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Rechtsanwalt Markus Kompa – Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Köln
Blog zum Medienrecht


Iran 2010 – Informieren uns die Medien zuverlässig?

Vor einigen Monaten hatte ich mich über die provinzielle Dummheit von Zeitgenossen aufgeregt, die das verzerrte Bild des Iran in unseren Medien unreflektiert wiederkäuen. Ein Blogleser hatte mir einen Bericht über seine Erfahrungen im Iran zugesandt und hatte das Land zwischenzeitlich im März bereist. Freundlicherweise hat er mir seinen Reisebericht zur Verfügung gestellt. Ich bedanke mich sehr herzlich für diesen Beitrag, der vielleicht das eine oder andere Vorurteil über den „Schurkenstaat“ zu beseitigen hilft:

Reisebericht aus dem Iran, Anfang 2010

„But what I can say is that we are living in a big prison named Iran. Many journalists, university professors, teachers and students were arrested in horrible prisons. We are trying to take back our country from the government that kills people by all weapons nobody can believe!“

Eine iranische Freundin per Email, im März 2010

Der folgende Reisebericht entstand während gut zwei Wochen Aufenthalt in Iran. In dieser Zeit konnte ich nicht nur viele Kulturschätze besichtigen, sondern auch einen intimen Einblick in die „Struktur“ dieses faszinierenden Landes gewinnen. Da meine Gastgeber Mitglieder einer alteingesessenen und wohlhabenden Teheraner Familie sind, war ich vornehmlich mit ähnlichen Menschen zusammen: Bildungsbürgertum und Unternehmer, aber keine Geistlichen. Dementsprechend sind meine Erkenntnisse vor allem aus diesen Gesprächen gewonnen. Zwar ist dies nicht gerade repräsentativ, aber eine hochgebildete, demokratisch und freiheitlich orientierte Elite hat sicher einen recht guten Überblick über das eigene Land.

Über das Reisen:

Auf meinen bisherigen Reisen konnte ich Isfahan, Yazd, Ahvaz und Teheran besuchen. Da Iran flugtechnisch wie Frankreich organisiert ist, muss man stets via Teheran fliegen. Im Einsatz sind Fokker 100, Boeing 727 und Tupolew 154. Die Sicherheitskontrollen sind leger, speziell für westliche Ausländer eher nachlässig (ich hatte auch schonmal ein paar Taschenmesser im Handgepäck, was aber erst nach dem Flug auffiel…). Fast alle Angestellten sprechen sehr gutes Englisch, auch an kleineren Flughäfen. Taxen sind sehr günstig, man revanchiert sich mit Trinkgeld dafür, dass die Fahrer keinen Umweg fahren (was sie auch nie tun). Perser begegnen Gästen stets außerordentlich freundlich! Auf einem Inlandsflug kam ich ins Gespräch mit einem Geschäftsmann, der vor gut 30 Jahren am Goethe-Institut Deutsch gelernt hatte. Selbstverständlich für ihn, mich nachts vom Flughafen Teheran ins Hotel zu fahren. Eine Bezahlung wäre Beleidigung gewesen!

Über den Glauben:

Im schiitisch geprägten Iran ist der Glaube erheblich (!) weniger präsent als beispielsweise in der sunnitischen Türkei. Wer jemals in Istanbul genächtigt hat, weiß, wie viele Muezzine eben nicht gleichzeitig zum Gebet rufen…

Man sieht kaum Moscheen, auch betende Menschen sind sehr selten. Das Gebet wird meist beiläufig erledigt – beim Würfelspiel oder Tee trinken. Einer unserer Taxifahrer hat im Stau einen anderen Fahrer kopfschüttelnd ausgelacht, als dieser lauthals Gebete sang.
Der Glaube im Iran ist Privatsache. Auch ist der Anteil wirklich gläubiger Menschen (subjektiv) sehr gering. In meinem Umkreis war der Tenor: Der Glaube hat bei uns viel kaputt gemacht. Seit der Revolution ist vieles schlechter geworden. Die Religion sollte sich aus der Staatsführung heraushalten.
Wie bereits veröffentlicht, sind Kirchen, Synagogen und Zoroastrier-Tempel in guter Erhaltung. Kein Iraner käme auf die Idee, jemanden wegen seines Glaubens anzufeinden oder – wie leider in Europa üblich – Synagogen zu schänden.
Beklagt wurde allerdings, dass sich nicht nur Schiiten und Sunniten uneinig sind, sondern sich sogar hohe schiitische Geistliche im Iran gegenseitig bekämpfen.

