Wie hier mehrfach berichtet, hatte ein Unternehmer einen Weg gefunden, wie man den LIDL-Konzern mit konkurrenzfähig preiswerten Brötchen beliefert: Sparen an Produktionsmitteln und Humankapital.
Enthüllungs-Journalist Günter Wallraff hatte in einer Undercover-Reportage mit zum Teil versteckter Kamera gedreht und war Zeuge unfassbarer Vorgänge geworden. Aus Kostengründen seien keine gebotenen Reparaturen oder neue Bleche angeschafft worden. Wallraff und ein ebenfalls verklagter Arbeitskollege hatten u.a. geschildert, es sei immer wieder zu Verbrennungen gekommen. Es hätte nicht ausreichend intakte Handschuhe gegeben, mit denen etwa im Fall eines häufig auftretenden Defekts des Laufbandes die Backbleche hätten vom Band genommen werden können. Das Strafverfahren in Bad Kreuznach verzögerte sich aus diversen Gründen über Jahre hinweg, was Wallraff für eine Strategie der Verteidigung hält. Zwischenzeitlich meldete die Firma Insolvenz an.
Im Oktober 2011 wiederholte Wallraff einige Äußerung über verbrannte Mitarbeiter bei „Hart, aber fair“ (ab 44. Minute), formulierte jedoch über „alle“ Kollegen. Zudem zitierte er diese mit dem Begriff „Sklavenarbeit“ und äußerte, der Unternehmer versuche, sich seiner Gerichtsbarkeit bzw. seiner Verurteilung durch Befangenheitsanträge zu entziehen.
Der Unternehmer, der Wallraff zufolge seine Erklärungen von Teneriffa aus abgibt, heuerte den Kachelmann-Anwalt Prof. Dr. Ralf Höcker an, der die undankbare Aufgabe hatte, gegen die Ikone des Enthüllungsjournalismus, dessen Arbeitskollegen und den SWR einstweilige Verfügungen zu beantragen und Klage zu erheben. Wallraff zu verklagen gehört aber nun einmal zu den Dingen, die man einfach nicht tut, – insbesondere dann, wenn man etwas unter dem Deckel halten will. Der Streisand-Effekt scheint sich noch immer nicht hinreichend genug herumgesprochen zu haben. Schon allein deshalb war dieser Prozess von pädagogisch hohem Wert – und Wallraff hatte seine Bühne:
Bereits im Gerichtsfoyer, wo die zahlreichen TV-Kameras noch zugelassen waren, gab der temperamentvolle Wallraff routiniert eine Pressekonferenz und wetterte u.a. gegen Anwalt Höcker persönlich, dessen Handeln „ethisch nicht vertretbar“ sei. Das Gericht war auf den Ansturm der zahlreich Journalisten logistisch nicht vorbereitet, auch der Wechsel in einen angeblich größeren Saal brachte wenig. Höcker und sein Kanzleikollege Engel waren um das Himmelfahrtskommando nicht zu beneiden, die Presse hatte ihre ganze Solidarität aufgeboten und signalisierte stoisch schweigend, was sie von der Aktion hielt. Wallraff hatte etliche präsente Zeugen mitgebracht, den Medienvertretern sollte schließlich etwas geboten werden. Wallraff bezeichnete die Recherche als die schlimmste Erfahrung seines Lebens, abgesehen von „Ganz unten“ als Türke Ali.
Als Gastgeberin fungierte die Vorsitzende der Kölschen Pressekammer Frau Reske, die inzwischen zu einem ausgesprochen souveränen Verhandlungsstil gefunden hat. Wallraff ließ sich von seinem langjährigen Anwalt Helmuth Jipp vertreten, der mit hanseatischer Gelassenheit den Gegner ausreden und auflaufen ließ, um dann wie ein Helmuth Schmidt schneidige Präzisionsschüssen zu setzen. Höcker hatte in der Nacht noch einen Schriftsatz zu faxen versucht, wobei es zu Problemen gekommen sein muss. Auch waren einige Dokumente aus Rücksicht auf Wallraffs Mitteilungsfreudigkeit geschwärzt – was sie aus Sicht von Frau Reske unbrauchbar machte. Auch seien die Rechnungen, mit denen die angeblichen Reparaturen glaubhaft gemacht worden, nicht nachvollziehbar, die Summen würden nicht stimmen, eines der Dokumente sei keine Rechnung, sondern eine Gutschrift, Rechnungen für Sanitärverbrauchsmaterial hätten schwerlich etwas mit Fließbandarbeit zu tun. Auch sonst wiesen aus ihrer Sicht Vortrag und Glaubhaftmachung Lücken auf, so dass Höcker improvisieren musste. Der Unternehmer hatte übrigens gekniffen und verfolgte den Prozess wohl von der Insel.
