigen Mitgliederversammlung (SMV)“, also einem internetbasierten Abstimmungstool, das es der Piratenbasis ermöglicht, zwischen zwei aufeinanderfolgenden Mitgliederversammlungen verbindliche Beschlüsse zu fassen. Hierdurch soll Basisdemokratie in Richtung imperatives Mandat geschaffen werden.
Piratenvorstand Klaus Peukert, ein vehementer Befürworter (und aussichtsloser Listenplatzkandidat), hält es für eine gute Idee, schon mal gegen eine noch gar nicht vorhandene Bundestagsfraktion und seine möglichen Vorstandsnachfolger förmlich zu stänkern:
Ich sag es mal platt: Ohne eine SMV wird die Fraktion kaltlächelnd die Partei abhängen. Es werden dann Fraktion und die (von der Politik der Fraktion getriebenen) Bundesvorstände sein, die das Bild und den Kurs der Partei prägen.
Respekt, auch Peukert hat begriffen, dass man Menschen mit Feindbildern und Angst nun einmal am besten manipulieren kann. Der Zweck heiligt nun einmal die Mittel. Politik halt …
Die SMV könnte allerdings tatsächlich das große Alleinstellungsmerkmal der Piraten werden, nämlich verwirklichte Basisdemokratie, an der vor 30 Jahren die Grünen mangels IT-Vernetzung gescheitert waren. Ob das wünschenswert ist, darüber wird lebhaft und durch alle Lager diskutiert. Ich selbst habe dazu noch keine Position. Das stärkste GEGENargument aber liefert Peukert unfreiwillig selbst: Er will die Entscheidung über Krieg und Frieden an die Basis delegieren. Autsch.
Fragen wie „Stimmen wir dem Bundeswehreinsatz in Mali zu oder lehnen wir ihn ab?“. Müssen die MdB dann selbstständig entscheiden, ohne dazu ein verbindliches Feedback (bspw. ein in vier bis sechs Wochen entstandenes Positionspapier zum konkreten Thema) zu bekommen. Klar, freies Mandat und so und im Programm steht ja auch was, aber wir alle wissen wie geil „Dann wirds eben abgeleitet“ funktioniert (Hint: Gar nicht).
Fangen wir hinten an: Viele Piraten stehen Militär fundamental ablehnend gegenüber, auch ich lehne 99,9% aller militärischen Einsätze ab. Fundamentalpazifisten müssen sich aber fragen lassen, ob sie tatenlos dabei zusehen möchten, wenn ein Völkermord wie in 1994 Ruanda gegen Minderheiten einsetzt, weil diese die „falsche“ Abstammung, Volkszugehörigkeit oder was auch immer für ein „Merkmal“ haben. Ganz so einfach ist Politik dann wohl doch nicht.
Ich persönlich traue mir heute keine Entscheidung zum Mali-Einsatz zu, schon deshalb, weil ich aktuell über diesen Konflikt viel zu wenig weiß. Als beruflich sehr eingespannter Mensch kann ich insoweit aktuell die Medien nur oberflächlich verfolgen. Wenn ich aber darüber zu entscheiden hätte, ob sich Deutschland an derartigen Missionen beteiligt, so würde ich mich nicht mit der Medienberichterstattung begnügen, denn Propaganda ist nun einmal fester Bestandteil und sogar Voraussetzung des Krieges – etwa das Installieren von Feindbildern (wie es Peukert ja gerade demonstriert). Jeder, der sich in Fragen von Krieg und Frieden auf die Medien verlässt, dem rate ich ganz dringend zu der preisgekrönten Doku „Es begann mit einer Lüge“ über den Jugoslawienkrieg. Langfristig empfehle ich die Lektüre von „The First Casualty“.
Mitglieder des Bundestages haben bei solchen Fragen die Pflicht, sich so kompetent wie irgendwie möglich zu machen. Das ist der Hauptberuf von Parlamentariern. Sie haben den wissenschaftlichen Hilfsdienst. Sie haben Internet, um dort selbst nach alternativen Informationen zu suchen, statt sich auf die „Experten“ und sonstige Propaganda zu verlassen, mit der man sie füttern will. Und auch Berufsparlamentarier sind untereinander auf Arbeitsteilung angewiesen, denn nicht jeder Parlamentspirat kann in allen politischen Gebieten kompetent sein.
Wenn schon Parlamentspiraten strukturell an Grenzen stoßen, welche Entscheidungsgrundlage darf man denn bei normale Piraten erwarten, die berufstätig sind, Familie haben und daher nicht 24/7 Politik verfolgen können? Ohne jemandem nahe treten zu wollen, aber gewisse Fragen eignen sich nicht für den „digitalen Stammtisch“. Wenn alle Piraten überall mitreden und mitbestimmen, werden Entscheidungen zum kleinsten gemeinsamen Nenner tendieren. So geschehen während der Bochumer Beschlüsse, die zum Teil so beliebig wirken, als hätte sie der Lila Launebär geschrieben. So lange nicht nachgewiesen ist, dass basisdemokratische Beschlüsse zu besseren Ergebnissen führen als das Modell repräsentativer Demokratie, bleibe ich skeptisch.
Wie anfällig Menschen für Manipulation und Hirnvergiftung sind, haben insbesondere die Piraten vor ein paar Jahren auf Vorstandsebene erleben müssen, als ein geistiger Tiefflieger allen Ernstes die Bombardierung des Irans forderte. Die geerdeten Piraten reagierten drauf mit der sarkastischen Satire „Liquid Angriffskrieg“.