Beide Seiten sind übrigens in Iran unzensiert!

Krieg ist Krieg – aber den kämpft man gegen Irak oder Israel, nicht aber gegen Juden, Israelis oder Sunniten. Davon abgesehen hat Persien seit 1000 Jahren niemanden mehr angegriffen. Wenn man dann an 1939, 1914, 1870, also die letzten 150 Jahre Deutschland, denkt…

Die Gesellschaft:

Iran ist eine Gesellschaft mit zwei völlig verschiedenen Seiten: Dem Schein und dem Sein. Die sind völlig getrennt und haben einfach nichts miteinander zu tun. Zwar müssen iranische Frauen den Schleier und einen Mantel tragen, diese Vorschriften sind jedoch interpretierbar. Jahr für Jahr sieht man mehr Frauen, deren Schleier ein dünner bunter Schal, der Mantel ein sehr eng und tailliert genähtes Kleidungsstück ist. Da die Seidenschals leicht vom Kopf rutschen, sieht man immer mal wieder blondierte, lange Haare. Nagellack, hohe Stiefel und enge Hosen zeigen deutlich, was man von diesen Vorschriften hält: Erlaubt ist, was nicht verboten ist. Dies erklärt auch die Inschrift vor einer Moschee: „Bitte Schleier tragen“. Auf meine Frage Wieso, das sei doch eh’ Vorschrift? antwortete unser Begleiter: Ja, es gibt Frauen, die die Schleier tragen, und Frauen, die Schleier tragen müssen. Die Aufforderung geht an letztere…
Die Veränderung, diese kleinen Freiheiten betreffend, ist immens schnell. Jedes Jahr mehr Frauen die Auto fahren oder alleine reisen; Die Schleier und Mäntel werden kürzer, bunter, schriller. Speziell der Druck auf die Frauen erklärt auch, wieso nach Schätzung meiner Gastgeber ca. ¾ der Demonstranten Frauen waren. Die haben es echt satt – und die Männer verstehen es. Durch die langen Mäntel wird natürlich die Damenwahl nicht gerade erleichtert …

In der „Islamischen Republik Iran“ gibt es jedoch auch andere verblüffende Dinge. Man stelle sich vor, in Vatikanstadt würde täglich dreimal zur Touristenbelustigung an einem stillgelegten Kirchturm gewackelt. Undenkbar? Nicht in Iran.

Weitere Details: Auf einer Hochzeit gab es:

  • keine getrennten Toiletten für Männlein und Weiblein
  • durchgehend Röcke, die für eine deutsche Hochzeit zu gewagt gewesen wären
  • „Vitamin C“: Saft, „Vitamin A“: Saft mit Alkohol
  • Keinen einzigen Schleier

Auch hier – viele in Europa ausgebildete Leute – der Tenor: Seit der Revolution geht es abwärts. Nicht wenige der anwesenden Gäste wohnen in Amerika, Kanada und Europa. Ein Aderlass, vergleichbar der DDR vor dem Mauerbau.

Die Iraner in den großen Städten sind uns Europäern erheblich ähnlicher und zudem moderner, als wir denken. Kostenloses (W)LAN in allen Hotels und Flughäfen ist selbstverständlich. Die vermaledeite Zensur kann durch einen einfachen technischen Kniff umgangen werden. Grundsätzlich sind die Perser sehr erfinderisch darin, Verbote zu umgehen oder ignorieren. Auf fast allen Dächern sind Heerscharen an Sat-Schüsseln installiert, um „Westfernsehen“ zu gucken. Diese Schüsseln sind dann gut versteckt hinter einem Dachsims und von der Straße aus nicht zu sehen:

Aktuell der Renner: DSDS, da dort wohl (?) auch iranisch-stämmige Künstler auftraten. Gleichzeitig aber sind die Wächter – Polizei und Geistliche – nur sehr selten kleinkariert und lassen überraschend vieles durchgehen.

Man hat in Iran eigentlich den Eindruck, dass die Bewohner die Politik, die geistigen Führer, die Atomwaffenpläne und den Druck aus dem Ausland einfach ignorieren. Es interessiert sie nicht, es gibt wichtigeres, hier und jetzt. Trotzdem fühlen sie sich sowohl vom Ausland wie auch im Inneren sehr schlecht behandelt und unter Druck gesetzt. Dies kam dann zum Ausbruch bei den jüngsten Demonstrationen.