Wallraff hatte bei „Hart, aber fair“ in freier Rede gesagt:
„Die Kollegen, mit denen ich dort arbeitete, wir hatten alle Verbrennungen.“
Höcker bot zwei Zeugen auf, die sich im Betrieb nicht verbrannt hätten und verwies darauf, dass derartige Betriebsunfälle in jeder Bäckerei an der Tagesordnung seien, es handele sich um eine Petitesse. Wallraff übertreibe, weil er sein Buch verkaufen wolle. Nachdem er seine Äußerung von „fast“ alle auf „alle“ geändert habe, sei eine Grenze überschritten worden und man habe sich fragen müssen, welche Übertreibung als nächstes komme, etwa statt „Verbrennung“ künftig „schwere Verbrennung“. Wallraff verbringe viel Zeit, um auf LIDL einzudreschen, wolle hier mit Pauken und Trompeten Trara zu machen. Das war der Moment, als Wallraff erstmals zu Schnauben begann.
Zudem hätte Wallraff gesagt oder angedeutet, der Unternehmer habe versucht, sich seiner „Verurteilung“ zu entziehen. Bei dem Strafverfahren in Bad Kreuznach habe der Richter dreimal angeboten, nach § 153a StPO einzustellen, was für einen unklaren Tatvorwurf oder geringste Schuld spreche. Auch habe es weitere Vorschläge gegeben. Das entspreche rechtlich nicht einmal eine Parkknolle. Selbst diesen milden Sanktionen habe sich sein Mandant nicht gebeugt, weil dieser unschuldig sei. Die Verzögerungen hätte zudem sein Mandant nicht zu verantworten, woraufhin ihn die Vorsitzende an die Befangenheitsanträge erinnerte.
Wallraffs Anwalt Jipp fand Höckers Vortrag nur mäßig prickelnd, bezeichnete die Bagatellisierung der Verbrennungen als eine „anwaltliche Unverschämtheit an der Grenze der Zulässigkeit“ und verwies darauf, dass in Bad Kreuznach auf vier bis sechs Tage terminiert gewesen sei. Als Höcker es wagte, den Hanseaten zu unterbrechen, wies Jipp diesen forsch an, „seinen Mund zu halten“, was die Vorsitzende zu ihrem ersten Ordnungsruf veranlasste. Wallraff habe seine Kollegen vom Fließband gemeint, die sich alle irgendwann einmal Verbrennungen zugezogen hätten.
Jipp mutmaßte, das vorliegende Zivilverfahren solle das Strafverfahren in Koblenz torpedieren. Dieses sei durch etliche anwaltliche Tricks hinausgezögert worden. So hätte der Verteidiger Termine wegen seines Urlaubs verlegen lassen , dann wegen angeblicher krankheitsbedingter monatelanger Reiseunfähigkeit des Verteidigers sowie durch sechs Befangenheitsanträge in zwölf Monaten. Bzgl. der Äußerung über die angebliche Entziehung der „Verurteilung“, die das Gericht als möglicherweise vorverurteilend ansah, argumentierte Jipp, die Wiederholungsgefahr sei entfallen, weil Wallraff verspreche, diese Formulierung nicht mehr zu verwenden und seine Äußerung richtig gestellt habe, was der aktuellen Stolpe-Rechtsprechung entspreche. Offenbar hatte Jipp auf die Wissenslücken der Vorsitzenden spekuliert, die jedoch nicht auf diesen Bluff reinfiel, auch Höcker wurde ungehalten.
Jipp führte an, sein Mandant sei juristischer Laie. Letzteres fand die Vorsitzende ein bisschen sehr feist, denn in den Journalisten-Handbüchern stehe schon das Wichtigste drin. Höcker kommentierte süffisant, dass man in diesen Büchern viel über Wallraff lesen könne. Im Übrigen sei die Behauptung, man könne ein Strafverfahren durch ein Zivilverfahren torpedieren, juristischer Unsinn. Im Gegenteil schade sich der Unternehmer, da er im Zivilverfahren seine Verteidigungsstrategie offenbare und Trümpfe ausspielen müsse. Man habe sich wirklich sehr lange und sehr gut überlegt, ob man diese Zivilverfahren führe, es sei eine Abwägungsentscheidung gewesen. Irgendwo müsse eine Grenze gezogen werden. Hier wandte die Vorsitzende einsichtig ein, dass derartige Anliegen wohl eher im Hauptverfahren aufgehoben seien.
Wallraff persönlich verwahrte sich gegen Höckers Anwurf, mit dem Prozess die Medien zu suchen. Er hätte keinen einzigen Journalisten eingeladen, er habe die Aufmerksamkeit nicht gewollt, er hätte 10 Interviewanfragen abgelehnt. Er habe auch nicht den Unternehmer angegriffen, dessen Namen nie genannt; es gehe ihm um das System. Ihn koste dieser Prozess nur Zeit, er werde hierdurch von seiner ihm viel wichtigeren Arbeit abgehalten. Er habe mehrfach vergeblich um ein vertrauliches Gespräch mit dem Unternehmer gebeten. Er stelle sich diesem Verfahren aus Verantwortung. Hier gehe es darum, Meinung zu unterdrücken.