Über die Wahlen:

Die Meinung hierzu ist komischerweise sehr eindeutig: Es wurde kein Wahlbetrug begangen, zumindest kein offener. Und das, obschon meine Gesprächspartner alles waren, aber sicherlich keine Anhänger von Präsident Ahmadinedschad. Die Manipulation lief eher subtiler: Vor allem in ländlichen, teilweise sehr armen Gebieten werden Tagelöhner mit Bussen zu den Wahlurnen gefahren, zudem verköstigt und bezahlt. Während der Fahrt wurde ihnen dann die „richtige“ Wahl erläutert. Dies würde auch den hohen Vorsprung von Ahmadinedschad in ländlichen Gegenden erklären. Und auch: Wohin die 7 Mrd. US-$ aus Ölgeschäften verschwunden sind.

Was bleibt?

Es wäre schön, wenn dieses kulturell unendlich reiche Land endlich die Wertschätzung empfinge, die es verdient. Isfahan, Yazd, Persepolis – jede Stadt hätte so viele Touristen verdient wie Ägypten oder Paris. Wahnsinnig gastfreundliche Leute, selbst ärmste Menschen boten stets Tee oder Essen an.
Insgesamt merkt man den Iranern an, wie sehr es sie kränkt, trotz ihres hohen Bildungsstandes und ihrer Modernität von der Welt nicht anerkannt zu werden. Ein rundherum sympathisches Land.

Nachwort:

Es geht mir, anders als vielleicht viele vermuten, nicht darum ein Militärregime oder das Streben nach der Bombe zu verteidigen. Vielmehr möchte ich zeigen, dass die Welt – in unserem Fall Iran – nicht so ist, wie es immer beschrieben wird. Im Fall Iran glaube ich inzwischen sogar, dass dies mit voller Absicht geschieht.
Im Iran lagern große Ölvorräte und es verhält sich diplomatisch extrem ungeschickt. Ein gefundenes Fressen für die bekannten amerikanischen Scharfmacher aus der Waffen- und Ölindustrie.
Genau diese Amerikaner* sind die wahren Feinde von Frieden und Freiheit auf der Welt. Nicht Iran – es hätte keinen Nutzen von einem Krieg.

PS: Wenn ich „alle“ oder „immer“ schreibe bedeutet das, dass ich das so empfand, sah, hörte. Ich möchte jedoch keinen Anspruch darauf erheben, dass es nicht doch manchmal anders ist.

PPS: Sollte jemand das Wassermuseum in Yazd besuchen: Ja, das ist wirklich ein ca. 1 m großer Penis aus Stein, der dort ausgestellt ist.

*): „Das weitgehend deindustrialisierte Land [USA], dessen nichtfinanzielle Sektoren Schulden von 243 Prozent des BIPs angehäuft haben, ist also nicht mal mehr in der Lage, den Kapitalstock aus eigener Kraft zu erhalten. Pleite.
[…] Denn so könnte jeder mitanschauen, wie sich die tollen (Produktivitäts-)Statistiken der USA als das herausstellen, was sie sind: reinster Schmu. Eine Hollywoodschau, um die Welt dazu zu bewegen, den USA fortlaufend Güter gegen wertloses Papier zu liefern. Güter, die sie in Ermangelung eigener Kenntnisse selbst nicht mehr herstellen können.“

Quelle: http://www.ftd.de/finanzen/maerkte/marktberichte/:das-kapital-hollywood-und-nichts-dahinter/50081911.html

« Kirche darf kein rechtsfreier Raum sein! – Piraten im NRW-Wahlkampf »

Autor:
admin
Datum:
8. Mai 2010 um 12:51
Category:
Allgemein,Medienmanipulation,Medienrecht,Pressefreiheit,Zensur
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Ein Kommentar

  1. Tweets die Iran 2010 – Informieren uns die Medien zuverlässig? erwähnt -- Topsy.com

    […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von ComPod erwähnt. ComPod sagte: Iran 2010 – Informieren uns die Medien zuverlässig? http://bit.ly/aJI83n […]

    #1 Pingback vom 08. Mai 2010 um 18:34

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