Wallraff nutzte den Termin mehrfach zur Ansprache an das Volk, so dass ihn Höcker mehrfach darauf hinwies, wo das Gericht sitze, das er ansprechen möge – in grober Verkennung der Situation, denn die Veranstaltung nützte praktisch einzig Wallraff und den Medien.
Wallraff widersprach den angeblichen Reparaturen, diese seien vielmehr „Murks“ gewesen. Auf Höckers Antwort, mit dieser presserechtlich nicht angreifbaren Formulierung könne er leben, reagierte das Publikum amüsiert.
Nachdem sich die Parteien schließlich angenähert hatten, schlug die Vorsitzende eine Unterbrechung vor, in welcher die Parteien vertraulich miteinander reden könnten, was auch geschah. Nach einer halben Stunde präsentierten die Parteien sogar einen ausgearbeiteten Vergleich. Wallraff verpflichtete sich, die ungenauen Äußerungen „alle verbrannt“, „sich der Verurteilung entziehen“ und der angeblich unterbliebenen Reparaturen künftig zu unterlassen, wobei er bei seiner von der Antragstellerseite nicht geteilten Auffassung bleibe, diese Reparuten seien „total unzureichend“ (so Wallraff) und „absoluter Murks“ (so Wallraff). Der listige Fuchs hatte es also tatsächlich geschafft, dass seine provokanten Formulierungen in den Vergleichstenor aufgenommen wurden. Er blieb auch bei seiner von den Antragstellern nicht geteilten Aussage, während seiner einmonatigen Arbeitszeit seien keine neuen Bleche am Band zum Einsatz gekommen.
Die salomonische Lösung wurde nicht nur von einer Kostenteilung gekrönt, vielmehr setzte man den Streitwert von stolzen 75.000,- Euro auf schlappe 30.000,- Euro herunter. Wallraff selber erklärte nachher, ihm sei es hauptsächlich darum gegangen, das Strafverfahren gegen den Unternehmer nicht noch weiter zu verzögern. Er hoffe, dass der Unternehmer verurteilt werde.
An den Termin gegen Wallraff schloss sich weitere gegen einen Arbeitskollegen sowie gegen den Südwestrundfunk in gleicher Sache an, in welchem Wallraff als Zeuge aussagte und so richtig auf die Kacke haute. Davon ein andermal …
UPDATE: Sicht des Verfügungsklägers via Höcker Rechtsanwälte mit folgendem Vergleich:
I. Der Antragsgegner (also Günter Wallraff, Anm. d. Verf.) verpflichtet sich, bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Vertragsstrafe, die von den Gläubigern (d.h. von der Großbäckerei und ihrem früheren Geschäftsführer, Anm. d. Verf.) nach billigem Ermessen festzusetzen und im Streitfall vom zuständigen Gericht zu überprüfen ist, es zu unterlassen,
1. in Bezug auf die Firma (Unternehmensname anonymisiert) in Liquidation und/oder Herrn (Name des früheren Geschäftsführers anonymisiert) zu behaupten und/oder zu verbreiten und/oder diese Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen:
a) „Die Kollegen, mit denen ich dort arbeitete, wir hatten alle Verbrennungen“.
Die Unterlassungserklärung betrifft ausdrücklich nicht die Aussage, dass nach Auffassung des Antragsgegners (also von Günter Wallraff, Anm. d. Verf.) jedoch fast alle Kollegen Verbrennungen hatten. Die Antragsteller (also die Großbäckerei und ihr Gf., Anm. d. Verf.) bestreiten weiterhin die Richtigkeit auch dieser Behauptung.
b) „Die Anlage war so marode, da wurden keine Reparaturen aus Kostengründen (ausgeführt)“.
Der Antragsgegner ist jedoch der von den Antragstellern nicht geteilten Auffassung, dass diese Reparaturen „total unzureichend“ (so Wallraff) und „absoluter Murks“ (so Wallraff) waren;
c) dass es im Unternehmen der Antragstellerin zu 1) keinerlei Reparaturen, insbesondere in Form neuer Bleche gegeben habe.
Der Antragsgegner bleibt bei der von den Antragstellern nicht geteilten Aussage, dass während seiner einmonatigen Arbeitstätigkeit im Unternehmen keine neuen Bleche am Band zum Einsatz kamen,
2. der Antragsteller zu 2) entziehe sich bis heute einer Verurteilung.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben, genauso wie die Kosten des Vergleichs.
Sparbrötchen ./. Sklave » Rechtsanwalt Markus Kompa
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